Von der Mikro- zur Makroevolution... (3) - Problem Fortschritt
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- Timo Holtzer
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1 Von der Mikro- zur Makroevolution... (3) - Problem Fortschritt
2 Wiederholung: Anpassungsleistungen durch natürliche Selektion Evolution funktioniert derartig, daß aus einem Reservoir zufälliger Mutationen (in Form von Allelen im Genpool einer Art) durch natürliche Selektion sich tendenziell die Individuen mit besseren Überlebensmerkmalen im Phänotyp fortpflanzen, als die Individuen, denen dieses Merkmal fehlt. Das führt zu einer Anreicherung der Allele in der Population, die dieses Merkmal exprimieren, Allele, die dieses Merkmal im Genotyp nicht codieren, werden rezessiv oder werden aus dem Genpool ausgemerzt. Beispiel: Entwicklung des Auges - Sehen ist ein enormer Überlebensvorteil - Auf der Erde wurde das Auge ca. 40 mal unabhängig voneinander erfunden - für fast alle optischen Abbildungsprinzipien gibt es rezente Beispiele Die Natur arbeitet hervorragend bei der schrittweisen Optimierung vorhandener Grundbaupläne: Wirbeltierauge Oktopusauge Sackgassen in der Entwicklung führen zu Stillstand oder Aussterben (Säbelzahntiger) Das Einzige, was Evolution benötigt, sind sich ändernde Umweltbedingungen und Zeit
3 Entwicklung des Oktopus-Linsenauges aus einem Photorezeptorfleck Fleck Becherauge Lochkamera Primitive Linse Krakenauge
4 Eigenschaften der Darwinschen Evolution von Anpassungseigenschaften 1. Es gibt keine Sprünge Anpassungen erfolgen immer graduell 2. Grundbaupläne können variiert und optimiert aber nicht grundsätzlich geändert werden (z.b. Homologie der Gliedmaßen von Vertebraten) 3. Stammeslinien sind stetig und damit lückenlos auch wenn fossile Belege fehlen 4. Ähnliche Umweltbedingungen führen zu ähnlichen Bauplanoptimierungen --> Konvergente Evolution: morphologische Ähnlichkeit sonst nicht näher verwandter Formen
5 Entwicklung Land Meer am Beispiel der Wale
6 Ist Evolution = Fortschritt? Das Fortschrittsdenken beinhaltet folgende geschichtsphilosophischen Axiome: Die geschichtliche Entwicklung verläuft linear Der allgemeine Zustand wird zunehmend besser, eventuell durch Rückschläge unterbrochen Eventuell kommt noch die Vorstellung hinzu, daß die Veränderungen einem Ziel zusteuern ("Teleologie") Oft ist mit dem Fortschrittsglauben die Vorstellung verbunden, daß sich Geschichte planvoll entwickle (z.b. marxistische Geschichtsphilosophie) --> Veränderung ist im Regelfall eine Verbesserung... Führen evolutionäre Veränderungen zu fortschrittlicheren Lebewesen? Mikrobe --> Einzeller --> Wurm --> Fisch --> Reptil --> Maus --> Mensch??? ist Evolution zweckgerichtet --> Endziel ist der Mensch??? (Teleologie) Fortschritt setzt einen gerichteten Trend voraus!
7 Was bedeutet Fortschritt in der Entwicklungsgeschichte der Lebewesen? In der Phylogenese eines Zweiges im Stammbaum nimmt die Komplexität der Lebewesen zu (?) Im Laufe der Zeit wird die Anpassung an die Umwelt immer besser (?) Die Diversität eines Astes im Stammbaum wird immer größer (?) Eine Art behauptet sich in ihrer Umwelt immer besser und verdrängt andere, weniger erfolgreiche Arten (?) Intuitiv: Die Evolution scheint sich zielgerichtet von weniger komplexen zu immer komplexeren Lebewesen zu entwickeln, was als Fortschritt wahrgenommen wird Läßt sich dieser Fortschritt quantifizieren? Parameter: Häufigkeit des Auftretens (z.b. Anzahl der Arten pro taxonomische Einheit) Komplexität im Sinne von Kompliziertheit / angepaßt sein
8 Gauß-Verteilung: Mittelwert, Median und Modus fallen zusammen und bilden das Maximum Links- und rechtsschiefe Verteilung: Mittelwert, Median und Modus fallen nicht mehr zusammen Ursache für schiefe Verteilungen sind Wände, die an einer Seite nicht mehr unterschritten werden können. Der Bereich der Abszisse, den die Verteilungsfunktion einnimmt, beschreibt die Variationsbreite
9 Beobachtungen und Tatsachen öffentliche Meinung : Man sieht in einem geologischen Zeitalter immer nur die großen und vorherrschenden Tiere Paläozoikum: Trilobiten, Fische Mesozoikum: Lurche, Saurier Kanäozoikum: Elefanten, Säbelzahntiger, Menschenaffen, Menschen und übersieht, daß in diesen Epochen die in den Epochen zuvor lebenden Tierklassen immer noch in großer Zahl die Erde besiedeln und zwar bis heute Bei Naturkatastrophen (z.b. Meteoriteneinschlag) sterben offensichtlich fast immer die jeweils am höchsten entwickelten Lebewesen aus Je höher eine Art entwickelt ist, desto geringer ist ihre Populationsgröße im Vergleich zu weniger entwickelten Arten Das führt dazu, daß höher entwickelte Arten viel mehr gefährdet sind, auszusterben Alle Arten von Lebewesen, die heute leben, sind das Ende einer ca. 4 Milliarden Jahre alten Ahnenreihe, die jeweils ununterbrochen bestanden hat.
10 Häufigkeit des Auftretens Die linke Wand kennzeichnet die geringstmögliche Komplexität eines Lebewesens Komplexität ---> Biodiversität: ca Millionen Bakterienarten ca. 1 Million niedere Tiere (hauptsächlich Arthropoden) ca Wirbeltiere (ohne Mammalia) ca Säugetierarten (Mammalia)
11 Ist es sinnvoll ein Ganzes (also alle zu einem bestimmten erdgeschichtlichen Zeitpunkt existierende Lebewesen) nur durch einen von uns ausgewählten repräsentativen Teil zu beschreiben? Beispiel: Zeitalter der Säugetiere (aber es gibt nur ca Arten) Wenn man es recht betrachtet, ist aber die vorherrschende Lebensform auf der Erde (und war es schon immer), die bakterielle Form. - und zwar in ihrer Diversität - in der Größe der in ihnen gebundenen Biomasse - in ihrer Robustheit gegenüber Naturkatastrophen - in ihrer Anpaßbarkeit Ähnliche Erfolgsmerkmale haben höchstens noch die Gliederfüßler (Arthropoden) aufzuweisen. Komplexe, also nach landläufiger Meinung fortgeschrittenere Lebensformen, stellen lediglich Extremwerte in der Variationsbreite der Lebewesen dar.
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13 Warum sind die Bakterien die vorherrschende Lebensform auf der Erde? Bakterien und ihre Viren (Phagen) kommen überall vor (in allen Organismen, Erde, Wasser, Luft besiedeln alle auch nur annähernd für Leben geeignete Örtlichkeiten Die Artenzahl wird auf 1 bis 10 Millionen geschätzt Es kommen etwa 10x mehr Phagen als Bakterien vor Der Mensch enthält mehr Bakterien (10^14) als Körperzellen (10^13) Die überwiegende Mehrzahl (>99%) der Bakterien leben in den Weltmeeren Die Zahl der Bakterien wird auf 10^26 geschätzt. Da eine Bakterienzelle ungefähr 10^-12 g wiegt, ergeben sich daraus 10^16 g = 10^10 Tonnen Biomasse (ca Milliarden Elefanten) Möchte man eine Aussage über den Fortschritt der Entwicklung der Lebewesen auf der Erde eine Aussage treffen, muß man die Entwicklung des Modus der Komplexitätskurve betrachten und nicht den rechten Schwanz
14 Die Entwicklung des Lebens ist nicht durch einen Trend in Richtung höherer Komplexität gekennzeichnet, sondern durch eine Erweiterung der Variationsbreite. Da ein linker Rand minimalster Komplexität existiert, entsteht im Laufe der Zeit automatisch ein rechter Rand höherer Komplexität --> Analogon des betrunkenen Trinkers (random walk) Modalwert konstant Variationsbreite wächst Kein Fortschritt Modalwert verschiebt sich nach rechts Variationsbreite wächst Fortschritt
15 Das Reitpferd Erfolgsgeschichte der Evolution?
16 Der Mensch Erfolgsgeschichte der Evolution?
17 Ratten, Fledermäuse und Antilopen Erfolgsgeschichte der Evolution? Ratten: Sehr viele unspezialisierte Arten (insbesondere Südostasien), die mit allen möglichen Lebensräumen zurechtkommen und dominieren Kulturfolger Fledermäuse: über 900 Arten in den gemäßigten und tropischen Breiten Antilopen: 140 Arten (Bovidae Hornträger) weltweit verbreitet außer Südamerika und Australien; entstanden erst im Miozän (23 Millionen Jahren)
18 Erkenntnisse: Evolution kann über den Mechanismus Mutation und Selektion nur lokal auf sich ändernde Umweltbedingungen graduell reagieren Erfolgreiche Stammeslinien neigen zu Diversifikation, weniger erfolgreiche sterben aus Spezialisierte Arten sterben bei sich ändernden Umweltbedingungen schneller aus als unspezialisierte Arten Da es eine linke Wand geringster möglicher Komplexität bei Lebewesen gibt, müssen im Laufe der Zeit passiv zwangsweise Lebewesen mit höherer Komplexität ( rechter Schwanz ) entstehen. Es gibt keinen angetriebenen Trend in der Entwicklung der Komplexität es vergrößert sich lediglich die Variationsbreite der Merkmale Jedes heute existierende Lebewesen ist das Endglied einer über Jahrmilliarden erfolgreichen Stammeslinie. Ob sich diese Stammeslinie in die Zukunft genauso erfolgreich fortsetzt, ist vollkommen ungewiß
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