Beitrag: Kokain an Bord Neue Wege für den Drogenschmuggel

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Kokain an Bord Neue Wege für den Drogenschmuggel Sendung vom 9. Dezember 2014 von Arndt Ginzel und Michael Kraushaar Anmoderation: Unsere nächste Geschichte spielt über den Wolken, ist aber nicht aus der Luft gegriffen. Sie ist brutale Realität. Drogenkuriere chartern Privatflugzeuge oder kapern sie sogar. Das passiert gar nicht so selten, aber die Sicherheitsbehörden haben solche Verbrechen viel zu wenig auf dem Radar. Arndt Ginzel und Martin Kraushaar lassen die Täter bei Frontal21 und im Spiegel hochgehen. Ein Krimi rund um Koks und mit einem deutschen Kapitän. Text: 11. August 2012, Uhr Ortszeit. Valencia in Venezuela - Landeanflug auf den internationalen Flughafen. Das Flugzeug, Typ Bombardier Global Express, ist eine der größten Geschäftsmaschinen. Ein fliegendes Luxusapartment. An Bord nur eine Passagierin, eine offenbar reiche Libanesin. Der Flug kostet Euro. Bis zur Landung verläuft alles völlig normal. Die Crew ahnt da noch nicht, dass ihr dramatische Stunden bevorstehen. Flugkapitän Kai Lückert erinnert sich: Wir wussten, dass das so oder so unser Ende bedeuten wird. Und es gab nen Zeitpunkt, wo wir auch wirklich gesagt haben: Jetzt ist die Frage, opfern wir uns oder opfern wir die Familien. Direkt nach der Landung wird die Maschine auf eine abgelegene Parkposition dirigiert. Lückert wundert sich, schöpft aber keinen Verdacht: Im Nachhinein wissen wir, wieso, weil sie die Tür und alles in

2 der Schattenseite haben wollten. Die Passagierin übernachtet im Hotel. Lückert und die Crew entschließen sich in der Maschine zu schlafen. Denn ganz früh am nächsten Morgen will die Libanesin ihre Reise fortsetzen. 12. August, etwa 1.00 Uhr: Auf alle Fälle war es so, dass wir plötzlich gemerkt haben, dass viel Bewegung am Flugzeug ist. Wir haben dann geguckt, was los ist. Haben plötzlich gesehen, dass zwei Autos am Flugzeug hinten stehen. Bewaffnete Männer, teilweise in Tarnkleidung, öffnen das Flugzeug. Durch die Ladeluke werfen sie Gegenstände in die Maschine: Es waren weiße Plastiktaschen, Säcke muss man sagen, die groß das Rot-Kreuz-Logo drauf hatten. Was man denkt, ist in dem Moment erst mal: Jetzt läuft irgendwas tierisch schief. Mit Schnellfeuergewehren halten die Männer die Besatzung in Schach, verladen insgesamt 47 Säcke. Den Inhalt kennt die Crew zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Zwei Jahre sind seitdem vergangen. Erstmals berichtet Flugkapitän Lückert über jene Ereignisse. Kai Lückert ist nicht sein richtiger Name. Aus Angst vor der Drogenmafia lebt er heute mit einer neuen Identität. Denn Lückert begreift schnell, dass es um Rauschgift gehen muss. Die Lage wird immer bedrohlicher: Dann wurde am Telefon gesagt, wenn wir jetzt nicht sofort losfliegen, werden wir umgebracht und unsere Familien. Wobei dann auch die klassische Bewegung mit Hals durchschneiden gemacht worden ist. Der Flug war mal so geplant, dass wir nach Burkina Faso fliegen, in die Hauptstadt von Burkina Faso. Burkina Faso ist ein kleiner Staat in Westafrika. Internationale Experten wie der UN-Drogen-Ermittler Pierre Lapaque kennen diese Region als Drogenumschlagplatz. O-Ton Pierre Lapaque, UN-Drogen-Ermittler: In den vergangenen 20 Jahren hat sich Westafrika als guter Transitpunkt für kriminelle Netzwerke entwickelt, um ihr Kokain nach Westeuropa zu exportieren. Wir haben vor ein paar Jahren eine Schätzung gemacht, wie viel das Kokain in Europa wert ist, das von Westafrika geschmuggelt wird. Und wir sind auf rund 1,5 Milliarden Euro im Jahr gekommen. Und

3 das ist eine ganze Menge Geld. Fotos von beschlagnahmtem Kokain, das von Mittelamerika nach Westafrika kam. Als Flugroute nutzen die Täter immer die kürzeste Verbindung zwischen den Kontinenten. O-Ton Pierre Lapaque, UN-Drogen-Ermittler: Sie nutzen den wie wir ihn nennen Highway 10. Das ist der zehnte Breitengrad. Zwischen Äquator und zehntem Breitengrad, das sind weniger als 8000 Kilometer. Und das ist machbar für Doppelpropellermaschinen. Das ist absolut machbar. Erst recht für Kai Lückerts Maschine, die eine Reichweite von über Kilometern hat. Die ist jetzt über dem Atlantik, mit Kurs auf Westafrika. Das Drogenkartell lässt sich regelmäßig die Positionsdaten durchgeben, droht mit dem Tod der Familien. Lückert hat über das Bordtelefon Kontakt zu seinem Chef in Zürich aufgenommen. Der informiert Interpol, auch das Bundeskriminalamt ist eingeschaltet. Stunden vergehen - dann eine positive Nachricht: Die Familien waren in Sicherheit gebracht, die Behörden haben langsam uns gesagt: Okay, so und so schaut es aus, das schlagen wir euch vor, fliegt nach Gran Canaria. Und dann war für uns der greifbare Plan da, dass wir aus den Klauen der Kriminellen rauskommen Uhr. Um nicht doch noch von der Drogenmafia geortet zu werden, schaltet die Crew den Transponder ab. Die Maschine ändert ihre Route. Neues Ziel: die kanarischen Inseln. Ermittler gehen davon aus, dass die Drogenkartelle immer häufiger Privatflugzeuge und Business-Jets nutzen, um ihr Kokain nach Europa zu bringen. Zum Beispiel flog ein mit Kokain vollbeladener Business-Jet im April 2011 unbehelligt um den Globus und wurde erst in Stuttgart abgefangen. Aber auch von Afrika aus, oft von Marokko, starten Kleinmaschinen mit Drogen Richtung Europa. Das geht sogar innerhalb Europas so, weiß Peter Ganzer, Sicherheitsexperte der SPD im Bayerischen Landtag. Mit dem Schmuggel per Kleinflugzeug beschäftigt er sich schon seit Jahren. Auch Crystal Meth kam so schon aus Tschechien nach Bayern. O-Ton Peter Ganzer, SPD, MdL Bayern, Sicherheitsexperte: Wenn ich mit Kleinflugzeugen zum Beispiel Drogen oder Diamanten oder was auch immer schmuggle, dann lande ich auf diesen kleinen Flugplätzen, wo der Zoll gar nicht mehr vertreten ist. Und damit muss ich keine Sorge haben, dass

4 das Flugzeug überhaupt kontrolliert wird. Wir wollen das testen, starten von einem kleinen Flugplatz in Tschechien. Sind gespannt, ob sich der deutsche Zoll oder sonst jemand nach der Landung für unser Gepäck interessiert. Auch unser Pilot kennt diese Kontrolllücken. O-Ton Pilot, Testflug: Die Verkehrslandeplätze beziehungsweise Sonderlandeplätze, die haben natürlich einen Flugleiter und mehr nicht. Also, der Flugleiter macht natürlich keine Kontrollen, der ist nur verantwortlich, lediglich den Piloten Start- und Landerichtung zu sagen, und den Wind. Der Flug kostet gerade mal 2000 Euro. Nach 40 Minuten erreichen wir unser Ziel: ein ehemaligen Militärflugplatz in Sachsen. Jeder Privatflieger kann hier landen. Wie vermutet, keine Kontrollen, kein Zoll. Hätten wir zehn Kilogramm Rauschgift geschmuggelt, würde das bis zu einer Million Euro erzielen. Diese Lücken und Kontrolldefizite sind auf europäischer Ebene lange bekannt. O-Ton Adriaan van der Meer, EU-Kommission Es ist wie mit allem, was mit organisierter Kriminalität zu tun hat. Man sucht das schwächste Element im Abwehrsystem. Und da ist es sehr wahrscheinlich, dass in diesem Zusammenhang die kleineren Flugplätze oder Zugangspunkte, wie ich sie nenne, genutzt werden. Und da müssen wir sehr wachsam sein Uhr. Kai Lückert landet auf Gran Canaria. Jetzt stellt sich heraus, in den Rot-Kreuz-Säcken sind 1,5 Tonnen Kokain verpackt. Der Wert: rund 40 Millionen Euro. Für Kai Lückert und seine Kollegen ist der Albtraum allerdings noch nicht vorbei. Die spanische Polizei glaubt ihnen zunächst nicht, verhaftet sie. Erst als die wahren Täter identifiziert sind, kommen sie wieder frei. Verhaftet wird nicht nur die Libanesin, die die Maschine gechartert hat, sondern der eigentliche Drahtzieher: der weltweit gesuchte Drogenbaron aus Venezuela, Efraim Peredas und der libanesische Waffendealer Ali Koleilat. Was als ganz normaler Flug begann, wurde für Kai Lückert und seine Crew zum Horrortrip. Aus Angst vor Racheaktionen fliegt er heute bestimmte Länder erst gar nicht mehr an. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten

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