Prävention psychischer Störungen am Arbeitsplatz



Ähnliche Dokumente
Arbeit und Depression Risiko und/ oder Schutz? Prävention am Arbeitsplatz

Psychische Gesundheit Herausforderung und Chance für die Arbeitsmedizin

Übersicht Verständnisfragen

Technische Universität München. Patienteninformationstag Prostatakrebs. TU München. P. Herschbach Roman-Herzog-Krebszentrum München

Palliativtherapie durch den Hausarzt

Gesunde Arbeitsbedingungen Was Unternehmen tun können

Betriebliches Eingliederungsmanagement

Was sind die Gründe, warum die Frau, der Mann, das Paar die Beratungsstelle aufsucht?

Gesunde Führung in kleinen und mittleren Unternehmen

MODUL 5: BETRIEBLICHES GESUNDHEITSMANAGEMENT

Compliance: Drei Mal täglich nach dem Essen?

Das Thema dieses Kapitels ist es, die Häufigkeit der Depression und ihre Bedeutung für die Gesellschaft und für das Gesundheitssystem zu

Psychologische Gesprächsführung HS 2012

Erfahrungen mit Hartz IV- Empfängern

Palliative Care im Clienia Bergheim. Leben bis zuletzt

Betriebliches Gesundheitsmanagement Die Lösung oder nur Modeerscheinung?

Inhaltsübersicht Produktinformationsblatt zur Jahres-Reiserücktritts-Versicherung der Europäische Reiseversicherung AG

Betriebs-Check Gesundheit

Erwachsenen- Psychotherapie

Bis zu 20% aller Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an Depression. Damit ist Depression eine der häufigsten seelischen Erkrankungen.

Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz

Führung und Gesundheit. Wie Führungskräfte die Gesundheit der Mitarbeiter fördern können

Presseinformation. Wenn der Beruf krank macht. AOK Niedersachsen stellt neue Fehlzeiten-Analyse vor

Tab. 5-9 Auswahl bevorzugter Ansprechpartner bei Depressionen

Psychosen. By Kevin und Oliver

Seelische Störungen Kernproblem betrieblichen Gesundheitsmanagements

Tag der offenen Tür, 9. Oktober Psychiatrie erleben und verstehen. Depression. erkennen und behandeln. Klaus-Thomas Kronmüller

Prinzip: Vorbeugen ist besser als Heilen. Ziel: Verhütung von Krankheit bzw. Erhaltung der Gesundheit.

WAS finde ich WO im Beipackzettel

Gesundheitsförderliche Mitarbeitergespräche (smag) Quelle: GeFüGe-Projekt, bearbeitet durch Karsten Lessing, TBS NRW

Pressemitteilung. Wenn der Beruf krank macht

Übergänge gemeinsam meistern. Peerkultur fördern und Stress vorbeugen. Das Projekt Companion: Chancen und Herausforderungen

1. Allgemeiner Ablaufplan für Mitarbeiterbefragungen. Legen Sie den Untersuchungsgegenstand fest und definieren Sie das Ziel

alle Bilder: Google-Suche Unterstützung von Angehörigen Krebskranker

Beziehungsbedürfnisse nach R. Erskine

Inhouse-Schulung For tbildung.mal-alt-werden.de

Interdisziplinäre Zusammenarbeit bei chronisch kranken Patienten Wunsch und Realität aus der Sicht des Hausarztes

Betreutes Wohnen für psychisch kranke Menschen

Fernausbildung Fachberater/in für holistische Gesundheit. Modul 6

Mein Leitbild. Dr. Christian Husek

Medizinische Rehabilitation bei Epilepsie

Mitarbeiterbefragung 2014 Leasingpersonal

7.4 Mustervorlagen. Fragebogen 1: Arbeitsbelastung Qualifikation: Alter: Betriebszugehörigkeit:

Forum Nachhaltigkeit

Gesund führen - den passenden Ton treffen

Vergleiche der Daten aus der Eingangs- Mittel- und Abschlussbefragung. Oktober 2010

Was bedeutet Inklusion für Geschwisterkinder? Ein Meinungsbild. Irene von Drigalski Geschäftsführerin Novartis Stiftung FamilienBande.

Neue Arbeitswelten Bürokultur der Zukunft

SEMINARREIHE MEDIZINETHIK

Forum Gesundheit unternehmen Erfolgsfaktor Betriebliches Gesundheitsmanagement für kleine und mittlere Unternehmen

Rauchfreies Krankenhaus Ein Gewinn für alle.

GESUNDHEITSZENTRUM TEUCHERN. Entdecken Sie Ihr Leben neu. Prävention Physiotherapie Fitness Ernährung Entspannungstraining Rehabilitation

Fachtagung Wittlich Sucht und Elternschaft Brigitte Münzel, Fortbildung Supervision Coaching

Gesunde Mitarbeiter im demografischen Wandel. Was Unternehmen tun können

Stress als Unfall- und Krankheitsrisiko Lösungsansätze aus betrieblicher und individueller Sicht. Dr. sc. ETH Mirjana Canjuga Zürich, 26.

Flexibilität und Erreichbarkeit

Gesundheitsorientierte Führung zur Kunst andere und sich selbst gesund zu führen

Wiedereingliederung bei Sucht und Psych. Störungen

Werkfeuerwehren Übersicht der Seminare 2013/2014

Dr. Kraus & Partner Unser Angebot zu Internationales Change-Management für Führungskräfte

SWOT Analyse zur Unterstützung des Projektmonitorings

Gründe für fehlende Vorsorgemaßnahmen gegen Krankheit

Verzahnung von Arbeitsschutz und betrieblichem Gesundheitsmanagement. Gesunde Ansatzpunkte für sinnvolle Maßnahmen

Geklagte kognitive Beeinträchtigungen bei Depressionen

Wie ist das Wissen von Jugendlichen über Verhütungsmethoden?

Unternehmensleitbild. Vision Mission Werte Spielregeln

Pflegewissenschaftliche Aspekte bei Familien mit chronisch kranken Kindern

Gesundheit ist Chefsache. Betriebliches Gesundheitsmanagement

Sehr geehrte (r) Frau/Herr,

Berufsunfähigkeit? Da bin ich finanziell im Trockenen.

AHG Klinik Schweriner See Klinik für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Suchtmedizin

Attraktiv und wirkungsvoll unsere Leistungen für Arbeitgeber

Vorbereitungs- und Gesprächsbogen zum Mitarbeiterjahresgespräch für Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter

Die Wirtschaftskrise aus Sicht der Kinder

Naturgewalten & Risikoempfinden

Deutschland-Check Nr. 35

1 Zusammenfassung: Vortrag Der Berufsalltag mit Tinnitus v von Gereon Gilles. Einteilung des Grad der Behinderung (GdB) bei Tinnitus

Ich hab mich jetzt so abgefunden muss ich ja Das Leben psychisch kranker Menschen im Wohnheim

Lehrer-Umfrage "LRS / Legasthenie" im deutschsprachigen Raum LegaKids 2010

Entwicklung psychischer Erkrankungen bei Erwerbstätigen

Rundschreiben vom 4. Mai 2016 Anlage 1 D /5#1. - Vertrauliche Personalsache - Begutachtung der Dienstfähigkeit nach 48 BBG

Patientensicherheit aus Patientensicht

Die Post hat eine Umfrage gemacht

Gemeinsame Informationen der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung zur Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen

Fragebogen zu arbeitsplatzbezogenen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen

Reha-Sport und Funktionstraining

Wenn Eltern erkranken Belastungen von Kindern und Jugendlichen krebserkrankter Erwachsener

1. Für welche Tätigkeitsbereiche haben Sie nach Ihrer Einschätzung in der Vergangenheit die größten Zeitanteile aufgewandt?

Auslotung der Gefühle & Wünsche von Eltern und SchülerInnen zum Schuljahr 2011/2012

Questico Seminare. Voraussetzungen und Qualitätsrichtlinien für das Anbieten von Seminaren. Stand:

Erfolg beginnt im Kopf

Psychische Gesundheit und Arbeit


Deutliche Mehrheit der Bevölkerung für aktive Sterbehilfe

Bezeichnung/Titel: Kategorie: Zielgruppe: Verwendung: Stand: Autor: Hinweise:

Depression und Arbeitsfähigkeit

Projekt Simulation. Projektmanagement live erleben und trainieren

FAMILIENSTAND ALLEINERZIEHENDE MÜTTER

Überlastungsanzeigen. Ein Arbeitsmittel für die MAV und die Belegschaft im Umgang mit schwierigen Arbeitssituationen

Transkript:

Prävention psychischer Störungen am Arbeitsplatz PD Dr. Katarina Stengler Universität Leipzig, Medizinische Fakultät Zentrum für Psychische Gesundheit Tagung: Zukunft Prävention Herausforderung Seelische Gesundheit Berlin, 28.09.2011

Was sind psychische Störungen? WHO:.erhebliche, krankheitswertige Abweichungen von der Norm, v.a. im Erleben, Verhalten betroffen sind Denken, Fühlen und Handeln ICD 10 Kapitel V: Psychische und Verhaltensstörungen: F00-99

Psychische Störungen sind: 1. Häufig... 2. Folgenschwer... 3. Unterversorgt...

1. Häufigkeit: Psychische Störungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung Bundesgesundheitssurvey 18-65jährige (Jacobi 2004) Lebenszeitprävalenz: 42.6% Top 4: Angststörungen: 14.5% Affektive Störungen: 11.9% Somatoforme Störungen: 11.0% Substanzstörungen: 4.5% 2. Schwere: Psychische Störungen beginnen meist wesentlich früher als andere Erkrankungen und gehören zu den folgenschwersten chronischen Erkrankungen Fälle von Erwerbs- und Berufsunfähigkeit 2002: 1. Psychische Störungen 29.2% (bei unter 40jährigen: 45%) 2. Skelett und Muskeln 3. Herz und Kreislauf 3. Unterversorgung: Nur ein geringer Teil psychisch Kranker wird behandelt, oft nicht nach dem Wissensstand des Fachgebietes - hier: Anteil der nicht behandelten Fälle Alle Diagnosen 63,6 % Substanzmißbrauch 71,0 % Affektive Störungen 49,9 % Angststörungen 59,4 % Somatoforme Störungen 63,6 % Bundesgesundheitssurvey, Wittchen 2000

Macht das moderne Leben psychisch krank?

Veränderte Arbeitsbedingungen - Tempo der Arbeit - Arbeitsdichte - Flexibilität und soziale Fähigkeiten - persönlicher Entscheidungsspielraum - Wertschätzung - allgemeine Arbeitsmarktbedingungen...

Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modell nach Zubin 1977, Liberman 1986 Genetische Faktoren Hirnmorphologie Genetisch determinierte Verhaltensdisposition Psychosoziale Einflussfaktoren (soziale Umgebung, Arbeit, familiäre Interaktion) Copingstrategien Vulnerable Persönlichkeitsstruktur Akute psychische Dekompensation Psychosoziale Stressoren (z.b.: life events, expressed Emotion, unspezifische Faktoren) Remission Episodischer Verlauf Chronifizierte Verläufe

Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Störungen Daten von Kostenträgern Barmer: 2009 entfielen 17,9% aller krankheitsbedingten Fehltage auf psychische Erkrankungen Offen: echte Zunahme oder verändertes Diagnoseverhalten?

Wer ist schuld an der Zunahme psychischer Erkrankungen? Faktoren der Arbeitssituation (lediglich) als Auslöser Personenvariablen Arbeitsverdichtung höherer Arbeits- und Zeitdruck unsichere Berufsperspektive geringe Beeinflussbarkeit + hohe Verausgabungsbereitschaft mangelnde Stressbewältigungskompetenz mangelnde soziale Unterstützung ABER: Arbeit dürfte oft eher ein protektiver Faktor sein.

Was wirkt protektiv/ antidepressiv bei der Arbeit? Viele Faktoren von Arbeit wirken antidepressiv und könnten genutzt werden: Struktur Identifikation Erleben von Effizienz Wertschätzung Austausch mit anderen Anforderungen Ablenkung Nicht immer ist eine Krankschreibung hilfreich!!

Arbeitstherapie in der Behandlung und Rehabilitation chronisch psychisch Kranker: Eugen Bleuler (1857-1939) Am meisten wird die Arbeitstherapie allen Anforderungen gerecht. Sie übt die normalen Funktionen der Psyche, gibt unaufhörlich Gelegenheit zu aktivem und passivem Kontakt mit der Wirklichkeit, übt die Anpassungsfähigkeit und zwingt den Patienten den Gedanken ans normale Leben draußen auf. Eugen Bleuler: Dementia praecox oder die Gruppe der Schizophrenen. 1911

Umgang mit psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz 30% glauben, dass der Vorgesetzte wenig Verständnis hat, wenn ein Mitarbeiter wegen psychischer Probleme am Arbeitsplatz fehlt 31% glauben, dass die Kollegen wenig Verständnis dafür haben, wenn ein Mitarbeiter wegen psychischer Probleme fehlt Für 56% wäre es unangenehmer wegen psychischer Probleme nicht zur Arbeit zu kommen, als wegen körperlicher Probleme 26% glauben, dass psychische Erkrankungen oft als Vorwand für Blaumacherei missbraucht werden. 49% glauben, dass die verbreitete Angst um den Arbeitsplatz das Auftreten von psychischen Erkrankungen begünstigt. (DAK Gesundheitsbarometer 2005, Forsa-Umfrage)

Stigma bei depressiven Erkrankungen Stigma der Schwäche, Faulheit, Disziplinlosigkeit Negative Beeinflussung des Selbstwertgefühls auch durch Selbststigmatisierung Angst vor Stigmatisierung im sozialen Kontext Verheimlichen, Verschweigen u.a. Präsentismus am Arbeitsplatz! Wissensstand und Einstellungen der Allgemeinbevölkerung zu depressiven Erkrankungen haben einen Einfluss auf das Hilfesuchverhalten.

Ansätze zur Stigmareduktion Aufklärung Verbesserung von Wissen, Einstellungen und Verhalten Protest Gegen unkorrekte und diffamierende Darstellungen psychisch Erkrankter in der Öffentlichkeit Kontakt Häufiger Kontakt mit Betroffenen ist mit geringerem Stigma assoziiert Corrigan PW, Penn DL, Am Psychol 1999 Penn DL, Shannon MC, Journal of World Psychiatry 2002 Gaebel W, Möller HJ, Rössler W (Hrsg.) Kohlhammer 2004

Prävention psychischer Störungen am Arbeitsplatz Zentrale Bedeutung! Früherkennung Frühwarnsysteme in Unternehmen (Betriebsärzte!) Wissens- und Informationsvermittlung Reduzierung von Vorurteilen, Stigmatisierung Arbeitsorganisation Stressärmere Abläufe Stärkung und Förderung individueller Ressourcen Positionspapier 2009

Was heißt das konkret? AM ARBEITSPLATZ - Relevante Ansprechpartner im Unternehmen Betriebs- und Werksärzte Dietrich et al., 2011: Fragebogenerhebung (VDBW) Bestätigen Hypothesen Fordern u.a. fachspezifische Qualifikation und Weiterbildung Führungskräfte Dietrich et al., Fragebogenerhebung im Prozess Unternehmenskultur Personalpolitik, Führungsstile, Arbeitsorganisation: Berücksichtigung bekannter protektiver Faktoren der Arbeit (Kommunikation, Arbeitszeit, Verfügbarkeit ) Individuelle Faktoren Selbstverantwortung Psychische Gesundheit als zentraler Bestandteil des betrieblichen Gesundheitsmanagements Unterstützung individueller Ressourcen und Copingstrategien

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!