Mit dem 5. Jh. v. Chr. bringen wir
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- Fabian Geisler
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1 AMPHOREN AUF AMPHOREN Wie Chios während einer Krisenzeit eine Marke einführte Während die meisten Städte der antiken Landschaft Ionien nach der Niederlage gegen die Perser zu Beginn des 5. Jhs. v. Chr. eine Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs erleiden, erlebt die Insel Chios einen ökonomischen Aufschwung. Dies lag, so wird im Folgenden argumentiert, nicht nur am Vorhandensein entsprechender Ressourcen und Manpower in Ge stalt von Sklaven, sondern auch an der Entscheidung, die Amphoren und Waren mit dem offiziellen Symbol, der vor einer chiotischen Amphora sitzenden Sphinx, zu siegeln. von Anja Slawisch Mit dem 5. Jh. v. Chr. bringen wir für gewöhnlich die politische, wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit Athens in Zusammenhang. Es ist das Jahrhundert, in dem die Demokratie eingeführt, der Parthenon auf der Athener Akropolis gebaut und die klassische Skulptur kreiert wurde. Namen wie Perikles, Phidias und Polyklet oder auch Sokrates und Platon haben noch heute einen festen Platz im Bildungskanon. Das 5. Jh. v. Chr. ist aber auch das Jahrhundert, in dem Griechen gegen Perser und Griechen gegen Griechen einen erbitterten Kampf um die Vorherrschaft zu Lande und zur See führten und zwar nicht nur, um die zukünftige Politik der Region zu bestimmen, sondern vor allem auch zur Verteidigung, zum Ausbau und zur Absicherung von Handelsrouten. Bevor jedoch Athen zur Großmacht aufsteigen konnte, waren es vornehmlich Ionier und ionische Waren, die überregionale Bekanntheit und Verbreitung erfuhren. Die antike Landschaft Ionien umfasste die Siedlungen an der Westküste Kleinasiens in der heutigen Abb. 1 Küstenbereich der Insel Chios in der Nördlichen Ägäis (links unten) und der Türkischen Küste bei Cesme und Alacati. 8
2 TITELTHEMA Nestos Byzanz Strymon Thasos Thasos (493) Athos Thrakisches Meer Samothrake Lemnos Imbros Hebr u s THRAKIEN Paesos TROAS Hellespont Lampsakos Percote Abydos Dardanos Parion MYSIEN Marmarameer Kios N S Skiathos Sporaden ATTIKA Euböa Athen Eretria Saronischer Golf Mittelmeer Ägäisches Meer Skyros Kykladen Paros Mykonos Lesbos Chios Chios (493) Kaukasa Naxos (499) Naxos Ikaria Mytilini Polichnitos Kyme Phokaia Erythrai ÄOLIEN Atarneus Malene (493) Hermos Klazomenae Teos Lebedos Kolophon Ephesos Ephesos (498) Samos Priene Samos Lade Myus (494) Milet (494) Kos Sardis (498) Timulus 2137 m IONIEN Mäander Labraunda (496) Pedasus (496) Makestos LYDIEN Marsyas Marsyas KARIEN km Militärische Operationen während der Ionischen Revolte von dem Feldzug gegen Naxos (499) bis zum Tod Histiaeus (493) Rhodos Stadt der Ionischen Bundesgenossen Belagerung (mit Datum) Schlacht (Sieg der Griechen) Schlacht (Sieg der Perser) Kydonia Unterbrochener Feldzug Aufgegebene Belagerung Kreta Expedition gegen Naxos (499) Ionische Offensive (498) Expedition gegen Zypern (498/497) Daurises Feldzug (497/496) Hymaees Feldzug Otanes Feldzug Knossos Histiaeus Feldzug (493) Zypern Abb. 2 Die Karte zeigt Kleinasien mit Ionien sowie die militärischen Operationen während des Ionischen Aufstandes. 9
3 AMPHOREN AUF AMPHOREN Wie Chios während einer Krisenzeit eine Marke einführte Türkei zwischen Phokaia (heute Foça) im Norden und Milet (heute Balat) im Süden sowie die griechischen Inseln Chios (Abb. 1) und Samos. Aufstieg und Niedergang Ioniens Ionien und die Metropolis Milet waren nicht nur die Heimat von Naturphilosophen wie Thales und Anaximander, die Städte unterhielten auch Handelskontakte bis weit über den Mittelmeerraum hinaus. Hier wurden im 7. und 6. Jh. v. Chr. Tempelbauten von nie dagewesener Größe errichtet. Erinnert sei an eines der Sieben Weltwunder, das Artemision von Ephesos. Die Prosperität der ionischen Städte in archaischer Zeit ist sowohl literarisch als auch archäologisch bestens belegt, wobei Milet in mehrfacher Hinsicht hervorsticht, beispielsweise durch die besonders hohe Anzahl an Koloniegründungen vornehmlich an den Ufern des Schwarzen Meeres. In politischer und administrativer Hinsicht unterstanden die ionischen Städte ab der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. dem lydischen sowie nach der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. dem persischen König. Gegen die persische Vorherrschaft richtete sich der unter Aristagoras von Milet initiierte Ionische Aufstand, der um 500/499 v. Chr. seinen Anfang nahm und mit der Niederlage der griechischen Flotte bei der Insel Lade 494/493 v. Chr. endete (Abb. 2). Antike Texte liefern uns verschiedene Details für jede der ionischen Städte: Während Chios im Jahr 494 v. Chr. 100 Schiffe zur Entscheidungsschlacht bei Lade schickte, nahmen andere überhaupt nicht teil oder desertierten (Herodot 6, 8, 1 2). Auch teilten nicht alle das Schicksal Milets, deren Stadtzentrum zerstört und deren Bürger ins persische Kernland deportiert wurden (Herodot 5, 120; 6, 19 20). Dennoch sind aus der gesamten Region nur sehr wenige Belege für Bauaktivitäten oder andere materielle Hinterlassenschaften aus der Folgezeit überliefert. Diese Divergenz zwischen der Materialfülle der archaischen Zeit und dem nachfolgenden 5. Jh. v. Chr. ist von den in der Region tätigen Archäologen immer wieder festgestellt worden und wird zumeist, wie schon in den 1960er Jahren durch John M. Cook, mit einer tiefgreifenden ökonomischen Krise der gesamten Region erklärt. Jüngste Forschungen vermitteln allerdings ein deutlich differenzierteres Bild von der Entwicklung der einzelnen ionischen Städte während des 5. Jhs. v. Chr. Einerseits werden zwar bestimmte Produkte wie z. B. die milesische Fikelura-Keramik nicht mehr hergestellt, sei es weil die Werkstätten zerstört oder die Nachfrage eingebrochen, oder weil der Zugriff auf die nötigen Rohstoffe nicht mehr gewährleistet war. Andererseits ist häufig nicht zu entscheiden, welche Faktoren konkret zur Einstellung der Produktion einer bestimmten Gattung geführt haben und ob hier tatsächlich ein Kausalzusammenhang mit dem verlorenen Aufstand vorliegt. Chios behauptet sich am Markt Eine der markantesten Veränderungen ist die Verlagerung oder Aufgabe von Handelsnetzwerken zwischen einzelnen ionischen Städten und Siedlungen am Schwarzen Meer. Eine besonders enge Beziehung dorthin unterhielt Milet im 7. und 6. Jh. v. Chr., vor allem wegen ihrer zahlreichen Kolonien. Südionische Transportamphoren aus der Region Milet-Samos dominieren das Fundspektrum dieser Zeit, aber auch Transportamphoren aus dem nordionischen Klazomenai sind ausgesprochen häufig belegt. Sergey Monakhov und Elena Kuznetsova veröffentlichten kürzlich eine detaillierte Zusammenfassung des Überseehandels mit der Schwarzmeerregion von der archaischen bis zur hellenistischen Zeit, basierend auf den Funden von Transportamphoren, die dorthin importiert worden sind. Dabei konnten sie die sich verändernden Verteilungsmuster importierter Waren über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten am Beispiel des Kimmerischen Bosporus hervorragend veranschaulichen. Deutlich wird, dass beispielsweise Transportamphoren aus Klazomenai nicht mehr in den Assemblagen des ersten Viertels des 5. Jhs. v. Chr. auftauchen. Auch der Anteil milesisch-samischer Amphoren geht zu dieser Zeit dramatisch zurück. Transportamphoren aus Chios dagegen sind entweder konstant hoch vertreten oder treten an einigen Orten sogar noch häufiger auf als vorher. Für Klazomenai berichten die Schriftquellen von der Aufgabe ihrer Stadt und der angrenzenden Chora (Herodot 5, 123; Pausanias 7, 3, 9) und einer Umsiedlung auf die nahegelegene kleine Insel Karantina zu der Zeit, als das persische Heer nach Süden vorrückt, d. h. am Beginn des 5. Jhs. v. Chr. Archäologische Ausgrabungen bestätigen die Aufgabe von Häusern und Werkstätten zu dieser Zeit. Auch in Milet führte die Zerstörung der Stadt zu einer erheblichen Unterbrechung des täglichen Lebens. Eine Produktion lokaler Waren lässt sich im zweiten Viertel des 5. Jhs. v. Chr. nicht nachweisen. Samos hingegen wurde nicht zerstört, scheint aber durch den Fall Milets in Mitleidenschaft gezogen zu sein. Darüber hinaus berichtet Herodot (6, 22 24) davon, dass ein Teil der Samier die Insel verließ und in Zankle Zuflucht suchte. Also auch hier verlassen lokal ansässige Bevölkerungsgruppen ihre Heimat. Chios wiederum verlor die meisten ihrer 100 Schiffe bei Lade und sah sich einem Angriff persischer Truppen ausgesetzt, die, so beschreibt es Herodot (6, 8, 1 2), die Insel durchkämmten auf der Suche nach Knaben und Mädchen, um sie an den persischen Hof zu verkaufen. Im Kontrast dazu steht die Beschreibung Thukydides (Der Peloponnesische Krieg 8, 45, 4), der die Insel nur wenig später 10
4 TITELTHEMA Abb. 3 Die Formentwicklung der chiotischen Transportamphoren vom späten 6. Jh. v. Chr. bis zur zweiten Hälfte des 5. Jh. v. Chr. ist heute relativ gut bekannt, sowohl aufgrund der Darstellung auf chiotischen Münzen (s. Abb. 4 und 5) als auch aus Grabungsbefunden. 11
5 AMPHOREN AUF AMPHOREN Wie Chios während einer Krisenzeit eine Marke einführte die «Reichste unter den Hellenen» nennt. Doch worauf gründete sich der Reichtum der Insel? Und wie gelang es ihr, den Warenexport aufrechtzuerhalten bzw. auszubauen, während Milet, Samos oder auch Klazomenai nur noch eine sehr untergeordnete Rolle spielten. Warum wirkte sich der verlorene Aufstand nicht ähnlich auch auf Chios aus? Chios bleibt resilient Die Fähigkeit eines Systems auf Störungen zu reagieren und sich durch Anpassung zu regenerieren wird heute mit dem Begriff der Resilienz beschrieben. Wenn wir die Mechanismen hinter derartigen Prozessen und vor allem die Faktoren, die diese beeinflussen, verstehen, können wir begreifen, warum einige Städte reslienter sind als andere. Im Fall der wirtschaftlichen Entwicklung der Insel Chios bedeutet resilient, dass die Insel offenbar ihre Handelsbeziehungen nicht nur aufrechterhalten, sondern sogar intensivieren konnte und allem Anschein nach den vorher von Milet und Samos Abb. 4 Chiotische Münze der sog. 2. Prägeperiode, um 490 v. Chr. mit der Darstellung einer hockenden Sphinx vor einer chiotischen Amphora mit geschwollenem Hals dominierten Warenstrom zumindest zum Teil ersetzte. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man sich die statistische Verteilung der Amphorenfunde aus den Siedlungen am Schwarzen Meer ansieht. Einschränkend muss jedoch betont werden, dass solche Beobachtungen nie eindeutig sind. Transportamphoren konnten mehrfach wiederverwendet werden. Ferner sind die Hersteller der darin transportierten Waren nicht zwangsläufig auch in den Vertrieb involviert. Hinzu kommen die vielfältigen Konsumptionsebenen (z. B. als Grabbehältnisse). Trotz dieser komplexen Nutzungs- und Interpretationsebenen eignen sich Transportamphoren als Proxy für Handelsaktivitäten. Wetter, Wein und Sklaven Die klimatischen und naturräumlichen Voraussetzungen auf der Insel waren und sind ausgesprochen günstig: Es gibt genug Wasser, fruchtbaren Boden, Tonvorkommen und Zugang zu den Häfen. Auch an Arbeitskräften gab es offenbar keinen Mangel. So erwähnt Thukydides, dass, abgesehen von Sparta, Chios über mehr Sklaven verfügte als jede andere griechische Stadt (Thukydides 8, 40,2). Theompompos von Chios berichtet, dass die Bewohner von Chios die Ersten waren, die Sklaven in größerer Anzahl kauften und auch, dass die Chioten die Kunst Wein zu machen von Dionysus erlernt hatten (FGrHist 115 F122a). Andere antike Autoren rühmen den roten chiotischen Wein für seine Qualität. Über haupt scheint die Nachfrage nach Wein zu dieser Zeit beträchtlich gewesen zu sein, denn nur so lässt sich der von Plutarch (Solon 24, 1) überlieferte Preis von einer Mina (= 100 Drachmen oder 100 Tageslöhne eines Facharbeiters) zur Zeit des Sokrates erklären. Am Beispiel der Insel Chios lässt sich, wie schon Alain Bresson herausgearbeitet hat, eine bewusste Hinwendung zur Massenproduktion von Wein unter Ausbeutung ortsfremder Arbeitskräfte (Sklaven) beobachten. Transportamphoren aus Chios Die Formentwicklung der auf Chios hergestellten Transportamphoren ist gut erforscht. Die Exemplare des späten 6. Jhs. v. Chr. weisen einen bauchigen Gefäßkörper, einen pointierten Fuß mit kleinem Absatz sowie einen eingezogenen Hals mit einer breiten wulstigen Ausbuchtung unterhalb der Gefäßlippe auf. Irgendwann um die Jahrhundertwende vom 6. zum 5. Jh. v. Chr. wird der Amphorenhals enger, die wulstige Ausbuchtung wird schma - ler und pointierter. Auch die Gefäßlippe ist nun deutlicher abgesetzt. Möglicherweise sollte auf diese Weise das Verschließen der Gefäße während des Transportes erleichtert werden. Spätestens ab dem mittleren 5. Jh. v. Chr. wird die fast kugelförmig geschwollene Wandung immer deutlicher vom Hals abgesetzt; eine Entwicklung, die sich noch bis in die 420er Jahre v. Chr. beobachten lässt. Etwa um die 440er Jahre des 5. Jhs. v. Chr. begann man einen neuen Typ, nämlich Amphoren mit einem hohen 12
6 TITELTHEMA zylindrischen Hals, zu produzieren. Diese treten eine Zeit lang parallel zu dem eben erwähnten Typ auf (Abb. 3). Dass man schon früh eine ungefähre Vorstellung von der Formentwicklung chiotischer Transportamphoren hat, ist auch der Tatsache geschuldet, dass sie als Motiv auf der zeitgenössischen Münzprägung vorkommen. Charakteristisches Motiv chiotischer Münzen war ab der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. die sitzende Sphinx mit aufgestellten Vorderbeinen in Seitenansicht. Mit Beginn der zweiten Prägeperiode, die Nicholas Hardick um 490 v. Chr. einsetzen lässt, erscheint nun das Bild einer chiotischen Amphora zusammen mit der Sphinx (Abb. 4). Zwar gibt es auch andernorts Münzserien mit dem Bild einer Amphora, die chiotischen Beispiele zeichnen sich jedoch durch eine ausgesprochen charakteristische und damit leicht wiederzuerkennende Form aus, die der Realität sehr nah kommt. Dass es sich von Anfang an um eine Chiffre für den Transport (und damit Export) von Wein aus Chios handelt, wird auch durch die im späten 5. Jh. v. Chr. hinzugefügte Traube am Weinstock nahegelegt (Abb. 5). Virginia Grace verdanken wir die Beobachtung, dass eben diese Münzbilder als Vorlage für die Herstellung der ersten chiotischen Amphorenstempel gedient haben. Mittlerweile sind mindestens sechs Exemplare von der Athener Agora, dem Kerameikos sowie aus den Ausgrabungen des punischen Amphoren-Gebäudes in Korinth bekannt. Es handelt sich in den meisten Fällen um Spiegelbilder der Münzen, was darauf hindeutet, dass sie als Vorbilder für die Abformung dienten (Abb. 6). In einem Fall hat man offenbar direkt auf eine Münze als Stempel zurückgegriffen. Hier ist der Abdruck vertieft und nicht erhaben, wie bei den übrigen Beispielen. Abb. 5 Drachme der sog. 3. Prägeperiode, nach 412 v. Chr. Darstellung einer hockenden Sphinx vor einer chiotischen Amphora mit gestrecktem Hals. Über der Amphora hängt eine Weinrebe 13
7 AMPHOREN AUF AMPHOREN Wie Chios während einer Krisenzeit eine Marke einführte Abb. 6 Stempel auf dem Henkel einer chiotischen Amphora. Die Anordnung der Sphinx mit Amphora ist spiegelbildlich zu der auf den Münzen. Möglicherweise wurden die Siegel direkt von den Münzstempeln abgeformt. «Alter Wein in neuen Schläuchen» oder wozu dienten die Stempel? Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass sich in einem Fall ein Stempel, der eine Amphora mit geschwollenem Hals vor einer sitzenden Sphinx zeigt, auf einer chronologisch späteren Amphora mit zylindrischem Hals befindet. Bereits Grace hat hier einen möglichen Zusammenhang mit der Markteinführung des neuen Typs hergestellt. Der Stempel fungiere hier gewissermaßen als Garant für die unveränderte Herkunft (aus Chios) und die Qualität des Weines trotz seiner offensichtlich neuen «Verpackung» (Abb. 7). Zwar lässt sich eine sporadische Kennzeichnung von Amphoren, beispielsweise durch aufgemalte Kreise oder auch Grafitti, schon in archaischer Zeit beobachten, die genannten chiotischen Transportamphoren des fortgeschrittenen 5. Jhs. v. Chr. gehören aber zu den frühesten bekannten Beispielen mit Stempel und erst ab dem 4. Jh. v. Chr. treten Amphorenstempel dann vermehrt auch andernorts auf. Ferner weisen diese nun neben Bildmotiven auch Legenden auf. Besonders viele Stempel sind aus Thasos und Rhodos überliefert. Sphinx und Amphora Offizielle Symbole von Chios Dass die chiotischen Stempel eher öffentlichen als privaten Charakter hatten, wird durch die Motivwahl nahegelegt, die hier ohne zusätzliche Schriftzeichen, Namenskürzel oder andere Erläuterungen auskommt. Die sitzende Sphinx ab dem 6. Jh. v. Chr. sowie zusammen mit der Amphore ab dem 5. Jh. v. Chr. werden zu Parasema, d. h. zu offiziellen Symbolen der Insel. Mit der Entstehung und Verbreitung solcher Symbole hat sich kürzlich Simone Killen (vgl. S. 17 ff.) ausführlich befasst. In unserem Zusammenhang ist vor allem die Tatsache hervorzuheben, dass Chios das einmal gewählte Motiv über viele Jahrhunderte beibehält. Überliefert sind ab dem 4. Jh. v. Chr. lokale Gewichte (Abb. 8 a.b), Tonröhren aber auch offizielle Inschriften, die in Athen oder Delphi aufgestellt waren und die chiotischen Symbole tragen. Abb. 7 Amphora und Siegelbild weisen nach Chios, doch während die Randform zu einer Amphora mit gestrecktem Hals gehört, vertritt die Amphora auf dem Stempel noch den älteren Typ. Möglicherweise sollte somit auf die veränderte «Verpackung» hingewiesen werden. 14
8 TITELTHEMA Abb. 8 a.b Nach der Hinzufügung der Amphora zur sitzenden Sphinx im Verlauf des 5. Jhs. v. Chr. wurden beide zusammen zum offiziellen Symbol der Insel. In der Folgezeit treten sie auf verschiedenen Bildträgern, beispielsweise auf Marktgewichten auf: hier ein Dimnaion aus Blei des 4. Jhs. v. Chr. sowie rechts ein Ogdoon aus Blei, vermutlich aus dem 1. Jh. v. Chr. Commodity Branding und Resilienz Die frühesten Belege für die Hinzufügung der Amphora sind interessanterweise erst aus der Zeit nach dem Ionischen Aufstand überliefert. Mit dieser Entscheidung, nämlich auch die chiotische Amphora zum offiziellen Symbol von Chios zu machen, kreierten die Chioter bewusst oder unbewusst eine starke Marke, die sowohl als Gütesiegel als auch als Herkunftsgarant fungierte. Hinzu kommt im Falle von Chios der unbestrittene Wiedererkennungswert. Ein solches Commodity-Branding war für die griechische Welt natürlich nicht neu. David Wengrow hat bereits vor einigen Jahren nachgewiesen, dass es sog. Brandingsysteme schon im 4. Jt. v. Chr. in Mesopotamien gab. Die Chioten haben den Zeitpunkt für die Einführung ihrer Amphorenstempel jedenfalls perfekt gewählt. Mit der Zerstörung Milets wurden umfangreiche Marktkapazitäten vor allem am Schwarzen Meer frei und Abb. 9 Dieser Siegelring aus Jaspis wurde in einem Kurgan der Nekropole von Pantikapeion gefunden. Auf ihm ist eine chiotische Amphore mit geschwollenem Hals dargestellt ein weiteres Indiz für die engen Verbindungen zwischen dem Schwarzmeergebiet und der Insel Chios zu jener Zeit. 15
9 AMPHOREN AUF AMPHOREN Wie Chios während einer Krisenzeit eine Marke einführte das bei steigender Nachfrage nach ägäischen Weinen. Die nunmehr eingeführte Siegelung ihrer Produkte erlaubte es der Insel ein unverwechselbares Image zu kreieren, das für höchste Qualität stand und sich dementsprechend teuer verkaufen ließ. Ein in einem Kurgan der Nekropole von Pantikapeion gefundener Siegelstein aus Jaspis auf dem ebenfalls eine chiotische Amphore dargestellt ist, legt die Vermutung nahe, dass Zwischenhändler die Amphoren mit Hilfe vergänglicher Objektträger (z. B. Wachs) versiegelten (Abb. 9). Als einer der wenigen Städte Ioniens gelang es Chios im Verlauf des 5. Jhs. v. Chr. seine Handelskontakte auszubauen und sich innerhalb weniger Jahre von der Niederschlagung des ionischen Aufstandes und dem Verlust der Flotte zu erholen. Neben der Tatsache, dass Chios über Sklaven und die entsprechenden natürlichen Ressourcen verfügte, verhalf die gezielte Vermarktung chiotischer Produkte, allen voran Wein, der Region zu wirtschaftlicher Resilienz und Aufschwung. Die Tatsache, dass Klazomenai verlassen und Milet zerstört waren, dürfte dabei auch eine Rolle gespielt haben. Der Beitrag ist Teil eines Projektes, das im Rahmen des Programms Horizon 2020 für Forschung und Innovation von der Europäischen Union unter Grant Agreement N gefördert wurde. Er basiert auf einem Vortrag, den ich im Mai 2018 im Panel 5.18 «Trust, branding and fakes in the Ancient World» des 19th International Congress of Classical Archaeology in Köln / Bonn gehalten habe. Adresse der Autorin Prof. Dr. Anja Slawisch Institut für Archäologische Wissenschaften Abteilung Klassische Archäologie Fahnenbergplatz/Rektoratsgebäude D Freiburg Bildnachweis Abb. 1: akg-images / euroluftbild.de/erich Meyer; 2: Peter Palm, Berlin, nach Toby Wilkinson; 3: nach Hesperia 69 (2000) Fig. 14,15; 4: nach V. Grace, Amphoras and the ancient wine trade. American School of Classical Studies at Athens (³1979) Abb 49; 5: Fitzwilliam Museum Cambridge; 6: Trustees of the American School of Classical Studies at Athens; 7: nach Deltion 25,1 ( 1970) Taf. 46 Abb. e; 8 a: Bibliothèque nationale de France, département des Monnaies, médailles et antiques, Bab Bl 2240; 8 b: bpk / Antikensammlung, SMB; 9: St. Petersburg, Eremitage Inv. P Literatur A. BRESSON, The making of the ancient greek economy. Institutions, markets, and growth in the city-states (2016). J. M. COOK, The Problem of Classical Ionia, in: ProcCambrPhilSoc 187 (1961) Y. GARLAN, Les timbres amphoriques en Grèce ancienne. Nauvelles questions. Nouvelles méthodes. Nouveaux résultats, in: Journal des savants (2013) V. GRACE, Amphoras and the ancient wine trade. American School of Classical Studies at Athens ( ). N. HARDWICK, The Coinage of Chios from the VIth to the IVth Century B.C., in: M. Hoc (Hrsg.), Actes du XIe Congrès International de Numistmatique organisé a l occasion du 150e anniver-saire de la Société Royale de Numismatique de Belgique Bruxelles, 8 13 septembre 1991 (1993) S. KILLEN, Parasema. Offizielle Symbole griechischer Poleis und Bundesstaaten, Deutsches Archäologisches Institut, Archäologische Forschungen 36 (2017). C. G. KOEHLER, Amphoras on Amphoras, in: Hesperia: The Journal of the American School of Classical Studies at Athens 51, 3 (1982) M. L. LAWALL, Graffiti, Wine Selling, and the Reuse of Amphoras in the Athenian Agora, ca. 430 to 400 B.C., in: Hesperia: The Journal of the American School of Classical Studies at Athens 69, 1 (2000) DERS., Socio-Economic Conditions and the Content of Amphorae, in: Ch. Tzochev / T. Stoyanov / A. Bozkova (Hrsg.), Production and Trade of Amphorae in the Black Sea. Acts of the International Round Table held in Kiten, Nesse-bar and Sredetz, September 26 30, 2007 (2011) S. I. MONAKHOV / E. V. KUZNETSOVA, Overseas trade in the Black Sea region from the archaic to the Hellenistic period, in: V. KOZLOVSKAYA (Hrsg.), The Northern Black Sea in antiquity: Networks, connectivity, and cultural interactions, Cambridge (2017) N. RAUH / C. AUTRET / J. LUND, Amphora Design and Marketing in Antiquity, in: M. Frass, Kauf, Konsum und Märkte. Wirtschaftswelten im Fokus Von der römischen Antike bis zur Gegenwart (2013). A. SLAWISCH, Ionien im 5. Jh. v. Chr. Kollaps, Resilienz, Regeneration. Habilitationsschrift zur Erlangung der venia legendi im Fach Klassische Archäologie, eingereicht an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum (2017). D. WENGROW, Prehistories of Commodity Branding, in: Current Anthropology 49, 1 (2008) Anzeige 16
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