Föderalismus: Erfolgsprinzip mit Reformbedarf

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Transkript:

Kanton St.Gallen Finanzdepartement Föderalismus: Erfolgsprinzip mit Reformbedarf Regierungsrat Benedikt Würth, Vorsteher des Finanzdepartementes des Kantons St.Gallen «Die Schweiz wird zentralistischer» titelte kürzlich diese Zeitung mit Verweis auf einen Bericht des Bundesrates zu «Einhaltung der Grundsätze der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen». Gleichzeitig ist im Umfeld von Unabhängigkeitsabstimmungen in Schottland und Katalonien zu vernehmen, dass bei Vorhandensein föderaler Strukturen solche Bewegungen nicht entstanden wären. Zumindest wäre es nicht zu diesen Eskalationen gekommen. Föderalismus oder Zentralismus ist keine Frage, die planungsgläubigen Technokraten überlassen werden darf. Im föderalistischen Ringen geht es nicht nur um Organisationsprinzipien, sondern auch um eine grundsätzliche staatspolitische Grundhaltung. Die föderalistische Staatsidee gründet zuerst auf historischen und kulturellen Erfahrungen eines Landes. In Art. 1 unserer Bundesverfassung heisst es: «Das Schweizer Volk und die 26 Kantone bilden die Schweizerische Eidgenossenschaft». Darin kommt schon wesentliches zum Ausdruck. Unser Staat wird «von unten nach oben» gedacht und nicht umgekehrt. NZZ Artikel Föderalismus.docx 1/5

Die föderalistische Staatsidee ist auch Ausdruck eines positiven Menschenbilds, indem die obere Ebene Vertrauen in die Problemlösungs- und Gestaltungskraft der unteren Ebene, aber auch des einzelnen Individuums hat. Das zivilgesellschaftliche Engagement, die Mitwirkung und Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger sowie das Milizprinzip sind daher in einem föderalen Staat besonders ausgeprägt. Dabei ist in Kauf zu nehmen, dass es für ein Problem unterschiedliche Lösungen geben kann. Dies ist gerade auch die Grundlage für einen Leistungs- und Ideenwettbewerb, der kreative und innovative Lösungen hervorbringt. Es scheint, dass in unserem Land diese Grundwerte offensichtlich im Gegenwind des allgemeinen Mainstreams und der politischen Hektik stehen. Dabei wird übersehen, dass vor 10 Jahren Volk und Stände einer grossen Föderalismusreform nämlich der Neugestaltung des Finanzausgleichs sehr deutlich zugestimmt haben. Ziele des Reformprojekts waren: Modernisierung und Stärkung des Föderalismus durch eine Klärung und Entflechtung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Kantonen Steigerung der Wirksamkeit des Ausgleichssystems und somit eine Annäherung der kantonalen Unterschiede in Bezug auf die finanzielle Leistungsfähigkeit und die Steuerbelastungen. Effizienzsteigerungen bei der Erbringung von staatlichen Aufgaben durch die Einführung moderner Zusammenarbeitsformen NZZ Artikel Föderalismus.docx 2/5

zwischen den verschiedenen bundesstaatlichen Ebenen sowie durch die Stärkung der interkantonalen Zusammenarbeit. Die Verfassungsänderungen betrafen den Finanz- und Lastenausgleich, was auch als Gegenkonzept zu einer materiellen Steuerharmonisierung gedacht war. Weiter ging es um die spezifischen Regeln zur Aufgabenzuweisung und Erfüllung staatlicher Aufgaben (Subsidiarität, fiskalische Äquivalenz, Programmvereinbarungen für Verbundaufgaben, Respektierung der Organisations- und Finanzautonomie der Kantone). Nach 10 Jahren ist eine Standortbestimmung angebracht. Die ch Stiftung hat im soeben publizierten Monitoringbericht Föderalismus 2011-2013 Feststellungen, Trends und Entwicklung dargelegt. Wir stellen fest, dass der Zentralisierungsdruck auf Bundesebene ungebrochen ist. Nicht nur Gesetzesvorlagen, Verordnungen oder parlamentarische Vorstösse weisen aufgrund eines fehlenden Bewusstseins für föderalistische Prinzipien zentralistische Tendenzen auf. Der Zentralisierungsdruck kann zum Teil auch auf die intensive Lobbyarbeit von Interessengruppen oder auf Volksinitiativen wie z.b. die Zweitwohnungsinitiative oder die Initiative für eine Erbschaftssteuer zurückgeführt werden. Ein Problem stellen auch die steigenden Vollzugsaufgaben des Bundes dar, die zunehmend finanzielle und personelle Ressourcen der Kantone beanspruchen. Der ohnehin enge finanzpolitische Spielraum wird zusätzlich durch internationale Entwicklungen wie dem «Steuerdialog» mit der EU und die dadurch angestossene Unternehmenssteuerreform III eingeschränkt. NZZ Artikel Föderalismus.docx 3/5

Man kann sich auch generell fragen, welches die relevanten Treiber für den offenbar stärkeren Zentralisierungsdruck sind. Ich stelle fest, dass tendenziell dann zentralisiert wird, wenn der Druck der Lobbyisten besonders hoch ist, denn ihr Einfluss ist bei zentralen Lösungen höher; Regierungen das Departementalprinzip übermässig gewichten, denn dadurch wird die übergeordnete Betrachtung und Politikgestaltung geschwächt; die Kantone in der öffentlichen und medialen Wahrnehmung eine Aufgabe unzureichend erfüllen; inhaltliche Positionierungen der Kantone stark divergieren, weil dann die Bundespolitik zum beliebten Prinzip «divide et impera» neigt; der Ruf nach Bundessubventionen für die Erfüllung kantonaler Aufgaben gehört wird, denn eine Finanzierung zieht auch eine inhaltliche Steuerung und Regelung nach sich; zunehmend aufgeregt und hektisch politisiert wird, denn dadurch gerät die Einhaltung von Grundsätzen generell unter Druck. Was ist zu tun? Die Kantone schlagen konkret 11 Massnahmen zur Weiterentwicklung und Stärkung des Föderalismus vor. Mit Blick auf die schleichende Verwischung der Zuständigkeiten und Finanzierungsverantwortung fordern die Kantone eine grundlegende Überprüfung der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen sowie eine Überprüfung der Finanzierung des Vollzugs von Bundesrecht durch die Kantone. Weiter sprechen sie sich für die Einführung der Ver- NZZ Artikel Föderalismus.docx 4/5

fassungsgerichtsbarkeit über Bundesgesetze aus, damit die in der Verfassung vor zehn Jahren eingeführten Regeln im Bedarfsfall auch einen Schiedsrichter haben, der im Streitfall entscheidet. Wichtig sind für die Kantone auch ein möglichst frühzeitiger Einbezug in die Vorbereitung von Bundesvorhaben sowie eine gezielte Stärkung ihrer Mitwirkungsrechte an der Aussenpolitik des Bundes. Föderalismus ist eine Dauerbaustelle. In einem föderalistischen Staat wird ständig um Zuständigkeiten für Aufgabenerfüllung und Finanzierung gerungen. Dabei ist es zentral, dass Verfassungsgrundsätze beachtet und gelebt werden. Noch wichtiger muss aber die Erkenntnis sein, dass in einem mehrsprachigen Land mit verschiedenen Kulturen der Föderalismus letztlich alternativlos ist. Nicht der Zentralismus hält das Land zusammen, sondern der Föderalismus. NZZ Artikel Föderalismus.docx 5/5