Aktuelle Rahmenbedingungen zur Entschuldung Straffälliger Fachtagung: Schuldenregulierungsfonds in der Straffälligenhilfe Berlin, 16. März 2018 Hochschule RheinMain Prof. Dr. Carsten Homann
Gliederung 1. Problemstellung und Rahmenbedingungen 2. Entschuldung mi<els insolvenzrechtlicher Restschuldbefreiung 3. außerinsolvenzrechtliche Entschuldungsmöglichkeiten, insbesondere: Rolle der Resozialisierungsfonds 4. Fazit 2
1. PROBLEMSTELLUNG UND RAHMENBEDINGUNGEN Aktuelle Rahmenbedingungen zur Entschuldung Straffälliger 3
Ausgangsthese Straffälligkeit und Schulden stehen in Verbindung miteinander, denn (1.) Schulden entstehen durch Stra@aten und (2.) stellen Schulden ein Resozialisierungshindernis dar. 4
Folgerung der Strafvollzugsgesetze Strafvollzugsgesetze ziehen entsprechende Konsequenz (am Beispiel Hessen): o o o o Vollzugsziel: Resozialisierung, 2 Abs. 1 HessStrVollzG: Vollzugsplan, 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 10 HessStrVollzG: Schuldenregulierung Soziale Hilfen zur Schadenswiedergutmachung, Schuldenregulierung, Erfüllung der Unterhaltspflichten, 26 Abs. 1 S. 2 HessStrVollzG Mitwirkungsobliegenheit der Gefangenen, 4 HessStrVollzG 5
Typische Schulden Ø Aus der Stra1at: Strafrecht o Kosten des Strafverfahrens o Geldstrafen, 40 ff. StGB; Auflagen, 153a StPO, 56d StGB; strafrechtliche Abschöpfung, 74 ff. StPO (Bsp.: nächste Folie) Zivilrecht o Schadenswiedergutmachung, 823 ff. BGB, und Schmerzensgeld, 253 BGB, inkl. Regressansprüchen nach SGB X, OEG, EFZG o Kosten des Zivilverfahrens, 91 ZPO Ø Sons[ge Schulden, insbesondere ([tulierter) Unterhaltsforderungen und Verbindlichkeiten aus laufenden Verbindlichkeiten 6
Einziehung 16.03.18 7
Regulierungsmöglichkeiten nach Rechtsgebieten Strafrecht Öffentliches Recht Zivilrecht Geldstrafe: StGB, StPO, TilgVO Kosten der Verfahren: GKG Schadenswiedergutmachung: BGB, ZPO Problem: Es gelten unterschiedliche Rechtsregime, die jeweils eigenen Logikenfolgen! Auflagen: StPO, StGB Schadenswiedergutmachung: OEG, BVersG, SGB X sonsqge (öff. und priv.) Forderungen: BGB, InsO Abschöpfung: StGB, StPO sonsqge öff. Forderungen: AO, UVG 8
Regulierungsmöglichkeiten nach Regulierungswegen Entschuldung über Insolvenzrecht Entschuldung über indiv. Regelung Umfasste Forderungen Ausgenommene Forderungen Öffentliches Recht* Strafrecht Zivilrecht * ProblemaMsch sind v.a. Opferentschädigung, SteuerstraRat, Unterhaltsvorschuss Ausgenommene Forderungen machen indiv. Regelungen unentbehrlich! 9
Unterhalt und Restschuldbefreiung Von der Restschuldbefreiung erfasst sind Rückstände bis zur Eröffnung Nach Eröffnung entstandene Rückstände: Vollstreckung in den Vorrechtsbereich ( 850d ZPO) zulässig, 89 Abs. 2 S. 2 InsO Verpflichtung zur Antragstellung bei Kindesunterhalt: BGH, Beschl. v. 23.2.2005, Az. XII ZR 114/03, Beschl. v. 12.12.2007, XII ZR 23/06 10
2. ENTSCHULDUNG MITTELS INSOLVENZRECHTLICHER RESTSCHULDBEFREIUNG Aktuelle Rahmenbedingungen zur Entschuldung Straffälliger 11
Restschuldbefreiung Interessenabwägung Gläubiger Schuldner GesellschaC Eingriff in Eigentum Forderungsausfall Fresh start Sozialleistungsbezug SchaEenwirtschaC 12
Restschuldbefreiung Verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter müssen in der Problemlösung einander so zugeordnet werden, daß jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt. [ ] beiden Gütern müssen Grenzen gesetzt werden, damit beide zu oplmaler Wirksamkeit gelangen können. Konrad Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Neudruck der 20. Auflage, Heidelberg 1999, Rn. 72 13
Restschuldbefreiung für Strafgefangene BGH, Beschl. v. 1.7.2010, Az. IX ZB 148/09: Rz. 12 Die Auffassung, jeder zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilte StraBäter sei von vornherein von der Möglichkeit ausgeschlossen, Restschuldbefreiung zu erlangen (LG Hannover ZInsO 2002, 449 f mit Anm. Wilhelm; AG Hannover ZVI 2004, 501 f; Foerste, Insolvenzrecht, 4. Aufl. Rn. 552), ist weder mit dem Willen des Gesetzgebers noch dem Regelungszusammenhang der Versagungsgründe vereinbar. 14
Verfahrensablauf InsO Außergerichtlicher Einigungsversuch ca. 6 Monate Eröffnetes Insolvenzverfahren ca. 6 bis 12 Monate Wohlverhaltensphase Max. 6 Jahre Restschuldbefreiung 15
Verfahrensablauf InsO 16
Schuldenbereinigungsplan 306 ff. InsO: Fortsetzung des Einigungsversuchs im Eröffnungsverfahren erfasst nur die benannten Gläubiger ZusGmmung aller Gläubiger grds. nögg ( 307 InsO), aber Möglichkeit der ZusGmmungsersetzung bei Kopf- und Summenmehrheit ( 380, 309 InsO); Ersetzung ausgeschlossen, wenn der widersprechende Gläubiger gegenüber anderen nicht angemessen beteiligt wurde oder dieser Gläubiger durch den Schuldenbereinigungsplan voraussichtlich wirtschaulich schlechter gestellt wird, als er bei Durchführung des Verfahrens über die Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Erteilung von Restschuldbefreiung stünde 17
Kostenstundung Rückgrat der Restschuldbefreiung 26 InsO setzt Deckung der Verfahrenskosten voraus Bis 2001 aufgrund Masselosigkeit nur wenige Eröffnungen von Insolvenzverfahren via PKH, die Voraussetzung ist für Restschuldbefreiung Einführung: Kostenstundung, 4a bis 4d InsO, wenn Vermögen nicht die Kosten im Wege einer Einmalzahlung deckt Vorwirkung der Kostenstundung: wenn Zweck der Restschuldbefreiung nicht erreichbar, dann muss keine Kostenstundung erfolgen: o o Weit überwiegend ausgenommene Forderungen Versagungsgrund offensichtlich/gegeben 18
Kostenstundung AG Fürth, Beschl. v. 22.05.2015, Az. IK 791/14 Abwegig! Bei einer noch zu verbüßenden langjährigen StraFaG steht fest, dass der Schuldner seinen Erwerbsobliegenheiten nach 287e InsO schuldhag nicht nachkommen kann und somit der Versagungsgrund des 290 I Nr. 7 InsO vorliegt. 19
Erwerbsobliegenheit Regelungen: 290 Abs.1 Nr. 7, 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO o o o o o o rgm.: VollzeiAäCgkeit Bewerbungspflicht Ortsfremde TäCgkeit TäCgkeit niederer QualifikaCon Unzumutbar bei Erwerbsunfähigkeit und Rentenalter, ggf. bei Kinderbetreuung InhaUierung per se kein Versagungsgrund, insbesondere weil überwiegend Arbeitspflicht besteht, uneinheitliche Differenzierungen 20
Erwerbseinkommen Wesentliche Einnahme für die Insolvenzmasse o Eröffnetes Insolvenzverfahren: Massebeschlag des pfändbaren Teils der laufenden EinkünHe o Wohlverhaltensphase: Abtretung der pfändbaren Teile der laufenden EinkünHe o Pfändbares Eigengeld ist an den Verwalter abzuführen (vgl. BGH, Beschl. v. 16.7.04, Az. IXa ZB 287/03, sobald ggf. Überbrückungsgeld angespart ist o Antragspraxis der Verwalter: - Zusammenrechnung mehrerer Einkommen/Sozialleistungen, 850e Nr. 2 und 2a ZPO ivm. 36 InsO - Herausrechnung von Unterhaltsberech_gten mit eigenem Einkommen, 850c Abs. 4 ZPO ivm. 36 InsO 21
Wirkung der Restschuldbefreiung Grundsatz, 301 InsO: erfasst sind alle Forderungen, alle Gläubiger (auch vergessene) Maßgeblicher Zeitpunkt: Eröffnung des Insolvenzverfahrens Ausnahme 1: Neugläubiger Ausnahme 2: 302 InsO: o o Forderungen aus vorsätzlich begangener, unerlaubter Handlung, vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährtem Unterhalt und sanktonierten Steuerschulden, wenn Anmeldung erfolgt ist Geldstrafen, Bußgelder, Einziehung des Wertersatzes (nicht: Kosten des Verfahrens) Wirkung: Forderung ist nicht mehr durchsetzbar, Vereinbarungen, die die Restschuldbefreiung ausschließen, sind unwirksam 22
Ausnahme der Restschuldbefreiung Tatbestände des 302 InsO o 823 Abs. 1 BGB, 826 BGB, 823 Abs. 2 BGB ivm. Schutzgesetz o è Hier: Kosten des Zivilverfahren Vorsätzlich und pflichtwidrige Nichtzahlung von Unterhalt è Forderungsübergang auf Krankenkassen, Versorgungsamt, Unterhaltsvorschusskassen etc., Ausnahme gilt weiter! o Steuerschulden ivm. Verurteilung wegen SteuerstraTat Verfahren: Anmeldung durch den Gläubiger und Widerspruchsmöglichkeit des Schuldners, 174 ff. InsO 23
3. AUSSERINSOLVENZRECHTLICHE ENTSCHULDUNGSMÖGLICHKEITEN, INSBESONDERE: ROLLE DER RESOZIALISIERUNGSFONDS Aktuelle Rahmenbedingungen zur Entschuldung Straffälliger 24
Einzel- oder Gesamtvergleiche Grundlage: Vertragsfreiheit als Ausprägung der Allg. Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG Vergleich ( 779 BGB) = Neuregelung (Klarstellung) des streijgen (ungewissen) Rechtsverhältnisses im Wege gegenseijgen Nachgebens. Zwei- oder mehrseijg KombinaJon mit anderen InsJtuten des Schuldrechts: Stundung, Abtretung, Erlass, Treuhand, BürgschaX, (deklaratorisches) Schuldanerkenntnis 25
Einzel- oder Gesamtvergleiche Mögliche Inhalte: Schicksal der ursprünglichen Forderung Anerkenntnis der Forderung in besbmmter Höhe Zahlung von Geld als Gegenleistung Bei mehreren Gläubigern: quotale Befriedigung Regelung bei Nichtzahlung Auswirkung auf Sicherheiten 26
Notwendigkeit außerger. Vergleiche 1. Fehlende Stabilität des Straffälligen für Insolvenzverfahren Dauer des Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens: 6 Jahre HaC kann stabilisierend wirken, Problem bei zwischenzeitlicher Entlassung Sorgsam zu prüfen, ob Klient ein Verfahren durchstehen könnte Vergleichsverhandlungen sind aber ähnlich aufreibend, intensive Beratung und MoSvaSon nösg 27
Notwendigkeit außerger. Vergleiche 2. Weit überwiegend nicht restschuldbefreiungsfähige Schulden Insolvenzverfahren ergibt in solchen Fällen keinen Sinn, da Ziel der umfassenden Restschuldbefreiung nicht erreichbar MoEvaEonsproblem des Klienten NöEg wäre auch ein Kostenvorschuss: Wo käme das Geld her? Problem: Gläubigerantrag, bspw. StA im Rahmen der Einziehung ( 111i StPO) 28
Kombina;onslösung Lösung über Kombina9on beider Verfahrensweisen Ø Restschuldbefreiungsfähige Forderungen: InsO Ø Nicht restschuldbefreiungsfähige Forderungen: Vergleichsverhandlungen und individuelle Vereinbarungen Reihenfolge: erst InsO, danach Einzelverhandlung mit Gläubigern mit ausgenommenen Forderungen, evtl. auch in der Wohlverhaltensphase 29
Werkzeuge außerger. Vergleiche 1. Einmalzahlung Erfüllung tri2 bei Zahlung ein, Forderung erlischt, 362 BGB Titelherausgabe nach 371 BGB analog 2. Ratenzahlung = Stundung, d.h. Hinausschieben der neu vereinbarten Fälligkeit Zahlung der vereinbarten Raten, mit der letzten Rate ist umgestaltete Forderung erfüllt und erlischt ( 362 BGB) Problem bei Veränderung der finanziellen oder persönlichen SituaTon und Nichtzahlung = Verzug ( 286 BGB), Folge ist idr Wiederaufleben der ursprünglichen Forderung 3. (Teil-) Erlass Erlassvertrag, 397 BGB: Schuld erlischt aufgrund Vereinbarung, ggf. auch teilweise 30
Werkzeuge außerger. Vergleiche 4. Regulierung mi-els Entschuldungsfonds: Barquotenmodell Gesamtvergleich mit Gläubigern Regulierung durch bar vorhandenes Vermögen, idr. von Dri@en Leistung an Gläubiger: Einmalzahlung Dri@e: o Prüfung der Rückzahlungswahrscheinlichkeit über vorgeschaltete Ansparphase o Darlehensvergabe, ratenmäßige Rückzahlung in Höhe verfügbarer Mi@el, ggf. mit Anpassungsmöglichkeit o Ggf. Einbindung eines KrediPnsPtuts und Absicherung über BürgschaR o Risiko besteht nur mit Blick auf einen, dem Schuldner zugewandten Gläubiger, kein Zugriff auf Vorrechtsbereich 31
Fazit Verknüpfung von Schulden und Straffälligkeit Ziel: Schulden regulieren und Verhinderung weiterer Schulden Regeln des Straf- und Strafprozessrechts, des öffentlichen Rechts und des Zivilrechts gelten nebeneinander Insolvenzverfahren als umfassendes Entschuldungsverfahren Drei Varianten: außergerichtlicher Einigungsversuch, gerichtlicher Schuldenbereinigungsplan, Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung Problem der ausgenommenen Forderungen, erhebliche Anforderung an das zu beobachtende Verfahren Für diese Forderungen sind Einzelvereinbarungen zu treffen Grundlage: Vertragsfreiheit Gegenleistung erforderlich, hier kommen Resozialisierungsfonds ins Spiel 32