Das diskursfähige Subjekt

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1 Das diskursfähige Subjekt

2 Erika Edelmayer Das diskursfähige Subjekt Rekonstruktionspfade einer sozialtheoretischen Denkfigur im Werk von Jürgen Habermas COLLEGE

3 Erika Edelmayer Wien, Österreich ISBN DOI / ISBN (ebook) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Springer VS Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media

4 Geleitwort Nicht eben die Regel der Weg vom Seminar zur Publikation. Angeregt wurde die Studie von einem Seminar über soziologische Aspekte der Theorie kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas, näher über dessen These von der Kolonialisierung der Lebenswelten, am Institut für Soziologie der Universität Wien. Die Verfasserin hat den Seminarimpuls aufgegriffen und ihre Aufmerksamkeit auf ein zentrales Forschungsinteresse von Habermas gelenkt: die Frage nach den Determinanten und Stufen der Bildung des Subjekts, das des Diskurses fähig ist. Wer der Verfasserin auf ihren Pfaden der Rekonstruktion dieser sozialtheoretischen Schlüsselfigur im Werk von Habermas aufmerksam folgt, wird sukzessive die Einsicht gewinnen und validieren, dass der Entwurf einer Theorie kommunikativen Handelns, wie ihn Habermas über zwei Jahrzehnte hinweg ausformuliert hat, weniger in der Traditionslinie der Hegelschen Geschichtsphilosophie sich bewegt, denn in der Perspektive der Kantischen Idee von Aufklärung zu verorten ist. Aufklärung, so eröffnet Kant 1783 die Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Wie Habermas die Verwirklichung der Idee der Mündigkeit in anthropologisch-sozialpsychologischer Perspektive unter den Bedingungen drohender systemischer Kolonialisierung der Lebenswelten, gleichsam die Innenseite seiner Diagnose der Moderne, sich vorstellt, dies kann im Zuge der Lektüre der vorliegenden Studie von Erika Edelmayer en detail nach- bzw. mitvollzogen werden. Wie nicht häufig in der allemal reichhaltigen Sekundärliteratur zu Habermas zu finden, wählt die Verfasserin nicht den Weg der panoramatischen Darstellung, die der Subtilität der habermasschen Gedankenführung nicht achtet. Vielmehr hat sie sich, darin einem erkenntniskritischen Motiv der Kritischen Theorie treu, in die Denkbewegungen von Habermas versenkt. In der Intensität, mit der die Konzeption des diskursfähigen Subjekts, das der Logik des besseren Arguments und nicht der der Macht folgt, ausgeleuchtet wird, liegt der Vorzug der ebenso anspruchsvollen wie gut lesbaren Studie. Sie kann mithin nicht nur als konturenscharfe Darlegung der soziologischphilosophisch grundierten Subjekt-Theorie von Habermas gelesen, sondern darüber hinaus als hilfreiche Einführung in die Eigenart der sozialwissenschaftlichen Denkweise eines der bedeutendsten Gesellschaftstheoretikers der Gegen-

5 6 Geleitwort wart empfohlen werden. Und womöglich liegt ein Nebengewinn der Lektüre darin, nicht länger der modischen Verwechslung von Diskurs mit Diskussion aufzusitzen. Kurz, auch Seminare können gelegentlich beachtliche Früchte tragen. Oder anders und ein wenig boshafter, nach Lektüre der Studie von Erika Edelmayer wagt sich die Frage hervor, wie intensiv denn Luhmann Habermas gelesen hat. Sei dem wie ihm sei. Friedhelm Kröll Professor für Soziologie an der Universität Wien

6 Inhaltsverzeichnis Einleitung Der theoretische Hintergrund Rationalität und Rationalisierung Theorie der Moderne und Gesellschaftstheorie Das sprach- und handlungsfähige Subjekt Bewusstsein und Ich-Identität Konzept der Ich-Entwicklung Entwicklung des Ich Entwicklung der kognitiven Kompetenz Entwicklung der interaktiven Kompetenz Entwicklung des moralischen Bewusstseins Sozialisation Das sprach- und handlungsfähige Subjekt - Zusammenfassung Sprachliche Kommunikation - Voraussetzungen Formalpragmatische Grundlagen Verzerrte Kommunikation Das diskursfähige Subjekt Diskurs Die sprachliche Entwicklung des Kindes Die Entwicklung des moralischen Bewusstseins Das diskursfähige Subjekt - Zusammenfassung... 89

7 8 Inhaltsverzeichnis 5 Deliberative Demokratie Anschluss an die politische Bildung Literatur

8 Einleitung Zivilgesellschaft und Partizipation sind zentrale Themen in der modernen Gesellschaft. Sowohl in den zivilgesellschaftlich organisierten Foren als auch in den von Regierungs- oder legislativer Seite veranstalteten partizipativen Meinungsbildungsprozessen müssen die Beteiligten nicht nur fähig sein, Zweifel an Geltungsansprüchen von Äußerungen und Normen anzumelden, sie sollten auch problematische Meinungen und Normen diskursiv begründen können. Vor diesem Hintergrund ist es von Interesse, den Begriff beziehungsweise die Idee des diskursfähigen Subjekts näher zu betrachten. Nun haben sich verschiedene Denker und Denkerinnen mit der Verbindung von Diskurs und Subjekt auseinander gesetzt. So sieht beispielsweise Michel Foucault die Konstitution des Subjekts von gesellschaftlich beziehungsweise sprachlich vermittelten Machtbeziehungen beeinflusst. Diese Vorstellung einer regulierenden Macht (Butler 1997: 49), die jene Subjekte erzeugt, welche sie beherrscht, greift Judith Butler auf, wenn sie die diskursive Formierung der Geschlechterdifferenz beschreibt. Auch bei Habermas sind die Subjekte mit ihren Verhaltensdispositionen [ ] an die sprachliche Kommunikation angeschlossen und symbolisch durchstrukturiert (Habermas 1995b: 99). Sein Ansatz ist jedoch mit einer Idee von Ethik verbunden, die diese in der Form einer Logik der moralischen Argumentation (Habermas 1983: 67) verstanden wissen will. Als normative Theorie bezieht sich die Diskursethik auf die legitimierende Kraft von Verfahren der moralischen Begründung. Die habermassche Diskursethik erlaubt es nun einerseits, die an Argumentationsverfahren beteiligten Menschen zu betrachten und andererseits, die reflexive Vernunft (Klafki 2007), also jene, die auf Einsicht und Intersubjektivität abzielt und eng mit der moralischen Verantwortlichkeit des Menschen verbunden ist, in den Blick zu nehmen. Damit tritt ein Subjekt in den Mittelpunkt, welches aufgrund seiner Sprach- und Handlungsfähigkeit sowie seiner moralischen Verantwortlichkeit als diskursfähiges bezeichnet werden kann. Nun stellt sich die Frage, wie denn ein solches Subjekt charakterisiert werden kann. Darüber hinaus ist von Interesse, wie und unter welchen Bedingungen es sich entwickelt. Genau diesen Fragen wird in der vorliegenden Arbeit nachgegangen. Zentral ist dabei das Bemühen, nah an den habermasschen Texten zu bleiben, liegt

9 10 Einleitung doch das Ziel der vorliegenden Arbeit darin, die Denkfigur des diskursfähigen Subjekts im Werk von Habermas aufzuspüren und darzustellen. Im Kapitel Theoretischer Hintergrund wird skizziert, aus welchem Grund Habermas sich mit einer Theorie des kommunikativen Handelns beschäftigt, und welche zentralen Punkte diese Theorie beinhaltet. Außerdem wird darauf eingegangen, wo Habermas das Individuum im Spannungsverhältnis von System und Lebenswelt verortet. Danach wird im Kapitel Das sprach- und handlungsfähige Subjekt die habermassche Vorstellung der Entwicklung der kommunikativen Kompetenz des Subjekts herausgearbeitet. Den Ausgangspunkt für diesen Versuch der Rekonstruktion bildet die Darstellung der von Hegel und Mead beeinflussten habermasschen Konzeption des Bewusstseins und der Ich-Identität. Anschließend wird die Entwicklung des Ich sowie der kognitiven, interaktiven und sprachlichen Kompetenzen des Individuums nach Habermas anhand von sozialund entwicklungspsychologisch beeinflussten Modellen erläutert. Da die Ausbildung von Kompetenzen immer an ein bestimmtes Umfeld gebunden ist, werden im Anschluss an die Darstellung der Kompetenzentwicklung jene sozial und sprachlich bedingten Prozesse der Sozialisation betrachtet, in denen das Subjekt seine Sprach- und Handlungsfähigkeit entfaltet. Habermas frühe, doch noch immer aktuelle Überlegungen zur Sozialisation aus dem Jahre 1968 machen nicht nur jene von manchen entwicklungspsychologischen Theorien vernachlässigten Bedingungen sichtbar, unter denen die Ausbildung von Persönlichkeitsstrukturen gehemmt oder gefördert wird; sie können auch als implizite Kritik am Anspruch einer Bildung zur Diskursfähigkeit gelesen werden. Am Ende des zweiten Kapitels erfolgt eine kurze Zusammenfassung der Entwicklung zum sprach- und handlungsfähigen Subjekt. Im Kapitel Sprachliche Kommunikation geht es um die universalpragmatischen Grundlagen von Verständigungsprozessen. Anfangs wird ein Blick auf die Regeln geworfen, nach denen kompetente Sprecher und Sprecherinnen Interaktionszusammenhänge herstellen. Danach werden einige bedeutsame Überlegungen Habermas in Bezug auf systematische Störungen beziehungsweise Verzerrungen der Kommunikation zusammengefasst, welche zeigen, dass pathogene Kommunikationsformen die Entwicklung der Heranwachsenden zur Sprach- und Handlungsfähigkeit beeinträchtigen können. Das Kapitel Das diskursfähige Subjekt bezieht sich zunächst auf wesentliche diskurstheoretische Grundlagen. Dann wird erläutert, wie sich die sprachliche Kompetenz des Individuums herausbildet. Daran schließt eine Beschreibung der Entwicklung des moralischen Bewusstseins an, welche dazu dient, den Entwicklungspfad zur Diskursfähigkeit nachzuzeichnen. Schließlich werden die zentralen Merkmale der kognitiven, sprachlichen, interaktiven und

10 Einleitung 11 moralischen Fähigkeiten auf der Ebene der Diskursfähigkeit sowie einige wesentliche Charakteristika des diskursfähigen Subjekts zusammengefasst. Im Kapitel Deliberative Demokratie wird der Frage nach dem habermasschen Rechts- und Demokratieverständnis nachgegangen; sowie ein Blick auf die TeilnehmerInnen an demokratischen Prozessen geworfen. Es wird erläutert, was Habermas unter der Legitimität des Rechts, deliberativer Demokratie und Zivilgesellschaft versteht. An der habermasschen Konzeption einer prozeduralistischen Demokratie kann nicht nur die Institutionalisierung der Vernunft durch Verfahren der Konsensbildung gezeigt werden, sondern es lassen sich auch die kommunikativen Anforderungen an demokratisch handelnde Individuen deutlich machen. Das Kapitel Anschluss an die politische Bildung stellt einerseits den Versuch dar, die Idealfigur des diskursfähigen Subjekts in der politischen Bildung ausfindig zu machen. Andererseits wird im letzten Kapitel der Anspruch erhoben, dass Diskursfähigkeit als zentrale, fächerübergreifende Kompetenz in jenem pädagogischen Bereich gelten sollte, der die Bildung zur Demokratiefähigkeit zu seiner zentralen Aufgabe erklärt.