Deutschland hat Zukunft Energieeffizienz in der Industrie Potenziale neuer Technologien Montag, 23.07.2012 um 13:00 Uhr hbw I Haus der Bayerischen Wirtschaft, Europasaal Max-Joseph-Straße 5, 80333 München Energiewende Herausforderung für Bayern Bertram Brossardt Hauptgeschäftsführer vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Redezeit: 20 Minuten Es gilt das gesprochene Wort.
1 Sehr geehrter Herr Staatsminister Zeil, sehr geehrter Herr Ministerialdirektor Ressing, sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserer heutigen Veranstaltung, die wir in Kooperation mit dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie durchführen. Es ist der siebte diesjährige Kongress im Rahmen unserer Reihe Deutschland hat Zukunft und bereits der dritte, bei dem wir uns mit zentralen Themen der Energiewende befassen. Drei von sieben allein dies macht deutlich, welch prioritäre Bedeutung die Energiewende für uns, die vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., hat. Von ihrem Gelingen hängt die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland und Bayern ab. Mammutprojekt Energiewende Die Herausforderungen sind gewaltig: Wir müssen bis 2022 d. h. in knapp zehn Jahren unser gesamtes Energiesystem umbauen, um auch in Zukunft eine sichere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen und
2 auf der Basis umweltverträglicher Erzeugung in ganz Deutschland zu gewährleisten. In Bayern sind die Aufgaben besonders groß: Bayern hat mit 50 Prozent den höchsten Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung. Bayern ist am weitesten von den bestehenden konventionellen Kraftwerken und den zukünftigen Off-Shore-Windparks im Norden Deutschlands entfernt. Bayern mit seiner hochmodernen Industrie ist Standort vieler energieintensiver Betriebe. Mit mehr als 100.000 Mitarbeitern erbringen allein sie einen Umsatz von rund 25 Milliarden Euro. Gerade den letzten Aspekt müssen wir uns angesichts des heutigen Themas besonders ins Bewusstsein rufen. Denn die Stärke des Wirtschaftsstandortes Bayern hängt an seiner starken Industrie: Sie steht für rund ein Viertel der gesamten Wertschöpfung. Rechnet man noch die im Verbund mit der Produktion erbrachten Dienstleistungen ein, so
3 hängt an ihr sogar ein Drittel der wirtschaftlichen Leistungskraft. Nur wenn wir unsere industrielle Basis quer durch alle Branchen halten, wird unser Land ein prosperierender Wirtschaftsstandort bleiben: Jede Branche, die verloren geht, ist ein Verlust an Know-How und Arbeitsplätzen, der kaum auszugleichen ist. Zudem riskieren wir einen Dominoeffekt: Mit jeder Branche, die abwandert, steigt die Gefahr, dass sich auch andere Branchen verabschieden. Denn das Ineinandergreifen von industriellen Wertschöpfungsketten setzt ein effizientes Zusammenspiel verschiedener Branchen voraus. Schließlich ist ein breit aufgestellter Industriestandort die beste Versicherung gegen allgemeine Wirtschaftskrisen. Für die vbw ist deshalb die sichere und preisgünstige Energieversorgung ein zentrales Thema. Bereits im Jahr 2010 und damit ein Jahr vor der Energiewende hatten wir ein energiewirtschaftliches Gesamtkonzept
4 vorgelegt, das einen detaillierten Ausstiegsplan aus der Kernenergie bis 2040 enthält. Dieses Konzept haben wir im vergangenen Jahr an den vom Gesetzgeber vorgegebenen Zeitplan für den beschleunigten Kernenergieausstieg bis 2022 angepasst. An den Aufgaben selbst hat sich nichts verändert: Erstens müssen wir bei der Stromerzeugung die Kapazitätslücke von 5.500 MW Leistung wegfallender Kernenergie schließen. Zweitens müssen wir bei der Stromverteilung die Stromtransportnetze in Nord-Süd-Richtung und die Kupplungskapazitäten zum Ausland, vor allem nach Frankreich und Tschechien ausbauen, um Strom aus dem Norden und aus dem benachbarten Ausland nach Bayern leiten zu können. Das dritte große Aufgabenfeld ist die Energieeffizienz. Das größte Potential liegt im Gebäudesektor. Auf ihn entfallen 40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs und 35 Prozent der CO 2 -Emissionen in Bayern das ist mehr als im Verkehrs- oder Industriesektor. Erst vor
5 zwei Wochen haben wir einen Kongress zu den Effizienzpotentialen im Gebäudebereich veranstaltet und unsere neue Studie vorgestellt. Sie hat die Forderungen, die wir schon länger erheben, bestätigt: 85 Prozent des Gebäudebestands entfallen auf beheizte Wohnfläche. Hier liegen die größten Einsparpotenziale. Hier müssen wir deshalb ansetzen. Der gewerblich genutzt Gebäudebestand kommt nur auf 10 Prozent. Mit der derzeitigen Sanierungsrate von 0,8 Prozent für ältere Gebäude werden wir die notwendigen Einsparziele verfehlen. Wir müssen die Quote auf mindestens zwei Prozent mehr als verdoppeln. Dazu müssen die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen deutlich verbessert und Planungs- und Investitionssicherheit für die Eigentümer geschaffen werden.
6 Zur Energieeffizienz in der Industrie Heute widmen wir uns dem Thema Energieeffizienz in der Industrie auf der Basis eines Gutachtens, das Prognos und Ökotec für uns erstellt haben. Energieeffizienz ist in der Industrie kein neues Thema, das erst durch die Energiewende aufkam, sondern ein Klassiker. Vor allem in den energieintensiven Branchen treiben Unternehmen seit jeher aufgrund des Wettbewerbsdrucks und des Gebotes der Wirtschaftlichkeit die effiziente Nutzung von Energie beständig voran. Inzwischen ist die deutsche Industrie in Sachen Energieeffizienz Maßstab und Vorbild. Unser Gutachten zeigt auf, was in der Industrie im Bereich der Energieeffizienz im Rahmen der Energiewende realistisch und wirtschaftlich machbar ist. Es soll Grundlage sein für eine faire und sachliche Diskussion mit der Politik, indem es deutlich macht, welche politischen Maßnahmen zielführend sind und welche nicht.
7 Marktwirtschaftliche Lösungen sind gesetzlichen Interventionen vorzuziehen. Dass dies funktioniert, zeigt der Blick in die Vergangenheit, wie unser Gutachten belegt: Zwischen 1990 und 2010 hat sich die Brennstoffintensität in der deutschen Industrie um 35 Prozent verringert. Die Stromintensität sank im gleichen Zeitraum um 13 Prozent, obwohl die Nachfrage nach Strom auch in der Industrie ständig gestiegen ist. Die Energieproduktivität verbesserte sich damit zwischen 1990 und 2010 insgesamt um rund ein Viertel. Zwei Punkte müssen jedoch berücksichtigt werden: All diese Größen beziehen sich auf das Verhältnis von Energieverbrauch zu Bruttowertschöpfung. Je mehr Effizienzpotenziale bereits gehoben sind, umso schwieriger und teurer wird es, zusätzliche Energiesparziele auf der Basis bestehender Verfahrensprozesse zu erreichen.
8 Das trifft besonders die energieintensiven Industriebranchen. Politisch verbindliche Effizienzziele, die zum einen absolute Vorgaben sind und sich nicht direkt auf die Entwicklung der Bruttowertschöpfung beziehen und zum anderen von der Industrie abverlangen, wirtschaftlich nicht sinnvolle Einsparungen umzusetzen, sind kontraproduktiv. Sie hemmen das Wachstum und machen industrielle Wertschöpfungsprozesse in unserem Land unrentabel. Damit führen sie nicht zu mehr Energieeffizienz in der Wertschöpfungskette, sondern zur Verlagerung von energieintensiven Teilprozessen an andere Standorte
9 und damit zum Verlust von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen in unserem Land. Wir müssen stattdessen Wege gehen, die den möglichst effizienten Mitteleinsatz gewährleisten und das Gebot der Wettbewerbsfähigkeit strikt beachten. Das belegt unser Gutachten: Bleibt alles wie bisher, liegen die Einsparpotenziale über alle Bereiche bis 2020 bei 10 Prozent. Wenn die Politik hingegen ein positives Umfeld schafft, dann liegen die Einsparpotenziale im selben Zeitraum im Mittel bei 15 Prozent. Positives Umfeld heißt zweierlei: Erstens sind Rahmenbedingungen zu schaffen, damit in die Forschung und Entwicklung neuer Verfahren und Technologien investiert wird, die qualitative Effizienzsprünge erwarten lassen. Die Politik muss hier ganz grundsätzlich ansetzen. Wir brauchen für die Energiewende eine aus der
10 politischen Roadmap abgeleitete Forschungsroadmap für alle Forschungsfelder, in denen wir Lösungen benötigen, die wir heute noch nicht haben: Im Aufgabenfeld Stromerzeugung müssen wir insbesondere das Thema Speichertechnologien treiben. Im Aufgabenfeld Stromverteilung muss ein Schwerpunkt das Thema Smart Grids sein. Und im Aufgabenfeld Energieeffizienz müssen die Themen getrieben werden, die die höchsten Einsparpotenziale erwarten lassen. Unser Gutachten benennt als Forschungsfelder: Zum einen Querschnittstechnologien, die in vielen verschiedenen Branchen zum Einsatz kommen wie Motoren, Pumpen und Druckluft, zum anderen Anwendungsbereiche wie Ventilatoren, Raumwärme und Kälte. Um hier voranzukommen, brauchen wir mehr koordinierte Netzwerke und Kooperationen zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die in unternehmensnahen Forschungsprojekte diese Themen vorantreiben. Projekte,
11 wie sie die bayerischen Metall- und Elektroarbeitgeber bayme vbm im Rahmen des KME Kompetenzzentrum Mittelstand vorantreiben, wie sie derzeit noch im Forschungsverbund FORETA abgeschlossen werden und wie sie in Zukunft in den Projekten Green Factory Bavaria und FOREnergy geplant sind, sind Schritte in die richtige Richtung, reichen aber bei weitem noch nicht, um die Mammutaufgaben, die vor uns liegen, auch nur halbwegs zu bewältigen. Zweitens dürfen politische Vorgaben nicht zu Deindustrialisierungsprozessen in unserem Land führen. Niemandem ist geholfen, wenn wir Energie sparen, gleichzeitig aber Wertschöpfung und Arbeitsplätze verlieren. Besonders muss die Politik zwei Aspekte im Blick haben: Zum einen müssen Effizienzziele bei Energieeinsparung und CO 2 -Minderung gemeinsam betrachtet und in einem einheitlichen politischen Rahmen zusammengeführt werden. Alles andere schafft mehr
12 Bürokratie und damit mehr überflüssige Kosten für die Unternehmen. Zum anderen muss die Politik berücksichtigen, dass die Streuung der Energieeinsparpotenziale auf Unternehmensebene erheblich ist, was unser Gutachten sehr deutlich herausarbeitet. Deswegen wirken sich verbindliche Effizienzvorgaben für einzelne Branchen sehr unterschiedlich auf die einzelnen Unternehmen einer Branche aus. Sie wirken in der Praxis als ungezielter politischer Eingriff in das Geschäft der Unternehmen. Die Folge ist oft genug die Suche nach Wegen, um den unwirtschaftlichen Anforderungen auszuweichen. Dass Energieeinsparpotenziale auf Unternehmensebene sehr unterschiedlich sind, hat drei Gründe, die unser Gutachten beschreibt: Zum einen liegt es an der Relation zwischen physikalischen und Verarbeitungsprozessen in der gesamten Wertschöpfung eines Unternehmens. Während in Verarbeitungsprozessen weitere Effizienzpotenziale durch Innovationen gehoben werden können, liegt bei physikalischen Prozessen kein Effizienz-
13 potenzial vor, da der Energieeinsatz durch die Natur vorgegeben und damit immer gleich ist. Das berücksichtigt bisher niemand in der politischen Diskussion. Zum zweiten liegt es an der Frage der Fertigungstiefe und damit an der Relation von Wertschöpfungsprozessen mit hoher und mit niedriger Energieintensität, die ein Unternehmen am Standort Deutschland beheimatet. Unternehmen, die der gleichen Branche angehören, haben hier sehr unterschiedliche, strategisch bedingte Lösungen. Zum dritten liegt es am Investitionszyklus eines Unternehmens. Während die einen schon den neuesten Stand der Technik implementiert haben und damit hohe Energieeffizienzpotenziale bereits gehoben haben, haben andere dies aus betrieblichen Erwägungen bisher nicht getan. Werden durch verbindliche Einsparvorgaben ab dem Stichtag X alle über einen Kamm geschert, werden gerade die massiv benachteiligt, die bereits hohe Einsparungen vorgenommen haben.
14 Dieses Problem, das unter dem Stichwort Grandfathering bekannt ist, ist nicht neu: Wir hatten es bereits im Jahr 2004 im Zuge der Einführung des Emissionshandels behandelt. Der dort gefundene Weg, bereits vorgenommene Einsparpotenziale bei der Verteilung von CO 2 -Zertifikaten zu berücksichtigen, erweist sich als hochbürokratisch, teuer und ineffizient. Dabei betraf dies nur 2400 Unternehmen. Von der aktuell diskutierten Frage des Erhalts des Spitzenausgleichs in der Strom- und Energiesteuer sind 23.000 Unternehmen betroffen, d.h. zehnmal mehr Unternehmen als beim Emissionshandel. Der dieser Tage vorgelegte Gesetzesentwurf zum Erhalt des Spitzenausgleichs in der Strom- und Energiesteuer bewegt sich in einem ambitionierten, aber darstellbaren Rahmen. Die gute Nachricht ist, dass gänzlich darauf verzichtet wird, einzelne Unternehmen oder Branchen mit individuellen Einsparverpflichtungen bürokratisch zu überlasten.
15 Stattdessen verpflichtet der Entwurf die gewerbliche Wirtschaft einschließlich der Energieerzeuger insgesamt auf ein Energieeffizienzziel. Dieses ist allerdings sehr anspruchsvoll: Der Entwurf verlangt ab 2013 einen jährlichen zusätzlichen Energieeffizienzgewinn von 1,3 Prozent gegenüber der durchschnittlichen Energieeffizienz der Jahre 2007 bis 2012. Gleichzeitig verlangt der Entwurf von den Unternehmen hohe Investitionen in neue Energiemanagementsysteme und energieeffiziente Anlagen. Jetzt kommt es vor allem darauf an, wirtschaftlich tragbare Lösungen beim Unterschreiten der Einsparziele zu finden und generell den Umsetzungsaufwand zu minimieren. Insgesamt halten wir das hier gesetzte Effizienzziel nur für erreichbar, wenn auch seitens der politisch Verantwortlichen die Weichen für die Energiewende erfolgreich gestellt werden.
16 Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss zusammenfassen: Das Thema Energieeffizienz ist eine Schlüsselaufgabe, um die Energiewende am Standort Bayern und Deutschland erfolgreich zu gestalten. Zweifelsfrei wird auch die Industrie ihren Beitrag dazu leisten. Sie wird dies aber am effizientesten tun, wenn die politischen Rahmenbedingungen nicht ideologisch, sondern pragmatisch nach dem Gebot der Wirtschaftlichkeit gesetzt werden. Wir dürfen nicht vergessen: Wir haben viel zu verlieren, wenn wir Wertschöpfungsprozesse am Standort Deutschland und Bayern durch politische Vorgaben unrentabel machen. Mit Produktionsverlagerungen ist der Energiewende in unserem Land nicht geholfen. Wir haben aber auch viel zu gewinnen. Denn eine hochmoderne, energieeffiziente Industrie hat im harten globalen Geschäft deutliche Wettbewerbsvorteile und damit noch größere Erfolgschancen. Es liegt an uns, die richtigen Weichen zu stellen. In diesem Sinne wünsche ich uns einen wegweisenden Kongress.