Klinische Psychologie I WS 04/05 Erwerb von Kompetenzen und Förderung von Ressourcen 24.01.2004 Prof. Dr. Renate de Jong-Meyer
Überblick 1. Training sozialer Kompetenz und Rollenspiele 2. Partnerschafts- und Kommunikationstrainings 3. Problemlösetrainings
Soziale Kompetenz Die Fähigkeit einer Person, Interaktionen mit ihren Mitmenschen aktiv, bedürfnisgerecht und zielführend (mit)gestalten zu können, ist eine wichtige Voraussetzung für psychische Gesundheit und die Entfaltung persönlicher Entwicklungsmöglichkeiten.
Typen sozialer Kompetenzen Typ R (Recht) Eigene Rechte und berechtigte Interessen in Anspruch nehmen und durchsetzen Unberechtigte Forderungen anderer ablehnen Typ B (Beziehung) Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche gegenüber nahestehenden Personen äußern Umgang mit Kritik Kompromisse finden Typ K (Kontakt) Kontakte aufnehmen und gestalten (zu Personen beiderlei Geschlechts) Menschen für sich gewinnen Um Sympathie werben
Mögliche Ursachen nicht optimaler sozialer Kompetenz 1. Affektive Interferenz In best. sozialen Situationen Beeinträchtigung durch Angst bzw. Angst führt zur Vermeidung dieser Situationen. 2. Skill Deficit Mangelnde soziale Fertigkeiten führen zu unangemessenem oder vermeidendem Sozialverhalten. 3. Kognitive Interferenz Entstehung von unangemessenem oder vermeidendem Verhalten durch kognitive Prozesse oder Inhalte. 4. Kombination der drei mögliche Ursachen
Erklärungsmodell sozial (in)kompetenten Verhaltens Situation z.b. Ich will Nachbarn wg. wiederholter Lärmbelästigung ansprechen Ungünstige Gedanken z.b. Die werden bestimmt böse Günstige Gedanken z.b. Ich habe das Recht, das Problem anzusprechen Negatives Gefühl z.b. Angst Positives Gefühl z.b. Zuversicht, Mut Vermeidungs-/ Fluchtverhalten z.b. Ausweichen, Flucht Bewältigungsverhalten z.b. Ansprechen des Nachbarn
Diagnostik sozialer Kompetenz Interview (bezogen auf sozial schwierige Situationen in Vergangenheit und Gegenwart, Vermeidungsversuche, Bewältigungsversuche) Situationslisten Diagnostische Rollenspiele Fragebögen (z.b. Unsicherheitsfragebogen von Ullrich & Ullrich de Muynck, 1977)
Ziele von Trainingsprogrammen sozialer Kompetenzen Eigene Rechte und berechtigte Interessen in Anspruch nehmen und durchsetzen Forderungen stellen Unberechtigte Forderungen anderer ablehnen Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse einbringen Umgang mit Kritik Kompromisse finden Kontakte aufnehmen und gestalten Menschen für sich gewinnen Um Sympathie werben
Trainingsprogramme im deutschsprachigen Raum Assertiveness-Training-Programm ATP (Ullrich & Ullrich de Muynck, 1982) Gruppentraining Sozialer Kompetenz GSK (Pfingsten & Hinsch, 1991) Verhaltenstrainingsprogramm zum Aufbau sozialer Kompetenzen VTP (Feldhage & Krauthan, 1979) Training mit sozial unsicheren Kindern (Petermann & Petermann, 1994)
Spezielle Programme für psychische Patientengruppen Training sozialer Fertigkeiten Liberman, Giebeler & Brenner (1988). Die Rehabilitation chronisch seelisch Kranker in der Psychiatrie (Kap. 4). Bern: Huber. Depression bewältigen Herrle & Kühner (1994). Depression bewältigen: Ein kognitivverhaltenstherapeutisches Gruppenprogramm nach P.M. Lewinsohn. Weinheim: Beltz.
Ziele von Rollenspielen Training konkreter Verhaltensweisen zur besseren Bewältigung realer Situationen. Einüben eines günstigen Ablaufs interner Regulationsprozesse. Erlernen des aktiven Herbeiführens sozialer Erfahrungen, der Auswertung dieser und Nutzbarmachung für weitere Bewältigungsversuche (selbstgesteuerte Erfahrungsbildung).
Methodische Bestandteile von Rollenspielen Beschreibung des Problems Festlegung einer spielbaren Situation mit einer oder mehreren Handlungsalternativen Durchführung der Spielsituation Rückmeldung ggf. erneutes Spielen der Situation Übertragung (Transfer) in die Realsituation
Typischer Ablauf eines Rollenspiels 1. Vorbesprechung der zu spielenden Situation und des Ablaufs des Rollenspiels 2. Erstspiel 3. Erstes Feedback mit Anmerkungen zu gut gelungenen Verhaltensweisen und möglichen Verbesserungen 4. Zweitspiel 5. Zweites Feedback mit einem Resümee über die Verbesserungsversuche
Instruktionen Typ R (Recht) Vor der Situation: Geben Sie sich positive Selbstanweisungen (z.b. Ich habe ein Recht darauf, dass...). In der Situation: 1. Reden Sie laut und deutlich. 2. Schauen Sie Ihren Gesprächspartner an (Blickkontakt). 3. Äußern Sie Forderungen in der Ich-Form. 4. Sagen Sie zuerst was Sie wollen; dann warum. 5. Vermeiden Sie unnötige Entschuldigungen. 6. Werden Sie nicht aggressiv; bestehen Sie ruhig und bestimmt auf Ihren Rechten. Nach der Situation: Unabhängig vom Erfolg: Verstärken Sie sich innerlich dafür, dass Sie einen Versuch zur Durchsetzung Ihrer Rechte unternommen haben. Erkennen Sie jeden Fortschritt in Ihrem Verhalten an.
Varianten beim Rollenspiel In der Spielsituation: vom Therapeuten vorgegeben vom Patienten vorgegeben real erlebte Situation Bei den Rollenspielpartnern: Therapeut Co-Therapeut Gruppenmitglieder Video-/ Audioaufnahmen für ein objektives Feedback Modifizierung der Gedanken und Gefühle in den Feedback-Phasen
Therapeutenziele bei der Verbesserung sozialer Kompetenz über Rollenspiele Sie sollen während der Hilfestellung möglichst aktiv sein, d.h. durch Berührung, mit Einflüstern und Anleitungen die Regie im Rollenspiel übernehmen. Beachten Sie besonders die nichtverbalen Elemente der emotionalen Ausdrucksweisen. Versuchen Sie möglichst kurze Szenen zu gestalten. Ihre Anweisungen sollen spezifisch durchführbar und funktional sein. Geben Sie Rückmeldung und Anerkennung für die teilweise und vollständige Befolgung der Anweisungen.
Wichtige non- bzw. paraverbale Dimensionen Lautstärke und Sprechtempo Modulation der Stimme und Flüssigkeit des Sprechens Einsatz der Hände Körperhaltung Gesichtsausdruck Blickkontakt
Anwendungsbereiche von Rollenspielen Soziale Kompetenzprobleme sind alleiniger oder zentraler Bestandteil der Gesamtsymptomatik Bsp.: Soziale Phobie Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung Soziale Kompetenzprobleme sind eine wesentliche (Mit-)Ursache der Hauptstörung Bsp.: Depressionen, psychosomatische Störungen
Anwendungsbereiche von Rollenspielen Eine Förderung der sozialen Kompetenzen erhöht die Chancen des Patienten für eine erfolgreiche Rehabilitation bzw. für ein erfolgreiches Management der Hauptstörung. Bsp.: Schizophrene Störungen, Substanzmissbrauch, geistige Behinderung, chronische somatische Erkrankungen Die Förderung bestimmter sozialer Kompetenzen vermindert das Risiko für die Entstehung psychischer Störungen. Bsp.: Bestimmte Eltern- und Partnerschaftstrainings
2. Kommunikationstrainings
Anwendungsbereiche für Kommunikationstrainings Paartherapie und beratung Ehe- und Elternschaftsvorbereitung Funktionelle Sexualstörungen Rückfallprophylaxe von Schizophrenien Rückfallprophylaxe von Depressionen Alkoholabhängigkeit
Ziele des Kommunikationstrainings im Rahmen der Partnertherapie Die Partner sollen in die Lage versetzt werden, im Gespräch und vor allem bei der Diskussion eines Konfliktthemas ihre Ansichten, Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle konkret, eindeutig und in einer für den Empfänger annehmbaren Form zu äußern (Sprecherfertigkeiten) und die Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche und Meinung ihres Gegenübers möglichst genau zu erfassen und zurückzumelden (Zuhörerfertigkeiten).
Exkurs: Was kennzeichnet eine gestörte Partnerschaft? Positive Verhaltensweisen der Partner sind selten oder werden nicht wahrgenommen Aversive Reaktionen werden in hohem Maße reziprok ausgetauscht Alternative Partnerschaften werden attraktiver
Exkurs: Mögliche Gründe für die Entwicklungvon Beziehungsstörungen Ursprünglich positive Verstärker verlieren an Verstärkerqualität Fehlende Problemlösestrategien der Partner führen zu aversiven Maßnahmen statt positiver Kontrolle Keine dauerhafte Lösung von Problemen durch gegenseitige aversive Kontrolle (Zwangsprozess entsteht) Anzahl und Intensität von Konflikten steigen an, Gespräche darüber werden aversiv und i.d.r. vermieden Positive partnerschaftliche Interaktionen nehmen ab; Unzufriedenheit mit der Beziehung wächst
Therapiekomponenten Diagnostik und Therapieevaluation Vermittlung verhaltenstherapeutischer Grundbegriffe Steigerung der allgemeinen Reziprozität Training in Kommunikationsfertigkeiten Training in Problemlösefertigkeiten bei Konflikten Vertragsmanagement zur Stabilisierung von Veränderungen Krisenbewältigung: Strategien zum Abbau von Eskalationen
Ablauf des Kommunikationstrainings im Rahmen der Partnertherapie Diagnostikphase: Problembereiche und Ziele getrennt mit beiden Partnern erörtern Rationale gemeinsame Ziele, Informationen über den Ablauf Erkennen von Kommunikationsfehlern und Ableitung von Kommunikationsregeln via geleitetem Entdecken anhand von Video- oder Modell-Negativbeispielen Paargespräche zur Aneignung der Sprecher- und Zuhörerfertigkeiten: positive Themen negative Themen strukturiertes Gespräch über eigene Konfliktbereiche (Rollenwechsel) freies Gespräch über eigene Konfliktbereiche
Fertigkeiten der Sprecherrolle Ich-Gebrauch Konkrete Situationen ansprechen Konkretes Verhalten ansprechen Beim Thema bleiben Sich öffnen
Fertigkeiten der Zuhörerrolle Aufnehmendes Zuhören Zusammenfassen Offene Fragen Positive Rückmeldung für gutes Gesprächsverhalten Rückmeldung der ausgelösten Gefühle
Aufgaben des Therapeuten während der Paarübungen Unmittelbare kontingente Verstärkung durch kurze verbale Einwürfe und Gesten positive Rückmeldung für Umsetzung der Regeln Soufflieren Vorschlag von Handlungsalternativen durch - Anbieten direkter Gefühlsäußerungen - Hinweis auf förderliche Reaktionen - Hinweis auf einen Wechsel von Sprecher- und Zuhörerrolle Neubeginn / Schnitt Bei Abgleiten in alte Gewohnheiten: - Unterbrechung des Gesprächs - Verstärkung von angemessenem Verhalten - Instruktion zum Neubeginn Detaillierte positive Rückmeldung
Bekannte Programme und ihr formaler Aufbau Couples Relationship Enhancement -Programm CRE (Guerny, 1977) Grundlagen: Gesprächs- und Kommunikationstheorien Modelllernen Rollenspiel Hausaufgaben In der Rolle des Sprechers wird der Ausdruck von Gefühlen geübt; in der Rolle des Zuhörers die Rückmeldung der wahrgenommenen Gefühle. Personal Effectiveness Training PET (Liebermann, 1975) Ziele: Verbesserung der verbalen/nonverbalen Kommunikationsfertigkeiten Entwicklung einer angemessenen Selbstsicherheit und Durchsetzungsfähigkeit Semistrukturiertes verhaltenstherapeutisches Gruppentraining
3. Problemlösetrainings
Schritte des Problemlöseprozesses 1. Problem- und Zieldefinition 2. Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten 3. Bewertung von Lösungsmöglichkeiten 4. Entscheidung über die beste(n) Lösungsmöglichkeit(en) 5. Planung der Umsetzung der Lösungsmöglichkeit(en) 6. Rückblick und Bewertung der Lösungsmöglichkeit(en)
Funktionen des Therapeuten während des Problemlöseprozesses Edukative Funktion: Erklärung der Art und Bedeutung der Schritte Strukturierende Funktion: Z.B. schrittweise Vorgehen, Anleitung zur Informationssammlung, Hausaufgaben Modellhafte Funktion: Z.B. Demonstration von Kreativität im Brainstorming, Operationalisierung und Konkretisierung der Lösungsschritte Verstärkende Funktion
Literaturhinweise: Fliegel, S. (2000). Rollenspiele. In J. Margraf (Hrsg.). Lehrbuch der Verhaltenstherapie (Bd. 1, S. 465-471). Berlin: Springer. Pfingsten, U. (2000). Training sozialer Kompetenz. In J. Margraf (Hrsg.). Lehrbuch der Verhaltenstherapie (Bd. 1, S. 473-481). Berlin: Springer. Kaiser, A. & Hahlweg, K. (2000). Kommunikations- und Problemlösetraining. In J. Margraf (Hrsg.). Lehrbuch der Verhaltenstherapie (Bd. 1, S. 483-497). Berlin: Springer. Kanfer, F.H., Reinecker, H., & Schmelzer, D. (2000). Selbstmanagement-Therapie. Berlin: Springer.