Komplexe Traumafolgestörungen

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1 Komplexe Traumafolgestörungen Diagnostik und Behandlung von Folgen schwerer Gewalt und Vernachlässigung Bearbeitet von Martin Sack, Ulrich Sachsse, Julia Schellong 1. Auflage Taschenbuch. 600 S. Paperback ISBN Format (B x L): 16,5 x 24 cm Weitere Fachgebiete > Psychologie > Psychotherapie / Klinische Psychologie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

2 13 Therapiemethoden und Behandlungs techniken 271 Der prolongierte Einsatz stabilisierender Therapieelemente bei Patienten mit Traumafolgestörungen wird kontrovers diskutiert. Neuner (2008) weist darauf hin, dass nach dem aktuellen Forschungsstand leitliniengerechte konfrontative Behandlungsmaßnahmen auch ohne vorherige stabilisierende Therapiemaßnahmen bei Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen zum Einsatz kommen könnten. Andere Autoren warnen nachdrücklich vor einem Einsatz konfrontativer Techniken ohne vorherige ausreichende (Reddemann 2011). Eine randomisiert-kontrollierte Studie (Cloitre et al. 2010) konnte einen signifikanten Behandlungsvorteil einer Kombiund Übungsphase die Technik eigenständig einsetzen können, was die Selbststeuerung und Selbstwirksamkeit deutlich erhöhe und die Abhängigkeit gegenüber den Therapeuten vermindere. Eine Evidenzbasierung von»trauma Recapitulation with Imagination, Motion and Breath«fehlt. Eine Eigenständigkeit der Methode ist nur schwer erkennbar. Vielmehr lässt sie sich als eine hypnotherapeutisch basierte Technik zur Bearbeitung von Auslösereizen verstehen. Entsprechend ist eine Einbettung von»trauma Recapitulation with Imagination, Motion and Breath«in einen Gesamtbehandlungsplan notwendig. Techniken zur Ressourcenaktivierung und Ressourcenaktivierung und haben Symptomreduktion und Förderung der Funktionalität im Alltag zum Ziel (Sack 2010). Als Gegengewicht zur Beeinträchtigung durch Traumafolgesymptome werden selbstregulative Fertigkeiten trainiert und Strategien zur Distanzierung von belastenden Emotionen und Erinnerungen geübt. Psychische Ressourcen sind persönliche Fähigkeiten, beispielsweise zur Regulation von Affekten und Impulsen, zur Wahrnehmung der eigenen Emotionen, zur interpersonellen Kommunikation und zur Regulierung von Beziehungen. Auch die Fähigkeiten zur Anpassung an wechselnde Anforderungen und Umweltbedingungen sowie kreative Lösungen für Probleme zu finden, lassen sich zu den persönlichen Ressourcen zählen. Ein weiterer, in der Psychotherapie oft unterschätzter Bereich von Ressourcen sind stabile Wertüberzeugungen und Glaubenseinstellungen, die es ermöglichen, Sinnhaftigkeit und Hoffnung auch in schwierigen Lebenssituationen zu empfinden (Linden et al. 2007; Sachsse 2011b). Damit verbunden ist auch die Fähigkeit, sich seiner eigenen Identität als Person sicher zu sein und ein stabiles Selbstwertgefühl zu erleben. Da die Verfügbarkeit von persönlichen Ressourcen für die Bewältigung der Folgen traumatischer Ereignisse ausgesprochen wichtig ist, haben psychotherapeutische Methoden zur Ressourcenaktivierung einen hohen Stellenwert in der Behandlung traumatisierter Menschen. Dies gilt gleichermaßen für die im Sinne einer Entaktualisierung von Traumafolgesymptomen. Ressourcenausbau und Ressourcen aktivierende Angebote des Therapeuten wirken umso besser und nachhaltiger, je genauer sie auf die emotionalen Bedürfnisse und äußeren Lebensumständen des Patienten abgestimmt sind. Folgende Techniken zur Ressourcenaktivierung und werden im Einzelnen vorgestellt (Tab. 13-5, S. 272 f.): Training von Fertigkeiten Achtsamkeitsbasierte tiergestützte

3 272 II Therapie Tab Techniken zur Ressourcenaktivierung und Einsatzbereich Zielsetzung durch therapeutisch angeleitete Beziehungsaufnahme zu Tieren, Ermöglichen positiver Beziehungserfahrungen Angenommene Wirkfaktoren Förderung des Selbstwerterlebens und der Beziehungsfähigkeit Ausarbeitungsgrad Klinische Anwendung Evidenzbasierung Potenziell problematische Aspekte Training von Fertigkeiten Störungsmodell Kindheitstraumatisierungen behindern die Entwicklung von Fähigkeiten zur Selbstregulation und zur Regulation von Beziehungen komplexe Traumafolgestörungen Übernahme von Selbstverantwortung, Training von Fertigkeiten zur Affektregulation, zur Selbstfürsorge und zur Regulation in zwischenmensch lichen Beziehungen strukturierte Vermittlung von Skills, Comittment Traumatisierungen führen zur Fokussierung auf Symptome und negative Gedanken alle Formen von Traumafolgestörungen Ressourcenaktivierung, Förderung von Strategien zur Selbstregulation Fokussierung positiver Emotionen und positiver innerer Bilder Manual, Buchpublikation Buchpublikationen Achtsamkeitsbasierte Traumatisierungen führen zur Fokussierung auf Symptome und negative Gedanken alle Formen von Traumafolgestörungen Defokussierung und Distanzierung von belastenden Erinnerungen und traumaassoziierten Symptomen, Förderung der Gegenwartsorientierung Ressourcenaktivierung durch gezielte Aufmerksamkeitslenkung und akzeptierender Selbstwahrnehmung, antidissoziative Wirkung der Fokussierung auf die Gegenwart Buchpublikationen Tiergestützte kindliche Traumatisierungen führen häufig zu Selbstwertproblemen und Rückzugsverhalten sowie Angst vor Menschen komplexe Traumafolgestörungen gering verbreitet sehr verbreitet verbreitet noch wenig verbreitet mehrere randomisiert kontrollierte Studien bei Borderline-Persönlichkeitsstörung DBT enthält keine konfrontativen Therapieelemente (ergänzende Methode DBT-PTBS) keine auch positive Übungsinhalte können potenziell Auslöser für belastende Erinnerungen sein mehrere randomisiert kontrollierte Studien zur achtsamkeitsbasierten Stressbewältigung nicht bekannt keine Vermeidungsverhalten bezüglich zwischenmenschlicher Kontakte sollte nicht gefördert werden

4 13 Therapiemethoden und Behandlungs techniken 273 Tab Techniken zur Ressourcenaktivierung und (Fortsetzung) Training von Fertigkeiten Achtsamkeitsbasierte Tiergestützte Ausbildung curriculare Weiterbildung im Rahmen von Trauma- therapie- Curricula (z. B. DeGPT) curriculare Ausbildung verfügbar Weiterbildungsangebote im Bereich tiergestützter Pädagogik Literatur ( Auswahl) Bohus und Wolf 2009; Linehan 1996 Huber 2005; Reddemann 2004 Kabat-Zinn 2007 Nestmann 1994 DBT = Dialektisch-Behaviorale Therapie; DeGPT = Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie; PTBS = Posttraumatische Belastungsstörung nation stabilisierender und konfrontativer Behandlungselemente nachweisen. Vor Indikationsstellung einer konfrontativen Bearbeitung der Traumafolgesymptomatik sollte in jedem Fall der individuelle Bedarf an ermittelt werden (s. Flatten 2004, S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung). Training von Fertigkeiten In den letzten Jahren wurden zunehmend manualisierte Trainings zur Förderung selbstregulativer und interpersoneller Fertigkeiten publiziert. Sicherlich am bekanntesten und in der Anwendung am meisten verbreitet ist das Training von Fertigkeiten (»Skills-Training«) im Rahmen der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT; Bohus u. Wolf 2009; Linehan 1996). Die Dialektisch-Behaviorale Therapie ist ein Behandlungskonzept für Patienten mit Borderline- Persönlichkeitsstörungen und umfasst Einzeltherapie, Fertigkeitentraining in der Gruppe (»Skills-Gruppen«), Telefonkontakte in Krisensituationen sowie regelmäßige Intervision der Therapeuten. Im Fertigkeiten- training werden Kenntnisse und Übungen zur achtsamen Wahrnehmung, Regulationsstrategien bei Anspannung und starken Affekten sowie interpersonelle Fertigkeiten und Strategien zur Regulation des Selbstwertes vermittelt. Eigentlich als ambulantes Behandlungsprogramm konzipiert, wird das Fertigkeitentraining in vielen Kliniken auch bei Patienten mit Traumafolgestörungen mit dem Ziel einer und Verbesserung der Funktionalität im Alltag eingesetzt (Unckel 2004). Die Wirksamkeit in der Behandlung von Patienten mit Borderline- Störungen ist durch mehrere randomisiertkontrollierte Studien belegt. Speziell auf die Behandlungsbedürfnisse von Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen infolge sexueller Traumatisierungen in der Kindheit zugeschnitten ist das»skills-training in Affect and Interpersonal Regulation«(STAIR) von Cloitre et al. (2002). Das manualisierte Trainingsprogramm besteht aus acht einstündigen Einzeltherapiesitzungen mit Psychoedukation, Übung von Fertigkeiten und Arbeitsaufgaben für Zuhause. Schwerpunkte des Trainings sind die Verbesserung der Regulation

5 274 II Therapie von Affekten und des Umgangs mit interpersonellen Problemen. Die Wirksamkeit von STAIR auch hinsichtlich einer Verbesserung der spezifischen Traumafolgesymptomatik wurde in zwei kontrollierten Behandlungsstudien nachgewiesen (Cloitre et al. 2006; Cloitre et al. 2010). Auch für Patienten mit dissoziativen Störungen wurde ein Trainingsmanual publiziert, das Psychoedukation und spezielle Übungseinheiten zur Förderung der Gegenwartsorientierung und zur Verbesserung der Selbstwahrnehmung und Selbstregulation umfasst (Boon et al. 2011). Das Manual wurde in Studien bei Patienten in Holland und Finnland eingesetzt, die Ergebnisse sind jedoch noch nicht publiziert. Betroffene profitieren nach klinischer Erfahrung sehr von dem Selbst-Hilfe-Buch»Schritt für Schritt ins Leben«(Striebel 2008). Die Aktivierung von Ressourcen mithilfe von ist besonders dann hilfreich, wenn eine allgemeine Verbesserung der Selbstfürsorge erreicht werden soll. Mehr als bei anderen Methoden ist beim Einsatz von Imaginationen eine vom Therapeuten unabhängige Möglichkeit gegeben, für sich selbst zu sorgen und die innere Befindlichkeit zu verbessern (Huber 2005; Reddemann 2004). nutzen die Kraft archetypischer Bilder von Schutz und Sicherheit zur emotionalen Beruhigung (Achterberg 1990). Die Arbeit mit wohltuenden und ressourcenaktivierenden inneren Bildern wird durch suggestive hypnotherapeutische Elemente ergänzt. Ziel ist es, eigene Kraftreserven zu erschließen. Imagination ist somit ein»handwerkszeug«zur bewussten Einflussnahme auf die Befindlichkeit. Imaginationen unterstützen in ihrer ressourcenaktivierenden Funktion vermutlich den Auf- bzw. Ausbau eines neuronalen Ressourcennetzwerkes. Es ist bekannt, dass Imagination wahrscheinlich die gleichen neuronalen Netzwerke wie konkretes Handeln aktiviert (Decety u. Grèzes 2006). Daher trainieren Leistungssportler ihre Bewegungsabläufe auch auf der imaginativen Ebene. Eine empirische Validierung der Wirksamkeit von als Bestandteil der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie (PITT) im stationären Rahmen liegt vor (Lampe et al. 2008). Eine empirische Validierung der Wirksamkeit von allein in der Anwendung bei Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen fehlt aktuell noch. Solange sich Patienten in einem emotional kritischen und hochbelasteten Zustand befinden beispielsweise wenn sie immer wieder Angst haben, von andrängenden Erinnerungen überflutet zu werden oder sich aufzulösen, sollten keine neuen vermittelt werden. Es muss berücksichtigt werden, dass es den Betroffenen möglicherweise nicht ausreichend gut gelingt, den Fokus auf die Inhalte der Übung zu halten. Die Ruhe während der Imaginationsübung kann dazu führen, dass mühsam in Schach gehaltene belastende Gedanken aufsteigen, die zu einer weiteren psychischen Destabilisierung führen und dann einen dissoziativen Zustand auslösen. Darüber hinaus würde der Betroffene sich in einer für ihn schwer steuerbaren Situation wiederfinden und sich schlimmstenfalls wieder einmal hilflos ausgeliefert fühlen. Davon abgesehen, dass solch ein Erlebnis entmutigend und zudem seelisch und körperlich erschöpfend ist, kann es auch auf der Beziehungsebene zwischen Patient und Therapeut zu Belastungen