Ein marxistischer Geldbegriff* Lucas Zeise



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Transkript:

Ein marxistischer Geldbegriff* Lucas Zeise Die kapitalistische Wirtschaft ist ohnehin nicht einfach zu verstehen. Der Finanzteil daran ist besonders problematisch. Wenig überraschend hat die an den Universitäten gelehrte Volkswirtschaftslehre kaum erklärungskräftige Theorien über die Wirkungsweise der Banken und des Geldes zu bieten. Allerdings mit der Ausnahme des englischen Ökonomen John Maynard Keynes und seiner Schüler. Dennoch ist es sinnvoll, sich auch zur Erklärung des Geldes und des Finanzkapitals auf Marx zu besinnen. Leider nur hat Marx zum Geld zwar viel gesagt, die Rolle des Geldes im kapitalistischen System aber nicht mehr vollständig ausgearbeitet. Man muss Marx also komplettieren. Das soll hier kurz versucht werden. Marx entwickelt die Kategorie Geld bereits zu Beginn seines Hauptwerkes "Kapital" und zwar im 1. Band, den er noch selber geschrieben und herausgegeben hat. Geld führt er an einer Stelle ein, wo es um eine - noch nicht kapitalistische - Warenwirtschaft geht, also eine Gesellschaft freier Warenproduzenten. Geld ist dabei allgemeines Äquivalent. Das heißt, sein Nutzen oder Gebrauchswert besteht darin, jederzeit zum Kauf anderer beliebiger Waren dienen zu können. Das ist ein sehr allgemeiner und bereits sehr gesellschaftlich bestimmter Gebrauchswert. Allgemeiner ist dieser Gebrauchswert jedenfalls, als ihn beispielsweise Äpfel, Schweinebäuche, Häuser, Schrauben oder Bügeleisen haben. Geld ist eben nur dann nützlich, wenn es eine entfaltete Warenwelt bereits gibt oder, anders ausgedrückt, ein Markt vorhanden ist. Egal wie das Geld aussieht, ob es in Form eines Scheines, einer Münze oder einer Kaurimuschel daherkommt, es ist von seinem Gebrauchswert (Nutzen) her konkreter Ausdruck der Beziehungen der Menschen untereinander in dieser Warenwirtschaft. Geld ist unmittelbarer Ausdruck der abstrakten Arbeit der Menschen und deswegen und dabei verlässt man das Gebiet des Geheimnisvollen und betritt das des Offensichtlichen zugleich unmittelbarer Ausdruck für Reichtum. Auf den ersten Blick viel schlichter löst Marx (im Gefolge der klassischen Ökonomen Adam Smith und David Ricardo) die Frage nach dem Tauschwert des Geldes. Wie jede andere Ware auch bestimmt sich sein Tauschwert nach der zu seiner Herstellung im Gesellschaftsdurchschnitt erforderlichen Arbeitszeit. Mit dieser Bestimmung gelingt es den Klassikern, dem Geld einen Wert (relativ zum Wert aller anderen Waren und der zu deren Herstellung erforderlicher Arbeitszeit)

zuzuweisen. Das Geld kann damit die Tausch-Funktion zu den anderen produzierten Waren erfüllen und als Maßeinheit der Werte dieser Waren dienen. Durch die Bestimmung von Tausch- und Gebrauchswert scheint Marx die nötige begriffliche Klärung zu gelingen, was Geld sei. Er setzt dabei voraus, dass Geld grundsätzlich an eine Geldware gebunden sein muss. Das leuchtet auch ein. Dennoch scheint Marx bei der Einführung des Geldes im 1. Band des Kapitals eine Verwechslung des Geldes mit der Geldware zu unterlaufen. Er nimmt die Geldware Gold, er analysiert ihren Tauschwert und wodurch er bestimmt wird und meint damit, das Geld selbst und seinen Tauschwert analysiert zu haben. Wenn es sich nicht um den großen Meister selber handeln würde, müsste man ihm an dieser Stelle einen unmarxistischen Kategorienfehler vorwerfen. Er nimmt das Besondere für das Allgemeine. Geld ist nicht gleichzusetzen mit einer Geldware. Vielmehr nimmt Geld verschiedene Formen an, in vielen Gesellschaften sind es mehrere Geldformen gleichzeitig. Der Wert des Geldes ist somit nicht unbedingt geklärt, noch gar sein Wesen, wenn der Wert der Geldwaren analysiert ist. Dennoch muss auch die Frage geklärt werden, welche Ware die Geldrolle in der Warengesellschaft übernimmt. Prinzipiell scheint jede Ware in der Lage zu sein, in die Geldrolle zu schlüpfen. Nur sollte es - zunächst - wohl wirklich eine Ware sein. Das heißt, es muss Arbeit zu ihrer Herstellung verausgabt werden. Volkswirtschaftliche Lehrbücher halten sich gern bei der Frage auf, welche stofflichen Eigenschaften Waren haben müssen, um als Geld fungieren zu können. Sie kommen zu folgenden Ergebnissen: Geldwaren sollten nicht verderblich, sondern haltbar sein (damit ihr Gebrauchswert, andere Waren eintauschen zu können, nicht von einem Tag zum anderen verschwindet). Sie sollten standardisierbar sein (damit sie als Maßeinheit dienen können und damit sich die für ihre Herstellung erforderliche Arbeitszeit nicht voneinander unterscheidet). Sie sollten teilbar sein (damit kleinere Waren auch einzeln erworben werden können). Und sie sollten pro physische Volumens- und Gewichtseinheit "teuer" sein. Viel Arbeitszeit soll zu ihrer Erstellung erforderlich sein, damit sie leicht transportierbar sind. Durch derartige Kriterien scheidet zwar die Mehrzahl der Waren aus, die als Geldware in Frage kommen. Dennoch bleibt eine Reihe von Waren übrig, die zum Geld zu werden tauglich sind. In der Geschichte hat es ja bekanntlich viele verschiedene Geldformen gegeben - häufig auch Geldformen, die nebeneinander existiert haben. Es stellt sich ohnehin die Frage, wie sich Geld konkret-historisch herausgebildet hat. Märkte (und damit Geldformen) sind nicht nur sich spontan

bildende Institutionen der Gesellschaft, sie sind auch Ergebnis bewussten politischen Handelns. Gütermärkte, der Äquivalententausch, bedürfen des (staatlichen) Schutzes. Raub ist für Warenproduzenten, Warenbesitzer und Warentauscher eine Gefahr, die abgewehrt werden muss. Betrug - wenn auch immer in Märkten präsent - untergräbt, wenn er zur Regel wird, die Institution des Marktes. Es bedarf daher nicht nur geregelter Verhaltensweisen des Marktes, sondern auch der Sanktion, wenn gegen diese Regeln verstoßen wird. Da Geld in den Märkten eine allgegenwärtige Rolle zu spielen hat, gilt für die Regelung dieser Ware nicht minder das Erfordernis, dass sie politisch-rechtlich abgesichert werden muss. Das erklärt, weshalb das Geldwesen immer eine staatlich-politische Angelegenheit war und ist. Metalle mögen sich als die am besten geeigneten Geldwaren herausgebildet haben, ihre Prägung zu Münzen macht schlagend deutlich, dass staatliches Handeln das Geld garantiert hat (und nicht selten durch Falschmünzerei die Gediegenheit des allgemeinen Äquivalents auch systematisch hintertrieben hat). In Lydien, jenem Königreich im westlichen Kleinasien in unmittelbarer Nachbarschaft zu den ionisch-griechischen Städten, sollen die ersten Münzen geprägt worden sein. Der Zweck, so wird überliefert, war weniger die Förderung des Handels und des Tausches als die Bezahlung der griechischen Söldner im Dienste des Königs Krösus. Vermutlich tritt Geld zuerst im Zweistromland auf. Als Geld fungierten - wohl nebeneinander - Gerste und Kupfer. Dabei wurde Kupfer vorwiegend im Fernhandel benutzt, Gerste im Kernbereich des babylonischen Städte- und Bauernstaates. Gleichzeitig tritt damals - im 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung - der Kredit auf, der von Banken oder bankähnlichen Institutionen vergeben wurde und Zins trug. Man kann also feststellen, dass Geld von Anfang an und seinem Wesen nach nicht nur allgemeines Äquivalent, also Tauschmittel sondern zugleich Medium der Kreditvergabe war, das Zins trägt. Das Zinsverbot im europäischen Mittelalter und im Islam gegenüber dem Zins beweisen nicht das Gegenteil. Vielmehr deutet die Tatsache, dass der Zins als Skandal empfunden und bekämpft wird, darauf hin, dass der Zins in der Geldwirtschaft ebenso real und mindestens so unvermeidbar ist wie das Laster. Dass der Zins zum Wesen des Geldes gehört, war auch Marx' Auffassung. Nicht umsonst führt er die formelhafte Bewegung der Selbstvermehrung des Kapitals G-W-G' mit der Erörterung des Geldes ein. Dass er dann zu dem für die Analyse des Kapitalismus entscheidenden Schluss kommt, dass der Mehrwert nicht der Zirkulation, dem Bereich des Tausches, sondern der Produktion entspringt, widerspricht dem nicht.

Das Verleihen von Gegenständen, vorwiegend Arbeitsmitteln, Arbeitstieren, Arbeitskräften (Sklaven) oder Saatgut, dürfte in Gesellschaften, die noch wenig arbeitsteilig organisiert waren, bereits lebhafte Praxis gewesen sein. Ebenso ist das Verleihen von nützlichen Gegenständen mit einer Gegenleistung durch den vom verliehenen Gut Begünstigten verknüpft. Dies geschieht in agrarischen Gesellschaften häufig durch einen Anteil vom Ernteertrag, zu dessen effektiver Einbringung Arbeitsmittel oder Arbeitskräfte geliehen wurden. Im Zweistromland scheint sich das Verleihen ganz gezielt auf das Verleihen des allgemeinen Äquivalents - Gerste - bezogen zu haben. Die Gegenleistung erfolgte ebenfalls in diesem "Geld", sodass von einem regulären Kreditgeschäft und Zinsen gesprochen werden kann. Die verleihenden Institutionen waren demzufolge Banken, die allgemeines Äquivalent verliehen und im selben Äquivalent Zins und Tilgung kassierten. Es liegt der Schluss nahe, dass Geld, sobald es als allgemeines Äquivalent auftritt und damit den liquiden, beweglichen Warentausch ermöglicht, auch zum klassischen Warenmedium aufrückt, das sich selbst verwertenden Wert darstellt. Die Marx'sche Formel G - G', die zum Ausgangspunkt der Kapitalanalyse gemacht wird, findet sich demzufolge bereits in den frühesten Geldwirtschaften. Geld ist von Geburt an nicht nur allgemeines Äquivalent, sondern qua dieser Eigenschaft auch Kreditmedium. Und als Kredit nimmt Geld die Bewegungsform des Kapitals voraus. Seine Selbstvermehrung durch Kredit und Zins sieht bereits so aus wie der sich selbst verwertende Wert des Kapitals. Aus dem Kredit, der eine Gegenleistung erfordert, ergibt sich diese Selbstverwertungseigenschaft des Geldes, die freilich ihrerseits zur Voraussetzung hat, dass das jeweilige Geld anerkanntes Zahlungsund Tauschmittel in der Gesellschaft ist. Denn wenn die Bank zwar 2000 Scheffel Gerste verleiht, dafür aber als "Zins" Runkelrüben oder Ochsen zurückerhält, kann von einer Vermehrung derselben Art und einer Selbstvermehrung nicht gesprochen werden. Ungeklärt bleibt dabei zunächst die Herkunft dieses zusätzlichen Geldes, des Zinses. Natürlich entspringt dieses "Mehr" einem gesellschaftlichen Mehrprodukt - in frühen Marktgesellschaften meist dem Agrarsektor, aber bereits im Altertum auch Manufakturen und Bergwerken oder dem Handel. Es bedarf dazu nicht der These, dass es sich bei den Zinszahlern oder den Zinsempfängern dieser Gesellschaften um Kapitalien oder Kapitalisten gehandelt hat. Festzuhalten ist nur, dass die Verfügungsgewalt über Eigentum bereits in frühen Marktgesellschaften - eben mit dem Entstehen des Geldes - die Eigentümer zur Aneignung von durch

andere erarbeitetes Mehrprodukt befähigt hat. Die entscheidende Schlussfolgerung aus alledem ist: Erst Kapital ist dank der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft wirklich sich selbst verwertender Wert. Jedoch ist diese Bewegung des Kapitals aus der des Geldes abgeleitet. Das Kapital vollzieht die Bewegung nach, die Geld seit jeher vollzogen hat. Geld ist sich mehrender Wert, indem es Mehrprodukt (bei anderen Warenproduzenten) abschöpft. Kapital ist selbstverwertender Wert, indem es Mehrwert schaffende Arbeitskraft ausbeutet und im Äquivalententausch (zurück zum Geld) realisiert. Freilich kann Geld sich nicht vermehren, wenn kein Kreditnehmer da ist, der Mehrprodukt produziert. Zur Herausbildung des Kreditgeldes aus dem auch zu Marx' Zeiten noch vorherrschenden Metallgeld ist viel geschrieben worden. Tatsächlich entstand und verbreitete sich Kreditgeld neben den üblichen Gold- und/oder Silberwährungen. Vor allem aber schien das Kreditgeld auf der alten Geldform der Metalle zu beruhen. Sowohl bezog sich Kreditgeld auf den bisherigen Numeraire, also Pfund Sterling, Franc, Taler oder Reichsmark. Es war auch anscheinend durch die Metallreserven der Emissionsbanken ganz oder zumindest teilweise gedeckt. Dadurch entstand der Eindruck, Kreditgeld (Papiergeld) fuße ausschließlich auf der bereits bestehenden Geldform und müsse durch sie erklärt werden. Zum Verständnis des reinen Papier- oder Zeichengeldes trägt es aber bei, wenn man sich klar macht, dass Kredit in Form von Wechseln, Anleihen und übertragbaren Schuldscheindarlehen bereits gehandelt wurde, als Gold/Silber noch anerkannter Geldstandard war. Zu wirklichem Vollgeld (und allgemeinem Äquivalent) wird Kredit erst dann, wenn die Bonität des Schuldners über allen Zweifel erhaben ist oder zumindest die beste, die erhältlich ist. Banken erfüllen diese Voraussetzung besser als einfache Warenproduzenten oder kleine Kapitalisten. Banknoten sind das Resultat. Die Bonität der Emittenten wird zudem verbessert, wenn die Banken vom Staat besondere, für Solidität bürgende Pflichten auferlegt bekommen oder Privilegien erhalten - oder besser noch beides. Obwohl in der Geschichte des Geldes die Bonität von Notenbanken sich als keineswegs über jeden Zweifel erhaben erwiesen hat, hat Notenbankgeld (Kreditgeld) sich mit der Entwicklung der Kapitalverhältnisse als das bestimmende Moment der Beziehungen zwischen den Produzenten dem Metallstandard, der auf einer nicht zinstragenden Ware beruhte, als überlegen erwiesen. Kredit oder fiktives Kapital oder Anspruch auf den Profit (was alles dasselbe ist) hat sich zum allgemeinen Äquivalent entwickelt. Das

Kreditwachstum ist dem Bedürfnis des Kapitals angepasst, die Goldproduktion ist es nicht. Für Karl Marx ist fiktives Kapital all jene ungeheure Masse des sog. zinstragenden Kapitals oder moneyed capital in dieser Form (Kapital III, MEW 25, S. 486). Der Bankkredit, der Wechsel, die Aktie, die Staatsanleihe, all das sind ihm Formen des fiktiven Kapitals. Er nennt diese Erscheinungen so, weil diese Papiere den Anspruch erheben, Kapital zu sein. Demgegenüber beharrt Marx zu Recht darauf, dass Kapital tatsächlicher Wert sein muss. Es muss als produzierendes Kapital die Form von Produktionsanlagen, Rohstoffen und Arbeitskräften haben. Es nimmt dann die Form der Wert und Mehrwert enthaltenden Ware an, um schließlich durch Verkauf zu Geld zu werden. Die oben genannten Wertpapiere, für die Marx den durchaus abfällig gemeinten Ausdruck fiktives Kapital verwendet, sind eben nicht selbst Kapital. Vielmehr repräsentieren sie es nur. Alle Siemens-Aktien sind nicht das Unternehmen Siemens selbst, sondern nur die Eigentumstitel auf Siemens. Die Eigentümer der Aktien sind zugleich Eigentümer von Siemens. Dennoch besteht ein Unterschied. Die Staatsanleihen werden auch als Kapital bezeichnet. Sie sind allerdings Marx' Ansicht nach noch weniger tatsächliches Kapital als die Aktien. Denn sie verbriefen nur den Anspruch auf Zinszahlung aus dem Staatssäckel. Der Fiskus ist jedoch kein kapitalistischer Betrieb. Die fiktive Eigenschaft von Aktien und Anleihen äußert sich laut Marx auch in ihrer sonderbaren Preisbildung im Börsenhandel oder allgemeiner dem Kapitalmarkt. Die Kurse der Siemens- Aktien und der Bundesanleihen haben mit dem Wert des Unternehmens Siemens oder dem finanziellen Zustand des deutschen Staates nur sehr vermittelt etwas zu tun. Vielmehr bestimmen spekulative Bewegungen diese Preise. Der Kapitalgewinn, den der Spekulant macht und den er selbst sowie der Fiskus bei der Besteuerung so nennt, ist wie Marx anmerkt, keineswegs kapitalistischer Gewinn/Profit oder gar Mehrwert. Er ist vielmehr Spekulationsgewinn. Die Existenz des Kreditwesens und des fiktiven Kapitals bewirkt schließlich eine scheinbare Verdoppelung des realen Kapitals. Auch hierzu ein Marx-Zitat: Mit der Entwicklung des zinstragenden Kapitals und des Kreditsystems scheint sich alles Kapital zu verdoppeln und stellenweise zu verdreifachen durch die verschiedne Weise, worin dasselbe Kapital oder auch nur dieselbe Schuldforderung in verschiednen Händen unter verschiednen Formen erscheint. (MEW 25, S. 488). Der Herausgeber des 3. Bandes des Kapitals, Friedrich Engels fügt zur Erläuterung in einer Fußnote Beispiele von Trusts in der Londoner City an, die wiederum in Aktien, Währungen und Anleihen spekulieren und selber Aktiengesellschaften sind. Bei der Betrachtung heutiger Publikums-Fonds, Zertifikate auf Aktien-

Indizes, Hedge- und Private Equity-Fonds scheint eine Verdreifachung des zugrundeliegenden, realen Kapitals durch Finanzinstrumente noch harmlos. Allerdings, Verdoppelung von Wert tritt bereits mit der Existenz von Geld als allgemeinen Äquivalent auf. Die Tauschwerte der Waren spiegeln sich in der Geldware. Und eine Spiegelung ist ja nichts anderes als eine scheinbare Verdoppelung. Im Kredit wird diese Verdoppelung noch um eine Stufe weniger scheinbar. Was vor der Kreditvergabe eine einfache Geldsumme war, teilt sich mit der Kreditvergabe in zwei gleich große Teile. Der Kreditnehmer erhält die Geldsumme. Der Kreditgeber erhält dafür einen Anspruch auf Rückzahlung dieser Summe samt Zinsen. Beide sind in der Summe nicht reicher geworden. Allenfalls der Kreditgeber hat die Aussicht auf den Zins, der ihn reicher sein oder scheinen lässt. In der Gesellschaft als Ganzes betrachtet aber scheint sich der Reichtum verdoppelt zu haben. An dieser Stelle soll der merkwürdigen (und lediglich scheinbaren) Verdoppelung von Wert durch den Kredit nicht weiter nachgegangen werden. Der Hinweis soll genügen, dass die Eigenschaft des fiktiven Kapitals, den Schein der Vervielfachung von Reichtum zu erzeugen, schon eine Eigenschaft der Gläubiger-Schuldner-Beziehung und des Geldes ist. Zusammenfassung: Die Frage, ob Geld zuerst allgemeines Äquivalent ist und deshalb als Medium des Kredits eingesetzt werden kann oder ob Geld zuerst Kredit ist und sich deshalb als allgemeines Äquivalent oder Tauschmittel eignet, kann nicht beantwortet werden. Vielmehr hat Geld just diesen Doppelcharakter. Es ist zugleich allgemeines Tauschmittel und es ist Kredit. Geld erfüllt schon in der einfachen Warenproduktion und in den frühen Kulturen beide Funktionen. Um allgemeines Äquivalent sein zu können, muss die Rolle des Geldes von etwas Werthaltigem, also einer Ware, übernommen werden. Es genügt aber offensichtlich auch, wenn dieser Wert von dieser Geldware nur repräsentiert, nur dargestellt wird. Der Kredit kann das leisten. Er stellt einen Anspruch auf eine präzise definierte Wertmenge dar. Der Kredit kann zur Geldware werden und damit allgemeines Tauschmittel. * Der Aufsatz ist eine gekürzte Version von Kapitel 4 aus dem 2010 erschienenen Buch "Geld - der vertrackte Kern des Kapitalismus"