Die Modernisierung von US-Atomwaffen in Europe Auswirkungen auf die deutsche und europäische Sicherheit

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Transkript:

Die Modernisierung von US-Atomwaffen in Europe Auswirkungen auf die deutsche und europäische Sicherheit Dr. Oliver Meier, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) Stellungnahme vor dem Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, 27. Juni 2012 Mit den im Koalitionsvertrag 2009 geforderten Konsultationen über einen Abzug der noch in Deutschland stationierten US-Atomwaffen hat die Bundesregierung eine lang überfällige Debatte über die Reform der Abschreckungs- und Verteidigungsdoktrin der NATO angestoßen. Auf dem Chicago-Gipfel am 20.-21. Mai 2012 haben diese Diskussionen mit der Verabschiedung des Berichts über das Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv der Allianz (Deterrence and Defense Posture Review, DDPR) ihren vorläufigen Abschluss gefunden. 1 Aus deutscher Sicht ist das Ergebnis enttäuschend. Nicht der Abzug der US- Waffen steht nun auf der Tagesordnung, sondern eine Debatte über die umfassende Modernisierung der in Europa stationierten US-Atomwaffen sowie deren Trägermittel. 2 1. Das Life Extension Program der B61-12 Die USA planen die Modernisierung aller etwa 500 Atomwaffen der Typen B61-3,-4,-7, und - 10. Im Rahmen dieses Life Extension Program (LEP) sollen auch die noch in Europa stationierten Sprengköpfe durch die neueren Atomwaffen des Typs B61-12 ersetzt werden. Ab 2016 sollen die in Europa stationierten Atomwaffen in die USA zurückgeführt werden und der nukleare Sprengsatz sowie die Elektronik der Bombe grunderneuert, bzw. neue Steuerungseinheiten eingebaut werden. Der Zweck des LEP ist die Verbesserung der Unfallsicherheit (safety), der Handhabungssicherheit (security) und der Einsatzverlässlichkeit (reliability) der seit den 1960er Jahren stationierten B61. 3 Zudem sollen durch die Konsolidierung der verschiedenen Waffentypen Kosten eingespart werden. Die gegenwärtig in Europa stationierten Sprengköpfe der Typen B61-3/4 haben eine wählbare Sprengkraft zwischen 0,3 und 170 Kilotonnen (KT). Die Sprengkraft der neuen B61-12 soll auf 50 KT begrenzt werden. Um diesen Verlust auszugleichen, wird die Zielgenauigkeit der neuen Waffen erhöht. 4 So wird die neue Waffe nicht mehr ungesteuert einem Fallschirm abgeworfen, sondern kann nun satellitengesteuert über steuerbare Heckflossen ins Ziel geführt werden. 5 Die B61-12 wäre damit die erste nukleare smart bomb. Die Einsatzoptionen erweitern sich zudem, weil die Explosionshöhe der B61-12 frei gewählt werden kann. Nach gegenwärtigen Planungen soll die Stationierung der grunderneuerten B61-12 im Jahr 2019 beginnen und bis 2022 abgeschlossen sein. Allerdings wird im US-Kongress sowohl der Zeitplan als auch der finanzielle Rahmen des B61 LEP kontrovers diskutiert. 6 Hintergrund sind Kostensteigerungen von ursprünglich geplanten rund US$4 Mrd. auf ca. US$6 Mrd. 7 Die amerikanischen Abgeordneten haben eine wissenschaftliche Studie über die Auswirkungen

2 des Programms in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse in Betracht gezogen werden sollen, bevor das Programm von der Forschungs- und Entwicklungsphase in die Produktion geht. 2. Auswirkungen der B61-Modernisierung auf NATO, NATO-Russland Verhältnis und Nichtverbreitungsbemühungen Die Modernisierung engt die allianzinternen Diskussionen über eine Reform der künftigen Atomwaffenpolitik ein. In der DDPR haben die NATO-Staaten entschieden, dass der Nordatlantikrat die entsprechenden Ausschüsse beauftragen wird, Konzepte dafür zu entwickeln, wie die möglichst umfassende Beteiligung der in Rede stehenden Bündnispartner in Bezug auf Vereinbarungen zur nuklearen Teilhabe gewährleistet werden kann, und zwar auch für den Fall, dass sich die NATO entschließen würde, ihre Abhängigkeit von in Europa stationierten nichtstrategischen Kernwaffen zu verringern. 8 Durch Modernisierung der in Europa stationierten Waffen (sowie deren Trägersysteme) wird einem solchen Bericht vorgegriffen, indem die Voraussetzungen für eine langfristige Aufrechterhaltung der nuklearen Teilhabe geschaffen werden. Die B61-12 sollen eine Einsatzdauer von mindestens 30 Jahren haben. Das Programm stellt zudem eine erhebliche Investition dar, die eine grundlegende Reform der nuklearen Teilhabe unwahrscheinlicher machen dürfte. Die B61-12 wird mit dem F35-Joint Strike Fighter einsetzbar sein, der sich noch in der Entwicklung befindet und in den anderen Stationierungsländern Italien, Niederlande und Türkei die gegenwärtig vorhandenen Trägersysteme des Typs F-16 ersetzen soll. Die Stationierung verstärkt die Sonderrolle Deutschlands, weil das einzige für den Atomwaffeneinsatz zertifizierte Trägersystem Tornado ohne Modifikationen mit der B61-12 nicht kompatibel sein soll. Der Tornado soll aber bis mindestens 2020, also auch nach Beginn der Stationierung der B61-12, als nuklearwaffenfähiges Trägersystem vorgehalten werden. Dem Vernehmen nach gibt es zwei technische Probleme des Einsatzes der B61-12 mit dem Tornado. Zum einen sollen die Heckflossen der neuen Steuerungseinheit nicht unter den Flügel des Tornado passen. Zum anderen sollen die elektronischen Schnittstellen von Bombe und Flugzeug inkompatibel sein. Welche Änderungen an Tornado und/oder B61-12 notwendig wären, um beide Systeme kompatibel zu machen, ist öffentlich nicht bekannt. 9 Eine Kompatibilität der B61-12 mit dem Nachfolgeflugzeug Typhoon/Eurofighter wird nicht geprüft, weil der Eurofighter nicht als nuklearwaffenfähiges Trägersystem entwickelt wird. 10 Die mit dem Programm einhergehende Erweiterung der nuklearen Einsatzoptionen könnte einen neuen Rüstungswettlauf mit Russland provozieren. Die neuen Waffen ermöglichen es der NATO, ihre operativen Einsatzplanungen auszudehnen. Die B61-12 werden auf Grund der besseren Zielgenauigkeit gegen eine größere Anzahl von

3 Zielen einsetzbar sein als die Vorgängermodelle. Hinzu kommt, dass die F35-Joint Strike Fighter (u.a. durch die verwendete Stealth-Technologie) gleichfalls eine Ausweitung der Zielplanungen ermöglicht. Edward Seay, bis 2011 abrüstungspolitischer Berater des amerikanischen NATO-Botschafters Ivo Daalder, warnt in einem nach seinem Ausscheiden aus dem Auswärtigen Dienst veröffentlichten Bericht vor einer unbeabsichtigten Eskalation durch die beabsichtigten Modernisierungsmaßnahmen der NATO: It is therefore conceivable that, if some F-35s were to enter [dual-capable aircraft, DCA] service for a NATO ally from 2019 onward, when the B61-12 has been deployed, nuclear planners might get the urge to view this stealthy, precision-guided nuclear system as a useful and usable tool in NATO s crisis management arsenal. Unlike current DCA, which would require a massive Suppression of Enemy Air Defence (SEAD) campaign in order to have any realistic hope of reaching targets in, for instance, Russia or Iran, the low-observable F-35 might be able to reach its target undetected with its super-precise nuclear payload intact and armed. This is not a scenario that Russia, for instance, could view with equanimity. If allowed to come to fruition, in fact, such a PGM/Stealth Nuclear force could eliminate any hope of further progress in reducing or eliminating NSNW in Europe as a whole. 11 Insbesondere ist zu befürchten, dass ein neuer Rüstungswettlauf mit Russland provoziert wird. Bisher konzentriert Russland seine Bemühungen auf die Modernisierung der strategischen Atomwaffen. Allerdings hat Moskau in Reaktion auf die Raketenabwehrpläne der NATO mehrfach mit der Stationierung von atomwaffenfähigen Trägersystemen kurzer Reichweite (Iskander) an den Grenzen zur NATO gedroht, und beispielsweise in Kaliningrad auch nukleare Lagerstätten modernisiert. 12 Sollte die NATO die Leistungsfähigkeit der in Europa stationierten Atomwaffen vergrößern, könnte dies für Russland ein willkommener Anlass sein, ähnliche Maßnahmen für zumindest Teile des Arsenals von ca. 2.000 einsatzbaren taktischen Atomwaffen einzuleiten und/oder die konventionellen Aufrüstung zu intensivieren. Die Modernisierung der in Europa stationierten Nuklearwaffen konterkariert Nichtverbreitungsbemühungen der NATO-Staaten. Gerade von deutscher Seite ist das stärkere Bekenntnis der NATO zu Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung im neuen Strategischen Konzept und im DDPR-Bericht als Fortschritt gewertet worden. 13 Die Modernisierung der taktischen Atomwaffen aber droht die Glaubwürdigkeit der Abrüstungsbemühungen der NATO zu unterminieren. Sie erschwert die Einbeziehung aller Atomwaffen (strategische und taktische) in die nukleare Rüstungskontrolle. Im Abschlussdokument der 8. Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags im Mai 2010 wurden zudem alle Atomwaffenstaaten aufgefordert, to further diminish the role and significance of nuclear weapons in all military and security concepts, doctrines and policies. 14 Die vorgesehene Erweiterung der Einsatzoptionen der im Rahmen der nuklearen Teilhabe stationierten Atomwaffen läuft diesem Ziel zuwider. Insbesondere gegenüber Staaten wie dem Iran, die über eigene Kernwaffenoptionen nachdenken, wäre es

4 wichtig zu signalisieren, dass der Wert von Atomwaffen im 21. Jahrhundert begrenzt ist und weiter abnimmt. 3. Wie weiter? Drei Schritte zur Schadensbegrenzung Die Modernisierung der B61-12 sollte Gegenstand politischer Beratungen zwischen den NATO-Verbündeten sein. Die NATO-Verbündeten der USA haben auf Arbeitsebene der Modernisierung der in Europa stationierten Atomwaffen im April 2010 zugestimmt. 15 Beratungen auf der politischen Ebene, etwa im NATO-Rat, hat es bisher nicht gegeben. Die Bundesregierung argumentiert das LEP sei eine nationale Entscheidung der USA und unabhängig von der Frage der Ausgestaltung der Nuklearen Teilhabe innerhalb der NATO zu sehen. 16 Diese Position wirft grundsätzlich die Frage nach dem Wert der deutschen Mitwirkung in der nuklearen Teilhabe auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zum Beispiel vor dem NATO- Gipfel 2009 argumentiert, dass die Bundesregierung die nukleare Teilhabe im Weißbuch verankert habe, weil wir wissen, dass sie uns Einfluss im Bündnis, auch in diesem höchstsensiblen Bereich, sichert. 17 Wenn aber Fragen der Stationierung neuartiger Atomwaffen durch das Bündnis kein Anlass ist, den deutschen Einfluss geltend zu machen, welche Entscheidungen sollten dann Gegenstand politischer Beratungen sein? Sinnvoll wäre eine gründliche und transparente Abwägung der Kosten und des Nutzens einer Modernisierung der in Europa stationierten US-Atomwaffen. Eine solche Analyse sollte auf der Grundlage einer gemeinsamen, vertraulichen Abschätzung der Sicherheit (safety and security) der stationierten Waffen auf politischer Ebene im NATO-Rat zwischen den Vertretern aller Verbündeten erfolgen. Dabei sollten auch die Auswirkungen einer Modernisierung auf Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung berücksichtigt werden. Die NATO sollte einseitig auf die Modernisierung der B61-12 zumindest so lange verzichten, bis klar ist ob die Reduzierung taktischer Nuklearwaffen Gegenstand von russischamerikanischen Abrüstungsgesprächen sein werden. In der DDPR verpflichten sich die Verbündeten, sicherzustellen dass alle Elemente der nuklearen Abschreckung der NATO solange zuverlässig, sicher und effektiv bleiben, wie die NATO ein nukleares Bündnis bleibt. 18 Die Verbündeten kommen allerdings auch zu dem Schluss, dass das Dispositiv der nuklearen Kräfte des Bündnisses gegenwärtig die Kriterien eines wirksamen Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs erfüllt. 19 Eine militärische Notwendigkeit zur Modernisierung der in Europa stationierten US-Atomwaffen besteht also aus Sicht der NATO zunächst nicht. Zu hinterfragen ist, ob signifikante Sicherheitsmängel eine umfassende Modernisierung der Waffen notwendig machen. Die Verlängerung der Vorwarnzeiten und die Lagerung der Waffen in unterirdischen Bunkern (vaults) hat die Sicherheit der in Europa noch stationierten

5 erhöht. Zudem ist die B61ist zudem mit den modernsten Diebstahlsicherungen ausgestattet, über die die USA verfügen. Auch bei der Unfallsicherheit erfüllt die B61 fast alle Maximalstandards. US-Experte Hans Kristensen kommt zu dem Schluss, dass die B61 bereits jetzt, dass sicherste Atomwaffe im US-Arsenal ist. 20 Russland und die USA werden in der DDPR ermutigt, ihre beiderseitigen Anstrengungen zur Förderung strategischer Stabilität, zur Erhöhung von Transparenz und zur weiteren Reduzierung ihrer Kernwaffen fortzuführen. 21 Ob diese Gespräche über weitere Abrüstungsschritte (wie von der Obama-Administration gewünscht) auch auf eine Reduzierung taktischer Atomwaffen abzielen, wird sich frühestens nach den US-Wahlen zeigen. Ein vorläufiger Verzicht der NATO auf die Modernisierung der Infrastruktur, auf der die nukleare Teilhabe beruht, würde eine Einbeziehung taktischer Waffen in die Rüstungskontrolle erleichtern, weil ein solcher Schritt glaubwürdig signalisieren würde, dass diese Waffen für die Allianz tatsächlich nur noch politischen Charakter haben. Darüber hinaus würde die NATO eine teure Modernisierung von Waffensystemen vermeiden, die dann möglicherweise durch erfolgreiche Abrüstungsgespräche hinfällig wird. 22 Der Rückführung auf das Territorium der USA wäre der wichtigste Schritt, um die Sicherheit der im Rahmen der nuklearen Teilhabe noch in Europa stationierten Waffen zu verbessern. Für eine Vornestationierung von taktischen Atomwaffen gibt es schon lange keine militärische Notwendigkeit mehr. Die Praxis der nuklearen Teilhabe ist ein Anachronismus aus der Zeit der Blockkonfrontation, der nur noch einen politischen Wert hat. Trotzdem sind die USA der einzige Atomwaffenstaat, der noch Atomwaffen auf dem Territorium von Nichtatomwaffenstaaten stationiert. Acht der 14 Staaten, auf deren Territorium heute Atomwaffen lagern, sind Mitglieder der NATO. Eine Beendigung der Vornestationierung wäre nicht nur ein wichtiges politisches Signal, ein solcher Schritt würde auch die Sicherheit der taktischen Atomwaffen erheblich verbessern. Im Rahmen des European Leadership Network haben im Vorfeld des NATO-Gipfels mehr als 40 aktive und ehemalige Staatsfrauen- und männer vorgeschlagen, dass die NATO in einem stufenweisen Prozess in Abstimmung zwischen der NATO und Russland eine weitere Reduzierungen und eine Konsolidierung der der taktischen Atomwaffen anstrebt welche letztendlich zum Abzug dieser Nuklearwaffen innerhalb der kommenden fünf Jahre führen sollte. 23 Langfristig wäre der Sicherheit Deutschlands und Europas durch solche Reduzierungen mehr gedient als durch politisch umstrittene Investitionen in die Beibehaltung von Nuklearkapazitäten, die keinen militärischen Zweck mehr erfüllen und deren Abrüstung ohnehin das erklärte Ziel der NATO ist. Dr. Oliver Meier (oliver.meier@ifsh.de) ist Wissenschaftlicher Referent am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (www.ifsh.de) und Internationaler Korrespondent der Arms Control Association (www.armscontrol.org). Informationen über das ACA/BASIC/IFSH-Projekt zur Reduzierung der Rolle taktischer Atomwaffen in der europäischen Sicherheit unter http://tacticalnuclearweapons.ifsh.de.

6 Das B61-12 Konzept 24 1 NATO: Deterrence and Defence Posture Review, Chicago, 20 May 2012, http://www.nato.int/cps/en/sid- D2530093-661337FA/natolive/official_texts_87597.htm?mode=pressrelease. Die deutsche Version NATO Überprüfung des Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs der NATO, ist verfügbar unter www.nato.diplo.de/contentblob/3528424/daten/2354619/chicagoposturereviewdtdld.pdf. (Zitiert im folgenden als DDPR.) 2 Daryl Kimball; Oliver Meier; Paul Ingram: NATO On Nuclear Weapons: Opportunities Missed and Next Steps Forward, Arms Control Now: The Blog of the Arms Control Association, 21 May 2012, armscontrolnow.org/2012/05/21/nato-on-nuclear-weapons-opportunities-missed-and-next-steps-forward. 3 Die in Europa stationierten B61-3 und -4 wurden ab 1979 produziert. 4 Diese Reduzierung der Sprengkraft betrifft insbesondere die strategische Variante B61-7, die eine maximale Sprengkraft von 360 KT hat. 5 Die Zielgenauigkeit der B61 ist geheim. Hans Kristensen vermutet, dass die ungesteuerte Variante der B61 eine Zielgenauigkeit von besser als 100 m hat, während die neue, satellitengesteuerte Waffe eine Zielgenauigkeit von mehr als 30 m haben wird. Siehe Hans Kristensen: B61 LEP: Increasing NATO Nuclear Capability and Precision Low-Yield Strikes, FAS Strategic Security Blog. Washington, D.C., 15 June 2011, http://www.fas.org/blog/ssp/2011/06/b61-12.php. 6 Douglas P. Guarino: Senators Suggest Freeze on B-61 Bomb Funding Pending Cost Estimates, Global Security Newswire, April 27, 2012, http://www.nti.org/gsn/article/senators-suggest-freeze-b-61-bomb-fundingpending-cost-estimates. 7 Markus Becker: Modernisierung der B61-Atombombe wird immer teurer, Spiegel Online, 16. Mai 2012 www.spiegel.de/wissenschaft/technik/modernisierung-der-b61-atombombe-wird-immer-teurer-a-832886.html. 8 DDPR, Absatz 12. (Hervorhebung Oliver Meier). 9 Die Bundesregierung argumentiert, dass die genauen Maßnahmenpakete des LEP bezüglich dieser Waffen sind von US-Seite noch nicht definiert seien. Antwort auf Große Anfrage der SPD auf die Große Anfrage der Abgeordneten Uta Zapf, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD BT-Drucksache 17/8843, 29.2.2012, Frage 105. 10 Der Eurofighter/Typhoon ist in keiner seiner Versionen als Träger von Nuklearwaffen ausgelegt, dies schließt die Exportversion ein. Eine mögliche Eignung des Eurofighter/Typhoon als nuklearwaffenfähiges Trägersystem ist seitens des Bundesministeriums der Verteidigung nicht untersucht worden. Ebda. 11 Ted Seay: Escalation by Default? The Future of NATO Nuclear Weapons in Europe, European Leadership Network for Multilateral Nuclear Disarmament and Non-proliferation (NATO Policy Brief, 2), May 2012, www.europeanleadershipnetwork.org/medialibrary/2012/05/10/e074ba2d/eln%20nato%20policy%20brief %202%20-%20Escalation%20by%20Default.pdf, S. 4. 12 Hans Kristensen: Non-Strategic Nuclear Weapons, Federation of American Scientists. Washington, D.C. (Special Report, 3), May 2012, www.fas.org/_docs/non_strategic_nuclear_weapons.pdf, S. 70-75. 13 Oliver Meier: NATO Sticks With Nuclear Policy, Arms Control Today, June 2012, www.armscontrol.org/act/2012_06/nato_sticks_with_nuclear_policy.

7 14 Final Document of the 2010 Review Conference of the Parties to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, NPT/CONF.2010/50 (Vol. I), New York, May 2010, Action 5.c). http://daccess-ddsny.un.org/doc/undoc/gen/n10/390/21/pdf/n1039021.pdf?openelement 15 General Accounting Office: Nuclear Weapons. DOD and NNSA Need to Better Manage Scope of Future Refurbishments and Risks to Maintaining U.S. Commitments to NATO, GAO-11-387, Washington, D.C. May 2011, http://www.gao.gov/new.items/d11387.pdf, S. 13. 16 Große Anfrage der SPD, a.a.o., Antwort auf Frage 105. 17 Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 16/214, 26.03.2009, S. 23124. 18 DDPR, Absatz 11. 19 DDPR, Absatz 8. 20 Hans Kristensen: B61 Nuclear Bomb Costs Escalating, FAS Strategic Security Blog. Washington, D.C., May 9, 2012, http://www.fas.org/blog/ssp/2012/05/b61cost.php. 21 DDPR, Absatz 28. 22 Oliver Meier; Paul Ingram: The NATO Summit: Recasting the Debate Over U.S. Nuclear Weapons in Europe, Arms Control Today 42 (4), S. 8 13, www.armscontrol.org/act/2012_05/ The_NATO_Summit_Recasting_the_Debate_Over_US_Nuclear_Weapons_in_Europe. 23 Von deutscher Seite ist die Erklärung von Wolfgang Ischinger, Volker Rühe und Uta Zapf unterzeichnet worden. European Leadership Network for Multilateral Nuclear Disarmament and Non-proliferation: Herausforderungen an die politische Führung der NATO auf dem Gipfel von Chicago, 18. Mai 2012, www.europeanleadershipnetwork.org/medialibrary/2012/05/17/4768f6c0/eln%20chicago%20statement_germ an.pdf. 24 Hans Kristensen: B61 LEP, a.a.o.