Der Stabilitätsrat aus gesamtwirtschaftlicher Sicht



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Transkript:

1 Monatsbericht 09-2013 Der Stabilitätsrat aus gesamtwirtschaftlicher Sicht Der Stabilitätsrat von Bund und Ländern ist im April 2010 als Nachfolgegremium des Finanzplanungsrats gegründet worden. Seine Hauptaufgabe ist die regelmäßige Überwachung der öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern. Dabei müssen stets wirtschaftspolitische Aspekte einbezogen werden. Der Stabilitätsrat berücksichtigt bei seiner Arbeit die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und berät über die volks- und finanzwirtschaftlichen Annahmen für die Haushaltsund Finanzplanung. Durch das im Juli dieses Jahres in Deutschland in Kraft getretene Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags erhält der Stabilitätsrat zusätzliche Aufgaben. Seine Rolle für eine nachhaltige Finanzund Wirtschaftspolitik und damit für mehr Vertrauen und wirtschaftliches Wachstum wird so weiter gestärkt. Rückblick: Stabilitätsrat und Schuldenregel als wesentliche Ergebnisse der Föde ra lismus reform II Die Begrenzung der Verschuldung der öffentlichen Haushalte war eines der wesentlichen Ziele der Föderalismusreform II. Die Einführung der im Grundgesetz verankerten Schuldenregel sowie die Weiterentwicklung des bisherigen Finanzplanungsrats zu einem für die Haushaltsüberwachung zuständigen Stabilitätsrat waren die beiden dafür entscheidenden Neuerungen der im Sommer 2009 beschlossenen Reform. Die Schuldenregel sieht gem. Art. 109 GG vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. 1 Der Bund entspricht nach Art. 115 GG diesem Grundsatz, wenn sein strukturelles Defizit ab dem Jahr 2016 nicht 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreitet (so genannte Strukturkomponente). Bis zum Jahr 2016 muss er das strukturelle Defizit des Haushaltsjahres 2010 in gleichmäßigen Schritten zurückführen. Für die Bundesländer gilt hingegen vereinfacht, dass ihre Haushalte ab dem Jahr 2020 überhaupt keine strukturellen Defizite mehr aufweisen dürfen. In der Übergangsphase müssen sie ihre Haushalte so aufstellen, dass sie im Jahr 2020 diese Vorgabe erreichen werden. Die Errichtung des Stabilitätsrats war neben der Schul - denregel die zweite wesentliche finanzpolitische Neuerung durch die Föderalismusreform II. Wie die Schul- 1 Zu den Details der Umsetzung der Schuldenregel siehe den Beitrag Wirtschaftspolitische Aspekte der neuen Schuldenregel, in: Schlaglichter der Wirtschaftspolitik Nr. 4, 2011, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.

Monatsbericht 09-2013 2 Abbildung 1: Verschuldung, Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Gesamthaushalts (1965 2012, in Relation zum BIP) 60 50 1969: Inkrafttreten alter Art. 115 GG 2000: UMTS-Erlöse 2010: Basisjahr neue Schuldenregel 90 80 70 40 30 20 1974: Aufnahme Sozialversicherungen in die Statistik 60 50 40 30 10 20 10 0 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 0 Einnahmen Ausgaben Verschuldung Rechte Skala: Verschuldungsquote (stichtagsbezogen); linke Skala: Einnahmen- und Ausgabenquote Quellen: BMWi, Statistisches Bundesamt (2012): Fachserie 14, Reihen 3.1 und 5, Fachserie 18, Reihe 1.5. denregel ist der Stabilitätsrat im Grundgesetz verankert (Art. 109a). Seine Einführung stand auch im Zusammenhang mit der vom Bundesverfassungsgericht im so genannten Berlin-Urteil 2 im Jahr 2006 angemahnten Vermeidung von Haushaltsnotlagen und Stärkung der präventiven Haushaltsüberwachung. Der Stabilitätsrat löste den bisherigen Finanzplanungsrat ab. Der Finanz - planungsrat hatte bei seiner Gründung insbesondere eine konjunkturpolitische Steuerungsfunktion. Durch die Koordinierung der Haushalts- und Finanzplanungen von Bund, Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden sollte Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung genommen werden. In der Folgezeit verlagerte sich der Aufgabenschwerpunkt des Finanzplanungsrats jedoch zunehmend auf die Haushaltsdisziplin und das Einhalten des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts. Der Stabilitätsrat setzt diese Aufgaben im Grundsatz fort. Er ist jedoch stärker als bisher als Frühwarnmechanismus ausgelegt. Gesamtwirtschaftliche Grundlagen für den Stabilitätsrat Der Stabilitätsrat soll die Haushalte von Bund und Ländern laufend überwachen, um so drohende Haushaltsnotlagen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen einleiten zu können. 3 Seine Aufgabe ist damit zwar primär finanzpolitisch ausgerichtet, sie basiert jedoch ständig auf der Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Institutionell zeigt sich die wirtschaftspolitische Be deutung des Stabilitätsrats darin, dass der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie (BMWi) neben dem Bundesminister der Finanzen (BMF) als Vertreter des Bundes Mitglied im Stabilitätsrat ist. Damit findet auch im Stabilitätsrat die im so genannten Two Pack geforderte Unabhängigkeit bzw. funktionelle Eigenständigkeit gesamtwirtschaftlicher Projektionen von den Haushaltsbehörden ihren Ausdruck. 4 2 BVerfG, 2 BvF 3/03 vom 19.10.2006. 3 Siehe auch: BMF (2010): Stabilität im Bundesstaat, Monatsbericht Nr. 4, S. 76-83. 4 Das Two Pack umfasst zwei europäische Verordnungen, die der Haushaltsüberwachung und der Stärkung der wirtschaftlichen Steuerung im Euro-Währungsraum dienen. Der hier angesprochene Aspekt betrifft die EU-VO Nr. 473/2013.

3 Monatsbericht 09-2013 Die enge Verzahnung von Wirtschafts- und Finanzpolitik ergibt sich sowohl aus konjunkturpolitischen Gründen als auch aus der Tatsache, dass der Stabilitätsrat für seine Arbeit auf die unter Federführung des BMWi erstellte Projektion der Bundesregierung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung angewiesen ist. Auch wenn dem Stabilitätsrat keine eigentliche konjunkturpolitische Steuerungsfunktion zukommt, hat er nach den Regeln des Haushaltsgrundsätzegesetzes im Rahmen der europäischen Verpflichtungen zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen ( 51 Abs. 1). Außerdem soll er die Beratungsergebnisse des Konjunkturrats für die öffentliche Hand berücksichtigen. 5 Die Projektionen der Bundesregierung und die Schätzung der Entwicklung des Produktionspotenzials sind zentrale Grundlagen für die Arbeit des Stabilitätsrats. Ihre Ergebnisse dienen als Basis für die Haushalts- und Finanzplanungen von Bund und Ländern und werden für die Ermittlung der strukturellen Defizite benötigt. Der Stabilitätsrat berät nach dem Haushaltsgrundsätzegesetz zur Koordinierung der Haushalts- und Finanzplanung des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände über die zugrunde liegenden volksund finanzwirtschaftlichen Annahmen. Er setzt damit die Aufgabe des Finanzplanungsrats fort. Darüber hinaus wird die Schätzung des nominalen Bruttoinlandsprodukts und des nominalen Produktionspotenzials für die Konjunkturbereinigung im Rahmen der Schuldenregel benötigt. Für die Länder, die Konsolidierungshilfen erhalten (Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein) sind in Verwaltungsvereinbarungen mit dem Bund Vorgaben für die Konjunkturbereinigung festgelegt. Ausgangspunkt ist dabei die vom BMWi geschätzte gesamtwirtschaftliche Produktionslücke, die auf die staatlichen Ebenen sowie auf einzelne Bundesländer heruntergebrochen wird. Finanzpolitische Überwachung der Haushalte von Bund und Ländern Die auf der Basis der gesamtwirtschaftlichen Projektionen ermittelten einheitlichen Annahmen zum Wirtschaftswachstum und zur Entwicklung der Steuereinnahmen sind Grundlage für die eigentliche finanzpolitische Überwachung der Haushalte von Bund und Ländern. Diese umfasst zwei Bereiche: erstens die auf dem Stabilitätsratsgesetz basierende regelmäßige Überwachung zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen und zweitens die auf die Einhaltung der Schuldenregel in den Ländern ab dem Jahr 2020 ausgerichtete Überwachung von Konsolidierungshilfen. 6 Regelmäßige Überwachung zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen Für seine Beratungen über die Haushaltslage des Bundes und der Länder stützt sich der Stabilitätsrat auf die von Bund und Ländern jährlich vorzulegenden Stabilitätsberichte. In diesen Berichten sollen Bund und Länder einerseits eine Projektion der mittelfristigen Entwicklung ihrer Haushalte vorlegen und andererseits die aktuelle Lage ihrer Haushalte, ihre Finanzplanung sowie die Einhaltung der Vorgaben der Schuldenbremse darlegen. Im Rahmen der mittelfristigen Projektion zur Haushaltsentwicklung wird für jedes Land der maximal zulässige Ausgabenanstieg für die nächsten sieben Jahre ermittelt, bei dem der Schwellenwert für den Schuldenstand je Einwohner genau erreicht werden würde. Dreh- und Angelpunkt für die Beurteilung der Haushaltslage ist ein Bündel von vier Kennziffern. Diese sind: Der strukturelle Finanzierungssaldo pro Einwohner (d. h. der um konjunkturelle Einflüsse und finanzielle Transaktionen bereinigte Finanzierungssaldo), die Kreditfinanzierungsquote (Nettokreditaufnahme im Verhältnis zu den bereinigten Ausgaben), 5 Siehe Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Finanzplanungsrates, BT-Drucksache 17/983, S. 7. 6 Zum Zusammenhang zwischen Sanierungsvereinbarungen und Konsolidierungshilfengesetz vgl. auch BMF (2012): Sanierungsvereinbarungen des Stabilitätsrats mit den Ländern Berlin, Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein, Monatsbericht Nr. 1, S. 37f.

Monatsbericht 09-2013 4 die Zins-Steuer-Quote (Zinsausgaben im Verhältnis zu den Steuereinnahmen) und der Schuldenstand je Einwohner. Mit dem strukturellen Finanzierungssaldo und der Kreditfinanzierungsquote sollen die aktuelle Tragfähigkeit der Haushalte und das Ausmaß der Kreditfinanzierung überprüft werden. Der Schuldenstand je Einwohner und die Zins-Steuer-Quote spiegeln dagegen die Haushaltspolitik der Vergangenheit wider. Gleichzeitig mit der Festlegung der vier Kennziffern wurden auch jeweils spezifische Schwellenwerte für den Bund und die Länder vereinbart, bei deren wiederholter Überschreitung innerhalb eines definierten Zeit - raums ein Indikator als auffällig gilt. Sobald von den vier Indikatoren drei oder alle in dieser Form auffällig geworden sind, d. h. die Schwellenwerte wiederholt erreicht wurden, leitet der Stabilitätsrat ein Evaluationsverfahren zur Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage ein. 7 Dem Evaluationsausschuss gehören ein Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen sowie vier Staatssekretäre der Finanzministerien der Länder an. Die jeweilige Zusammensetzung des Evaluationsausschusses wird durch den Stabilitätsrat beschlossen und kann je nach betroffener Gebietskörperschaft variieren. Die betroffene Gebietskörperschaft nimmt grundsätzlich an den Sitzungen des Evaluationsausschusses teil. 8 Wurde vom Stabilitätsrat nach dem vorgegebenen Verfahren eine drohende Haushaltsnotlage festgestellt, ist ein Sanierungsverfahren einzuleiten und mit der be - troffenen Gebietskörperschaft ein Sanierungsprogramm für die nächsten fünf Jahre zu vereinbaren. 9 Das Programm basiert auf Vorschlägen der Betroffenen. Es muss konkrete Angaben dazu enthalten, in welchem Umfang die jährliche Nettokreditaufnahme zu reduzieren ist und welche von der betroffenen Gebietskörperschaft eigenständig umsetzbaren Maßnahmen zur Sanierung ergriffen werden sollen. Die betroffene Gebietskörperschaft hat das vereinbarte Sanierungsprogramm umzusetzen und dem Stabilitätsrat halbjährlich über die Reduzierung der Netto- kreditaufnahme zu berichten. Bei Abweichungen vom vereinbarten Abbaupfad prüft der Stabilitätsrat, ob und gegebenenfalls welche weiteren Maßnahmen erforderlich sind. Im Jahr 2010 wurde eine drohende Haushaltsnotlage in den Ländern Berlin, Bremen, Saarland und Schleswig- Holstein festgestellt. Am 23. Mai 2011 hat der Stabilitätsrat die vier Länder um Vorlage von Sanierungsprogrammen gebeten und den Evaluationsausschuss mit deren Prüfung beauftragt. Der Stabilitätsrat hat auf seiner letzten Sitzung im Mai 2013 die Sanierungsberichte der betreffenden Länder zur Kenntnis genommen und festgestellt, dass alle Länder die Obergrenze der Nettokreditaufnahme eingehalten hätten. Er wies darauf hin, dass der Konsolidierungskurs weiterhin konsequent eingehalten werden müsse bzw. im Saarland und in Bremen eine Verstärkung des Konsolidierungskurses erforderlich sei. Überwachung von Konsolidierungshilfen Die zweite wichtige Aufgabe des Stabilitätsrats zielt auf die Einhaltung der Schuldenregel durch die Länder ab dem Jahr 2020. Angesichts der ungleichen Startbedingungen für die Länder wurde für die Übergangsphase von 2011 bis 2019 die Möglichkeit für temporäre Kon- 7 Vgl. 4 StabiRatG 8 Vgl. 10 Geschäftsordnung Stabilitätsrat 9 Vgl. 5 StabiRatG

5 Monatsbericht 09-2013 Abbildung 2: Struktur des Stabilitätsrats von Bund und Ländern StabiRatG: Stabilitätsratsgesetz; GO: Geschäftsordnung des Stabilitätsrats. Quelle: BMWi solidierungshilfen für die fünf besonders finanzschwachen Länder Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein geschaffen. 10 Die Finanzierung der Konsolidierungshilfen in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro jährlich erfolgt jeweils zur Hälfte durch den Bund und die Gesamtheit der Länder. Die weitaus größten Beträge erhalten gemäß 1 KonsHilfG das Land Bremen mit 300 Millionen Euro und das Saarland mit 260 Millionen Euro jährlich. Den Ländern Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein werden jährliche Hilfen in Höhe von 80 Millionen Euro gewährt. Im Gegenzug für die gewährten Konsolidierungshilfen sind die fünf Länder zu einer planmäßigen vollständigen Rückführung ihrer strukturellen Finanzierungsdefizite bis 2020 verpflichtet. Das maximal zulässige Defizit sinkt dabei jährlich um 10 Prozent, bezogen auf den Ausgangswert in 2010. Der Bund hat 2011 mit den fünf Ländern Verwaltungsvereinbarungen zum Gesetz zur Gewährung von Konsolidierungshilfen geschlossen. Darin wird neben den Abbauschritten der jährlichen Finanzierungsdefizite u. a. auch die Definition des strukturellen Finanzierungssaldos festgelegt. Der Stabilitätsrat prüft, ob die Länder ihre Haushaltsdefizite wie vereinbart vollständig zurückführen. Bei Nichteinhaltung eines Abbauschrittes entfällt grundsätzlich der Anspruch auf Konsolidierungshilfe für dieses Jahr. 11 Die betroffenen 10 Vgl. Art. 143d Abs. 2 GG 11 Vgl. 2 Konsolidierungshilfengesetz (KonsHilfG)

Monatsbericht 09-2013 6 Länder sind verpflichtet, jeweils im Frühjahr ihre Konsolidierungsberichte dem Stabilitätsrat zur Beratung und Gewährung weiterer Finanzhilfen vorzulegen. Der Stabilitätsrat hat zuletzt auf seiner Sitzung im Mai 2013 turnusgemäß den Defizitabbau auf Grundlage der vorgelegten Konsolidierungsberichte überprüft. Dabei stellte er fest, dass die fünf Länder ihren Verpflichtungen im Jahr 2012 nachgekommen sind, sodass die Konsolidierungshilfen ausgezahlt werden können. Neue Aufgaben für den Stabilitätsrat durch die innerstaatliche Umsetzung des Fiskalvertrags Im Zuge der innerstaatlichen Umsetzung des zum 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Europäischen Fiskalvertrags werden die bisherigen Aufgaben des Stabilitätsrats deutlich ausgeweitet. Das Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags wurde Anfang des Jahres vom Deutschen Bundestag beschlossen. Nach Verhandlungen im Vermittlungsausschuss wurde es am 5. Juli 2013 auch vom Bundesrat unverändert gebilligt und ist am 19. Juli 2013 in Kraft getreten. Der Europäische Fiskalvertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten also auch Deutschland zur Umsetzung be - stimmter Vorgaben für nationale Fiskalregeln. Dazu gehören insbesondere eine strukturelle gesamtstaatliche Defizitgrenze von 0,5 Prozent des BIP als mittelfris tiges Haushaltsziel sowie ein so genannter automatischer Korrekturmechanismus. Die Einhaltung der Defizitgrenze soll außerdem auf nationaler Ebene durch unabhängige Institutionen überprüft werden. Mit der grundgesetzlichen Schuldenregel für Bund und Länder sowie dem Stabilitätsrat als Institution werden die Vorgaben des Fiskalvertrags in Deutschland bereits im Kern erfüllt. 12 Mit dem Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags soll die Einhaltung des mittelfristigen Haushaltsziels jedoch insbesondere im Übergangszeitraum der Schuldenregel zusätzlich abgesichert werden. Das Gesetz sieht neben der Festschreibung einer Obergrenze für das gesamtstaatliche strukturelle Defizit von 0,5 Prozent des BIP im Haushaltsgrundsätzegesetz vor allem die Stärkung des Stabilitätsrats vor. Der Stabilitätsrat wird damit beauftragt, die Einhaltung der gesamtstaatlichen Defizitgrenze zweimal jährlich für den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung zu überprüfen. Die Schätzung hat alle aktuellen Daten zur gesamt-, finanz- und haushaltswirtschaftlichen Entwick lung einschließlich der aktuellen Steuerschätzung zu berücksichtigen. Außerdem erfolgt sie unter Verwendung der europäischen Abgrenzungen und Methoden insbesondere zur Konjunkturbereinigung. Bei sich ab zeichnender Überschreitung der Defizitgrenze soll der Stabilitätsrat konkrete Maßnahmen zur Beseitigung des überhöhten Defizits empfehlen. Dabei müssen die Empfehlungen des Rates der Europäischen Union im Rahmen des präventiven Arms des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) berücksichtigt werden. Die Empfehlungen richten sich an die Gesetz geber von Bund und Ländern. Der Stabilitätsrat knüpft da bei an seine bisherige Aufgabe an, die Haushalts- und Finanzplanung von Bund, Ländern und Gemeinden auch mit Blick auf die Verpflichtungen im Rahmen des SWP zu koordinieren. Um Unabhängigkeit und Transparenz des Stabilitätsrats zu stärken, wird darüber hinaus ein unabhängiger Beirat beim Stabilitätsrat eingerichtet. Er soll den Stabilitätsrat unterstützen, indem er eine Stellungnahme zur Einhaltung der Defizitgrenze abgibt und ggf. Maßnahmen zur Einhaltung empfiehlt. Seine Stellungnahmen und Empfehlungen werden wie die des Stabilitätsrats veröffentlicht. Der Vorsitzende des Beirats nimmt an den Beratungen des Stabilitätsrats teil. Der unabhängige Beirat wird sich wie folgt zusammensetzen: je ein Vertreter der Bundesbank, des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der an der Gemeinschaftsdiagnose beteiligten Forschungsinstitute, je zwei für fünf Jahre von Bund und Ländern durch deren Vertreter im Stabilitätsrat benannte Sachverständige sowie je ein für fünf Jahre von den kommunalen Spitzenverbänden und den Spitzenorganisationen der Sozialversicherungen benannter Sachverständiger. 12 Siehe ausführliche Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags, BT-Drucksache 17/10976, S. 17.

7 Monatsbericht 09-2013 Fazit: Der Stabilitätsrat schafft Vertrauen für Wachstum Der Stabilitätsrat von Bund und Ländern ist ein zentraler Pfeiler zur Sicherung der Konsolidierung öffentlicher Haushalte in Deutschland. Seine Stärken liegen in der unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung durchgeführten präventiven Haushaltsüberwachung sowie in der Schaffung von Transparenz und Öffentlichkeit über die finanzpolitische Entwicklung. Dabei fügt er sich in die föderale Struktur Deutschlands ein. Die zusätzlichen Aufgaben für den Stabilitätsrat im Zuge der innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags stärken die wirtschafts- und finanzpolitische Regelbindung auf gesamtstaatlicher Ebene weiter. Der neue Beirat wird die Unabhängigkeit des Stabilitätsrats stärken, ohne den demokratisch legitimierten finanzpolitischen Entscheidungsspielraum unangemessen einzuschränken. Gerade dadurch, dass der Stabilitätsrat die gesamtwirtschaftliche Entwicklung bei seinen Be - ratungen und in seinen Verfahren intensiv berücksichtigt, kann er die Haushaltspolitik effizient überwachen, einer staatlichen Verschuldungsneigung entgegenwirken und Fehlentwicklungen frühzeitig aufzeigen. Nach gut dreijähriger Arbeit des Stabilitätsrats ist mit Blick auf die künftige Entwicklung die Hoffnung berechtigt, dass dieses Bund-Länder-Gremium zu einer langfristig tragfähigen Finanzpolitik wesentlich beiträgt und gleichzeitig die langfristigen Wachstumskräfte in unserer Volkswirtschaft stärkt. Kontakt: Dr. Raphael L Hoest und Dr. Lutz Reimers Referat: Finanzpolitik; konjunkturpolitische Koordinierung