Globale Fluchtbewegungen und die Rolle Deutschlands Ein aktueller Überblick. Charlotte Wohlfarth 25. Oktober 2017 Universität Hamburg

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1 Globale Fluchtbewegungen und die Rolle Deutschlands Ein aktueller Überblick Charlotte Wohlfarth 25. Oktober 2017 Universität Hamburg

2 Agenda 1. Über den Sachverständigenrat 2. Globale Einordnung: Flüchtlinge weltweit 3. Herausforderungen für Europa 4. Fluchtzuwanderung nach Deutschland 5. Integration von Geflüchteten in Deutschland 2

4 Der Sachverständigenrat (gegr. 2008) betreibt wissenschaftliche Politikberatung auf Basis eigener Forschung. STIFTUNGEN aus der Zivilgesellschaft heraus gegründet rein wissenschaftlich, politisch unabhängig 9 Professorinnen und Professoren aus unterschiedlichen Disziplinen und Forschungsbereichen Jahresgutachten 2017 eigenständiger Forschungsbereich für anwendungsorientierte Projekte Geschäftsstelle im Herzen Berlins Organisation von Konferenzen aktive Öffentlichkeitsarbeit 4

6 Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zählt 65,6 Millionen Flüchtlinge weltweit. (Stand: Ende 2016) 17,2 Mio. Flüchtlinge 40,3 Mio. internally displaced persons (IDP) 2,8 Mio. Flüchtlinge in entwickelten Ländern 5,2 Mio. Palästinensische Flüchtlinge 2,8 Mio. laufende Asylverfahren Quelle: UNHCR Global Trends 2016

7 Wer ist eigentlich ein Flüchtling? (I) Eine Person, die Individuelle Verfolgung aus der begründeten Furcht vor Verfolgung Verfolgungsgründe wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will (Art. 1 Genfer Flüchtlingskonvention) im Ausland kein Schutz durch den Heimatstaat inkl. geschlechtsspezifischer Verfolgung und Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung

8 Wer ist eigentlich ein Flüchtling? (II) Asylrecht im Grundgesetz Art. 16a Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Subsidiären Schutz erhält eine Person, die bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland [ ] tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden [ ] zu erleiden (Art. 2 RL 2011/95/EU) Als ernsthafter Schaden gilt: - Todesstrafe - Folter oder unmenschliche Behandlung - Lebensbedrohung durch willkürliche Gewalt im Rahmen von Krieg oder Bürgerkrieg

9 Die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit kommt aus Syrien, Afghanistan und dem Süd-Sudan Flüchtlinge und Asylsuchende weltweit nach Herkunftsländern Ende 2016, in Mio. andere 6,0 Syrien 5,7 Zentralafr. Rep. Eritrea 0,5 0,5 Myanmar 0,6 DR Kongo 0,6 Sudan 0,7 Somalia 1,1 Süd-Sudan 1,4 Afghanistan 2,9 Quelle: UNHCR Global Trends 2016

10 Quelle: UNHCR Global Trends

11 Deutschland: 0,7 Mio. Türkei: 2,9 Mio. Libanon: 1,0 Mio. Iran: 1,0 Mio. Jordanien: 0,7 Mio. Äthiopien: 0,8 Mio. Pakistan: 1,4 Mio. DR Kongo: 0,5 Mio. Uganda: 0,9 Mio. Kenia: 0,5 Mio. 9 der 10 wichtigsten Aufnahmeländer liegen im Nahen Osten und in Afrika Quelle: UNHCR Global Trends

12 Bürgerkrieg in Syrien: Das UN-Flüchtlingshilfswerk zählt 5,3 Millionen syrische Flüchtlinge in den Nachbarstaaten. 1 Mio. syrischer Flüchtlinge hat seit 2011 einen Asylantrag in Europa gestellt. Das sind 16 Prozent. Quelle: UNHCR Stand 24. Oktober

14 Seit 2014 sind etwa 1,7 Mio. Menschen über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Über Personen sind dabei gestorben. Quelle:

15 Herausforderungen für eine langfristig orientierte und solidarische Asylpolitik in Europa über die Krise hinaus. Gleichbehandlung Standards Lastenteilung sicherer Zugang Krisenmechanismus Kriminalität Prävention same case, same treatment menschenwürdige Bedingungen der Aufnahme-, Unterbringungs- und Versorgungsbedingungen Flexibilisierung des Dublin-Mechanismus Erweiterung legaler Zugangswege nach Europa Aktivierung kollektiver Schutzverfahren Bekämpfung des Schlepperwesens Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern; Entwicklungszusammenarbeit 15

17 Instrumente Deutschlands Instrument der Flüchtlingspolitik Asylverfahren (individuell) Politisches Asyl (GG) Flüchtlingsschutz (Genfer Flüchtlingskonvention) Subsidiärer Schutz Aufnahmeprogramme (kollektiv) Temporär ( Syrienprogramme ) Permanent (resettlement) Innerhalb der EU (Umverteilung) Hilfe in der Region Logistische, finanzielle oder sonstige Hilfe Fluchtursachenbekämpfung Öffnung anderer Zugangswege Familiennachzug Erwerbsmigration Studierendenmigration 17

18 Die Anzahl der Asylanträge steigt seit sind die Zahlen wieder deutlich niedriger als 2015/16. Asylanträge in Deutschland (Jan-Aug) Jan-Aug 2017: Quelle: BAMF 2017; eigene Darstellung 18

19 Asylantragsteller werden in 3 Gruppen eingeteilt. Syrien, Irak, Iran, Eritrea, Somalia Beschleunigtes Verfahren Zugang zu Integrationsleistungen Profiling vom Jobcenter Antragsteller e.g. Afghanistan, Pakistan, Russland, Nigeria ---- Alle EU-Mitgliedstaaten, Albanien, Bosnien & Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal, Serbien Striktes Arbeitsverbot Sachleistungen Verbleib in Gemeinschaftsunterkünften Beschleunigtes Verfahren mit Ziel Ausreise 19

20 2015: Viele Personen aus Syrien, aber auch hohe Anzahl von Personen aus Westbalkanstaaten. Herkunftsland Anträge Schutzquote 1. Syrien ,0% 2. Albanien ,2% 3. Kosovo ,4% 4. Afghanistan ,6% 5. Irak ,6% 6. Serbien ,1% 7. Mazedonien ,5% 8. unklar ,2% 9. Eritrea ,1% 10. Pakistan ,8% Quelle: BAMF Asylgeschäftsstatistik 12/

21 2016: Der Großteil der Personen kommt aus den arabischen Krisenländern; Westbalkan deutlich weniger. Herkunftsland Anträge Schutzquote 1. Syrien % 2. Afghanistan % 3. Irak % 4. Iran % 5. Eritrea % 6. Albanien % 7. Pakistan % 8. unklar % 9. Nigeria % 10. Russische Föderation ,2% Quelle: BAMF Asylgeschäftsstatistik 12/

22 2017: Weniger Syrer, mehr Personen aus Afrika; Türkei jetzt unter den TOP10 (Jan-Aug). Herkunftsland Anträge Schutzquote 1. Syrien ,1% 2. Irak ,5% 3. Afghanistan ,3% 4. Eritrea ,0% 5. Iran ,0% 6. Nigeria ,9% 7. Somalia ,1% 8. Türkei ,4% 9. Russische Föderation ,8% 10. Guinea ,2% Quelle: BAMF aktuelle Zahlen zu Asyl 09/

23 2017 wurde (bis Aug.) über Asylanträge entschieden. Die Schutzquote liegt bei 45%. formelle Entscheidung 17% nur für 1 Jahr, Verlängerung um 2 Jahre mgl., Familiennachzug Flüchtlingsstatus ausgesetzt (GFK/AsylG) 21% subsidiärer Schutz 17% Ablehnung 38% Schutzstatus 45% Abschiebungsverbo t 6% Asyl (Art. 16a GG) 1% Insgesamt lebten im Juni 2017 ca Personen mit Schutzstatus in Deutschland. + noch offen: Verfahren (Aug. 2017) anhängige Gerichtsverfahren: (Mai 2017) Quelle: BAMF aktuelle Zahlen zu Asyl 09/2017; BT-Drs. 18/13551, BT-Drs. 18/

25 Integration in der Definition des Sachverständigenrats ist die chancengleiche Teilhabe aller an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. 25

26 Geschlecht und Altersstruktur der Asylantragssteller % Jünger als 16 44% ,6% Älter als 65 Quelle: BAMF Asylgeschäftsstatistik 12/2016

27 Wer ist gekommen? Ein kurzer statistischer Abriss Jahre alt 10 Jahre oder mehr im Bildungssystem beruflicher Abschluss Hochschulabschluss Berufserfahrung Herkunftsland müssen Deutsch lernen Quelle: IAB-BAMF-SOEP Befragung von Geflüchteten 2016

28 Bildung ist zentral für ein selbstbestimmtes Leben; der Zugang muss schnellstmöglich gelingen. Kinder unter 6 Jahren haben ab dem Tag der Einreise einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Schulkinder greift die Schulpflicht je nach Land unterschiedlich schnell oft Beschulung zunächst in Vorbereitungsklassen Schule ist integrationspolitisch ohnehin Großbaustelle Zentrale Probleme sind: bürokratische Hürden, häufige Wohnsitzwechsel fehlende Informationen über das deutsche Bildungssystem Erzieher/innen und Lehrkräfte sind nicht ausreichend auf die Arbeit mit Flüchtlingskindern vorbereitet Kinder benötigen zusätzliche sprachliche und fachliche Unterstützung

29 Berufliche Bildung: entscheidende Voraussetzung für spätere Erwerbstätigkeit Der deutsche Arbeitsmarkt setzt auf formale Qualifikationen Eine berufliche Ausbildung ist wichtig für eine spätere Erwerbstätigkeit und somit eine entscheidende Integrationsvoraussetzungen Viele Flüchtlinge haben große Ambitionen, möchten z.b. ein Studium aufnehmen oder fortsetzen Zentrale Probleme sind: Bedeutung und Vorteile einer dualen Ausbildung sind z. T. nicht bekannt Druck, möglichst rasch Geld zu verdienen Viele Flüchtlinge müssen zunächst Vorbereitungskurse absolvieren In einigen Bundesländern endet die Berufsschulpflicht mit der Volljährigkeit Wie können vorhandene Erfahrungen und Kompetenzen nachgewiesen oder angerechnet werden?

30 Arbeitsmarktintegration braucht Zeit. 90 Entwicklung der Erwerbstätigenquote von Flüchtlingen ab Zuzug (rückblickend) Flüchtlinge andere Zuwanderer Jahre seit dem Zuzug Quelle: IAB-SOEP-Migrationsstichprobe, IAB 2015; eigene Darstellung

31 4 Hindernisse beim Einstieg in den Arbeitsmarkt 1 Die im Heimatland erworbenen Qualifikationen und Fähigkeiten lassen sich nicht hinreichend auf die Erfordernisse des deutschen Arbeitsmarkts übertragen; landesspezifische Kenntnisse (Sprache/Arbeitsmarktinstitutionen) fehlen in der Regel 2 Politische und rechtliche Rahmenbedingungen (wie beispielsweise notwendige Lizensierung) behindern den Zugang 3 Arbeitgeber zögern, Flüchtlinge zu beschäftigen (Unsicherheit und fehlendes Wissen über die rechtlichen Rahmenbedingungen, z. T. auch Vorbehalte) 4 Flüchtlinge haben z. T. gesundheitliche Probleme, die oft mit der Flucht selbst, rechtlichen Rahmenbedingungen (Familienzusammenführung) oder der Situation in Deutschland zusammenhängen

32 Befragung von Geflüchteten: Was sie von selbst ansprechen. soziale Kontakte, Diskriminierungserfahrungen Lebensbedingungen im Herkunftsland vor Flucht Wunsch, bleiben zu dürfen; Angst, gehen zu müssen Quelle: SVR-Forschungsbereich

33 Integration ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft, nicht nur für die Zuwanderer Wichtige Rolle der Orientierungskurse Zuwanderer müssen über die hier geltenden Grundsätze und Regeln informiert werden und diese Grundwerte müssen in ihre historische Entstehung eingeordnet werden Keine einseitige Konzentration auf Wertevermittlung in Kursen Werte werden nicht in Kursen gelernt, sondern vor allem im Alltagshandeln und durch Erfahrung; Teilhabe in den gesellschaftlich relevanten Bereichen des Lebens muss erlebt werden Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe Von Kontakten auf Augenhöhe profitieren alle Menschen: sie wirken Abschottung und Isolation sowie Ängsten oder Befürchtungen entgegen; dies fördert Zugehörigkeit Notwendig ist auch eine Integrationspolitik für Einheimische Prävention, Sozialisation und politische Bildung spielen für alle eine wichtige Rolle; diese doppelte Integrationspolitik muss die Pluralität einer modernen Gesellschaft vermitteln

34 Fragen? Ergänzungen? Diskussionsbedarf? Kontakt: 34

35 Vergleich zwischen Asylanträgen und Einreisen. Asylerstanträge im Vergleich mit registrierten Einreisen, Jan '15 Feb '15 Mrz '15 Apr '15 Mai '15 Jun '15 Jul '15 Aug '15 Sep '15 Okt '15 Nov '15 Dez '15 Jan '16 Feb '16 Mrz '16 Apr '16 Mai '16 Jun '16 Jul '16 Aug '16 Sep '16 Okt '16 Nov '16 Dez '16 asylum Asylanträge (first appl.) EASY Quelle: BAMF 2016/2017; Pressemitteilungen des BMI 2015/