Niereninsuffizienz: Erkennen, überwachen und behandeln



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SEMINARE Niereninsuffizienz: Erkennen, überwachen und behandeln Aktuelle Empfehlungen für die Hausarztpraxis Mit freundlicher Unterstützung Amgen Switzerland AG Boehringer Ingelheim (Schweiz) GmbH

SEMINARE Niereninsuffizienz: Erkennen, überwachen und behandeln Aktuelle Empfehlungen für die Hausarztpraxis

Impressum Wissenschaftliches Patronat Prof. Andreas Bock, Kantonsspital Aarau Prof. Michel Burnier, CHUV Lausanne Prof. Markus Mohaupt, Universitätsspital Bern, BIDMC, Harvard Medical School Prof. Rudolf P. Wüthrich, USZ Zürich Dr. Ulrich Castelberg, Hausarzt Redaktionelle Bearbeitung Dr. med. Christine Mücke Dr. med. Susanne Schelosky Herausgeber Medical Tribune, Basel Layout Patrik Brunner Stefanie Eggimann Druck Hofmann Druck, Emmendingen (D) Mit freundlicher Unterstützung swissprofessionalmedia AG, Medical Tribune, Basel (2009) Die Medical Tribune ist bestrebt, diese Informationen korrekt und dem aktuellen Wissensstand entsprechend wiederzugeben, doch kann keinerlei Gewähr hinsichtlich inhaltlicher Richtigkeit, Genauigkeit, Aktualität und Vollständigkeit übernommen werden.

Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 6 1.1 Häufigkeit und Ursachen der Niereninsuffizienz 7 1.2 Stadien der Niereninsuffizienz 8 1.3 Screening und Abklärungsalgorithmus bei Nierenerkrankungen 10 1.4 Akutes Nierenversagen 12 1.5 Nephrologische Notfälle 12 1.6 (Manchmal übersehene) Hinweise auf Nierenkrankheiten 12 2. Nierenfunktion beurteilen und überwachen 13 2.1 Methoden zur Messung der Nierenfunktion 13 2.2 Methoden zur Messung der Proteinurie 17 2.3 Urinstatus und Sediment 19 2.4 Zusätzliche Laboruntersuchungen bei Nierenkrankheit 19 3. Verlangsamen der Progression 20 3.1 Antihypertensive Therapie 21 3.2 Behandeln der kardiovaskulären Risikofaktoren 26 3.3 Anpassen der Medikamentendosierung 26 3.4 Diät Wie sinnvoll? 28 4. Erkennen und Behandeln von Komplikationen 29 4.1 Anämie und Niereninsuffizienz 29 4.2 Probleme beim Knochenstoffwechsel 32 4.3 Nierenersatztherapien 34 4.4 Zusammenarbeit Hausarzt Nephrologe 35 5. Spezielle Krankheiten 36 5.1 Diabetische Nephropathie 36 5.2 Glomerulonephritis 37 5.3 Nierenarterienstenose 38 Präparate-Index 40 Studien 42 Internet-Links 44 Literatur 45

1. Einführung 6 Für zu viele Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz ist die Dialyse nach wie vor die therapeutische Endstation. In der Schweiz wurden im Jahr 2008 in 84 Dialysezentren 422 165 Hämodialysen durchgeführt, rund 3 000 Patienten waren dialysepflichtig, Tendenz steigend (Quelle: SVK). Da es sich hierbei um eine sehr aufwändige und teure Therapieform handelt, sind Massnahmen zur Früherkennung und -behandlung besonders wichtig. Ist eine Nierenerkrankung einmal erkannt, kann das Stadium der terminalen Niereninsuffizienz durch verschiedene Allgemeinmassnahmen, insbesondere durch eine intensivierte Blutdruckkontrolle, in vielen Fällen hinausgezögert werden. Bei einem dauerhaften und schweren Funktionsverlust der Nieren sind zahlreiche Organsysteme in Mitleidenschaft gezogen: Dies betrifft Blut (renale Anämie, hämorrhagische Diathese), Herz (linksventrikuläre Hypertrophie, koronare Herzkrankheit, Rhythmusstörungen, Perikarditis), Endokrinium (Hyperparathyreoidismus, Vitamin-D-Mangel, Gonaden-Dysfunktion), Stoffwechsel (Hyperlipidämie, Elektrolyte), Haut (Pruritus), Muskulatur (Myopathie), Skelett (Osteopathie), Verdauungsorgane (Anorexie, Erbrechen, Durchfall) und Nervensystem (Somnolenz, Krampfanfälle, Neuropathie). Die chronische Niereninsuffizienz ist ein hochrelevanter, viel zu oft unterschätzter Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Dieses Risiko, insbesondere für eine arterielle Hypertonie, steigt linear mit der Verminderung der Nierenfunktion an, also oft schon bevor das Serum-Kreatinin deutlich erhöht ist. Frühzeitige Diagnostik von Nierenkrankheiten ist daher wichtig, um kausale Therapien dort einzuleiten, wo dies möglich ist, und in allen anderen Fällen, um kardiovaskuläre Prävention zu betreiben, die Progression der Niereninsuffizienz zu verlangsamen und um Komplikationen der Niereninsuffizienz zu verhindern. Frühdiagnose von Nierenkrankheiten ist wichtig für: kausale Therapieoptionen adäquate kardiovaskuläre Prävention Verlangsamung der Progression (Abb. 2, Seite 8) Vorbeugung und Behandlung von Komplikationen Die konservative Therapie der chronischen Niereninsuffizienz verfügt heute über ein breites Arsenal therapeutischer Möglichkeiten, das für den Patienten einen individuellen Nutzen zur Verlangsamung der Progression und zur Verbesserung der Lebensqualität bringt. In gesundheitspolitischer Sicht führt eine Erhaltung der Nierenfunktion zu einer deutlichen finanziellen Entlastung, wenn die Kosten der Medikamente den eingesparten Kosten für Hospitalisation, Betreuung und Nierenersatztherapie gegenüber gestellt werden. Der Nephro-

Abb. 1 Häufige Nierenkrankheiten Dialyse Kantonsspital Aarau, Januar 2009, n=99 Patienten Vaskuläre Nephropathie Andere Nephropathien 16% 11% 23% Interstitielle Nephritis 7% 4% 8% 31% Obstruktive NP/ Pyelonephritis Zystennieren Diabetische Nephropathie Glomerulonephritis loge sollte präventiv und im Langzeitverlauf immer wieder konsultativ zu Rate gezogen werden. 1.1 Häufigkeit und Ursachen der Niereninsuffizienz Die Häufigkeit der Niereninsuffizienz nimmt zu. Etwa 20 % der über 65-Jährigen haben in den USA eine eingeschränkte Nierenfunktion im Stadium 3 bis 4. 1 Während Diagnosen wie Glomerulonephritis oder Zystennieren einen konstanten Prozentsatz in der Dialysepopulation bilden und die Analgetika-Nephropathie nahezu verschwunden ist, nimmt vor allem die Häufigkeit der diabetischen Nephropathie zu (Abb. 1). Besonderer Aufmerksamkeit im Hinblick auf eine ursächliche oder assoziierte Nierenkrankheit bedürfen Patienten mit: arterieller Hypertonie Diabetes mellitus kardiovaskulären Erkrankungen einschliesslich Herzinsuffizienz Systemerkrankungen (Kollagenosen, Hepatitis B und C, HIV-Infektion, Rhabdomyolyse, Hämolyse) und onkologisch-hämatologischen Erkrankungen (z.b. multiples Myelom) Hinweisen für obstruktive Nierenerkrankungen (rezidivierende Harnwegsinfekte, Nierensteine, Prostataerkrankungen, Enuresis) hypertensive Schwangerschaftserkrankungen einschl. Präeklampsie, tiefes Geburtsgewicht Familienanamnese für Nierenerkrankungen (Zystennieren, Alport-Syndrom) Exposition gegenüber nephrotoxischen Medikamenten (Analgetika, NSAR,

Antibiotika, Virostatika, Immunsuppressiva, Lithium) oder Substanzen (Röntgenkontrastmittel) Zustand nach intravaskulären Katheteruntersuchungen oder Antikoagulation (Cholesterinembolien) Darüber hinaus finden sich beeinflussbare und nicht beeinflussbare Risikofaktoren für eine chronische Niereninsuffizienz. Wichtige reversible Einflüsse stellen der Blutdruck, Rauchen, Übergewicht, eine Hyperglykämie und eine Hyper- /Dyslipidämie dar (Abb. 2). 1.2 Stadien der Niereninsuffizienz Von chronischer Niereninsuffizienz sprechen wir, wenn eine Nierenschädigung seit mindestens drei Monaten besteht. Die Stadien der chronischen Nierenkrankheit werden durch die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) definiert (Tab. 1, Seite 9), die normalerweise 120 ml/min/1,73 m² beträgt. Obwohl der Übergang zwischen den Stadien der Niereninsuffizienz fliessend ist, stellt diese Einteilung eine wertvolle Hilfe dar, um zur richtigen Zeit die richtigen Massnahmen zu treffen. Die Komplikationen, die in bestimmten Stadien auftreten können, sollen aktiv gesucht und behandelt werden. In allen Stadien ist auf eine optimale Blutdruckeinstellung zu achten, um die Progression zu verlangsamen. Abb. 2 Faktoren für die Progression einer Niereninsuffizienz Stoffwechseleinstellung beim Diabetiker Eiweisszufuhr Hyper- und Dyslipidämie metabolische Azidose Hyperphosphatämie Prognose der Grunderkrankung Progression einer Niereninsuffizienz Nikotinabusus systemischer Blutdruck Stadium der Grunderkrankung Volumenzufuhr genetische Faktoren geschlechtsspezifische Unterschiede intrarenale Hämodynamik metabolische Faktoren hämodynamische Faktoren therapeutisch nicht beeinflussbare Faktoren

Tab. 1 Stadium 1: Schaden Stadien der chronischen Nierenkrankheiten GFR [ml/min /1,73m 2 ] > 90, aber Albuminurie Anteil an Bevölkerung [%] 3 Kardiovaskuläres Risiko a Abhängig vom Ausmass der Proteinurie 2: leicht 60 89 3 1,5 x 3: mittelschwer 30 59 4 2 4 x 4: schwer 15 29 0,2 4 10 x 5: terminal < 15 0,1 10 1000 x Zu tun Diagnostik Risikofaktoren-Behandlung: Hypertonie, Lipide, Rauchen plus Abschätzung der Progression plus Behandlung von Komplikationen (Anämie, Hyperparathyreoidismus) Vorbereitung Nierenersatztherapie Nephrologe Nephrologe: Dialyse/Transplantation 9 GFR: glomeruläre Filtrationsrate. a Das kardiovaskuläre Risiko ist angegeben als x-faches (engl. odds ratio ) des Risikos einer Vergleichsgruppe ohne Nierenerkrankung. Diese relative Zunahme des Risikos ist bei jüngeren Personen wesentlich grösser als bei älteren. So ist das kardiovaskuläre Risiko eines 20-jährigen Dialysepatienten etwa 1000-fach höher als das mittlere Risiko dieser Altersgruppe. Tab. 2 Niereninsuffizienz Folgen in 5 Jahren Endpunkt Stadium 2 GFR 60 89 ml/min Progression Nierenersatz Stadium 3 GFR 30 59 ml/min 1,1% 1,3% 19,9% Tod 19,5% 24,3% 45,7% Stadium 4 GFR 15 29 ml/min Keith DS, et al. Arch Intern Med 2004;104: 659 663 Die chronische Niereninsuffizienz ist ein unabhängiger Risikoindikator für Tod oder kardiovaskuläre Ereignisse. 2 Kardiovaskuläre Komplikationen sind häufiger als das Fortschreiten zur teminalen Niereninsuffizienz, die ein Nierenersatzverfahren nötig macht. 3 Von Patienten mit einer Niereninsuffizienz im Stadium 4 brauchen innert fünf Jahren rund 20 % eine Nierenersatztherapie; es versterben jedoch im gleichen Zeitraum 46 %, überwiegend an kardiovaskulären Krankheiten (Tab. 2). 4 Umgekehrt kann eine Herzinsuffizienz zur Niereninsuffizienz führen. Die Verschlechterung der Nierenfunktion bei kardiovaskulären Erkrankungen ist oft

durch eine klinisch oft stumme Atherosklerose der Nierengefässe bedingt. Bei Linksherzinsuffizienz kommt ein prärenales Nierenversagen hinzu. 10 1.3 Screening und Abklärungsalgorithmus bei Nierenerkrankungen 1.3.1 Screening Bei Diabetikern, Hypertonikern und Patienten mit nur einer Niere sollte periodisch die Nierenfunktion untersucht werden (Serumkreatinin, Proteinurie, Urinsediment). Für Diabetiker gilt ein struktiertes Screeningprogramm ( Kapitel Spezielle Krankheiten, Diabetische Nephropathie). Bei Hypertonikern muss zu Beginn eine relevante Nierenkranheit ausgeschlossen werden, was nach den Richtlinien der Schweizerischen Hochdruckgesellschaft (www.swisshypertension.ch) die Messung von Serumkalium und -Kreatinin sowie Urinstatus (Teststreifen), Urinsediment und die Bestimmung der Mikroalbuminurie beinhaltet. Nierenfunktion und Mikroalbuminurie sollten auch unter antihypertensiver Therapie periodisch kontrolliert werden. Die genaue Diagnosestellung eines Nierenleidens ist oft Spezialistensache; der Hausarzt kann aber durch eine strukturierte Vorabklärung den Diagnoseprozess sehr beschleunigen. 1.3.2 Abklärung von Nierenerkrankungen Grob kann man die Nierenkrankheiten in glomeruläre, tubulointerstitielle und vaskuläre Nephropathien einteilen. Glomeruläre Nephropathien sind durch Proteinurie verschiedenen Ausmasses und oft durch Mikrohämaturie gekennzeichnet, während tubulointerstitielle Nephropathien in der Regel ein blandes Urinsediment und nur eine geringe Proteinurie haben. Vaskuläre Nephropathien schliesslich haben ebenfalls ein blandes Sediment und üblicherweise keine Proteinurie. Eine der wichtigsten Methoden zur Differenzialdiagnose glomerulärer und tubulointerstitieller Nierenerkrankungen ist die Nierenbiopsie. Sie wird bei allen Patienten mit unklarer Nephropathie eingesetzt, ausser bei Patienten mit polyzystischer Nierenerkrankung (ADPKD) oder äquivalenten zystischen oder tumorösen Nierenerkrankungen, klarer Nephroangiosklerose und diabetischer Nephropathie mit Retinopathie (selbst hier werden jedoch bis zu 25 % Glomerulonephritiden verpasst), Mikrohämaturie bei Verdacht auf Syndrom der dünnen Basalmembran, sowie in der Schwangerschaft (ausser bei rapid progressiver glomerulärer Nephritis und/oder lebensbedrohlichem nephrotischem Syndrom vor der 32. SSW). Steht fest, dass eine Niereninsuffizienz mit einer GFR <60 ml/min/1,73 m 2 vorliegt, ist zunächst zu klären, ob ein akutes oder chronisches Nierenversagen vorliegt. Hierfür sind wo vorhanden frühere Serumkreatininbestimmungen hilfreich sowie die Wiederholung der Serumkreatininbestimmung innert weniger Tage. Rasch ansteigendes Serumkreatinin spricht für akutes Nierenversagen. Gleichzeitig sollte eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt werden, bei der es um

Abb. 3 Diagnostik der Niereninsuffizienz 3. 2. 1. Kreatinin, Cystatin C -> Stadium und Progression? Ultraschall, Klink, Urin-Indizes -> akut/chronisch, prä/postrenal? wenn renal: Urinstatus, Urinsediment, Protein/Krea, Proteinprofil, freie Leichtketten im Serum glomerulär tubulo-interstitiell vaskulär 11 Serologien, Komplement Nierenbiopsie Noxensuche Nierenbiopsie Farbduplex (MR) Angio die Nierengrösse (Schrumpfnieren = chronisches Nierenversagen, geschwollene Nieren bei akuter Nephritis), und den Ausschluss einer Stauung (postrenales Nierenversagen) geht (Abb. 3). Der Ultraschall gibt gleichzeitig wichtige Aufschlüsse über eine eventuelle Einnierigkeit und über die Morphologie der Niere (vaskuläre oder pyelonephritische Narben?). Gleichzeitig muss man versuchen zu entscheiden, ob die Niereninsuffizienz prärenal bedingt sein könnte. Halsvenen, die sich in Flachlage nicht füllen, und ein tiefer bis normaler Blutdruck mit orthostatischem Abfall deuten hierauf hin (fast alle Nierenkrankheiten verursachen Hypertonie!). Die Differenzialdiagnose zwischen prärenaler und renaler Ursache ist oft schwierig, vor allem wenn Ödeme bestehen, die trotz intravasalen Volumenmangels den Eindruck von Volumenexpansion erwecken. Die Bestimmung der fraktionellen Natrium-, Harnsäure- und Harnstoff-Ausscheidung aus Portionenunrin ist in jedem Fall äusserst nützlich, aber üblicherweise in der Praxis nicht verfügbar. Steht fest, dass eine renale ( = renoparenchymatöse) Niereninsuffizienz vorliegt, helfen Urin-Proteinprofil und weitere Spezialuntersuchungen, die Nierenkrankheit in die drei Hauptgruppen glomerulär, tubulo-interstitiell und vaskulär einzuordnen. Meist erfolgt die weitere Abklärung beim nephrologischen Facharzt. Zur endgültigen Klärung ist bei glomerulärer und tubulointerstitieller Nephropathie sowie bei unerklärtem akutem Nierenversagen häufig eine Nierenbiopsie notwendig. Dies ist besonders dann obligat, wenn

12 eine differenzierte, ggf. zytotoxische Therapie (Steroide, Alkylantien, Ciclosporin ) erwogen wird. Bei vaskulären Nephropathien können Gefässuntersuchungen (Farb-Duplex), MRA (bei schwer eingeschränkter Nierenfunktion als TOF-MR-Angiographie ohne Gadolinium) oder konventionelle Angiografie nötig sein (Abb. 3, Seite 11). 1.4 Akutes Nierenversagen Besteht bereits eine chronische Niereninsuffizienz, so ist die Niere besonders anfällig für akute schädigende Einflüsse. Alarmsymptome können eine plötzliche Abnahme der Urinmenge (Oligo- oder Anurie), aber auch Volumenretention und Blutdruckanstieg sein. Anamnese, Serumkreatinin, Sediment und Ultraschall sind die primären diagnostischen Massnahmen. Merkpunkte für das akute Nierenversagen sind: 1. Jeder unklare Serumkreatininanstieg oder pathologische Sedimentsbefund ist kurzfristig nachzukontrollieren. 2. Chronische Niereninsuffizienz macht anfällig für zusätzliches akutes Nierenversagen. Besondere Gefährdung besteht bei: septischen Infekten (z.b. Pneumonie, Divertikulitis etc.) Dehydratation (z.b. Gastroenteritis mit Diarrhö/Erbrechen) nephrotoxischen Medikamenten 3. Bei rapid progressiver Glomerulonephritis und Plasmozytomniere kann sich innert Tagen ein irreversibles akutes Nierenversagen entwickeln. 1.5 Nephrologische Notfälle Nephrologische Notfälle, die eine rasche Spitaleinweisung verlangen, sind: das akute Nierenversagen, welches prärenal, postrenal oder renal bedingt sein kann. Renale Ursachen, die besonders rasch aggressiv behandelt gehören, sind: - die rapid progressive Glomerulonephritis / Vaskulitis - die Plasmocytomniere - die akute tubulo-interstitielle Nephritis der Nierenpatient mit Hyperkaliämie der Nierenpatient mit Lungenödem der Nierenpatient mit schwerer metabolischer Azidose (klinisch Tachypnoe) der Nierentransplantierte mit Fieber oder Erbrechen 1.6 (Manchmal übersehene) Hinweise auf Nierenkrankheiten Hypertonie, vor allem bei positivem Urinteststreifen (Protein, Blut) unerklärte Anämie Schwäche, Inappetenz Ödeme

2. Nierenfunktion beurteilen und überwachen 2.1 Methoden zur Messung der Nierenfunktion Serumkreatinin Der Kreatininwert im Serum wird oft zur Schätzung der Nierenfunktion verwendet (Abb. 4). Neben der GFR wird die Höhe des Serumkreatinins durch andere Faktoren beeinflusst und ist deshalb allein genommen schwierig zu interpretieren. 5 1. Alter: Die Kreatininproduktion nimmt mit dem Alter ab 2. Muskelmasse: Je höher die Muskelmasse, desto höher das Kreatinin 3. Tubuläre Sekretion des Kreatinins: Erzeugt eine nicht-glomeruläre zusätzliche Kreatininclearance von rund 15 ml/min (Abb. 5, Seite 14). Die GFR wird somit bei fortgeschrittenen Stadien eher überschätzt. Dieser Effekt ist bei guter GFR weniger relevant als bei schlechter, wo die GFR nur etwa halb so hoch ist wie die Kreatininclearance 4. Medikamente: Die tubuläre Kreatininsekretion wird auch durch manche Medikamente gehemmt (Co-trimoxazol!) 5. Reziproke Beziehung zwischen Kreatinin und GFR a. Oberer Bereich der GFR: kleiner Kreatininanstieg grosser Abfall der GFR 13 Abb. 4 Serumkreatinin Normbereich Serumkreatinin (µmol/l) 800 700 600 20-jähriger Mann, 70 kg 500 Normal 400 60-jährige Frau, 60 kg 300 200 100 Normbereich 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 Kreatinin-Clearance (ml/min)

14 b. Unterer Bereich der GFR: bedeutender Kreatininanstieg geringer Abfall der GFR c. Daher ist ein leicht erhöhter Wert nicht zwingend Ausdruck einer verminderten Nierenfunktion (z.b. bei grosser Muskelmasse), während selbst bei normalen Kreatininwerten bereits eine mittelschwere Niereninsuffizienz bestehen kann. Serumharnstoff Die Höhe des Serumharnstoffgehaltes hat eine geringe Aussagekraft. Sie steigt bei kataboler Stoffwechsellage, hoher Eiweisszufuhr, und relativ bei prärenaler Nierenfunktionseinschränkung (z.b. Dehydratation, Herzinsuffizienz, Leberinsuffizienz, Nierenarterienstenose). Schätzung der Nierenfunktion mittels Kreatinin-basierter Formeln Die nachfolgend aufgeführten Formeln gelten nur für den Steady state, d.h. für ein stabiles Kreatinin. Wenn das Kreatinin von Tag zu Tag steigt, dürfen sie nicht verwendet werden. Abb. 5 Die Crux mit der Kreatinin-Clearance 240 200 N = 171 r = 0,831 Krea-Clearance 160 120 80 40 0 15 % 60 % 20 40 60 80 100 120 140 160 Inulin-Clearance = GFR Tubuläre Kreatinin-Sekretion: Zusatz-Clearance von ca. 15ml/min Shemesh et al., Kidney Int 1985; 28: 830-838

A. Cockcroft-Gault Formel Diese Formel (Abb. 6) schätzt die Kreatinin-Clearance in ml/min. Sie ist bei Patienten mit Adipositas möglicherweise ungenau und überschätzt wegen der tubulären Kreatininsekretion die glomeruläre Filtrationsrate. Äquivalent, aber im Kopf einfacher zu rechnen, ist die Dettli-Formel : Kreatinin- Clearance = (150 Alter) x Gewicht / P Kreatinin, korrigiert um + 10 % für Männer bzw. 10 % für Frauen. Abb. 6 Schätzen der Kreatinin-Clearance mit Cockcroft-Gault-Quotient 15 Kreatinin-Clearance = [ml/min] (140 Alter) Gewicht P Kreatinin 1,23 für Männer 1,03 für Frauen B. MDRD-Formel Diese Formel (Abb. 7) schätzt die GFR in ml/min/1,73 m 2 auf der Basis des Serum-Kreatinins. Sie ist die Grundlage für die oben beschriebene Stadieneinteilung der chronischen Niereninsuffizienz. Die Formel ist kompliziert, kann jedoch auf den PC geladen oder online berechnet werden (z.b. www.nephron.com oder www. mdrd.com). www.medcalc.com berechnet gleichzeitig die Cockcroft-Gault- Schätzung und die MDRD-Formel. Wenn die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) nach der MDRD-Formel berechnet wird, besteht die Gefahr, dass zu viele ältere Personen, insbesondere Frauen, schon bei normalen Serumkreatininwerten als niereninsuffizient eingeschätzt werden, hier sollte man den Wert hinterfragen. Auch bei Personen mit geringer Muskelmasse (Steroidtherapie, lange schwere Krankheit, Kachexie) schätzt die MDRD-Formel die GFR falsch hoch. Abb. 7 GFR-Schätzung mit MDRD-Formel in ml/min/1,73 m 2 GFR [ml/min/1,73 m 2 ] = MDRD-Formel 32841 x SerumKrea -1,15 x Alter -0,203 x 0,742 (wenn Frau) x 1,21 (wenn Afro-Amerikaner) www.nephron.com www.mdrd.com www.medcalc.com/gfr.html Kreatinin in µmol/l

C. Schätzung mit Cystatin C Cystatin C ist ein Cystein-Protease-Inhibitor, der nahezu in allen kernhaltigen Zellen mit konstanter Rate produziert und in die Blutbahn sezerniert wird. Mit einem Molekulargewicht von 13 kd wird er glomerulär frei filtriert, allerdings im proximalen Tubulus vollständig abgebaut. Die Serumkonzentrationen sind nach Erreichen des 1. Lebensjahres unabhängig vom Lebensalter, von der Muskelmasse, vom Geschlecht, von der Rasse und den Ernährungsgewohnheiten. Daraus ergibt sich, dass Cystatin C in der Pädiatrie sowie in der Geriatrie zur GFR-Schätzung dem Kreatinin überlegen sein kann. 6 16 In der Erwachsenenmedizin reicht die GFR-Schätzung aus dem Serumkreatinin mit der MDRD-Formel oder der Cockcroft-Gault-Schätzung meist aus. Implausible Resultate können aber sehr gut mittels Cystatin C überprüft werden. Dies gilt vor allem für Situationen, in welchen von einer verminderten Muskelmasse auszugehen ist (Muskelerkrankungen, Leberzirrhose, sehr alte Patienten, Malnutrition, paraplegische/quadriplegische Patienten, amputierte Patienten, vegetarische Ernährung). Bei der Interpretation von Cystatin-C-Werten ist v. a. auf Glukokortikoid-Medikation oder Schilddrüsendysfunktion zu achten (Abb. 8). Bei instabiler Nierenfunktion ist das Cystatin allerdings genauso wertlos wie das Serumkreatinin. D. Messung der 24-h-Kreatinin-Clearance Die Messung der Kreatinin-Clearance im 24-h-Urin wird zur Bestimmung der Nierenfunktion immer dann durchgeführt, wenn der Verdacht besteht, dass die in den Formeln geschätzte Muskelmasse nicht entsprechend ist. Solche Situationen sind 5 hohes Alter (>80 Jahre) ausgeprägte Malnutrition oder Adipositas Erkrankungen der Muskulatur streng vegetarische oder vegane Diät instabile Nierenfunktion Kreatin-Clearance = [ml/min] Urin-Kreatinin [µmol/l] Urinvolumen [ml] Plasma-Kreatinin (µmol/l) Zeit (min) Da Sammelfehler häufig sind, muss die 24-h-Kreatinin-Clearance stets mit Vorsicht interpretiert werden. Eine genaue Patienteninstruktion ist Voraussetzung.

Abb. 8 Cystatin versus GFR Iohexol ml/min 125 100 75 50 y = 77,239 x -1.2623 R 2 = 0,9082 17 25 0 0 1 2 3 5 Cystatin C DADE mg/l Larsson, Scand J Clind Lab Invest 2004; 64: 25-30 2.2 Methoden zur Messung der Proteinurie Definitionen Mikroalbuminurie: 30 bis 300 mg Albumin/Tag, Alb/Krea-Quotient 2,3 bis 23 mg/mmol Makroalbuminurie: >300 mg Albumin/Tag, Alb/Krea >23 mg/mmol Proteinurie: >300 mg Protein/Tag Nephrotische Proteinurie: >3,5 g Protein/Tag Eine Proteinurie >1 g korreliert mit der Progredienz der chronischen Niereninsuffizienz (entsprechend einem Protein/Kreatinin-Quotienten > 100 mg/mmol). Vorgehen 1. Die Messung von Albuminurie oder Proteinurie gehört zur Basisdiagnostik nicht nur bei jedem Verdacht auf und in der Verlaufskontrolle der Niereninsuffizienz, sondern auch bei arterieller Hypertonie und besonders beim Diabetes mellitus, da das Vorliegen einer Mikroalbuminurie ein wesentlicher prognostischer Faktor ist. 2. Zweckmässig ist es, zunächst mit einem simplen Urin-Teststreifen Makroproteinurie oder Harnwegsinfekt auszuschliessen. Fehlt beides, so sollte in einem Frischurin (am besten im 2. Morgenurin) der Albumin-/Kreatinin-Quotient bestimmt werden (oberer Normalwert: 2,3 mg/mmol).

18 3. Bei Makroproteinurie im Teststreifen folgt als nächster Schritt die Bestimmung des Protein-/Kreatinin-Quotienten im Frischurin (oberer Normwert: 30 mg/mmol). 4. Die Bestimmung des Albumin-/Kreatinin-Quotienten oder des Protein-/ Kreatinin-Quotienten) im Frischurin hat die früher übliche Bestimmung anhand des 24-Stunden-Urins weitgehend ersetzt. Diese Quotienten sind zumindest beim Einzelpatienten mit seiner fixen Kreatininausscheidung der 24-Stunden- Ausscheidung proportional (s. Abb. 9). 5. Die Eiweissausscheidung im Urin ist nicht aussagekräftig bei: febrilem Infekt Harnwegsinfekt nach starker körperlicher Anstrengung bei unkontrollierter Hypertonie Abb. 9 Protein-Kreatinin-Quotient Genauigkeit der Schätzung Urinausscheidung g/24 h (log) 3 2 1 0-1 -2-3 -4 y = 0,948 + 0,211 r2 = 0,868 r = 0,932 SDR = 0,512-5 -5-4 -3-2 -1 0 1 2 3 Spoturin morgens: Protein-/Kreatinin-Quotient Korrelation zwischen Spoturin morgens und 24-h-Ausscheidung Ruggenenti, BMJ 1998; 316:504 509 Albuminurie / Proteinurie Bedeutung als Risikofaktor Bei essenzieller Hypertonie ist die Mikroalbuminurie ein Marker für endothelialen Schaden und somit für das kardiovaskuläre Risiko. Beim Diabetes mellitus zeigt Mikroalbuminurie und erst recht Proteinurie eine beginnende Nierenschädigung an. Patienten mit Typ-1-Diabetes sollten ab dem fünften Diagnosejahr, mit Typ-2-Diabetes ab Diagnose jährlich auf eine Mikroalbuminurie/Proteinurie untersucht werden (Screening-Schema siehe Abschnitt 5.1 Diabetische Nephropathie und Abb. 13, Seite 37).

2.3 Urinstatus und Sediment Der Urinstatus (Teststreifen) ist ein ausgezeichneter Screeningtest für die renalen Kardinalsymptome Proteinurie, Mikrohämaturie und Leukozyturie. Er kann wichtige Hinweise auf die zugrunde liegende Nierenkrankheit liefern. Immer wenn der Verdacht auf eine Nierenerkrankung besteht, sollte zusätzlich das Urinsediment im Phasenkontrastmikroskop untersucht werden. Dysmorphe ( glomeruläre ) Erythrozyten, granulierte Zylinder und Wachszylinder sind starke Hinweise für das Vorliegen einer Nierenerkrankung. Die Beurteilung der Erythrozyten im Urinsediment braucht Übung. Werden dysmorphe Erythrozyten allerdings in genügender Anzahl gefunden, beweisen sie die glomeruläre Herkunft einer Mikrohämaturie, was Zystoskopie, retrograde Pyelographie und CT überflüssig macht und die entsprechenden Kosten spart. 19 2.4 Zusätzliche Laboruntersuchungen bei Nierenkrankheit Kalium Eine Hypokaliämie ist häufige Folge einer Diuretikatherapie. Hyperkaliämie muss vor allem bei Therapie mit ACE-Hemmern, Angiotensin-II-Antagonisten, Reninhemmern, NSAR oder kaliumsparenden Diuretika gesucht werden. Kalzium, Phosphor, Parathormon Ab Stadium 3 sollten diese Parameter regelmässig kontrolliert werden, um Gefässverkalkungen (Folge von Hyperphosphatämie >1,6 mmol/l) und Hyperparathyreoidismus (Folge von Hyperphosphatämie sowie Mangel an aktiviertem Vitamin D 3 ) frühzeitig zu entdecken und zu behandeln. Bicarbonat Ab Stadium 4 kommt es häufig zu einer chronisch metabolischen Azidose, die zu Proteinkatabolismus führt. Das Bicarbonat im venösen Blut (VBGA oder Total-CO 2 ) sollte durch intensivierte Diuretikatherapie oder Zugabe von Natriumhydrogencarbonat per os oder Backpulver auf mindestens 22 mmol/l gehalten werden. Hämoglobin, Ferritin, Transferrinsättigung Bereits im Stadium 2 bis 3 kann es zum Auftreten einer behandlungsbedürftigen renalen Anämie (Hb<11,0 g/dl) kommen. Urin-Proteinprofil Diese üblicherweise nur von grossen Labors angebotene, nicht ganz billige, Untersuchung erlaubt es, durch quantitative Untersuchung von Markerproteinen im Urin (Albumin, IgG, alpha1-mikroglobulin, retinolbindendes Protein) zu entscheiden, ob eine Proteinurie dominant glomerulärer oder tubulärer Herkunft ist (Unterscheidung in glomeruläre oder tubulo-interstitielle Nierenkrankheit),

und ob bei glomerulärer Schädigung die Störung der Membranpermeabilität gering (selektive Proteinurie) oder schwer (unselektive Proteinurie) ist. Bestimmung der freien Leichtketten im Serum Monoklonale Gammopathien sind die grossen Imitatoren bei den Nierenkrankheiten. Pathogen sind ausschliesslich Leichtketten, nicht die intakten monoklonalen Immunglobuline, welche man am M-Gradienten erkennt. Leichtketten im Urin werden durch die üblichen Protein-Teststreifen nicht erfasst. Der beste Screeningtest ist heute die Bestimmung der freien Leichtketten im Serum. 20 3. Verlangsamen der Progression Ab einem gewissen Grad der Nierenschädigung schreitet die Niereninsuffizienz unabhängig von der zugrunde liegenden Schädigung fort. Hauptsächlicher Mechanismus ist die Hyperfiltration der verbleibenden Nephrone, welche durch Erhöhung des glomerulären Drucks entsteht. 3 Erhöhter glomerulärer Druck führt seinerseits zur Schädigung der glomerulären Filtrationsbarriere und zu Proteinurie. Es ist etabliert, dass die Proteinurie selbst pathogen ist. Die pathogenetische Kaskade führt hier über die tubuläre Resorption des filtrierten Eiweisses, die zur Induktion von Entzündungsmediatoren und Angiotensin II sowie zu tubulointerstitieller Entzündung führt. Abb. 10 Progressionsverlangsamung bei proteinurischen Patienten durch Blutdrucksenkung GFR-Verlust pro Jahr (ml/min) 0 4 8 12 GFR > 25 ml/min GFR < 25 ml/min Blutdruckziel 140/90 mm Hg Blutdruckziel 120/80 mm Hg <1 1-3 > 3 <1 1-3 > 3 Proteinurie (g/tag) 0 4 8 12 MDRD trial: NEJM 1994; 330: 877-884

Daher beinhalten die wirksamen Strategien der Progressionsverlangsamung eine Reduktion der Proteinurie auf Werte < 1g/24h durch (Abb. 10): aggressive Behandlung der (renalen) Hypertonie Blockade des Renin-Angiotensin-Systems mit ACE-Hemmern, Angiotensin- II-Antagonisten oder Reninhemmern, die fast immer durch Diuretika in ihrer Wirkung gesteigert werden müssen. Die vorgeschädigte Niere reagiert sehr empfindlich auf einen erhöhten Blutdruck. Selbst eine geringe Erhöhung des Blutdrucks beschleunigt den Verlust der Nierenfunktion. Die Progression der chronischen Niereninsuffizienz ist bei einem systolischen Druck von 110 bis 129 mmhg am langsamsten. Über 130 mmhg kommt es rasch zu einer Zunahme der Progression. 21 3.1 Antihypertensive Therapie 50 bis 75 % der Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz haben eine Hypertonie. Die Hypertonie ist einerseits Ursache, aber auch eine Folge von Nierenkrankheiten. Die Blutdrucksenkung ist per se von grosser Bedeutung, unabhängig vom Medikament. Je schwerer die Proteinurie, desto wichtiger ist die Blutdruckeinstellung. 7 Tab. 3 Blutdruck Therapieziel < 130/80 mmhg oder <125/75 mmhg bei Proteinurie > 1,0g/24h und erhöhtem Serumkreatinin Wahl der Medikamente Die Blockade des Renin-Angiotensin-Systems ist sehr wichtig. 3 Als erstes Medikament soll immer ein ACE-Hemmer oder ein Angiotensin-II-Antagonist (A-II-A) eingesetzt werden. 8 Bei Patienten mit diabetischer Nephropathie, arterieller Hypertonie oder hohem kardiovaskulärem Risiko konnten ACE-Hemmer und A-II-A, aber nicht die Kombination beider Klassen, das renale Überleben erhöhen und die Mortalität senken. Oft erreicht man aber die Blutdruckzielwerte nicht mit einer Monotherapie. Kombiniert wird bei den Nierenpatienten primär mit einem Diuretikum. Als drittes Medikament kommt ein Kalziumkanalblocker oder allenfalls ein Betablocker in Frage. 1. ACE-Hemmer oder A-II-A 2. Diuretikum 3. Kalziumantagonist oder Betablocker Durch Senkung des Blutdrucks kommt es zu einer Senkung des glomerulären Drucks. Bei ACE-Inhibitoren und A-II-A kommt es bei gleicher Blutdrucksenkung

22 durch Erweiterung der efferenten Arteriole zu einer besonders ausgeprägten Senkung des glomerulären Drucks, was einen zusätzlichen nephroprotektiven Effekt hat. 9 Durch die glomeruläre Drucksenkung kommt es bei jeder wirksamen antihypertensiven Therapie zu einer gewissen Verschlechterung der GFR, die bis zu einem gewissen Grad zu akzeptieren ist. Auch bei Patienten mit allgemeinen Zeichen einer Arteriosklerose bzw. solchen mit Typ-2-Diabetes ist die chronische Nierenerkrankung als massives, zusätzliches kardiovaskuläres Risiko etabliert. 2 Interventionen zur Behandlung der Atherosklerose (z. B. Statine, ASS, ACE-Hemmer) sind bei chronischer Nierenerkrankung mindestens so wirksam bzw. noch deutlich wirksamer als bei Personen ohne chronische Nierenerkrankung (s. unten) 10 ACE-Hemmer oder/und Angiotensin-II-Antagonisten? ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Antagonisten (A-II-A) können mit einer niedrigen Dosis begonnen werden, sollen dann aber bis zur vollen Dosis gesteigert werden. 8 Die blutdrucksenkenden Effekte sind gleichwertig. Einen gewissen Vorteil haben die A-II-A im Bereich der Nebenwirkungen: Bei etwa 15 % der Patienten, die mit ACE-Hemmern behandelt werden, tritt nach gewisser Zeit ein Reizhusten auf ein Phänomen, das die A-II-A vermeiden 11 und so die Compliance verbessern können. Wie alle antihypertensiven Therapien kann die Therapie mit ACE-Hemmern respektive A-II-A zu einer Kreatininerhöhung führen. Dies ist in einem gewissen Rahmen zu akzeptieren, solange die GFR nicht unter 15 ml/min/1,73 m 2 abfällt oder es (bei schwerer Niereninsuffizienz) zu einem Anstieg des Phosphors kommt. Eine über 50-prozentige Verschlechterung der Nierenfunktion sollte an das Vorliegen einer (ein- oder beidseitigen) Nierenarterienstenose denken lassen. Kommt es unter ACE- Hemmern oder A-II-A zu einer Hyperkaliämie, sollten die Diuretika erhöht werden. Gelegentlich wird empfohlen, bei Proteinurie einen A-II-A und einen ACE-Hemmer zu kombinieren, es resultiert allerdings für die Blutdrucksenkung nur ein geringer Gewinn (ca. 4 mmhg). Diskutiert wird, dass diese Kombination in Bezug auf die Nephroprotektion Sinn machen könnte. 12 Mehrere Studien, zuletzt die ONTARGET- Studie (Kombination Ramipril, Telmisartan) mit 25 620 Hochrisiko-Hypertonikern (es lagen bereits Endorganschäden vor) konnten das aber nicht bestätigen. 13 Übersicht über verschiedene Angiotensin-II-Antagonisten Zum Nieren-Schutz ist für ACE-Hemmer (Captopril, Lisinopril, Enalapril und Perindopril) sowie für einige Angiotensin-II-Antagonisten wie Irbesartan, Losartan, Telmisartan und Valsartan die Progressionshemmung der Nephropathie belegt. Immer wieder wird diskutiert, ob die Studienergebnisse im Sinne eines Klasseneffekts auf die Produkte der gleichen Gruppe übertragen werden können. Die grossen Studien bei Patienten mit Niereninsuffizienz wurden mit Losartan (RENAAL 14 ) und Irbesartan* (IDNT 15, IRMA 16 ) durchgeführt. Diese beiden Substanzen sind auch für die Indikation Niereninsuffizienz zugelassen. 17

Diuretika Substanzen wie Hydrochlorothiazid und die Schleifendiuretika Furosemid und Torasemid sind ein unverzichtbarer Bestandteil der internistischen Pharmakotherapie. 18 Je nach dem Ort der Natrium-Resorption am Nephron unterscheidet man mehrere Diuretika-Substanzklassen. Diuretika verstärken die Wirkung anderer blutdrucksenkender Arzneimittel (Antihypertensiva, Psychopharmaka, Barbiturate). Meist braucht es zur wirksamen Blutdrucksenkung bei Nierenkranken ein Diuretikum. Diese verstärken insbesondere die Wirkung der ACE-Hemmer, respektive der A-II-A. Auch haben sie eine positive Wirkung auf die Azidose und Hyperkaliämie: Thiazide sind effizient bis GFR >30 ml/ml/1,73 m 2 (Stadium 1 bis 3) Schleifendiuretika sind ab GFR <30 ml/ml/1,73 m 2 (Stadium 4 bis 5) nötig Kombinierte Therapie mit Thiaziden und Schleifendiuretika ( sequenzielle Tubulusblockade ) ist wesentlich potenter als jede der Monosubstanzen. Sie ist auch bei GFR <30 ml/min/1,73 m 2 sinnvoll und manchmal, besonders bei Diabetikern, nötig. 23 Die Gefahr eines neu auftretenden Diabetes ist unter diuretischer Therapie leicht erhöht, vor allem bei Patienten mit einem erhöhten Body-Mass-Index. Die Gefahr ist allerdings dosisabhängig. Die gleichzeitige Gabe eines ACE-Hemmers oder A-II-A kann zudem die Gefahr etwas abschwächen. Kalziumkanalblocker Kalziumkanalblocker haben eine gute blutdrucksenkende Wirkung. Bei einer Makroalbuminurie sollte eher ein Nondihydropyridin-Kalziumantagonist, z.b. Verapamil oder Diltiazem, gewählt werden. Betablocker Betablocker kommen eher selten zum Einsatz, wenn nötig, sollten Betablocker mit vasodilatierender Wirkung wie Labetalol und Carvedilol gewählt werden. Bei gewissen, vorwiegend renal eliminierten Betablockern ist wegen der Kumulation Vorsicht geboten, z.b. Atenolol. Einzelne Studien zur Renoprotektion: Zahlreiche Studien haben die Wirksamkeit der medikamentösen Renoprotektion belegt. Collaborative Study Group Mit dem ACE-Hemmer Captopril wurde erstmals gezeigt, dass bei Typ-1-Diabetikern mit der Behandlung von Captopril versus Plazebo eine signifikante Reduktion der primären Endpunkte (zweifach erhöhtes Serumkreatinin, terminale Niereninsuffizienz oder Tod) erreicht werden kann. 19

24 RENAAL Bei 1500 Typ-2-Diabetikern mit Mikroalbuminurie oder Albuminurie konnte nach einer Beobachtungszeit von 3,4 Jahren ein Nutzen von Losartan statt Plazebo zusätzlich zu einer herkömmlichen antihypertensiven Behandlung (Kalziumantagonisten, Diuretika, Alpha-Blocker und zentralwirksame Substanzen, aber keine ACE-Hemmer) gezeigt werden (Abb. 11): Reduktion des primären Endpunkts um 16 % (Verdoppelung des Serumkreatinins, terminale Niereninsuffizienz oder Tod). 25 % Reduktion der Verdoppelung des Serumkreatinins 28 % Reduktion der terminalen Niereninsuffizienz (25,5 % versus 19,6 %) Die Effekte waren unabhängig vom Ausmass der Blutdrucksenkung. 14 IDNT Bei 1700 Typ-2-Diabetikern mit einer Proteinurie (mind. 900 mg/24h) wurde die Therapie von Irbesartan versus Amlodipin oder Plazebo verglichen. Die Therapie mit dem Angiotensin-II-Antagonisten war signifikant wirksamer. Das Risiko der Verdoppelung des Plasmakreatininspiegels war um 37 % geringer beim Amlodipin und um 33 % geringer bei Plazebo. Die Reduktion der terminalen Niereninsuffizienz mit 23 % war nicht signifikant. 15 IRMA II Irbesartan kann das Risiko des Fortschreitens einer Nierenerkrankung bei hypertensiven Patienten mit Typ-2-Diabetes mit Mikroalbuminurie verringern. Bei täglicher Einnahme über zwei Jahre reduzierte sich das Risiko für die Entwicklung einer Proteinurie im Vergleich zur Kontrollgruppe (Plazebo plus sonstiger zugelassener Arzneimittel zur Blutdrucksenkung) um 70 % (p<0,001). 16 HOPE Diese Studie und die Micro-HOPE-Substudie zeigte, dass Typ-2-Diabetiker durch eine 4½-jährige Ramipril-Therapie ihr kardiovaskuläres Risiko um 25 % senken konnten. Das relative Risiko der Entwicklung einer manifesten Nephropathie konnte um 24 % reduziert werden, was jedoch nicht statistisch signifikant war. 20 AMADEO In dieser Studie wurde das klinisch-therapeutische Profil von zwei Angiotensin- II-Antagonisten (Telmisartan, Losartan) in der Therapie der Hypertonie und die präventive Wirkung auf die Nephropathie bei Patienten mit Hypertonie und Diabetes mellitus Typ 2 untersucht. Beide Substanzen senkten den Blutdruck gleich wirksam, die Proteinurie wurde effektiver und länger anhaltend von Telmisartan beeinflusst. 21

Abb. 11 RENAAL-Studie: Reduktion Proteinurie Terminale Niereninsuffizienz (%) 30 20 10 1512 Patienten mit Diabetes Typ 2 Proteinurie Krea 115 265µg Losartan 50 100mg vs. Plazebo 3,4 Jahre Plazebo Losartan 25 0 0 12 24 36 48 Studiendauer (Monate) RENAAL trial: NEJM 345:861, 2001 ONTARGET, TRANSCEND Diese Studien sollten zeigen, ob der Angiotensin-II-Antagonist Telmisartan oder der ACE-Hemmer Ramipril oder eine Kombination beider Wirkstoffe bei Hochrisikopatienten das kardiovaskuläre Risiko weiter senken können. Telmisartan erwies sich in ONTARGET als ebenso effektiv, aber etwas besser verträglich als Ramipril. Beide Substanzen zu kombinieren macht keinen Sinn. 13 Das Sartan scheint zusätzliche renoprotektive Eigenschaften aufzuweisen und senkte das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskuläre Mortalität signifikant um 13 % (p<0,05). 22 DETAIL Ziel war zu beweisen, dass der Angiotensin-II-Antagonist Telmisartan in seiner renoprotektiven Wirkung bei früher diabetischer Nephropathie dem ACE- Hemmer Enalapril nicht unterlegen ist. Insgesamt 250 Typ-2-Diabetiker mit früher Nephropathie sind fünf Jahre lang mit Sartan oder ACE-Hemmer behandelt worden. Der Abfall der glomerulären Filtrationsrate (primärer Endpunkt) war in dieser Zeit in beiden Behandlungsgruppen nicht signifikant unterschiedlich. 23

26 3.2 Behandeln der kardiovaskulären Risikofaktoren Wegen des stark erhöhten kardiovaskulären Risikos sind die allgemeinen und medikamentösen Massnahmen, wie sie bei der koronaren Herzkrankheit zum Einsatz kommen, auch bei der Niereninsuffizienz indiziert. Dies beinhaltet neben der antihypertensiven Therapie auch Lifestyle-Modifikationen (Nikotinstopp, Gewichtsnormalisierung, körperliche Aktivität). Hyperlipidämie Häufig kommt es im Rahmen einer chronischen Nierenkrankheit zu einer Hyperlipidämie, insbesondere zu erhöhten LDL-Cholesterin- und Triglyzeridwerten. Bei allen Patienten mit einer chronischen Nierenkrankheit sollte der Lipidstatus bestimmt werden. Die Medikation erfolgt analog den Empfehlungen für Patienten mit KHK (Leitlinien AGLA). Eine Statintherapie hat bei chronischer Nierenerkrankung nicht nur das Potenzial, kardiovaskuläre Endpunkte zu beeinflussen, sondern auch die Progression der Nierenerkrankung zu verzögern. Während sich die Empfehlungen zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen in der nierengesunden Allgemeinbevölkerung auf viele prospektive, randomisierte und plazebokontrollierte Studien stützen, können entsprechende Empfehlungen für nierenkranke Patienten nur aus diesen Studienergebnissen extrapoliert werden. Post-hoc-Analysen aus den grossen Pravastatin-Studien zeigen eine signifikante Risikoreduktion von primären kardio- und zerebrovaskulären Endpunkten für die Stadien 2 und 3 der chronischen Niereninsuffizienz. Für das Stadium 5 liegen enttäuschende Daten bzgl. einer Statinbehandlung vor (4D-Studie). Es wird spekuliert, ob der eventuell bestehende Nutzen eines Statins durch stärkere Einflussfaktoren überlagert wird, eine Statingabe kann daher in diesem Stadium nicht auf Studien basiert empfohlen werden. Adipositas Übergewicht begünstigt nicht nur die Enstehung eines Diabetes mellitus, es ist auch assoziiert mit glomerulärer Hyperfiltration und kann wenn ausgeprägt zu einer eigenen Nierenkrankheit führen ( Obesity related glomerulopathy ). Auch bei der fortgeschrittenen Niereninsuffizienz besteht eine inverse Beziehung zwischen Körpergewicht und Prognose. Paradoxerweise haben in der Dialysepopulation die gut ernährten, eventuell gar adipösen Patienten, eine bessere Prognose, weil ein geringes Körpergewicht hier ein Hinweis für einen katabolen Zustand sein kann. 3.3 Anpassen der Medikamentendosierung Bei Niereninsuffizienz muss bei etwa 20 % aller Medikamente die Dosierung angepasst werden, da sie über die Niere ausgeschieden werden. Um die korrekte Dosierung zu berechnen, gibt es verschiedene Hilfsmittel. Beispielsweise stellt die Abteilung für Klinische Pharmakologie und Toxikologie des Kantonsspitals Basel im Internet ein Berechnungsprogramm zur Verfügung: www.doseadapt.unibas.ch

Nach Eingabe des Alters, Gewicht und Grösse sowie Kreatininwert errechnet das System für die gängigsten Medikamente, wie die Dosierung oder das Dosisintervall an die aktuelle Nierenfunktion angepasst werden kann. Unter den gängigen Antihypertensiva sind Dosisreduktionen nur bei gewissen Betablockern (Atenolol) notwendig. Sotalol sollte bei Niereninsuffizienz nicht gegeben werden (Torsades de pointe). Die sonst bei Typ-2-Diabetikern äusserst nützlichen Biguanide sind bei Niereninsuffizienz kontraindiziert, ebenso die kaliumsparenden Diuretika Spironolacton, Epleronon und Amilorid. Unter den Antibiotika kann Amoxicillin/Clavulansäure wegen seiner grossen therapeutischen Breite per os normal dosiert werden. Bei Ciprofloxacin muss bei schwerer Niereninsuffizienz die Dosis halbiert werden, ausser wenn kalziumhaltige Phosphatbinder eingenommen werden: In diesen Fällen kann normal dosiert werden. Aber: Kalziumphosphatbinder binden bis zu 90 % des Chinolons bei gleichzeitiger Gabe, also nicht zeitgleich geben! 27 Medikamente und Nierenfunktion Einzelne Medikamente können zu einer akuten toxischen oder funktionellen Verschlechterung der Nierenfunktion führen. Beispiele aus der Praxis: Aminoglykoside NSAR (Coxibe) Auch bei i.v. Gabe von jodierten Kontrastmitteln ist Vorsicht geboten. Ist eine Kontrastmittelgabe nicht zu umgehen, muss auf ausreichende Vorbehandlung (Volumenexpansion) geachtet werden. Die Gabe von Schmerzmitteln ist ein häufiges Problem. NSAR sind wegen des Potenzials von Volumenretention, Hyperkaliämie und Nierenfunktionsverschlechterung problematisch. Paracetamol und (in niedrigen Dosen) ASS sind dagegen auch bei Niereninsuffizienz problemlos. 24 Die eigentliche Analgetika- Nephropathie ist 25 Jahre nach dem Verbot des Phenacetins verschwunden. Bei Opiaten ist auf eine mögliche Kumulation zu achten. 25 Naturheilmittel Zahlen zur Selbstmedikation mit Phytotherapeutika belegen, dass eine spezifische Anamnese bezüglich einer Komedikation dringend erforderlich ist. Einzelne pflanzliche Medikamente sind entweder direkt nephrotoxisch oder erhöhen bei Niereninsuffizienz die Gefahr einer Hyperkaliämie. Nephrotoxisch wirkt die Aristolochiasäure (früher in Schlankheitsprodukten enthalten, in der Schweiz, EU, USA verboten, aber gelegentlich in ausländischen pflanzlichen Heilmitteln nachgewiesen). Senna kann ebenso wie andere Laxanzien eine Hypokaliämie auslösen oder verstärken. Die in Bezug auf die Diurese ohnehin als negativ beurteilten Phytotherapeutika wie z. B. Spargel (Asparagus) bergen auch noch das Risiko einer Hyperkaliämie bei eingeschränkter Nierenfunktion. 26 Lakritze kann bei übermässigem Genuss mit einem Pseudohyperaldosteronismus einhergehen und ist daher von Hypertonikern mit Vorbehalt zu geniessen.

28 3.4. Diät Wie sinnvoll? Auch bei fortgeschrittener chronischer Niereninsuffizienz geht es dem Patienten meistens noch lange recht gut. Bei genauem Nachfragen haben die Patienten aber häufig an Gewicht abgenommen, was mit der progredienten Urämie erklärt wird. Menschen mit nachlassender Nierenfunktion haben aber auch Angst, etwas Falsches zu essen. Eine Protein-Energie-Mangelernährung verschlechtert die Überlebensrate wesentlich. 27 Viele Patienten mit einer GFR von < 20 ml/min sind aufgrund zahlreicher Risikofaktoren mangelernährt (Tab. 6). Tab. 6 Inappetenz Risikofaktoren für Malnutrition bei Niereninsuffizienz Geschmacksmissempfindungen, Übelkeit unnötig restriktives Diätregime Stoffwechselstörung: urämische Toxizität, urämische Mikroinflammation, metabolische Azidose Proteinkatabolismus Gastrointestinale Probleme: Gebiss- und Kauprobleme, Schluckstörungen, Motilitätsstörungen (z. B. Gastroparese), gestörte Resorption, Veränderung der intestinalen Bakterienflora, verzögerte intestinale Fettresorption Falsch verstandene restriktive Diätempfehlungen Depressive Stimmungslage Die Diätempfehlungen für den niereninsuffizienten Patienten müssen sehr individuell erfolgen. Eine Ernährungsberatung (was heisst salzbewusst essen, den Phosphorgehalt der Nahrung gering halten, nicht zu viel und nicht zu wenig Eiweiss essen, ausreichend Energie bzw. Kalorien zu sich nehmen ) durch eine Fachkraft sollte möglichst früh erfolgen. Die Frage, inwieweit eine eiweissarme Diät bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung sinnvoll ist, wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Bei NI-Patienten (gilt nicht für Dialysepatienten!) konnten Metaanalysen, jedoch keine prospektiven Studien, einen günstigen Effekt einer proteinreduzierten Kost nachweisen. Eine eiweissarme Diät zur Kontrolle des Serumharnstoffs und des Serumphosphats ist trotzdem nicht indiziert. Die eiweissarme und besonders die salzarme Diät können sogar das Gegenteil bewirken, bei letzterer kann eine salzverlierende Nephropathie klinisch symptomatisch werden. Bei Nachlassen der Nierenfunktion gilt es in erster Linie, Protein-Exzesse (Eiweiss- Zufuhr >1 g/kg) zu vermeiden. Bevor eine Eiweissrestriktion empfohlen wird, sollte der Ernährungsstatus erfasst werden. Ein Vorteil der Eiweissnormalisierung ist die damit einhergehende Reduktion des Phosphorgehaltes. Mit dem Beginn der Dialysebehandlung empfiehlt sich die erneute Diskussion mit einer Ernährungsfachkraft, es gilt, genügend Energie und Eiweiss (Amino-

säureverlust durch die Dialyse) zuzuführen und eine Malnutrition zu vermeiden. Empfehlungen zum forcierten Trinken ( mindestens 2 bis 3 Liter pro Tag ) sind nutzlos bis schädlich. Geschädigte Nieren können zugeführtes freies Wasser nur ungenügend ausscheiden, weswegen forciertes Trinken zu Wasserintoxikation führt. 4. Erkennen und Behandeln von Komplikationen 4.1 Anämie und Niereninsuffizienz Ursachen Bei Verschlechterung der Nierenfunktion tritt sehr häufig eine Anämie auf. Meist liegt der Beginn bei einer GFR von <60 ml/min/1,73 m 2. Der Erythropoietin (Epo)- Mangel ist eine wesentliche Ursache der renalen Anämie. Bei Niereninsuffizienz können auch ein Eisenmangel, entzündliche Vorgänge, ein Folsäure-Mangel und chronische intestinale Blutverluste dazu beitragen. Die Therapie der renalen 32, 33 Anämie muss immer alle kausalen Aspekte berücksichtigen. Relativ wenig anämisch sind Zystennierenpatienten, relativ schwer anämisch sind Patienten mit tubulointerstitiellen Nierenerkrankungen. 29 Definition der Anämie Gemäss WHO-Definition spricht man von Anämie bei einem Hb-Wert von <13 g/ dl bei Männern und <12 g/dl bei Frauen. Abklärung Patienten mit manifester Niereninsuffizienz müssen systematisch bezüglich Vorliegens einer Anämie untersucht werden. Die reine renale Anämie soll als eine Ausschlussdiagnose betrachtet werden. Es müssen daher Hinweise gesucht werden (Tab. 7, Seite 30) auf das Vorliegen von: Eisenmangel: Ferritin, Transferrinsättigung Vitamin-B12-/Folsäuremangel hämolytische Anämie: Retikulozyten, LDH anderen Ursachen je nach klinischer Situation Zielwerte für das Hämoglobin Unter Berücksichtigung der Studienergebnisse von CREATE 28 und CHOIR 29 hat die National Kidney Foundation in den USA am 30.08.2007 ihre Empfehlungen hinsichtlich des anzustrebenden Hb-Werts neu definiert. Mit einer Epo-Therapie sollte erst begonnen werden, wenn das Hämoglobin unter 11 g/dl gesunken ist. Der Hb-Zielbereich für eine chronische Nierenerkrankung (Chronic Kidney