Machtmissbrauch als zentrale menschliche Verhaltensdisposition

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Transkript:

Machtmissbrauch als zentrale menschliche Verhaltensdisposition 30. März 2011 Bern Psychiatrisch-Psychologischer Dienst (PPD), Justizvollzug Kanton Zürich, Feldstrasse 42, 8090 Zürich - www.zurichforensic.org

Essentials der Prognostik oder: Persönlichkeits- versus Situationstäter 2

Essentials der Risikokalkulation I 1 Möglichst vollständige Erfassung aller risikorelevanten Merkmale einer Persönlichkeit 2 Individuelle Risikodisposition 3 Risikokalkulation 3

Essentials der Risikokalkulation II o Risikokalkulationen = Wahrscheinlichkeitsaussagen o Die Ausprägung der Risikodisposition steht in einem inversen Zusammenhang zur Ausprägung situativer Faktoren o Unterscheidung diagnoserelevanter und prognoserelevanter Faktoren 4

Persönlichkeitstäter - Situationstäter Persönlichkeit Persönlichkeit Persönlichkeit 0%* 20% * 40% * 60% * 80% * *Ausprägung risikorelevanter Persönlichkeitsmerkmale 100%* 5

Persönlichkeitstäter: Risikomerkmale fester Teil der Persönlichkeit Persönlichkeitstäter o Risikorelevante Persönlichkeitsmerkmale stark ausgeprägt o Deliktdynamik entwickelt sich aus der Persönlichkeit o Täter (-persönlichkeit) Tatmotivation (Tat-) Situation o Regeln und Normen sind unwichtig o Gewalt- und Sexualtäter sind meist Persönlichkeitstäter o Strafe & Abschreckung wirkungslos! 6

Situationstäter: Gelegenheit macht Täter Situationstäter o Risikorelevante Persönlichkeitsmerkmale schwach ausgeprägt o Deliktdynamik entwickelt sich aus der Situation o (Tat-) Situation Tatmotivation Latente Persönlichkeitsanteile werden geweckt o Strafe & Abschreckung wirksam! 7

Situationstäter 8

Situationstäter: Strafen sind wirksam! o Situationstäter: Strafe & Abschreckung wirksam o Z.B. Geschwindigkeitskontrollen o Konsum von Kinderpornografie 9

Vorstrafen bei Kinderpornografie Konsumenten 10

Rückfälligkeit (erneute Verurteilung) 11

Asymmetrische Machtsituationen 12

Ungleiche Machtverteilung 13

Machtvorteil hat viele Gesichter o Körperliche Überlegenheit o Psychische Überlegenheit o Wissens-/Informationsvorsprung o Strukturelle/hierarchische Überlegenheit o Finanzielle Überlegenheit o Hemmungslosigkeit o Waffen und vieles mehr 14

Die Straftat: Spezialfall einer asymmetrischen Machtbeziehung o Der Straftäter hat immer einen - wenn auch nur kurzzeitigen - (Macht-) Vorteil o Überraschungsmoment o Körperliche Überlegenheit o Psychische Überlegenheit (z.b. bei Inzest) o Einsatz von Waffen o Skrupellosigkeit o Informationsvorsprung o u.v.m 15

Asymmetrische Machtverteilungen: Ein alltägliches Phänomen o Straftäter o Bezugsrahmen Strafgesetzbuch o Vorgesetzte, Richter, Polizisten, Pförtner, Türsteher, Kellner, Ärzte, Therapeuten, Briefträger etc. o Bezugsrahmen Professionalität o Mütter, Väter, Kollegen etc. o Bezugsrahmen Ethischer Verhaltenscodex 16

Umgang mit asymmetrischen Machtsituationen Person A Eigene Bedürfnisse von A Basale, legitime Rechte von B Person B 17

Kritische Situationsparameter 18

Situative Risiko-Trias 1. Geringes Bestrafungsrisiko o Grenzverletzendes Verhalten ist erlaubt oder wird befohlen o Geringe Entdeckungs- oder Bestrafungswahrscheinlichkeit 2. Sehr grosses Machtgefälle o Z.B. sexueller Missbrauch in kirchlichen Strukturen o Inzest-Taten 3. Ansatzpunkte für Legitimationsstrategien o o o o Opfer selber schuld, haben es so verdient Opfer rechtlos (z.b. keine eigene Identität, minderwertig) Eigene emotionale Evidenz ( gerechte Rache ) Unterschied Steuerhinterziehung und Steuerbetrug 19

Persönlichkeitstäter und situative Risiko-Trias Persönlichkeitstäter o Regeln und Normen sind unwichtig nutzen sich bietende Gelegenheiten exzessiv aus o Z.B. unforced killings (Soldaten, die Frauen, Männer und Kinder unerlaubterweise töteten): Häufiger Verhaltensauffällige, Freiwillige, Personal Violence History, Schulabbrecher (Yager 1975) o Besonders sadistische KZ-Wärter 20

Situationstäter und situative Risiko-Trias Situationstäter o Regeln und Normen sind wichtig erst die Gelegenheit macht sie zu Tätern o Z.B. Abu Grahib o Milgram-Experiment o Standford-Experiment o Vergewaltigungen in Kriegen 21

Präventionsstrategien 22

Allgemeine Präventionsstrategie o Situationstäter: Risikozonen entschärfen! o Keine rechtsfreien Räume! o Delinquenznahe Kulturen bekämpfen (z. B. Verantwortungs- & Skrupellosigkeit in der Gesellschaft insbesondere in Wirtschaft und Politik) o Persönlichkeitstäter: Risikotäter identifizieren o Persönlichkeitstäter frühzeitig erkennen o Rückfallrisiken mit individuellen Massnahmen vermindern 23

Tierschutz oder: weniger Opfer in der Gesellschaft 24

Verhältnis Mensch - Tier: Eine Risikozone 1. Geringes Bestrafungsrisiko 2. Sehr grosses Machtgefälle 3. Ansatzpunkte für Legitimationsstrategien Hohes Risiko für Ausbeutung und Misshandlung! 25

Basale Rechte verteidigen o Basale Rechte verteidigen - eintreten für: o Weniger Gewalt- und Sexualtaten o Weniger Misshandlung o Weniger Ausbeutung o Weniger Diebstahl und Betrug Weniger Opfer = gesündere Gesellschaft 26

Internet Forschung & Studien www.zurichforensic.org Zürcher Opferschutz-Charta www.z-o-c.org 27