Wiedereinführung einer Zulassungspflicht für zulassungsfreie Handwerke aus verfassungsrechtlicher Sicht

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Wiedereinführung einer Zulassungspflicht für zulassungsfreie Handwerke aus verfassungsrechtlicher Sicht 2017 Deutscher Bundestag

Seite 2 Wiedereinführung einer Zulassungspflicht für zulassungsfreie Handwerke aus verfassungsrechtlicher Sicht Aktenzeichen: Abschluss der Arbeit: 16. August 2017 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen.

Seite 3 1. Fragestellung und geltendes Recht Die Handwerksordnung (HwO) 1 wurde im Jahr 2003 umfassend novelliert. Zu den wesentlichen Änderungen, die am 1. Januar 2004 in Kraft traten, zählte die Abschaffung des Meisterzwangs in zahlreichen Handwerken. Die HwO unterscheidet heute zwischen 41 zulassungspflichtigen Handwerken (Anlage A HwO) und 52 2 zulassungsfreien Handwerken (Anlage B Abschnitt 1 HwO). Ein zulassungspflichtiges Handwerk darf nach 1 Abs. 1 HwO nur betreiben, wer in die Handwerksrolle eingetragen ist; Eintragungsvoraussetzung ist nach 7 Abs. 1a HwO grundsätzlich das Bestehen der Meisterprüfung. 3 Dagegen ist der selbständige Betrieb eines zulassungsfreien Handwerks lediglich anzeigepflichtig, 18 Abs. 1 HwO. Gefragt wird, ob eine Wiedereinführung der Zulassungspflicht für alle oder für einzelne der heute zulassungsfreien Handwerke, also deren Aufnahme in die Anlage A HwO, mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar wäre. 2. Vereinbarkeit mit Art. 12 GG Eine Neuregelung müsste mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar sein. Der Schutzbereich der Berufsfreiheit ist eröffnet. Als einheitliches Grundrecht schützt sie Berufswahl und Berufsausübung. Den hier betroffenen Beruf hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Sinne eines tradierten und soziologisch fassbaren Berufsbildes bestimmt: Es weist darauf hin, dass der selbständigen Ausübung eines Handwerks ein besonderes, und zwar gerade das den Handwerker in den Augen der Öffentlichkeit eigentlich kennzeichnende soziale Gewicht zukommt. 4 Die Wiedereinführung der Zulassungspflicht für ein Handwerk wäre ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl derjenigen, die dieses Handwerk selbständig ausüben möchten, ohne die Zulassungsvoraussetzungen zu erfüllen. Ihnen würde der ungehinderte Zugang zu dem betreffenden Beruf durch den zeitlich, fachlich und finanziell aufwändigen Erwerb eines Befähigungsnachweises versperrt. 5 1 Gesetz zur Ordnung des Handwerks vom 24. September 1998, BGBl. I S. 3074, zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Juni 2017, BGBl. I S. 2143. 2 Nr. 22 der 53 Nummern ist weggefallen. 3 Vgl. zu Möglichkeiten der Eintragung ohne Bestehen der Meisterprüfung Deutscher Bundestag, Zur unionsrechtlichen Zulässigkeit einer Wiedereinführung der Zulassungspflicht für derzeit zulassungsfreie Handwerke, 12. Juli 2017, Az. PE 6-3000 - 37/17, S. 5. 4 BVerfGE, Beschluss vom 5. Dezember 2005, Az. 1 BvR 1730/02, Rn. 16, Hervorhebung vom Verf.; ebenso bereits BVerfGE 13, 97, 105. 5 Vgl. BVerfGE, Beschluss vom 5. Dezember 2005, Az. 1 BvR 1730/02, Rn. 20.

Seite 4 Dieser Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit müsste gerechtfertigt sein. Die gesetzliche Regelung in der HwO müsste insbesondere verhältnismäßig, das heißt zur Verfolgung eines legitimen Zwecks geeignet und erforderlich sein und sich als angemessen erweisen. Nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten sogenannten Drei-Stufen-Lehre können je nach Eingriffsintensität nur bestimmte Zwecke einen Eingriff in die Berufsfreiheit rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet dabei zwischen Berufsausübungsregelungen, subjektiven Zulassungsschranken und objektiven Zulassungsschranken. Bei der Zulassungspflicht für ein Handwerk handelt es sich um eine subjektive Zulassungsschranke. 6 Sie macht die Aufnahme des Berufs von bestimmten Voraussetzungen abhängig, die in der Person des Berufsbewerbers liegen. Hierzu zählen insbesondere Ausbildungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. 7 Legitimes Ziel einer subjektiven Zulassungsschranke kann nur der Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts sein. 8 In jüngerer Zeit kombiniert das Bundesverfassungsgericht die Stufenlehre mit klassischen Verhältnismäßigkeitsformeln und fordert etwa, dass ein Eingriff in die Berufsfreiheit durch hinreichende, der Art der betroffenen Betätigung und der Intensität des Eingriffs Rechnung tragende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. 9 Als legitime Ziele kommen hier insbesondere die Gewährleistung eines hohen Qualitätsstandards zur Abwehr von Gefahren und die Ausbildungssicherung in Betracht. Beide Ziele hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1961 in seinem Urteil zur HwO als wichtige Gemeinwohlbelange anerkannt. 10 2.1. Gewährleistung eines hohen Qualitätsstandards Die Wiedereinführung der Zulassungspflicht müsste zur Verfolgung des legitimen Ziels, also zur Gewährleistung eines hohen Qualitätsstandards geeignet sein. Ein Mittel ist bereits dann geeignet, wenn es den gewünschten Erfolg fördern kann; die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt. Der dem Gesetzgeber insoweit zukommende Einschätzungsvorrang ist auf dem Gebiet der Wirtschaftsordnung besonders groß. 11 Legt man diesen Maßstab an, erscheint die Verfolgung des genannten Ziels durch die Wiedereinführung der Zulassungspflicht und den damit verbundenen Nachweis besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten möglich. 6 Vgl. BVerfGE, Beschluss vom 5. Dezember 2005, Az. 1 BvR 1730/02, Rn. 16. Auch wenn man wegen 7 Abs. 1 HwO eine Berufsausübungsregelung annähme, würden aufgrund der Eingriffsintensität dieselben Rechtfertigungsmaßstäbe gelten, vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. Oktober 2012, Az. 6 A 10702/12, Juris, Rn. 25. 7 Scholz, in Maunz/Dürig (Begr.), Grundgesetz-Kommentar, 79. Lfg. 2016, Art. 12 Rn. 355, 358. 8 BVerfGE 13, 97, 107, 113; Kämmerer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2012, Art. 12 Rn. 73. 9 Vgl. BVerfGE, Beschluss vom 5. Dezember 2005, Az. 1 BvR 1730/02, Rn. 17. 10 BVerfGE 13, 97, 110 ff.; vgl. auch BVerfGE, Beschluss vom 5. Dezember 2005, Az. 1 BvR 1730/02, Rn. 20; BVerwG NVwZ-RR 2012, 23, 26. 11 BVerfGE 103, 293, 307 m.w.n.

Seite 5 Weiterhin müsste die Regelung zur Verfolgung des Ziels erforderlich sein. Dem Gesetzgeber darf kein milderes, gleichermaßen geeignetes Mittel zur Verfügung stehen. Als mildere Mittel kommen Vorschriften in unterschiedlichen Bereichen in Betracht: Auch technische Normen, Haftungsvorschriften und Vorschriften zur Produktsicherheit oder zur Lebensmittelhygiene fördern einen hohen Qualitätsstandard handwerklicher Leistungen. 12 Sie könnten verschärft werden, ohne den Berufszugang zu beeinträchtigen. Fraglich ist aber, ob solche Maßnahmen zur Verfolgung des Ziels gleich geeignet wären. So dürfte es in vielen Fällen schwierig sein, die Einhaltung technischer Normen wirksam zu kontrollieren. Haftungsvorschriften wirken sich nur mittelbar auf die Qualität der Handwerksleistungen aus. Auch hinsichtlich der Erforderlichkeit steht dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungsspielraum zu. 13 Zweifel bestehen jedoch im Hinblick auf die Angemessenheit einer solchen Maßnahme. Die Grundrechtsbeeinträchtigung darf zu dem angestrebten Vorteil nicht außer Verhältnis stehen. In eine Gesamtabwägung sind hier insbesondere die Schwere des Grundrechtseingriffs und die Gefahren einzustellen, die der Gesetzgeber abwenden möchte. Die Eingriffsintensität wäre trotz der mittlerweile für zulassungspflichtige Handwerke geltenden Ausnahmen vom Meisterzwang hoch. Beschränkt wird, legt man das oben beschriebene Berufsbild des selbständigen Handwerkers zugrunde, nicht die Berufsausübung, sondern bereits der Zugang zum Beruf. Dem Berufsbewerber würde grundsätzlich die Ablegung der Meisterprüfung abverlangt werden. Sie setzt den Erwerb umfangreicher Fachkenntnisse und Fähigkeiten voraussetzt und ist mit großem zeitlichem und finanziellem Aufwand verbunden. 14 Das gilt ebenso, wenn auch in etwas geringerem Maß, für die sogenannte Altgesellenregelung ( 7 Abs. 7, 7a HwO), die die wichtigste Ausnahme vom Meisterzwang bildet. Entscheidend dürfte es auf die Gefahren ankommen, die von den betroffenen Handwerken ausgehen. Ein hoher Qualitätsstandard von Handwerksleistungen ist kein Selbstzweck; Bedeutung kommt ihm vor allem dort zu, wo es um den Schutz vor Gefahren für Leben und Gesundheit Dritter geht. Dabei muss differenzierend jedes Handwerk betrachtet werden, für das die Zulassungspflicht wieder eingeführt werden soll. Der Gesetzentwurf der Reform von 2003 begründet die Zulassungsbefreiung der seinerzeit in Anlage HwO aufgenommenen Handwerke mit ihrer Ungefährlichkeit. 15 Die Zulassungspflicht sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Abwägung ergibt, dass durch oder bei Ausübung der Tätigkeit oder der Erbringung der Leistung Gefährdungen für Leben und/oder Gesundheit Dritter entstehen, gegenüber denen das Grundrecht der Berufsfreiheit zurückstehen muss ( ). Die Gefahrgeneigtheit muss für das betreffende Gewerbe prägend sein. Dabei sind Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts zu berücksichtigen. 12 Vgl. BT-Drs. 15/1206, S. 41. 13 Vgl. etwa BVerfGE 77, 84, 109. 14 BVerfGE, Beschluss vom 5. Dezember 2005, Az. 1 BvR 1730/02, Rn. 22. 15 BT-Drs. 15/1206, S. 41 f.; vgl. auch VGH Mannheim NVwZ-RR 2013, 309.

Seite 6 ( ) Auch bei den zulassungsfreien Handwerksgewerben der Anlage B können Gefahren durch die Tätigkeit oder Leistung entstehen oder hiermit verbunden sein. Bei Abwägung möglicher Gefahren für Leben oder Gesundheit Dritter wäre eine Einschränkung der Berufszulassung bei diesen Handwerken allerdings nicht verhältnismäßig. 16 In solchen Fällen könne den verbleibenden Risiken mit anderen, den Berufszugang nicht beschränkenden Regeln begegnet werden. 17 Im Übrigen findet eine Qualitätsauslese am Markt statt, wobei es entsprechend qualifizierten Handwerkern auch möglich ist, mit ihrem fakultativen Meisterbrief zu werben. 18 Angesichts dieser bisherigen Einschätzung des Gesetzgebers bestünde ein erhöhter Begründungsaufwand. In einer Entscheidung zum Arzneimittelrecht führt das Bundesverfassungsgericht zu gesetzgeberischen Gefahrenprognosen aus: Die gesetzgeberische Einschätzung wird fraglich, wenn zur Begründung von Gesetzesänderungen Gefährdungspotentiale herangezogen werden, die eine intensivere Beschränkung der Berufsfreiheit plausibel machen sollen, obwohl dafür tatsächliche Erkenntnisse fehlen. Auch dürfen Erfahrungen mit einer älteren, die Berufsangehörigen weniger belastenden Gesetzeslage bei einer Novellierung nicht einfach unbeachtet bleiben. 19 Hier müsste also gezeigt werden, dass sich die gesetzgeberische Einschätzung bezüglich der betroffenen Handwerke als falsch erwiesen hat. Sollte die Qualität der Leistungen seit Aufhebung der Zulassungspflicht tatsächlich nachgelassen haben mit der Folge erheblicher Gefahren für Leben oder Gesundheit Dritter, so spräche das entscheidend für die Angemessenheit einer Wiedereinführung der Zulassungspflicht. 2.2. Ausbildungssicherung Die Wiedereinführung der Zulassungspflicht wäre zur Förderung der Ausbildung geeignet. Infolge der Zulassungsbefreiung soll die Zahl der Lehrlinge in den betroffenen Handwerken seit 2004 deutlicher zurückgegangen sein als in den weiterhin zulassungspflichtigen Handwerken. 20 Lehrlinge dürfen nur von geeigneten Ausbildungsstätten eingestellt und ausgebildet werden, 21 ff. HwO. Die Anforderungen an die fachliche Eignung in zulassungsfreien Handwerken ähneln denen in zulassungspflichtigen Handwerken: Ausbilden dürfen insbesondere Meister und Gesellen mit ausreichender berufspraktischer Erfahrung, 22b Abs. 3 HwO. Führte man die Zu- 16 BT-Drs. 15/1206, S. 41. 17 BT-Drs. 15/1206, S. 41; vgl. auch die Ausführungen zur Erforderlichkeit. 18 BT-Drs. 15/1206, S. 23, 29. 19 BVerfGE, Beschluss vom 11. Februar 2003, Az. 1 BvR 1972/00, 1 BvR 70/01, Rn. 48. 20 Vgl. für Statistiken: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. Oktober 2012, Az. 6 A 10702/12, Juris, Rn. 32; Deutscher Bundestag, Zur unionsrechtlichen Zulässigkeit einer Wiedereinführung der Zulassungspflicht für derzeit zulassungsfreie Handwerke, 12. Juli 2017, Az. PE 6-3000 - 37/17, S. 25.

Seite 7 lassungspflicht für ein Handwerk wieder ein, hätte das zur Folge, dass jeder, der zur selbständigen Ausübung des Handwerks zugelassen wird, auch die fachliche Eignung zur Ausbildung besitzt. Der Anteil potentieller Ausbildungsbetriebe würde wachsen. Im Hinblick auf die Erforderlichkeit des Meisterzwangs zur Ausbildungssicherung hat das Bundesverfassungsgericht Zweifel geäußert. 21 Diese Zweifel bezogen sich jedoch auf die Rechtslage vor 2004, die insbesondere noch keine Altgesellenregelung kannte. Sie sind hier nicht übertragbar. 22 Auch dürften mildere Mittel der Ausbildungsförderung, etwa finanzielle Anreize oder Ausbildungsverpflichtungen für bestimmte Betriebe, 23 die Erforderlichkeit nicht entfallen lassen. Im Hinblick auf ihre Wirksamkeit kommt dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungsspielraum zu. Fraglich ist wiederum die Angemessenheit der Maßnahme. Ob dem schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit mit der Ausbildungssicherung ein gewichtiges Ziel gegenübersteht, ist zweifelhaft. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1961 24 wird die Ausbildungssicherung allseits als anerkannter Rechtfertigungsgrund genannt, zunächst für den früheren Meisterzwang, inzwischen für die Zulassungspflicht. Das Bundesverfassungsgericht gab seinerzeit eines der gesetzgeberischen Ziele wieder: Der Gesetzgeber habe mit dem Meisterzwang die Ausbildung des Nachwuchses für die gesamte gewerbliche Wirtschaft sicherstellen wollen. 25 Mit derselben Formulierung wird heute der Verbleib bestimmter Handwerke in Anlage A HwO begründet. 26 Dort überzeugt der Rechtfertigungsgrund: Die zukünftige Versorgung mit guten Handwerksleistungen liegt im gesamtwirtschaftlichen Interesse und setzt in zulassungspflichtigen Handwerken die Ausbildung künftiger Gesellen und Meister voraus. Dagegen lässt sich mit dem Schlagwort der Ausbildungssicherung nicht die Wiedereinführung der Zulassungspflicht begründen. Die Argumentation wäre hier zirkulär. Mit der Zulassungsbefreiung hat der Gesetzgeber gerade zum Ausdruck gebracht, dass die entsprechenden Leistungen auch von nicht besonders Ausgebildeten erbracht werden können. Ein Rückgang der Zahlen bei Lehrlingen und in der Folge bei Gesellen und Meistern bedeutet in diesen Handwerken kein Nachwuchsproblem, sondern ist geradezu notwendige Folge der Zulassungsbefreiung. Selbst wenn der Gesetzgeber etwa aus arbeitsmarktoder sozialpolitischen Gründen auch in den nun zulassungsfreien Handwerken eine hohe Ausbildungsquote anstreben sollte, erschiene vor diesem Hintergrund ein so schwerwiegender Eingriff in die Berufsfreiheit unangemessen. 21 BVerfGE, Beschluss vom 5. Dezember 2005, Az. 1 BvR 1730/02, Rn. 23 f. 22 So auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. Oktober 2012, Az. 6 A 10702/12, Juris, Rn. 37. 23 Vgl. Deutscher Bundestag, Zur unionsrechtlichen Zulässigkeit einer Wiedereinführung der Zulassungspflicht für derzeit zulassungsfreie Handwerke, 12. Juli 2017, Az. PE 6-3000 - 37/17, S. 27. 24 BVerfGE 13, 97. 25 BVerfGE 13, 97, 108 f. 26 BVerwG NVwZ-RR 2012, 23, 26; BVerwG NVwZ 2014, 1241, 1243; OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2010, Az. 4 A 1499/06, Juris, Rn. 37; Detterbeck, Handwerksordnung, 3. Aufl. 2016 (online), Einl. Rn. 9 f.; ähnlich OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. Oktober 2012, Az. 6 A 10702/12, Juris, Rn. 29 ff.

Seite 8 3. Vereinbarkeit mit Art. 3 GG Die Wiedereinführung der Zulassungspflicht müsste schließlich mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sein. Er gebietet, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart nach unterschiedlich zu behandeln. Daher kann hier auf die Ausführungen zur Berufsfreiheit verwiesen werden: Sollte die Wiedereinführung der Zulassungspflicht für ein bestimmtes Handwerk gerechtfertigt sein, insbesondere weil mit ihm erhebliche Gefahren einhergehen, so läge darin auch ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegenüber anderen zulassungsfreien Handwerken. 27 *** 27 Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. Oktober 2012, Az. 6 A 10702/12, Juris, Rn. 39, 41.