Klinisches Risikomanagement kein Bedarf für deutsche Krankenhäuser?



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Transkript:

Klinisches Risikomanagement 7/2004 Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff/Conrad Middendorf Klinisches Risikomanagement kein Bedarf für deutsche Krankenhäuser? Wie eine vom Centrum für Krankenhaus-Management (CKM) in Münster durchgeführte Trend-Studie ergab, haben die Krankenhäuser Deutschlands in den Bereichen Risikomanagement und Risikobewusstsein erheblichen Nachholbedarf. Dies gilt vor allem im Vergleich zu den Gesundheitssystemen der USA, Australiens, Singapurs und Großbritanniens. Es fehlt nicht nur an der Implementierung eines umfassenden Risikomanagementsystems, es kommen auch keine Risikoinstrumente wie Risikobilanzen, Risiko-Tools und eine offene Berichterstattung über Beinahe-Unfälle zum Einsatz, um vorausschauend Fehler und Fehlerkonsequenzen zu erkennen. Ebenso besteht bisher ein Mangel an Transparenz darüber, zu welchen Folgekosten nicht erwünschte Schadensfälle bei den Krankenhäusern führen können. Schon im Jahr 2000 stellte das Institute of Medicine (IOM) in seinem Bericht To err is human fest, dass in den USA zwischen 2,9 und 3,7 Prozent aller in Krankenhäusern aufgenommenen Patienten einen Adverse Event erleiden, das heißt eine Verletzung, die bei der Behandlung aufgetreten und die nicht das geplante Ergebnis der Therapie ist. In 70 Prozent dieser Fälle behält der Betroffene keine oder nur sehr geringe Schäden zurück, in 7 Prozent der Fälle kommt es zu dauerhaften Schäden. 14 Prozent der unerwünschten Schadensereignisse bewirken den Tod des Patienten. Die Studie ergab weiterhin, dass zwischen 50 und 60 Prozent dieser Adverse Events durch eine bessere Organisation, höhere Aufmerksamkeit oder wirkungsvollere Sicherheitsmaßnahmen vermeidbar gewesen wären. Man vermutet, dass in den USA jährlich zwischen 44 000 und 98 000 Patienten in den Krankenhäusern infolge eines Behandlungsfehlers sterben. Die Zahl der Todesfälle aufgrund von vermeidbaren medizinischen Fehlern übertrifft damit sogar die Zahl der Opfer von Verkehrsunfällen sowie die von Sterbefällen durch Brustkrebs oder AIDS. Zur Situation des Risikomanagements im deutschen Gesundheitswesen: In Deutschland ist pro Jahr von rund 40 000 Behandlungsfehler-Vorwürfen auszugehen, 60 Prozent davon betreffen den Versorgungsbereich der Krankenhäuser. Während in anderen Ländern die Einrichtung eines Risikomanagements im Krankenhaus vorgeschrieben ist, zeigte eine Analyse von Organigrammen deutscher Krankenhäuser, dass bisher in keinem Haus eine offizielle, das heißt auch in dieser Form ausgewiesene Position des Risikomanagements vorhanden ist. Lediglich 5 Prozent der Krankenhäuser gaben auf ihrer Internetseite explizit an, ein aktives klinisches Risikomanagement zu betreiben. 59 Prozent der befragten Krankenhausmitarbeiter beurteilen die Organisation und Wirksamkeit des Risikomanagements in ihrem Haus als verbesserungsbedürftig bzw. nicht vorhanden. Obwohl in anderen Ländern das Incident Reporting als wirksame Maßnahme zur systematischen Risikoanalyse und -vorbeugung etabliert wurde, verfügen in deutschen Häusern lediglich 36 Prozent über ein solches Zwischenfallberichtssystem im medizinischen und 45 Prozent im pflegerischen Bereich. Ebenfalls im Jahr 2000 veröffentlichte das Department of Human Services des Staates Victoria in Australien seinen Bericht Improving patient safety in Victorian hospitals, nach dem ca. 16,6 Prozent aller stationären Krankenhausaufnahmen zu einem Adverse Event führen. Rund 50 Prozent dieser Adverse Events wurden dabei als vermeidbar eingestuft. Zu ähnlichen Resultaten kommt auch das britische Gesundheitsministerium in seinem Report An organization with a memory : Ca. 10 Prozent aller stationären Aufnahmen in Großbritannien sind von Adverse Events betroffen; bei 8,5 Mio. stationären Fällen sind das ca. 850 000 Patienten. Auch nach diesem Bericht hätte die Hälfte der Vorkommnisse vermieden werden können. Die Erkenntnisse über das Ausmaß von Patientenrisiken haben in den betroffenen Ländern wesentlich dazu beigetragen, dass in den vergangenen Jahren das Risikobewusstsein im Gesundheitswesen allgemein und speziell in den Krankenhäusern geschärft wurde. Darüber hinaus wurden von offiziellen Stellen verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um die Sicherheit der Patienten zu erhöhen. Als Antwort auf den IOM-Bericht in den USA hat die Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organisations (JCAHO), eine Akkreditierungsstelle, bei der über 80 Prozent aller amerikanischen Gesundheitsunternehmen (insgesamt über 16 000) akkreditiert sind, im Jahr 2001 zusätzliche Patient Safety and Medical/Health Care Error Reduction Standards entwickelt, die insbesondere auf Patientensicherheit und Risikomanagement abzielen. Diese fordern zum Beispiel die Einführung eines integrierten unternehmensweiten Programms zur Verbesserung der Patientensicherheit, das von einzelnen qualifizierten Mitarbeitern oder einer interdisziplinären Gruppe geleitet wird, die speziell für diese Aufgaben von der Führung des Krankenhauses benannt werden. In Großbritannien schreibt der Risk Management Standard der Controls Assurance Standards des britischen Gesundheitsministeriums für alle britischen 537

7/2004 Klinisches Risikomanagement Krankenhäuser vor, dass an independently assured risk management system is in place which meets NHS and other requirements in respect of managing risk, hazards, incidents, complains and claims. Auch in Australien sind die Krankenhäuser gemäß der Clinical Risk Management Strategy 2001 des Victorian Department of Human Services zur Einrichtung eines klinischen Risikomanagements bzw. zum Ausbau des bereits vorhandenen Systems verpflichtet. Neben dieser Institutionalisierung des Risikomanagements spielt auch der Aufbau eines Berichtssystems für klinische Zwischenfälle (Incident Reporting) eine bedeutende Rolle. Denn nur eine ausführliche Offenlegung von Zwischenfällen und Beinahevorkommnissen ermöglicht es, die wirklichen Ursachen der Probleme aufzudecken und so Empfehlungen zur Verbesserung der Patientensicherheit ableiten zu können. In allen 3 dargestellten Systemen ist daher die Meldung von medizinischen Fehlbehandlungen obligatorisch. In Großbritannien wurde Anfang 2004 von der National Patient Safety Agency sogar das weltweit erste nationale Berichtssystem eingerichtet, in dem Zwischenfallberichte aus ganz England und Wales zusammengeführt werden. Auch für Deutschland zeigen vereinzelte Analysen, dass die Anzahl an medizinischen Behandlungsfehlern nicht unbeträchtlich ist. So kommt das Robert-Koch-Institut in seinem Bericht Medizinische Behandlungsfehler zu dem Schluss, dass in Deutschland von ca. 40 000 Behandlungsfehler-Vorwürfen pro Jahr auszugehen ist. Dabei betrifft ein Großteil der Vorwürfe (ca. 60 Prozent) den Versorgungsbereich der Krankenhäuser. Da diese Zahl allerdings lediglich die Fälle betrifft, in denen das Vorkommnis durch eine Klage bekannt geworden ist, ist die wirkliche Zahl an Adverse Events in deutschen Krankenhäusern wesentlich höher anzusetzen. Allerdings sind vergleichbare Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit wie in den USA, Großbritannien oder Australien hier bisher ausgeblieben. Die CKM-Risiko-Trendstudie Um herauszufinden, ob in deutschen Krankenhäusern unabhängig von offiziellen Vorschriften bereits erste Schritte in Richtung eines systematischen Risikomanagements unternommen wurden, führte das CKM im Rahmen einer Kurzstudie verschiedene Erhebungen durch: Eine Analyse der Organisationsstrukturen deutscher Krankenhäuser im Hinblick auf die Etablierung Risiko beeinflussender Instanzen; eine Analyse von Informationen auf den Internetseiten bezüglich Risikomanagementansätze; eine Kurzbefragung von Krankenhausmitarbeitern bezüglich ihrer Einschätzung im Hinblick auf das Risikopotenzial und das Risikobewusstsein in ihrem Haus. Ziele der Trendstudie Ziel der Analyse der Organisationsstrukturen war es, herauszufinden, welches Risikobewusstsein in medizinischen Einrichtungen bei den Mitarbeitern existiert und ob bereits offizielle Strukturen des Risikomanagements in deutschen Krankenhäusern eingerichtet sind. Es gibt eine große Bandbreite an Patientenrisiken. Bereits die mangelnde Überwachung der Flüssigkeitseinnahme kann negative Konsequenzen für den Patienten haben und zum Beispiel zu Desorientierung oder einer aufsteigenden Harnwegsinfektion führen. Weitere Risiken sind beispielsweise Stürze älterer Patienten oder das Herausreißen von Kathetern bei verwirrten Patienten. Aber auch ärztliches oder pflegerisches Fehlverhalten wie das Übersehen deutlicher Krankheitsanzeichen im Rahmen der Diagnostik oder die fehlerhafte Durchführung von Behandlungsprozeduren können zur Schädigung des Patienten führen. Bei der Medikamentenversorgung kann sowohl die Gabe eines falschen Medikaments als auch eine falsche Dosierung oder der falsche Verabreichungszeitpunkt den Patienten gefährden. Viele dieser Risiken bewirken keine oder nur geringe Schäden bei den Betroffenen. Allerdings bilden diese kleinen Vorkommnisse nach Heinrichs Gesetz in der Regel nur die statistische Grundlage für spätere große Schadensereignisse. Gerade kleine Fehler oder gefährliche Situationen ohne negative Auswirkungen dürfen nicht einfach mit der Bemerkung Noch mal gut gegangen. Es ist zum Glück nichts passiert! abgetan werden. Denn gemäß Heinrichs Gesetz verläuft zwar der Großteil der Zwischenfälle (300) ohne Verletzung, allerdings bilden diese 300 Fälle die statistische Basis für 29 Zwischenfälle mit leichten Schädigungen der Betroffenen sowie für einen Fall mit katastrophalen Folgen. Beinahe-Vorkommnisse sind daher wichtige Frühwarnindikatoren, die besondere Beachtung verdienen, um ernsthafte Vorfälle zu vermeiden. Insbesondere die Maßnahmen und Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Einrichtung einer Stelle/Abteilung Risikomanagement als erster Schritt einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit leisten kann. Klare Verantwortlichkeiten und eine entsprechende Zuteilung der Kompetenzen sowie der personellen und zeitlichen Ressourcen ermöglichen eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Patientensicherheit. Patientensicherheit wird somit zu einem zentralen Element im Zielsystem des Krankenhauses. Darüber hinaus ist es wichtig, die Verpflichtung jedes Mitarbeiters, zur Patientensicherheit aktiv beizutragen, im Wertesystem des Hauses (Unternehmenskultur) zu verankern und im Anreizsystem (Belohnung, Entgelt, Fringe Benefits etc.) abzubilden. Eine stichprobenartige Analyse von 30 Organigrammen deutscher Krankenhäuser ergab, dass bisher in keinem Krankenhaus eine offizielle, das heißt auch in dieser Form ausgewiesene, Position des Risikomanagements eingerichtet ist. Dagegen war in 53 Prozent der betrachteten Häuser eine Stelle Qualitätsmanagement im Organigramm aufzufinden. Dies ist insofern bemerkenswert, als Qualitäts- und Risikomanagement in der Praxis mit völlig anderen Werten belegt werden. Qualitätsmanagement ist positiv belegt und bedeutet eine schrittweise Veränderung von Strukturen und Abläufen im Hinblick auf die Definition von Qualitätsstandards sowie die Durchführung von Qualitätszirkeln, Weiterbildungsmaßnahmen etc. Qualitätsmanagement will aktiv Zufriedenheit erzeugen, Risikomanagement 538

Klinisches Risikomanagement 7/2004 dagegen ist negativ belegt und wird assoziiert mit Schaden, Blamage, Kunstfehlerklage und Abmahnung. Risikomanagement führt auch nicht zu einer höheren Zufriedenheit, sondern hilft lediglich, Unzufriedenheit zu vermeiden. Zurückzuführen ist dieser eher bescheidene Stellenwert des Risikomanagements auf die in unserer Gesellschaft vorherrschende Fehlerkultur vom Typ A : Fehler werden Personen zugeordnet und diese Personen werden bestraft. Die Folgen für die Organisation und die Zusammenarbeit sind katastrophal: Man vertuscht Fehler, stellt Fehler begünstigende Arbeitsabläufe und Verhaltensweisen nicht ab. Auf der anderen Seite lassen sich Mitarbeiter viel eher davon überzeugen, ihr Verhalten aufgrund von potenziellen Risiken zu verändern. Qualitätsanforderungen üben dagegen bei weitem nicht den psychologischen Druck aus, der notwendig ist, um jahrelang eingefahrene Verhaltensweisen zu verändern. Analyse der Internetauftritte Zur weiteren Analyse wurden die Internetseiten von 60 Kliniken im Hinblick auf Inhalte oder Erläuterungen zu Ansätzen des Risikomanagements untersucht. Lediglich 5 Prozent der Häuser gaben explizit an, dass Risikomanagement im Rahmen des Qualitätsmanagements stattfindet. In weiteren 3 Prozent der Stichprobe ging aus den auf der Internetseite veröffentlichten Unterlagen und Informationen hervor, dass Elemente des Risikomanagements (zum Beispiel die Erfassung von Zwischenfällen/Vorkommnissen oder der Einsatz von Instrumenten des Fehlermanagements) eingesetzt werden. Darüber hinaus verwiesen 2 Häuser darauf, die Absicherung gegen technische Störungen sowie die Meldung von Zwischenfällen nach den Anforderungen des 29 MPG zu erfüllen. Ein Haus gab an, Risikomanagement im Sinne des KonTraG zu betreiben, was natürlich nichts mit klinischem Risikomanagement zu tun hat und vom Kerngeschäft: Patientenversorgung weit entfernt ist. Rund 87 Prozent der analysierten Krankenhaus-Homepages enthielten jedoch keinerlei Angaben zum Thema Risikomanagement und zu einem systematischen Umgang mit Patientenrisiken. Analyse des Risikobewusstseins Um eine erste Einschätzung der Risikosituation aus Sicht der Krankenhausbeschäftigten zu erhalten, wurden zusätzlich 92 Mitarbeiter aus 22 deutschen Krankenhäusern befragt. Dabei kam heraus, dass über die Hälfte der Befragten (59 Prozent) die Organisation und Wirksamkeit des Risikomanagements in ihrem Haus als verbesserungsbedürftig bzw. als nicht vorhanden beurteilten. Lediglich 10 Prozent der Befragten schätzten das Risikomanagement in ihrem Haus als gut ein. Die übrigen Teilnehmer bezeichneten die Risikoabsicherung in ihrem Haus als zu- Wir sind hier. DTA nach 301 SGB V: Alle BKK sind dabei! Ihr Krankenhaus auch? www.bkk.de/dta301 Aufwändige Behandlungen im Krankenhaus kosten viel Geld. Damit Sie sich trotzdem keine Sorgen machen müssen, übernimmt die BKK die entstehenden Kosten schnell und zuverlässig. Und wir garantieren eine gute medizinische Versorgung bei Operationen und Krankenhausaufenthalten. Dafür wenden wir jährlich fast 7 Milliarden Euro auf. Mehr zu unseren Leistungen finden Sie unter www.bkk.de www.bkk.de

7/2004 Klinisches Risikomanagement frieden stellend. Das wichtigste bzw. das größte Risikofeld stellen dabei aus Sicht der Befragten medizinische und pflegerische Behandlungsfehler dar (42 Prozent). Aber auch Bau, Technik und Brandschutz (16 Prozent) sowie die Krankenhausorganisation (15 Prozent) weisen aus ihrer Sicht Risikopotenziale auf. Über ein Berichtssystem für medizinische und pflegerische Zwischenfälle verfügt noch nicht einmal jedes zweite der beteiligten Krankenhäuser. Im medizinischen Bereich bejahten lediglich 36 Prozent die Frage nach der Existenz eines solchen Systems, im pflegerischen Bereich immerhin 45 Prozent. Dabei sind die Erfahrungen der Kliniken, die bereits ein solches Zwischenfallberichtssystem eingerichtet haben, zum großen Teil positiv. In vielen dieser Häuser hat sich die Unternehmenskultur merklich verändert, so dass die Mitarbeiter dort bereit sind, offen über Risken zu sprechen und Fehler aktiv zu melden. Im Hinblick auf das Auftreten von Schadenfällen hat sich daher auch in ca. 75 Prozent der Krankenhäuser der Umgang mit Fehlern sowie die Art und die Schnelligkeit der Reaktion auf Fehler deutlich verändert: Rufschädigende gerichtliche Auseinandersetzungen konnten dadurch vermieden werden, Patienten wurden schnell und offensiv informiert, interne Fehleranzeigen erfolgten nach einem standardisierten Organisationsablauf und führen zur Vermeidung gleicher bzw. ähnlicher Fehler in Zukunft. Allerdings hat sich auch in ca. 25 Prozent der Krankenhäuser keinerlei Veränderung des Risikoverhaltens ergeben. Offenbar wurde es in diesen Fällen versäumt, mit der Einführung des Incident Reporting auch die Anreizsysteme zu verändern. Im Hinblick auf die Auswirkungen der Risikoorganisation des Hauses hat die Einführung des Incident Reporting in vielen Häusern nur sehr wenig bewirkt. Die eher allgemeingültigen und sehr oberflächlichen Antworten zeigen, dass eine wirkliche Verbesserung der Risikoorganisation im Sinne eines systematischen Ansatzes auch in diesen Häusern nicht erkennbar ist. Schulungen im Bereich des Risikomanagements finden statt, aber sie sind in den meisten Fällen punktuell veranlasst, das heißt durch den Eintritt eines konkreten Schadenfalls. Darüber hinaus ist erkennbar, dass die Schulungsinhalte verschwommen sind, weil offenbar kein risikobezogenes Curriculum existiert. Außerdem ist die Schulung von Mitarbeitern anscheinend ein beliebtes Instrument, um einerseits nachzuweisen, dass man risikobewusst ist, aber gleichzeitig in den organisatorischen Abläufen zu keiner Veränderung bereit ist. Es wird geschult, um das Gewissen zu beruhigen und nicht, um wirklich organisatorische Veränderungen voranzutreiben: der typische Aktionismus ohne echte zielorientierte Änderung. Schulungen sind ein Mittel zur Beherrschung der Abläufe im bestehenden System und nicht ein Mittel der Organisationsentwicklung. Hier besteht ein großer Bedarf, Schulungsmaßnahmen anforderungsgerecht zu gestalten. Bemerkenswert ist auch, dass das Risikobewusstsein bzw. das Risikoempfinden unterschiedlich ist, und zwar in Abhängigkeit vom Berufsbild, von der Berufserfahrung und von der hierarchischen Stellung. Geschäftsführung und Verwaltungsleitung sehen die Priorität auf dem Risikomanagement im Bereich des KonTraG, also im Bereich der wirtschaftlichen Unternehmensführung fernab vom Kerngeschäft. Ärzte und Pflegekräfte dagegen beziehen die Risiken aus ihrer Sicht primär auf den Patienten im Sinne von klinischen Behandlungsfehlern. Allerdings sehen insbesondere Ärzte ihre Pflicht im Hinblick auf die Patientensicherheit oft bereits dann als erfüllt an, wenn sie an Maßnahmen der Qualitätssicherung, wie sie beispielsweise die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung anbietet, teilnehmen. Diese sind aber resultatsbezogen und stellen somit lediglich eine Ex-post-Betrachtung dar, ein prospektives Vermeiden von Risiken wird nicht ermöglicht. Die genannten Ergebnisse geben natürlich nur einen kleinen Ausschnitt des deutschen Krankenhauswesens wieder und können keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben. Dennoch zeigen sie deutlich, dass in Deutschland offensichtlich noch ein erhebliches Defizit hinsichtlich des klinischen Risikomanagements besteht. Sicherlich werden in vielen Kliniken Maßnahmen des Risikomanagements im Rahmen des Qualitätsmanagements durchgeführt, denn schließlich besteht gemäß 137 SGB V eine Verpflichtung zu Maßnahmen der Qualitätssicherung, zum Beispiel im Bereich der Aortenklappenchirurgie, der Herztransplantation oder der Knie-Totalendoprothese. Von der Implementierung eines umfassenden Risikomanagementsystems im Sinne eines systematischen Risikomanagementprozesses mit den Stufen Risikoidentifikation, -bewertung, -bewältigung und -controlling von Patientenrisiken auf allen Ebenen und in allen Klinikbereichen sind die Häuser jedoch noch weit entfernt. Risikoinstrumente wie Risikobilanzen, Risiko-Dashboards, Fault Tree Analysis, FMEA etc. werden von keinem der untersuchten Krankenhäuser angewendet, um vorausschauend Fehler und Fehlerkonsequenzen zu erkennen. Ebenso besteht bisher in deutschen Krankenhäusern ein Mangel an Transparenz darüber, welche Folgekosten aus Adverse Events für die Häuser resultieren können. So können zum Beispiel im Fall eines Patientensturzes mit einer Knochenfraktur als Folge und eventuell sogar der Notwendigkeit einer Prothesenimplantation schnell einige Tausend zusammenkommen. Noch nicht berücksichtig sind dabei die Auswirkungen der Rufschädigung sowie eventuell gerichtlicher Klagen. Vorbeugendes Risikomanagement gegen Patientenstürze, Schadensersatzhandlungen und Beschädigung des Markenimage im St. Joseph Hospital in Phoenix, USA Das Presseklima ist ruppiger geworden und die Berichterstattung deutlich am Negativbeispiel orientiert, stellt Anne Abke, Director Risk Services im St. Joseph Hospital in Phoenix, USA, verärgert fest. Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute zumindest für Presse und Fernsehen. Stürze von Patienten schlagen in der Minderleistungsstatistik eines Krankenhauses besonders zu Buche, da sich eine Reihe von Rechtsanwälten auf derartige Verfahren spezialisiert hat. Ein gestürzter Patient verursacht direkte Kosten in Form von Liegezeitverlängerung, Schmerzensgeld oder Folgeoperationen zu Lasten 540

Klinisches Risikomanagement 7/2004 des Krankenhauses. Viel schmerzlicher aber stellt sich für das Krankenhaus die Verschlechterung der Markenimages in der Region Phoenix dar, die als ähnlich wettbewerbsintensiv bekannt ist wie Kalifornien. Aus diesem Grund wurde das Fall Busters Program ins Leben gerufen. Es ist als systematische Vorgehensweise des vorbeugenden Risikomanagements anzusehen, das durch die konsequente Anwendung bewährter Verfahren des Qualitätsmanagements besticht. Ziel ist es, die Ursachen für die Stürze zu analysieren, um so frühzeitig präventive Maßnahmen einleiten zu können. Wichtig dabei ist, zwischen Fehlersymptomen, Ursachen auf den ersten Blick und den wirklichen Ursachen (den Root Causes) zu unterscheiden. Eine Methode, die hilft, strukturiert die wirklichen Ursachen eines Problems aufzudecken, ist die Fault Tree Analysis (Fehlerbaumanalyse). Ein Fault Tree ist eine graphische Darstellung der logischen Zusammenhänge zwischen Fehlern und den daraus entstehenden Ereignissen. Ausgehend von einem unerwünschten Ereignis, hier zum Beispiel der Sturz eines Patienten aus dem Bett, findet das Fehlerbaummodell alle möglichen Einzelrisiken oder Risikokombinationen, die ursächlich für dieses Ereignis sein können oder zu diesem beitragen. Abbildung 1 zeigt einen Ausschnitt aus dem Fehlerbaum zur Analyse potenzieller Ursachen von Patientenstürzen aus dem Bett. Eine der Ursachen für einen Patientensturz kann sein, dass keine Bettgitter angebracht und somit keine entsprechenden Sicherungen vorhanden waren. Hierfür können wiederum 2 Gründe ursächlich sein. Entweder wurde der Patient nicht als sturzgefährdet eingestuft oder nicht entsprechend der internen Pflegepläne versorgt, die für Risikopatienten die Anbringung von Bettgittern vorsehen. Auf der anderen Seite kann es aber auch vorkommen, dass ein Patient dennoch aus dem Bett fällt, obwohl die Bettgitter angebracht wurden. Nämlich dann, wenn er selbstständig versucht, trotz der Gitter sein Bett zu verlassen, anstatt eine Pflegekraft zu Hilfe zu rufen. Diese Situation tritt insbesondere dann auf, wenn die Patienten aufgrund eines hohen Harndrangs häufig zur Toilette müssen und darüber hinaus noch geistig verwirrt sind. Abbildung 1: Ausschnitt Fehlerbaum Side rails not up Patient falls out of bed OR Call light not used Perfekter Service Mietberufskleidung die bessere Alternative Wirklich clever, unser Angebot. Wir beschaffen, holen, bringen und pflegen Ihre Mietberufskleidung. Individuell, pünktlich. Ein Service der DBL, dem starken Verbund rechtlich selbstständiger Unternehmen der textilen Mietbranche. Bundesweit. Ganz nah. Ganz persönlich. 0 800-310 311 0 info@dbl-zentrale.de Internationale Best Practices Gezielte Projekte, die zu Best Practices im Sinne eines angewandten, vorausschauenden, auf die Vermeidung von Fehlerereignissen gerichteten Risikomanagements führen, sind verstärkt im angelsächsischen Ausland, aber punktuell auch in Deutschland zu finden. In den USA, wo Klagen aufgrund von Behandlungsfehlern um exorbitante Summen ausgefochten werden und wo sich mehr und mehr Anwälte auf Schadensereignisse während des Krankenhausaufenthalts oder verursacht durch ihn spezialisieren, entstand zum Beispiel das Hos- OR AND Patient was not identified as fall risk Staff did not follow care plan Patient confused Urinary frequency and incontinence A+A 541

7/2004 Klinisches Risikomanagement pitalist-konzept. Ein Arzt als Patientenkoordinator steuert den Patienten während seines gesamten Aufenthalts und sorgt dafür, dass organisatorisch jede Maßnahme erfolgt, die erforderlich ist, um Adverse Events zu vermeiden. Im japanischen Kameda Hospital kommt ein Risk Dashboard zum Einsatz: Diese konzentrierte Kennzahlenübersicht zeigt dem medizinischen und kaufmännischen Management, welche risikorelevanten Veränderungen sich in verschiedenen Bereichen des Krankenhauses innerhalb von 24 Stunden ergeben haben. Die verwendeten Kennzahlen sind bewusst so ausgewählt, dass Veränderungen, die sich abends um 23 Uhr eingestellt haben, morgens um 7.30 Uhr in der täglichen (!) Frühbesprechung unter regelmäßiger Beteiligung des kaufmännischen Direktors analysiert werden; Gegenaktionen werden unverzüglich gestartet. In Großbritannien führen verschiedene Krankenhäuser bereits umfangreiche Schadensdatenbanken, mit deren Hilfe sich potenzielle Risiken finanziell bewerten lassen. Gespeist wird die Datenbank aus Behandlungsfehlerklageprozessen der Vergangenheit, bei denen ein bestimmter Fehler eine bestimmte Patientenschädigung verursachte, was zu einer Schadensersatzzahlung führte und eine Anhebung der Versicherungsprämie zur Folge hatte. Jede auf diese Weise erarbeitete Fehlerkategorie kann dann mit einem Erwartungswert, bestehend aus der Fehlereintrittswahrscheinlichkeit und den Fehlerkosten, also der Schadenssumme, versehen werden. Auf der Basis dieser Informationen werden dann Prioritätslisten und Maßnahmenfelder für das Risikomanagement abgeleitet. Im Franziskus-Hospital Münster werden vor allem für betagte bzw. hochbetagte Patienten (insgesamt ca. 750 Personen pro Jahr; steigende Tendenz) bereits bei der Aufnahme erste Maßnahmen zur Prophylaxe des postoperativen Delirs eingeleitet. Die Prävalenz des Delirs liegt bei Routineoperationen, zum Beispiel einer hüftgelenksnahen Fraktur bei über 65-jährigen Patienten, zwischen 44 und 61 Prozent. Während dieser Phase der Desorientierung, der Unsicherheit und Unruhe sind die Patienten besonders anfällig für Stürze oder Verletzungen durch das Herausziehen des Blasenkatheters oder der Venenzugänge. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen eines von der Bundesregierung geförderten Projekts qualifizierte Altenpflegerinnen eingestellt, die diesen Patienten von der Aufnahme bis zur Entlassung buchstäblich zur Seite stehen. Ziel ist es, den Patienten durch diese intensive Betreuung die Unruhe vor und nach der Operation zu nehmen. Erste Ergebnisse zeigen nach Aussage von Prof. Dr. Michael Möllmann, Leiter der wissenschaftlichen Begleitstudie, dass die Prävalenzrate für das Delir im Franziskus-Hospital lediglich 5,5 Prozent beträgt, während die Angaben in der Literatur stets bei über 10 Prozent liegen. Darüber hinaus ist man sich sicher, dass durch diese Maßnahme eine Reihe von ernsthaften Patientenverletzungen aufgrund des Delirs innerhalb des Krankenhauses vermieden werden kann, so dass sich die prophylaktische Betreuung auch finanziell vorteilhaft auswirkt. Im Alexandra Hospital in Singapur wurde ebenso wie im britischen Chelsea & Westminster Hospital in London ein Vorschlagswesen für Patienten eingerichtet. Im Gegensatz zum eher retrospektiven Beschwerdemanagement werden die Patienten durch das Vorschlagswesen aktiv aufgefordert, ihre Ideen zur Verbesserung der Behandlungsabläufe einzubringen und so zur Erhöhung der Patientensicherheit beizutragen. Im Universitätskrankenhaus University of Virginia Health System in Charlottesville, USA, wird vor jeder einzelnen Operation unter Beteiligung aller OP-Mitarbeiter eine Konsensbesprechung über die bevorstehende Prozedur durchgeführt, um Eingriffe an falschen Organen/Extremitäten zu vermeiden. Fazit Risikomanagement ohne Anpassung des Anreizsystems, ohne Bereitschaft zur Festlegung von Standards bei Medikalprodukten, Medikamenten und klinischen Behandlungspfaden, ohne Veränderung der Fehlerkultur, ohne ernsthaften Einsatz von Risiko-Tools (zum Beispiel FMEA) und Risiko-Erhebungs-Ritualen (Incident Reporting) und ohne Bereitschaft, über Near Misses zu reden, verfehlt sein Ziel und bleibt weitgehend wirkungslos. Nur durch den systematischen Einsatz dieser Elemente kann ein effizientes Risikomanagement zur Verbesserung der Patientensicherheit erreicht werden. Das größte Hindernis auf dem Weg zu einem angemessenen Risikomanagement ist und bleibt die Unternehmenskultur: Solange Fehler bestraft werden, werden sie vertuscht; solange über Beinahe-Unfälle nicht berichtet wird, ergibt sich im Bewusstsein der Beteiligten keine Notwendigkeit, das System, die Abläufe und das Verhalten zu verändern. Und: Solange die Anreizmechanismen das Risikoverhalten und die Beiträge zur Risikovermeidung nicht explizit beinhalten, werden sich die Mitarbeiter nicht veranlasst fühlen, ihre Angst vor Fehlern abzulegen. Literatur Institute of Medicine (Hrsg.), To err is human: building a safer health system, Washington, USA, 2000 Institute of Medicine (Hrsg.), Crossing the Quality Chasm: A New Health System for the 21st Century, Washington, USA, 2001 Department of Health (Hrsg.), An organisation with a memory Report of an expert group on learning from adverse events in the NHS, Norwich, UK, 2000 Department of Health (Hrsg.), Doing Less Harm the safety and quality of care through reporting, analysing and learning from adverse incidents involving NHS patients Key requirements for health care providers, London, UK, 2001 Victorian Government Department of Human Services (Hrsg.), Improving Patient Safety in Victorian Hospitals, Victoria, Australia, 2000 von Eiff, W. (Hrsg.), International Hospital Comparison Best Practices in Hospital Management, Volume 6, Gütersloh 2002 Anschrift der Verfasser: Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff/ Dipl.-Kfm. Conrad Middendorf, Centrum für Krankenhaus-Management, Westfälische Wilhelms-Universität, Röntgenstraße 9, 48149 Münster 542