Allgemein- und Viszeralchirurgie essentials

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Transkript:

Allgemein- und Viszeralchirurgie essentials Intensivkurs zur Weiterbildung Bearbeitet von Nicolas T. Schwarz 8., vollständig überarbeitete Auflage. 2017. Buch inkl. Online-Nutzung. 400 S. Inkl. Online-Version in der eref. Softcover ISBN 978 3 13 126348 3 Format (B x L): 19,5 x 27 cm Weitere Fachgebiete > Medizin > Chirurgie Zu Inhalts- und Sachverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

Hernien 6 Hernien 1 J. M. Mayer 6.1 Allgemeine Merkmale von Hernien Definition: Bruchsack: Ausstülpung des parietalen Peritoneums Bruchpforte: Durchtrittsöffnung für den Bruchsack und seinen Inhalt (muskuloaponeurotische Lücke der Bauchwand oder des Beckens) Bruch(sack)inhalt: am häufigsten Omentum majus oder Dünndarmschlingen, aber nahezu jedes Baucheingeweide möglich Bruchhüllen: vom Bruchsack weggeschobene Bauchwandschichten Epidemiologie: Die Hernie ist das häufigste Krankheitsbild in der Chirurgie, 10 15 % der allgemeinchirurgischen Eingriffe sind Hernienoperationen. Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen. Die Altersabhängigkeit der Hernienmanifestation zeigt 3 Häufigkeitsgipfel: Kinder unter 5 Jahren: meist Leistenhernien bei Jungen zwischen 20 und 30 Jahren: vermehrte körperliche Belastung zwischen 50 und 70 Jahren: beginnende Bindegewebsschwäche Ätiologie: Ursächlich für die Hernienentstehung sind verschiedene Faktoren: intraabdominale Drucksteigerung: Adipositas, Aszites, Obstipation Bindegewebsschwäche: Kollagenstörungen, Gravidität, Voroperation, Alter bei Leistenhernien: offener Processus vaginalis peritonei Brüche treten i. d. R. in Bereichen anatomisch präformierter muskuloaponeurotischer Lücken auf. 1 Dieses Kapitel ist eine überarbeitete Version des Beitrags aus der 5. Auflage von A. Dehne. 6.1.1 Klassifikation Klassifikation nach der Lage zur Bauchwand äußere Hernien ( Abb. 6.1): Leistenhernie (Hernia inguinalis) direkt = medial der epigastrischen Gefäße indirekt = lateral der epigastrischen Gefäße Femoralhernie (Schenkelhernie, Hernia femoralis) Nabelhernie (Hernia umbilicalis) Paraumbilikalhernie epigastrische Hernie Narbenhernie (Hernia cicatricia) Spieghel-Hernie (Bauchwandhernie im Bereich der Linea semilunaris) innere Hernien: Treitz-Hernien (mit ca. 53 % die häufigste Form der inneren Hernien): paraduodenale Hernien an der Flexura duodenojejunalis parazäkale Hernien: im Recessus superior, inferior oder retrocaecalis im Foramen Winslowii am Mesosigma am Mesenterium (Cave: postoperativ offener Mesenterialschlitz!) in einem postoperativen Schlitz am Beckenbodenperitoneum paravesikale Hernie Klassifikation nach klinischen Aspekten reponible Hernie: Bruchsack und Bruchinhalt lassen sich problemlos in die Bauchhöhle zurückdrängen, oft asymptomatisch irreponible Hernie: fixierter Bruchsack und Bruchinhalt, jedoch ohne Durchblutungsstörung, klinisch als persistierende Vorwölbung erkennbar inkarzerierte Hernie: plötzlich auftretende äußerst schmerzhafte Vorwölbung, die nicht reponiert werden kann; assoziiert mit Ileus- oder Subileuszuständen; Einklemmung führt häufig zu Durchblutungsstörungen bis zur Nekrose; absolute Operationsindikation Gleithernie: Bruchsack besteht aus z. T. retroperitoneal fixierten Strukturen (z. B. Harnblase, Sigma) und sollte intraoperativ reponiert werden 90

6.2 Merkmale von Hernien epigastrische Hernien (3%) subxyphoidal M 1 3 cm Nabelhernien (9%) epigastrisch M 2 subkostal L 1 Spieghel-Hernien (< 1%) supravesikale Hernien (< 1%) Leistenhernien (75%) Schenkelhernien (3%) umbilikal infraumbilikal suprapubisch M 3 M 4 M 5 3 cm 3 cm 3 cm lumbal L 4 seitlich L 2 iliacal L 3 Abb. 6.1 Äußere Hernien. Klassifikation und Häufigkeit der Bauchwandhernien. symptomatische Hernie: Hernie als Symptom einer anderen Erkrankung (z. B. Aszites, Peritonealkarzinose) 6.2 Spezielle Merkmale verschiedener Hernien 6.2.1 Leistenhernien Anatomie des Leistenkanals ( Abb. 6.2). Durchtrittsstelle des Funiculus spermaticus beim Mann bzw. des Lig. rotundum bei der Frau und somit insbesondere beim Mann ein Locus minoris resistentiae beginnt am Anulus inguinalis profundus lateral der epigastrischen Gefäße und verläuft nach mediokaudal durch die Bauchdecke, wo er lateral des Tuberculum pubicum am Anulus inguinalis superficialis mündet Vorderwand (ventral): Aponeurose des M. obliquus externus Hinterwand (dorsal): Fascia transversalis und parietales Peritoneum kraniale Begrenzung: Unterrand des M. obliquus internus und des M. transversus abdominis kaudale Begrenzung: Lig. inguinale 91

Hernien Tractus iliopubicus R. genitalis n. genitofemoralis A. V. epigastrica inferior laterale Brüche mediale Brüche Abb. 6.2 Linker Leistenkanal. Triangle of Doom, Triangle of Pain und laterale, mediale und femorale Bruchlücke. (Köckerling F, Jacob D, Grund S et al. Prinzipien der minimalinvasiven Chirurgie bei Hernien. Teil 2. Allgemein- und Viszeralchirurgie up2date 2012; 6: 102) R. femoralis n. genitofemoralis N. cutaneus femoris lateralis Triangle of pain Triangle of doom femorale Brüche A. V. testicularis A. V. iliaca externa Ductus deferens Vesica urinaria Peritoneum Lig. pectinale Epidemiologie Die Leistenbruchoperation ist mit ca. 275 000 Eingriffen im Jahr der häufigste in Deutschland durchgeführte allgemeinchirurgische Eingriff. Männer sind 8-mal häufiger als Frauen betroffen. 25 % aller Männer und 2 % aller Frauen erleiden im Laufe des Lebens eine Leistenhernie. Die Inzidenz bei Männern beträgt 2 4 %, bei Frauen 0,3 %. Bei Erwachsenen handelt es sich in 70 % der Fälle um indirekte und in 15 % um direkte Hernien. Säuglinge und Kinder: Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich immer um indirekte Hernien. Der Bruchsack wird aus dem persistierenden offenen Processus vaginalis gebildet. Jungen sind etwa 8-mal häufiger betroffen als Mädchen (v. a. Frühgeborene) 40 % der Brüche treten bereits im Säuglingsalter auf, 80 % haben sich bis zum 3. Lebensjahr manifestiert. Klassifikation ( Tab. 6.1, Tab. 6.2). indirekte Leistenhernie (70 %): erworben oder angeboren (offener Processus vaginalis peritonei) direkte Leistenhernie (15 %): immer erworben kombinierte Leistenhernie (5 %) Schenkelhernie (10 %) Hernia incipiens: beginnend am inneren Leistenring tastbar Hernia completa: manifest Bruchsack im Leistenkanal Hernia scrotalis/labialis: Bruchsack reicht bis ins Skrotum/in die Labien Symptomatik Sichtbare Vorwölbung oder tastbare Resistenz oberhalb des Leistenbands, die besonders im Stehen und bei Belastung auftritt. Kann asymptomatisch sein oder v. a. unter Belastung mit ziehenden Leistenschmerzen einhergehen. 92

6.2 Merkmale von Hernien Tab. 6.1 Klassifikation der Inguinalhernien nach Nyhus. Typ Beschreibung I indirekte Leistenhernie mit normalem inneren Leistenring II indirekte Leistenhernie mit erweitertem inneren Leistenring III Hernie mit Defekt der Hinterwand des Leistenkanals III A: direkte Leistenhernie III B: indirekte Leistenhernie mit erweitertem inneren Leistenring und Schwäche oder Defekt der Fascia transversalis III C: Femoralhernie IV Rezidivhernien der Inguinalregion IV A: direkt IV B: indirekt IV C: femoral IV D: kombiniert Tab. 6.2 EHS-Klassifikation der Inguinalhernien. Kriterium Typ Beschreibung primär/rezidiv P Primärhernie R Rezidivhernie Lokalisation der Bruchpforte L laterale Leistenhernie M mediale Leistenhernie F Femoralhernie c oder ML kombinierte Hernie Rx Rezidivhernien (x = Anzahl der Voroperationen) Größe der Bruchpforte 0 incipiens I < 1,5 cm II 1,5 3,0 cm III > 3,0 cm Referenzgröße (1,5 cm) offen Querdurchmesser der Zeigefingerkuppe laparoskopisch Branchenlänge der Laparoskopieschere EHS: European Hernia Society Leistenhernien sind im zeitlichen Verlauf i. d. R. größenprogredient. Bei Inkarzeration kommt es zu plötzlichen starken Schmerzen, Stuhlverhalt und Ileussymptomen (Übelkeit, Erbrechen, allgemeine Krankheitszeichen). Diagnostisches Vorgehen Klinische Untersuchung Die Diagnosestellung erfolgt i. d. R. klinisch. Die Untersuchung erfolgt im Liegen, Stehen und beim Pressen, wobei Größe, Lage und Reponierbarkeit geprüft werden Ausgedehnte Befunde sind häufig nur unvollständig reponibel und können bis ins Skrotum reichen (Unterscheidung einer Hydrozele mittels Diaphanoskopie). Nach Reposition kann die Bruchpforte ertastet werden; beim Pressen ist der Anschlag des Bruchsacks spürbar. Nicht wegdrückbare, akut schmerzhafte Leistenschwellung verbunden mit Ileussymptomen weist auf Inkarzeration, die zu einem mechanischen Ileus geführt hat, hin. Untersuchung der Gegenseite (15 % beidseitiges Auftreten) grob orientierende Untersuchung des äußeren Genitales (deszendierte Hoden?) 93

Hernien Bildgebende Diagnostik bei Unklarheit: Sonografie CT oder MRT i. d. R. nicht notwendig Differenzialdiagnose Abszess Lymphknotenschwellung Schenkelhernie Lipom Hydrozele, Varikozele maligne Prozesse Therapeutisches Vorgehen Indikationsstellung ( Abb. 6.3). Therapie der Wahl ist die Operation, symptomatische Versorgung durch Bruchband zur Redression und Taxis einer reponiblen Hernie nur bei gravierenden Kontraindikationen zur Hernienoperation. Bei Inkarzeration, die zu einem mechanischen Ileus geführt hat, besteht die Notwendigkeit zur sofortigen operativen Exploration. Indirekte Hernien bei Säuglingen und Kindern sind immer Operationsindikation. Leistenhernie inkarzeriert symptomatisch asymptomatisch oder minimal symptomatisch Notfalleingriff (Nahtverfahren bei Infektionsrisiko berücksichtigen) elektiver Eingriff Watchful-waiting-Konzept bedenken primäre unilaterale Hernie primäre bilaterale Hernie Rezidivhernie Netzverfahren empfohlen: Lichtenstein oder laparoskopisch (transabdominale präperitoneale Netzplastik/totale extraperitoneale Netzplastik) Netzverfahren empfohlen: laparoskopisch (transabdominale präperitoneale Netzplastik/totale extraperitoneale Netzplastik) oder Lichtenstein nach anteriorer Voroperation nach posteriorer Voroperation Netzverfahren empfohlen: laparoskopisch (transabdominale präperitoneale Netzplastik/totale extraperitoneale Netzplastik) Netzverfahren empfohlen: Lichtenstein Abb. 6.3 Leistenhernie. Indikationsstellung und Verfahrenswahl. (Allgemein- und Viszeralchirurgie up2date 2015; 9(01): 3 15) 94

6.2 Merkmale von Hernien Bei akut eingeklemmten Hernien kann versucht werden, eine geschlossenen Reposition zu erzielen (stationäre Überwachung); Kontraindikationen sind: Einklemmung länger als 6 h V. a. Darmnekrose (akutes Abdomen) Ileus Hautrötung Falls geschlossene Reposition nicht erfolgreich ist, erfolgt die operative Exploration. Netzversorgung ist Standard (auch bei jungen Patienten indiziert, v. a. bei Patienten, die schwer körperlich arbeiten müssen). Nahtverfahren nur bei jungen Patienten mit stabilen Schichten anwenden. Bei Netzversorgung sind endoskopische Verfahren günstiger, da postoperative Schmerzsyndrome seltener sind (geeignet für junge Patienten). Bei Verdacht auf doppelseitigen Bruch erfolgt endoskopisches Vorgehen. Bei Rezidiven Verfahrenswechsel (z. B. endoskopische Operation nach insuffizienter offener Voroperation). Bei jungen Patienten mit asymptomatischen oder nur minimal symptomatischen Hernien kann bei regelmäßiger Befundkontrolle auch abgewartet werden. Konservative Therapie Reposition bei akut inkarzerierter Hernie Analgosedierung Das Ödem wird bimanuell unter konstantem Druck komprimiert und der Bruchinhalt Richtung Bruchpforte ausgestrichen. Gelingt die geschlossene Reposition, muss der Patient wegen der Gefahr einer irreversiblen Darmschädigung stationär überwacht werden. Nach mehr als 10 min erfolgloser Repositionsversuche besteht die Indikation zur Notfalloperation. G Cave Reposition en bloc, bei welcher der Schnürring mit der Einklemmung nach intraabdominal verlagert wird, aber bestehen bleibt. Operative Therapie wichtig: subtile Blutstillung Verwendung eines Lokalanästhetikums empfohlen bei älteren Frauen Schenkelhernie durch Eröffnung der Fascia transversalis ausschließen bei Männern inneren Leistenring nicht zu stark einengen (Kleinfingerstärke: Hegar 11) bei Frauen kann der innere Leistenring fest um das Lig. rotundum verschlossen werden Resektion größerer Samenstranglipome perioperative Antibiotikaprophylaxe bei Verwendung von Netzen erwägen (z. B. Cephalosporin) Herniotomie nach Bassini ( Abb. 6.4). Prinzip: Stabilisation der Hinterwand durch Naht der Fascia transversalis und der beiden inneren Bauchmuskeln an das Leistenband (nicht spannungsfrei). Z OP-Technik Parainguinalschnitt, Spaltung der Externusaponeurose in Faserrichtung Schonung des N. ilioinguinalis Darstellung und Anschlingen des Funiculus spermaticus oberhalb des Tuberculum pubicum Identifikation des Bruchsacks als direkten oder indirekten Bruch bei lateralen Hernien: Freipräparation des Bruchsacks bis zu seiner Basis, Eröffnung, ggf. Reposition des Bruchsackinhalts (Cave: Gleithernie), Verschluss des Bruchsacks basisnah durch Durchstichligatur oder innere Tabaksbeutelnaht und Abtragung, Eröffnung der Fascia transversalis bei medialen Hernien: Darstellung und Eröffnung der Fascia transversalis, Resektion der ausgedünnten Anteile derselben Verschluss mit Einzelknopfnähten (Polypropylen, z. B. Prolene 0) durch Naht von M. obliquus internus, M. transversus abdominis und kranialer Lefze der Fascia transversalis an die kaudale Lefze der Fascia transversalis und das Leistenband (Cave: inneren Leistenring nicht zu stark einengen, Kleinfingerstärke: Hegar 11) fortlaufender Verschluss der Externusaponeurose, Hautverschluss 95

Hernien Abb. 6.4 Herniotomie nach Bassini. Herniotomie nach Shouldice ( Abb. 6.5). Prinzip: Stabilisation der Hinterwand durch Doppelung der Fascia transversalis (nicht spannungsfrei). Z OP-Technik Präparation und Bruchsackversorgung: siehe Technik nach Bassini 2-reihige Dopplung der Fascia transversalis durch fortlaufende Naht (Polypropylen, z. B. Prolene 2 0), beginnend am Tuberculum pubicum (Cave: Gefäßverletzungen, Corona mortis: Gefäßanastomose zwischen A. epigastrica und A. obturatoria) Einengung des inneren Leistenrings auf max. Kleinfingerstärke (Hegar 11) unter Beachtung einer regelrechten Durchblutung des Funiculus fortlaufende Naht (Polypropylen, z. B. Prolene 2 0) der Muskulatur (M. transversus abdominis und M. obliquus internus) an das Leistenband in 2 Reihen, beginnend am inneren Leistenring (meist ist wegen hoher Spannung nur eine Nahtreihe möglich) fortlaufender Verschluss der Externusaponeurose, Hautverschluss Abb. 6.5 Herniotomie nach Shouldice. 96

6.2 Merkmale von Hernien Herniotomie nach Lichtenstein ( Abb. 6.6). OP-Technik Prinzip: spannungsfreie Verstärkung der Hinterwand und Rekonstruktion des inneren Leistenrings durch Netzeinlage. Z Präparation und Bruchsackversorgung: siehe Technik nach Bassini bei medialen Brüchen: Reposition des Bruchsacks ohne Eröffnung, Raffung der Fascia transversalis durch fortlaufende Naht (kranialen an kaudalen Rand) zur Redression des Bruchs Einlage eines leichtgewichtigen Netzes (ca. 10 12 cm), das eingeschnitten wird (Cave: zu kleiner Netzzuschnitt: erhöhte Rezidivgefahr, Netze schrumpfen). Wichtig: spannungsfreie Netzlage, auf ausreichend weite Überlappung nach medial insbesondere bei großen direkten Brüchen achten Nahtfixation des Netzes (Polypropylen, z. B. Prolene 2 0) zunächst mit einer Einzelkopfnaht am Tuberculum pubicum (ohne Periost), anschließend fortlaufende Naht (Polypropylen, z. B. Prolene 2 0) an das dorsale Leistenband, beginnend am Tuberculum pubicum bis ca. 2 cm über den inneren Leistenring hinaus Einlage des Samenstrangs in den zuvor gebildeten Netzschlitz Fixation des Netzes (Polypropylen, z. B. Prolene 2 0) auf dem M. obliquus internus durch lockere Einzelknopfnähte (Cave: Verletzung des N. iliohypogastricus) Verschluss des Netzschlitzes durch Einzelknopfnaht der kranialen Netzlefze an die kaudale Lefze oder das Leistenband, somit Rekonstruktion des inneren Leistenrings (Cave: inneren Leistenring nicht zu stark einengen, Kleinfingerstärke: Hegar 11) fortlaufender Verschluss der Externusaponeurose, Hautverschluss Abb. 6.6 Herniotomie nach Lichtenstein. 97

Hernien Transabdominale Hernioplastik TAPP ( Abb. 6.7). Prinzip: spannungsfreie Verstärkung der Hinterwand durch präperitoneale Netzeinlage. Z OP-Technik Anlage des Pneumoperitoneums bogenförmige Inzision des Peritoneums oberhalb der Bruchpforte von der Spina iliaca anterior superior bis zur Plica umbilicalis medialis Abpräparieren des Peritoneums von der Fascia transversalis unter Schonung der Vasa epigastrica und des Ductus deferens bis dorsal die Psoasmuskulatur erscheint Darstellung des Leistenbands und des Lig. Cooperi Freipräparation des Bruchsacks bei der indirekten Hernie aus dem Leistenkanal, Entfernung eines eventuellen präperitonealen Lipoms bei direkten Hernien Einbringen und Platzieren eines leichtgewichtigen Netzes (Größe 10 15 cm), sodass alle 3 Bruchpforten abgedeckt sind, ggf. Naht- oder Clipfixation des Netzes am Lig. Cooperi oder Verwendung von Fibrinkleber bei Bruchpforten > 3 cm im Durchmesser Peritonealverschluss durch Clips oder Naht Cave G Niemals Nähte oder Clips im Triangle of Doom oder Triangle of Pain! Vorteile: laparoskopische Beurteilung des gesamten intraperitonealen Raumes möglich, damit ggf. auch Beseitigung von Nebenbefunden (Adhäsionen, Zysten) und PE-Entnahmen möglich gute anatomische Übersicht bei der Präparation (Beurteilung der Schenkelbruchpforte) Nervenverletzungen seltener, somit seltener postoperative Schmerzsyndrome beidseitige Versorgung möglich seltener Wundinfektionen und Hämatome Nachteile: Gefahr von Major-Komplikationen höhere Kosten höherer Zeitaufwand häufiger Serome Abb. 6.7 Transabdominale Hernioplastik. Total extraperitoneale Hernioplastik TEP Prinzip: spannungsfreie Verstärkung der Hinterwand durch präperitoneale Netzeinlage. Z OP-Technik subumbilikale Insufflation von CO 2 in den präperitonealen Raum, ggf. Schaffung des Raumes mithilfe eines transparenten Ballons (nicht zwingend notwendig) Darstellung der epigastrischen Gefäße, des Ductus deferens und des Bruchsacks Zurückdrängen des Bruchsacks in die Bauchhöhle Einlage eines leichtgewichtigen Netzes an die gleiche Position wie bei der TAPP mit minimaler oder ohne Fixation Vorteile: Netzimplantat wird nur eingelegt, keine Komplikationen durch Klammerfixation keine intraperitonealen Komplikationen wie beim transperitonealen Zugang möglich Nachteile: anatomisch schlechtere Übersicht das nicht durch Klammern fixierte Netz kann dislozieren, Rezidivgefahr subkutane, passagere Emphyseme (Skrotum), meist noch intraoperativ ausdrückbar postoperativ häufiger Serome oder Hämatome höhere Kosten höherer Zeitaufwand 98