Diskurs Grüne Gentechnik Fachtagung Was ist Sache in der Grünen Gentechnik? 19. und 20. April 2002, Bad Neuenahr Einführung in die Gesetzgebung, politische und administrative Zuständigkeiten und Verfahren zur Gentechnik Dr. Gernot Schubert Bundesministerium für Gesundheit, Bonn Kurzfassung Diskurs Grüne Gentechnik Originaldokument ohne redaktionelle oder gestalterische Bearbeitung Vollständige Dokumentation und weitere Informationen zum Diskurs Grüne Gentechnik unter: www.transgen.de Portal Diskurs
Einführung in die Gesetzgebung, politische und administrative Zuständigkeiten und Verfahren zur Gentechnik Fachtagung zum Diskurs Grüne Gentechnik Was ist Sache in der Grünen Gentechnik? Bad Neuenahr April 2002 Vortrag von Dr. Gernot Schubert (Kurzfassung) 1. Thema des Vortrages sind - Regelungen zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in Deutschland und in der EU - Entscheidungsverfahren auf der Grundlage dieser Regelungen und - die Überwachung der Einhaltung der Regelungen und Entscheidungen. Der gegenwärtige Stand und sich abzeichnende Entwicklungen werden dargestellt. 2. Regelungsüberblick Für die Grüne Gentechnik relevante Regelungen betreffen - gentechnische Arbeiten in geschlossenen Systemen ( contained use ) - die (experimentelle) Feisetzung von GVO in die Umwelt und - das Inverkehrbringen von Produkten, die GVO enthalten. Sie sind auf EU-Ebene in verschiedenen Richtlinien und Verordnungen niedergelegt. Zentrum des deutschen Regelungsrahmens sind das Gentechnikgesetz (GenTG) und die auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen. Grundlegende Entscheidungen zum Rechtsrahmen der Gentechnik werden auf EU-Ebene getroffen. Teilweise findet eine Umsetzung in nationales Recht nicht mehr statt, weil das EU- Recht unmittelbar gilt (bei EU-Verordnungen z.b.). Bei EU-Richtlinien bestimmt sich der Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten nach der Grundlage des Rechtsaktes im EG-Vertrag. Wegen der großen und noch zunehmenden Bedeutung der EU-Ebene ist eine effektive Vertretung deutscher Positionen in Brüssel essentiell. Voraussetzung dafür sind klare nationale Positionen zum frühest möglichen Zeitpunkt. Federführend zuständig für die allgemeinen, horizontalen Regelungen zur Gentechnik wie insbesondere das GenTG ist innerhalb der Bundesregierung das Gesundheitsministerium (BMG). Für die vertikalen Regelungen zu spezifischen Produkten ist das jeweils für diese Produkte verantwortliche Ressort federführend zuständig (z.b. für Lebens- und Futtermittel das Verbraucherschutzministerium BMVEL). Weitere Ressorts sind vom Querschnittsthema Bio- und Gentechnik betroffen und beteiligen sich intensiv an Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung.
3. Regelungsinhalt allgemein Ziel der Regelungen ist primär die für Mensch und Umwelt sichere Nutzung der Gentechnik. Über die Nutzung ist im Einzelfall zu entscheiden ( case by case ). Kriterien für die Einzelfallentscheidung sind grundsätzlich nur - Sicherheit für die menschliche Gesundheit und - Sicherheit für die Umwelt. Grundsätzlich nicht entscheidungsrelevant sind dagegen derzeit z.b.sozio-ökonomische und ethische Erwägungen oder der Gesichtspunkt des Bedarfs. Instrument der Regelungen ist primär, entsprechend dem Vorsorgegedanken, die präventive behördliche Kontrolle durch Verwaltungsverfahren. Dabei bleibt die Verantwortung des Betreibers unberührt. Er hat in erster Linie den sicheren Umgang mit der Gentechnik zu gewährleisten durch - sorgfältige Bewertung möglicher Risiken und - das Treffen geeigneter Sicherheitsmaßnahmen. Die Rechtsordnung verlangt deshalb von ihm - Sachkunde und - Zuverlässigkeit (Verantwortung). Das allgemeine Strafrecht und das zivile Haftungsrecht, beim Umgang mit der Gentechnik in verschärfter Form, unterstützen diese Verantwortung (Generalprävention). Die Kontrolle durch öffentlichrechtliche Verwaltungsverfahren ist ein zusätzliches Sicherheitselement beim Umgang mit der Gentechnik. Dabei kommt wegen der Vielfalt möglicher Anwendungen der Gentechnik mit sehr unterschiedlichem Risikopotential dem Gesichtspunkt der Differenzierung große Bedeutung zu. Stets im Vordergrund steht aber die korrekte Risikobewertung auf wissenschaftlicher Grundlage. Daraus ergibt sich die wichtige Stellung wissenschaftlicher Beratungsgremien, in Deutschland der ZKBS (Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit). Sind die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen erfüllt, hat der Antragsteller einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Genehmigung. Die Behörde hat kein Versagungsermessen. Ob und auf welche Weise die Öffentlichkeit an Verfahren zur Gentechnik zu beteiligen ist, wird vom EU-Recht nur in allgemeiner Form vorgegeben. Das nationale Recht unterscheidet grundsätzlich nach dem zu erwartenden Risiko. Bei gentechnischen Anlagen orientiert sich die Öffentlichkeitsbeteiligung am Immissionsrecht.
4. Regelungen zu Einzelbereichen und Entscheidunsverfahren 4.1 Arbeiten in Anlagen Die Verfahrensdifferenzierung ist bei gentechnischen Arbeiten in gentechnischen Anlagen besonders ausgeprägt. Sie ist aber auch in den anderen Bereichen der Gentechnik zu beachten. Die Skala reicht je nach Fallgestaltung von sehr intensiven Verfahren der präventiven Kontrolle bis zu bloßen Aufzeichnungspflichten als Grundlage für die nachgehende Überwachung. Die Änderung der Systemrichtlinie durch die Richtlinie 98/81/EG sieht aufgrund der positiven Erfahrungen aus fast 10 Jahren Geltung der Richtlinie überwiegend Verfahrensvereinfachungen vor. Inwieweit die damit eröffneten Möglichkeiten national genutzt werden sollen, wir im Zuge der derzeit laufenden Novelle zum GenTG und seinen Verordnungen diskutiert und entschieden. Zuständig für Entscheidungen zu gentechnischen Arbeiten und Anlagen sind in Deutschland die Länder. Sie haben die Aufgabe i.d.r. auf eine oder wenige Stellen konzentriert. Vor der Entscheidung holt die Behörde eine Stellungnahme der ZKBS ein. Sie muss es begründen, wenn sie vom Votum der ZKBS abweicht. 4.2 Freisetzungen Zuständig für Freisetzungsentscheidungen ist in Deutschland das Robert Koch-Institut (RKI). Es trifft seine Entscheidung im Einvernehmen mit anderen Bundesoberbehörden insbesondere aus dem Umwelt- und Landwirtschaftsbereich. Das Land, in dem die Freisetzung stattfinden soll, und die ZKBS sind zu hören. Dem Standardverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung stehen sog. vereinfachte Verfahren auf der Grundlage der Entscheidung 94/730/EG gegenüber. Sie sind in Deutschland rechtlich und politisch umstritten, u.a. wegen ihrer Bedeutung bei der Sortenentwicklung aber derzeit unverzichtbar. Das RKI ordnet bei der Genehmigung von Freisetzungsversuchen Maßnahmen mit dem Ziel an, Auskreuzungen zu minimieren. Je nach Art des freigesetzten Organismus lassen sich Auskreuzungen aber nicht völlig ausschließen. Genehmigungen werden deshalb nur erteilt, wenn auch im Falle einer Auskreuzung Risiken für Mensch und Umwelt nicht zu erwarten sind.
4.3 Inverkehrbringen Entscheidungen zum Inverkehrbringen von GVO-Produkten werden auf EU-Ebene mit Wirkung für die ganze Gemeinschaft getroffen. Die Genehmigungsvoraussetzungen sind bei den einzelnen Produktgruppen trotz unterschiedlicher formeller Rechtsgrundlage im Hinblick auf den Aspekt der gentechnischen Veränderung weitgehend harmonisiert. Zum Verfahren gibt es eine Entwicklung von einem dezentralen zu einem zentralen Einstieg. Im Verfahren nach der Freisetzungsrichtlinie ist der Antrag bei der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates zu stellen, in Deutschland beim RKI. Die neueren EU-Regelungen zu Spezialprodukten wie Arzneimittel sowie Lebens- und Futtermittel sehen dagegen ein sog. zentralisiertes Verfahren vor, bei dem der Antrag bei einer EU-Agentur oder EU-Behörde gestellt wird. Zentrales Problem bei den Produktgenehmigungen nach der Freisetzungsrichtlinie ist das seit einigen Jahren bestehende sog. Moratorium. Dieser Begriff steht für den Sachverhalt, dass trotz abgeschlossener Prüfverfahren und trotz Vorliegens der Genehmigungsvoraussetzungen Entscheidungen nicht getroffen werden. Getragen wird das Moratorium von einer Gruppe von Mitgliedstaaten unter Führung Frankreichs, die im zuständigen Brüsseler Regelungsausschuss über eine Sperrminorität verfügen und positive Entscheidungen verhindern. Die Bundesregierung vertritt demgegenüber kontinuierlich die Ansicht, dass geltendes Recht anzuwenden ist, auch wenn Rechtsänderungen erforderlich erscheinen oder sich bereits abzeichnen. Anders als bei gentechnischen Arbeiten in Anlagen gibt es im Freisetzungsbereich bislang jedenfalls in Europa noch nur begrenzte Erfahrungen. Besonders beim Inverkehrbringen von GVO-Produkten und vor allem beim breiten landwirtschaftlichen Anbau von GVO- Pflanzen ist die Erfahrungsbasis für die Bewertung möglicher negativer Auswirkungen auf die Umwelt noch schmal. Die neue Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG verschärft deshalb die Anforderungen an die Genehmigung von GVO-Produkten. Die Genehmigung wird nur noch befristet erteilt. Anbaubegleitendes Monitoring soll unvorhergesehene Ereignisse oder Entwicklungen erfassen und ggfls. schnelle Maßnahmen der Betreiber oder Behörden ermöglichen. Die Richtlinie ist noch in deutsches Recht umzusetzen. Weitere relevante neue Rechtsvorschriften werden derzeit auf der Grundlage eines Vorschlages der EU-Kommission über Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit diskutiert. Der Vorschlag enthält u.a.einen Artikel zur Regelung sog. Schwellenwerte. Den Vorstellungen der Kommission zufolge sollen unter engen Voraussetzungen geringe Anteile in der EU nicht zugelassener GVO in einem Produkt toleriert werden, ohne dass das Produkt einer Zulassung bedarf. Damit adressiert die Kommission das immer mehr drängende Problem von geringfügigen Beimengungen von GVO in herkömmlichen Produkten. Die Bundesregierung begrüßt und unterstützt den Vorschlag der Kommission.
5. Überwachung Die Länder sorgen in Deutschland durch Überwachungsmaßnahmen dafür, dass die Regelungen des Gentechnikrechts und die auf seiner Grundlage getroffenen Entscheidungen beachtet werden. Sie harmonisieren ihren Vollzug im Länderausschuss Gentechnik. Der letzte Bericht der Bundesregierung an den Bundestag über Erfahrungen mit dem GenTG bestätigt den Behörden der Ländern grundsätzlich eine kompetente und sachgerechte Erfüllung ihrer Überwachungsaufgaben. Unterschiedliches Vorgehen der Länderbehörden war allerdings in der Vergangenheit im Hinblick auf das Vorhandensein von geringen Anteilen GVO in herkömmlichen Produkten, insbesondere im Saat- und Erntegut, zu beobachten. Die Länder bemühen sich derzeit um eine einheitliche Ermessensausübung bei der Entscheidung darüber, ob und ggfls. wie bei festgestellten derartigen Verunreinigungen, auch unter Berücksichtigung der auf EU-Ebene diskutierten Schwellenwerte, einzuschreiten ist. 6. Erfahrungen Das europäische und deutsche Recht setzt der Anwendung der Gentechnik unter Vorsorgegesichtspunkten einen engen, aber grundsätzlich angemessenes Rahmen. Das geltende Recht wird im allgemeine kompetent vollzogen und überwacht. Bislang haben Regelungen und Vollzug sichergestellt, dass Risiken sich nicht realisiert haben und die verantwortbaren Potentiale der Gentechnik weiterentwickelt werden konnten. 7. Entwicklungstendenzen Derzeit gibt es von der grundsätzlichen Erlaubtheit der Gentechnik keine pauschalen Ausnahmen, auch nicht im Bereich der Grünen Gentechnik. Entscheidungen über die Zulässigkeit werden konkret von Fall zu Fall und primär auf wissenschaftlicher Grundlage getroffen, relevante Entscheidungskriterien sind grundsätzlich nur mögliche Risiken für Mensch oder Umwelt. Der Weg eines GVO ins Freiland und den breiten Anbau erfolgt schrittwiese ("step by step"), dabei werden Freisetzungen aus dem geschlossenen System und Auskreuzungen aus Freisetzungsflächen in Grenzen toleriert. Ob das so bleibt, auch vor dem Hintergrund der sog. Agrarwende und der Bemühungen um ein Management des Nebeneinander unterschiedlicher Formen der Landwirtschaft, ist politisch zu entscheiden. Die sog. Nulloption ist weiter auf der Tagesordnung, zusätzliche Genehmigungskriterien bis hin zur Bedürfnisprüfung werden diskutiert.
Im Hinblick auf den Rechtsrahmen der Gentechnik finden diese Diskussions-Themen vor allem in folgenden aktuellen Entwicklungen ihren Niederschlag: - Festsetzung von Schwellenwerten für Genehmigungs- und Kennzeichnungspflichten. - Diskussion um die Reichweite des Grundsatzes der Wahlfreiheit des Verbrauchers im Lebensmittelbereich. - Bedeutung des Vorsorgeprinzips im Rahmen von Einzelfallentscheidungen zur Gentechnik (Art.10.6 des Cartagena-Protokolls zur Biosicherheit). - Tendenzen zu einer strengen auch organisatorischen Trennung von Risikobewertung und Risikomanagement. - Diskussion um neue Genehmigungskriterien, insbesondere im Hinblick auf sozioökonomische und ethische Aspekte der Gentechnik. Das Ergebnis der Diskussion über diese Themen wird nicht nur für die Zukunft der Grünen Gentechnik, sondern darüber hinaus für die Biotechnologie insgesamt von Bedeutung sein.