Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften; Jg. 19, 2013 stefan hahn, cornelia stiller, andreas stockey und matthias wilde Experimentierend zur naturwissenschaftlichen Grundbildung Entwicklung und Evaluation eines kompetenzorientierten Kurses für die Eingangsphase der Oberstufe Enhancing Scientific Literacy by means of practical Inquiry Development and evaluation of an inquiry-oriented course for the first Senior Year of High School zusammenfassung Durch internationale Vergleichsstudien wie PISA und TIMSS hat sich der Stellenwert naturwissenschaftlicher Grundbildung (Scientific Literacy) im allgemeinbildenden Curriculum national und international manifestiert. Im SDDS-Modell von Klahr (2000) wird Scientific Inquiry, eine wesentliche Dimension von Scientific Literacy, analog zu einem kognitionspsychologischen Problemlöseprozess modelliert. Die vorgestellte Studie berichtet über die Entwicklung und Evaluation eines kompetenzorientierten und fächerübergreifend angelegten Naturwissenschaftskurses, der sich dem Problem der mangelnden naturwissenschaftlichen Grundbildung stellt, indem über eine sukzessive Aneignung der einzelnen Schritte des SDDS-Modells die Schüler und Schülerinnen an das (natur)wissenschaftliche Denken herangeführt werden sollen. Als einsemestriger, erfahrungsbasiert konzipierter Experimentierkurs sollte der Kurs v.a. zu einem aufgeklärten Verständnis des hypothetisch-deduktiven Erkenntnisgangs beitragen. Das Ziel, eine deutliche Verbesserung von Scientific Inquiry der Schülerinnen und Schüler (SuS), wurde erreicht, wobei in einem besonderen Maß schwächere Schüler und Schülerinnen von dem Kurs profitierten. Schlüsselwörter: Curriculumsentwicklung, scientific inquiry, nature of science, fächerübergreifender Unterricht, scientific literacy abstract In the aftermath of international comparative studies like PISA and TIMSS the German school administration started to orient science-curricula towards the major concept of scientific literacy which is internationally regarded as a basic competence. The SDDSmodel by Klahr (2000) describes scientific inquiry, a dimension of scientific literacy, as a process similar to problem-solving. This study presents the development and evaluation of a competence-oriented and interdisciplinary science course aiming to improve students scientific literacy. By means of bringing the students closer to the standards of scientific reasoning they were introduced to the steps of the SDDS model successively. Therefore, the one-semester course mainly was directed to foster scientific inquiry through experiences in experimental work. Its objective, to improve the students 417
capabilities in scientific inquiry, was fulfilled. The course was particularly beneficial for low achievers. Keywords: curriculum development, scientific inquiry, nature of science, interdisciplinary curriculum, scientific literacy 1 Einleitung Deutsche Schülerinnen und Schüler zeigten in TIMSS III (Baumert, J., Bos, W. & Lehmann, R., 2000) und in PISA 2000 und 2003 deutliche Defizite in den Naturwissenschaften (Rost, Walter, Carstensen, Senkbeil & Prenzel, 2004). Als mögliche Ursachen für diese nur mäßigen Ergebnisse wurden eine zu starke Betonung von Routinen im naturwissenschaftlichen Unterricht und eine zu schwache Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Denkund Arbeitsweisen genannt (Baumert & Köller, 2000; Seidel, Prenzel, Wittwer, & Schwindt, 2007). Zwar haben sich gemäß der PISA-Studien aus 2006 und 2009 die deutschen Schülerinnen und Schüler (SuS) verbessert (Seidel et al., 2007; OECD, 2010), trotzdem bleibt der Rückstand zu einigen anderen OECD-Staaten immer noch beachtlich (OECD, 2010). Das stellt ein Problem dar, weil der naturwissenschaftlichen Grundbildung (Scientific Literacy) für das Individuum und für die Gesellschaft national (vgl. KMK, 2005a, 2005b, 2005c) und international eine grundlegende Bedeutung beigemessen wird (AAAS, 1993; Gräber & Nentwig, 2002; Laugsch, R.C., 2000; NRC, 1996; OECD 2010). Zu den Kernbereichen naturwissenschaftlicher Grundbildung zählt Scientific Inquiry (NRC 1996; DfES & QCA, 1999), die mit dem von Klahr (2000) entwickelten SDDS-Modell (Scientific Discovery as Dual Search-Model) (vgl. Hammann, 2007) durch das Kompetenzkonstrukt Scientific Reasoning (Wissenschaftliches Denken) analog zu einem Problemlöseprozess in der kognitionspsychologischen Sichtweise modelliert werden kann (Mayer, 2007). In dem SDDS-Modell besteht der Prozess der Erkenntnisgewinnung aus drei Schritten, der Suche im Hypothesenraum, dem Testen von Hypothesen und der Analyse von Evidenzen (Klahr, 2000; vgl. Hammann, 2007). Ziel der Suche im Hypothesenraum ist es, auf Grundlage von vorhandenem Wissen (Vorwissen) oder von Beobachtungen eine möglichst universale, präzise und überprüfbare Hypothese zu entwickeln, die dann im nächsten Schritt untersucht werden kann. Zum Schritt Testen von Hypothesen gehören die Entwicklung eines Experiments, durch das eine Überprüfung der Hypothese ermöglicht wird, das Treffen einer konkreten Vorhersage der Ergebnisse des geplanten Experiments, die Versuchsdurchführung und der Vergleich der tatsächlichen Ergebnisse aus dem Experiment mit den vorhergesagten Ergebnissen. Das Resultat dieser Suche im Experimentierraum 418
sind Belege, die für oder gegen die Hypothese sprechen und die die Grundlage für den nächsten Schritt, der Analyse von Evidenzen, bilden. Im letzten Schritt wird entschieden, ob die Hypothese akzeptiert, zurückgewiesen oder weiter geprüft wird. Unter Berücksichtigung des SDDS- Modells (Klahr, 2000) wurde ein Kurs entwickelt. Der experimentelle und fächerübergreifende (Biologie, Chemie, Geologie und Physik) Kurs zum Oberthema Salz (vgl. Fischer, Kupsch, Stockey & Wenzel, 2007) sollte den SuS ein Verständnis des naturwissenschaftlichen Erkenntnisganges ermöglichen und durch den fächerübergreifenden Ansatz einen verbesserten Zugang zur naturwissenschaftlichen Grundbildung verschaffen. Die vorliegende Untersuchung diente der formativen Evaluation und fokussiert sich daher auf die Frage: Verbessert sich durch den Kurs das Verständnis von Scientific Inquiry der SuS? In Eingangsphasen der Oberstufe werden vielfach SuS mit verschiedenen Schulhintergründen neu zusammengesetzt. Da gilt z. B. für Gesamtschulen, Berufsoberschulen und Kollegs im besonderen Maße. Dementsprechend weisen diese SuS eine heterogene Ausgangslage auf. Ein Ziel des Kurses lag in der Förderung von SuS mit bislang schwächeren Leistungen in Naturwissenschaften, insbesondere im Verständnis des wissenschaftlichen Erkenntnisganges. Die zweite Fragestellung lautet daher: Verbessert sich durch den Kurs vor allem das Verständnis von Scientic Inquiry der low achievers? 2 Didaktische Operationalisierung des Kurskonzeptes Der Kurs wurde für SuS in der Eingangsphase der Oberstufe entwickelt, die nicht vorhatten, eine Naturwissenschaft als Leistungskurs zu belegen. Lernziel sollte dabei im Kurs nicht ausschließlich die Vermittlung von Faktenwissen der einzelnen Disziplinen sein als vielmehr ein allgemeines Verständnis von Scientific Inquiry. Dementsprechend lag bei der Kurskonzeption ein starker Fokus auf einer Betonung eines fächerübergreifenden Grundverständnisses für naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen, die sowohl die gemeinsamen inhaltlichen und methodischen Grundlagen als auch Unterschiede in der Denk- und Arbeitsweise in den einzelnen Disziplinen umfasst. Zentral für das Konzept im Kurs ist der Perspektivenwechsel, d. h. ein Wechsel von Fachperspektiven auf einen Gegenstand, bei dem Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Konstruktion des Gegenstandes, Fragestellung und Methodik einer Reflexion zugänglich gemacht werden (Krause-Isermann, Kupsch & Schumacher, 1994; Kupsch & Schülert 1996). Ziel dieses Vorgehens war die Erlangung von Einsichten in die Prinzipien des experimentellen Arbeitens als Grundlage für ein erfolgreiches, selbstorganisiertes und planvolles Lernen in den Naturwissenschaften. Als übergreifendes Kursthema wurde das Thema Salz gewählt, da es Inhalt der unmittelbaren Erfahrungswelt der SuS ist und in allen beteiligten Fächern eine erkennbare Relevanz hat. Zum Erreichen der Kursziele wurden die Wis- 419
sensinhalte im Kurs auf die Kernelemente ( The Big Ideas vgl. z. B. Brody & Brody, 2007; Demuth, 2008; Harlen, 2010; Schaefer, 2007; Wynn & Wiggins, 1997) eines modernen naturwissenschaftlichen Verständnisses der Natur beschränkt. Die inhaltlichen Schwerpunkte lagen auf folgenden Bereichen: Physik / Chemie: Struktur der Materie, Teilchenvorstellung, Atommodell, Stoffe und ihre Eigenschaften, Chemische Reaktion (Stoffumwandlung und Energieumsatz), Säure, Basen und ihre Salze, Stöchiometrie. Biologie / Geologie: Physiologische und ökologische Bedeutung von Salz für Zelle und Organismus, Ökologische Nische und Salz als ökologischer Standortfaktor, Versalzung der Meere, Entstehung von Salzvorkommen, heutige Lage der Salzlagerstätten, Prinzip des Aktualismus. Durch die Einschränkung auf nur wenige grundlegende naturwissenschaftliche Konzepte konnte gewährleistet werden, dass die Wissensinhalte und die Kompetenzen im Bereich der Scientific Inquiry gleichrangig berücksichtigt werden. Die Vermittlung wissenschaftsmethodischer Kompetenzen erfolgte durch eine konsequente Einübung einzelner Elemente (vgl. Klahr, 2000) entlang eines Spiralcurriculums (vgl. Berck & Graf, 2003, S. 86; Killermann, Hiering & Starosta, 2009, S. 33f) des naturwissenschaftlichen Experimentierens (vgl. z. B. Habigsberg, Ohly & Stockey, 2008; King & Reiss, 2001). Der Kurs hatte einen Umfang von zwei Doppelstunden pro Woche und umfasste das erste Schulhalbjahr, so dass im Durchschnitt etwa eine Doppelstunde für die theoretische Vorbereitung, vorwiegend im Unterrichtsgespräch oder in Form von Textarbeit, genutzt werden konnte und eine Doppelstunde für die praktische experimentelle Arbeit zu jeweils einem der übergreifenden Themen zur Verfügung stand. Im praktischen Teil lag der Fokus auf dem hypothetisch-deduktiven Vorgehen einer empirischen Wissenschaft mit der besonderen Betonung des kontrollierten Experiments. Andere Methoden wie z. B. die empirische Erhebung oder der Indiziennachweis wurden ergänzend betrachtet, um den SuS die Möglichkeit zu geben, auch andere Vorgehensweisen kennenzulernen und so die experimentelle Methode angemessen einordnen zu können. Zu jedem Themenschwerpunkt führten die SuS im Rahmen des wissenschaftspropädeutischen Spiralcurriculums ein Experiment durch, um einen leichteren Zugang zu dem Thema zu bekommen (Bader, 2002; Becker, Glöckner, Hoffmann & Jüngel, 1992). Dabei wurde darauf geachtet, dass die Ansprüche an die experimentelle Arbeit und das Leistungsvermögen der SuS kontinuierlich gesteigert wurden. Ziel war, dass die SuS die einzelnen Schritte beim wissenschaftlichen Denken (vgl. SDDS-Modell, Klahr, 2000) kennenlernen und diese sukzessive selbstständig anwenden können. Die Experimente wurden aus organisatorischen, motivationalen und lerntheoretischen Gründen in arbeitsteiliger Partnerarbeit durchgeführt (vgl. Bader, 2002, S. 213). Die einzelnen Experimentiergruppen bearbeiteten dabei in der Regel verschiedene Fragestellungen 420
bzw. untersuchten unterschiedliche Versuchsbedingungen. Dadurch konnte die Bearbeitung einer Problemstellung aus verschiedenen Perspektiven durch das Zusammentragen der Ergebnisse der einzelnen Experimentiergruppen ermöglicht werden. Diese schülerzentrierte Unterrichtsform sollte zu einer Aktivierung der Lerner beitragen und durch die mehrperspektivische Betrachtung (vgl. Bader, 2002, S. 214) ein wirkliches Durchdenken der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge fördern. Zur theoriebezogenen Reflexion verfassten die SuS Untersuchungsberichte. 3 Methode Ein Ziel innerhalb der Projektierung des Kurses war die Evaluation von Ausgangslagen und Lernentwicklungen hinsichtlich Scientific Inquiry der SuS. Dazu wurde das Kurskonzept (vgl. Fischer et al., 2007) an einer Versuchsschule in zwei Jahrgängen in parallelen Kursen erprobt und in einem Pre-Posttest-Design evaluiert. Es sollte zum Einen überprüft werden, ob durch das Kurskonzept ein genereller Lernzuwachs zu verzeichnen ist und zum Anderen, ob schwächere SuS im besonderem Maße von dem Kurskonzept profitieren. Die Stichprobe bestand aus 178 SuS (52 % weiblich) einer Versuchsschule, die den Kurs in den Schuljahren 2008 / 09 und 2009 / 10 besucht haben. Ca. 40 % der SuS dieser Versuchsschule verfügen nicht über den Qualifikationsvermerk für die Oberstufe. Das verwendete Testinstrument zur Scientific Inquiry bildet das SDDS-Modell (Klahr, 2000) ab und orientiert sich gleichzeitig an dem Fragebogen von Hahn, Klingsiek, Stockey und Wilde (2008; vgl. auch Mayer, 2007). Anhand von experimentellen Settings wurden 23 Aufgaben (Beispielaufgaben siehe Abb. 1) zu den drei Schritten des SDDS-Modells (Klahr, 2000) entwickelt: Suche im Hypothesenraum (Fragestellung, Hypothesenbildung: 14 Aufgaben), Testen von Hypothesen (Variablenbestimmung, Stichprobenuntersuchung, Versuchsanordnung, Interpretation: 8 Aufgaben) und Analyse von Evidenzen (Schlussfolgerung: 8 Aufgaben). Es wurden vier Antwortmöglichkeiten im Multiple-Choice Format angeboten, wobei es für jede Frage nur eine richtige Antwort gab. Die drei Distraktoren wurden aufgrund von antizipierbaren Fehlvorstellungen ausgewählt, so dass sie ebenso plausibel erscheinen wie die jeweils richtige Antwort. Außerdem wurde die Plausibilität der Distraktoren zusätzlich durch Experten (Erziehungswissenschaftler, Lehrer, Fachdidaktiker) beurteilt. Der Fragebogen erhebt hinreichend zuverlässig Scientifc Inquiry (Cronbachs Alpha: α =.741). Die Evaluation wurde an zwei Terminen jeweils zu Beginn (Vortest: 2. Kurswoche ±1 Woche) und am Ende (Nachtest: vorletzte Kurswoche ± 1 Woche) des Halbjahres in zwei aufeinanderfolgenden Schuljahren durchgeführt. Die Auswertung der Daten erfolgte mit einer mixed ANOVA und mit ANOVAs mit Messwiederholung. 4 Ergebnisse Im Folgenden werden die Längsschnittergebnisse zu der erhobenen Scientific 421
11. Du vermutest, dass Wasser ein wichtiger Standortfaktor für das Längenwachstum ist. Mit welcher der folgenden Versuchsanordnungspaare kannst du deine Vermutung im Prinzip belegen? (Mehrfachnennungen möglich) Gruppe der stärkeren oder schwächeren SuS abhängt. Weitere ANOVAs wurden berechnet, um die Leistungsentwicklung, getrennt für die schwächeren uns stärkeren SuS, zu dokumentieren. Vom Vor- zum Nachtest konnten die SuS ihre Leistung im Test zur Scientific Inquiry von durchschnittlich 45.4 % (SD = 8.9) richtig gelöster Items auf durchschnittlich 62.90 % (SD = 14.9) richtig gelöster Items steigern. Es zeigten sich in der mixed ANOVA ein signifikanter Haupteffekt der Messzeitpunkte auf Scientific Inquiry (F (1;162)= 174,881, p <.001, partielles η² =.52), d. h. es gab signifikante Unterschiede der Leistungen zwischen Vor- und Nachtest. Die SuS scheinen insgesamt von dem Kurs profitiert zu haben. Ebenso gab es einen signifikanten Interaka) Pflanze, Sand, Wasser & Licht vs. Pflanze, Sand, kein Wasser & Dunkelheit b) vs. Pflanze, Sand, kein Wasser & Dunkelheit Pflanze, Sand, Wasser & Dunkelheit c) Pflanze, Erde, kein Wasser & Licht vs. Pflanze, Erde, Wasser & Licht d) Pflanze, Erde, Wasser & Licht vs. Pflanze, Sand, Wasser & Licht Abb. 1: Beispielaufgaben für Testen von Hypothesen. Inquiry und deren Teilkompetenzen dargestellt. Für die Auswertung des Tests zu Scientific Inquiry wurden jeweils für den Vor- und Nachtest der prozentuale Anteil richtig gelöster Items berechnet. Um ein differenzierteres Bild von der Leistungsentwicklung der SuS im Kurs zu erhalten, wurde die Stichprobe in Teilstichproben schwächerer und stärkerer SuS (Ausgangslage) unterteilt. Dazu wurde die Leistung für Scientific Inquiry im Vortest als Kriterium verwendet. Als Cut-off-Wert wurde der Mittelwert der Gesamtskala benutzt. Mit einer mixed ANOVA (Innersubjektfaktor: Messzeitpunkte, Zwischensubjektfaktor: Ausgangslage) wurde überprüft, ob ein Lernzuwachs vom Vor- zum Nachtest zu verzeichnen ist und inwieweit ein Lernzuwachs von der Zugehörigkeit zur 422
tionseffekt zwischen den Messzeitpunkten und der Ausgangslage (F (1;162) = 32,90, p <.001, partielles η² =.17). Dies bedeutet, dass der Lernzuwachs im Nachtest vom Leistungsstand der SuS im Vortest und damit von ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Leistungsschwächeren oder -stärkeren beeinflusst wurde. Schwächere SuS konnten ihre Inquiry-Kompetenzen vom Vor- zum Nachtest dem Niveau der stärkeren SuS angleichen (vgl. Abb. 2) und verbesserten sich vom Vor- zum Nachtest signifikant (F (1;87) = 178,23, p <.001, partielles η² =.67). Durch den Kurs profitieren demnach leistungsschwächere SuS im besonderen Maße. Aber auch die leistungstärkeren SuS konnten ihre Kompetenzen in Scientific Inquiry durch den Kurs erhöhen. Auch sie erzielten im Nachtest zur Scientific Inquiry signifikant bessere Ergebnisse als im Vortest (F (1;75) = 29,10, p <.001, partielles η² =.28). 5 Fazit und Ausblick Die Eingangsfrage, ob durch den Kurs eine Verbesserung des Verständnisses von Scientific Inquiry (schwächerer) SuS erreicht werden konnte, lässt sich bejahen. Insgesamt hatte der einsemestrige Kurs sowohl auf die Lernentwicklung schwächerer SuS als auch auf die Lernentwicklung stärkerer SuS positive Effekte. Dies scheint vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass trotz des allgemein verbesserten Abschneidens deutscher Schülerinnen und Schüler in den PISA-Studien von 2006 und 2009 die Förderung von SuS unterhalb der zweiten (sowie oberhalb der vierten) Kompetenzstufe zu den Hauptentwicklungsaufgaben der Naturwissenschaftsdidaktik zählen. (Rönnebeck, Schöps, Prenzel, Mildner, & Hochweber, 2010). Hier konnten die SuS in Scientific Inquiry ihre Fähigkeiten durch den Kurs deutlich verbessern und damit zu prozentualer Anteil richtiger Antworten 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 schwächere SuS stärkere SuS 0 Vortest Nachtest Abb. 2: Leistung im Vor- und Nachtest für Scientific Inquiry für schwächere und stärkere SuS, *** p < 0.001, ns = p <.05. 423
einer weitgehend gemeinsamen Basis für den weiteren Unterricht in der Oberstufe geführt werden. Ein wesentlicher Vorteil des Kurses war, dass besonders schwächere SuS profitiert haben, so dass auch ihnen der Zugang zu den Naturwissenschaften ermöglicht werden konnte. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das grundlegende Konzept des Kurses einen guten Ausgangspunkt für die Förderung der naturwissenschaftlichen Grundbildung insbesondere schwächerer SuS darstellt, aber noch Optimierungsbedarf für die Förderung der stärkeren SuS bestehen könnte. Demnach wird bei der Weiterentwicklung des Kurses ein stärkerer Fokus auf den Aspekt der Binnendifferenzierung gelegt, um so auch das Potential der stärkeren SuS besser zu nutzen. Die fortlaufende Entwicklung, Erprobung und Evaluation wird sich im Rahmen einer summativen Evaluation auch dem Vergleich mit anderen Schulen und didaktischen Konzepten stellen. Literatur AAAS, American Association for the Advancement of Science (1993). Benchmarks for Science Literacy. New York: Oxford University Press. Bader, H.J. (2002). Das Experiment im Chemieunterricht. In: Pfeifer, P., Lutz, B., Bader, H. J.: Konkrete Fachdidaktik Chemie. München: Oldenbourg Schulbuchverlag. Baumert, J., Bos, W. & Lehmann, R. (2000): TIMSS / III. Dritte internationale Mathematik und Naturwissenschaftsstudie. Mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung am Ende der Schullaufbahn. Opladen. Becker, H.J., Glöckner, W., Hoffmann, F. & Jüngel, G. (1992). Fachdidaktik Chemie (2. Auflage). Köln: Aulis. Berck, K.-H. & Graf, D. (2003). Biologiedidaktik von A bis Z Wörterbuch mit 1000 Begriffen. Wiebelsheim: Quelle & Meyer. Brody, D.E. & Brody, A.R. (2007). Die sieben größten Rätsel der Wissenschaft. Köln: Ullstein. Demuth, R. (2008). Naturwissenschaften leicht gemacht. Köln: Aulis. DFES & QCA (1999): Science. The National Curriculum for England. London: HMSO. Fischer, R., Kupsch. J., Stockey & Wenzel, A. (2007). Einführung in das naturwissenschaftlich-experimentelle Arbeiten. Ein fächerübergreifender Grundkurs in der Orientierungsphase der SEK II. Bielefeld: Oberstufen- Kolleg. Gräber, W. & Nentwig, P. (2002): Scientific Literacy Naturwissenschaftliche Grundbildung in der Diskussion. In: W. Gräber, P. Nentwig, T. Koballa, R. Evans (Hrsg.). Scientific Literacy. Der Beitrag der Naturwissenschaften zur Allgemeinen Bildung (S. 7 20). Opladen: Leske + Budrich. Habigsberg, A., Ohly, K.P. & Stockey, A. (2008). In und über Naturwissenschaften lernen Ein Kurs zur Einführung in naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen. In: Ohly, K.P. & Strobl, G. (Hrsg.). Naturwissenschaftliche Bildung. Konzepte und Praxisbeispiele für die Oberstufe (S. 101 116). Weinheim/Basel: Beltz Verlag. Hahn, S., Klingsiek, J., Stockey, A., & Wilde, M. (2008). Entwicklung und Selbstevaluation eines Basiskurses»Naturwissenschaften«für die Eingangsphase der Sekundarstufe II. TriOS. Forum für schulnahe Forschung, Schulentwicklung und Evaluation. Themenheft: Evaluation und Unterrichtsentwicklung, 3(2), 59 91. Hammann, M. (2007). Das Scientific Discovery as Dual Search Model. In: D. Krüger & H. Vogt (Hrsg.): Theorien in der biologiedidaktischen Forschung. Ein Handbuch für Lehramtsstudenten und Doktoranden (S. 187 196). Berlin/Heidelberg: Springer- Verlag. 424
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