Obstgenressourcen: Vielfalt für die Zukunft
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- Bertold Amsel
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1 P f l a n z e n b a u Obstgenressourcen: Vielfalt für die Zukunft Kaspar Hunziker, Sandra Noser, Anke Ingenfeld, Jürg E. Frey und Markus Kellerhals Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW, 8820 Wädenswil, Schweiz Auskünfte: Kaspar Hunziker, kaspar.hunziker@acw.admin.ch, Tel Die Schweiz weist einen grossen Reichtum an Obstgenressourcen auf. (Collage: Kaspar Hunziker) Einleitung 1996 haben insgesamt 150 Länder in Leipzig einen von der FAO erarbeiteten globalen Aktionsplan zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen verabschiedet, darunter war auch die Schweiz. Basierend darauf hat eine Expertengruppe 1997 im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) einen Bericht erarbeitet für die Umsetzung des globalen FAO-Aktionsplanes in der Schweiz zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft, kurz «nationaler Aktionsplan» (NAP). Ziel des NAP ist die Erhaltung einer breiten genetischen Vielfalt bei den in der Schweiz vorhandenen landwirtschaftlichen Kulturpflanzen und ihren verwandten Wildarten. Pflanzengenetische Ressourcen sind zum einen eine wichtige Grundlage für aktuelle und künftige Züchtungsprogramme, zum anderen haben sie auch eine ökologische und kulturelle Bedeutung. Der Nationale Aktionsplan zur Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (NAP-PGREL) wird in Vierjahresphasen umgesetzt und befindet sich derzeit in Phase IV. In der ersten Projektphase standen Konzepterarbeitung und die Inventarisierung der Sortenvielfalt der verschiedenen Kulturarten im Vordergrund. In den folgenden Phasen wurden Lücken in der Inventarisierung geschlossen, die Sorten in Sammlungen überführt und die Eigenschaften der Kulturarten und -sorten anhand definierter Deskriptoren beschrieben. Nebst diesen, der eigentlichen Erhaltung 16
2 Obstgenressourcen: Vielfalt für die Zukunft Pflanzenbau dienenden Schwerpunkten ist die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Erhaltung der pflanzengenetischen Ressourcen ein wichtiges Anliegen des NAP-PGREL. Seit 1999 haben private Organisationen und öffentliche Institutionen (u.a. Fructus, ZHAW, Inforama, PSR, Rétropomme, Capriasca Ambiente) die Möglichkeit, beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) Projekte zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung von landwirtschaftlichen Kultur- und Nutzpflanzen einzureichen. Die Verantwortung für den NAP-PGREL, namentlich die Projektgenehmigung, das Abschliessen von Verträgen mit Projektverantwortlichen und die Koordination mit den beteiligten Stellen trägt das BLW. Für die wissenschaftlichen Aspekte der NAP-Projekte ist die Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil ACW zuständig. Als Koordinations- und Informationsstelle kommt der Schweizerischen Kommission für die Erhaltung von Kulturpflanzen (SKEK) eine zentrale Bedeutung zu. Material und Methoden Nationales Obstinventar Beim Obst weist die Schweiz einen besonderen Reichtum an genetischer Vielfalt auf. Im Rahmen des NAP- PGREL führte die Vereinigung Fructus in Zusammenarbeit mit ACW und privaten Organisationen von Januar 2000 bis März 2005 eine schweizweite Obst- und Beerensorten-Inventarisierung durch. Ziel dieses Projekts war eine Bestandsaufnahme der Sortenvielfalt von Obst- und Beerenarten. Von gefährdeten Sorten wurde vermehrungsfähiges Material beschafft, um diese in Sammlungen erhalten zu können. Primär wurde nach den Hauptobstarten Apfel, Birne, Kirsche sowie Zwetschge (inklusive Mirabelle und Reineclaude) gesucht. Es wurden aber auch Nebenobstarten wie Aprikose, Pfirsich, Quitte, diverse Beerenarten sowie Edelkastanie, Walnuss und Haselnuss berücksichtigt (Gantner und Egger 2005). Auf diese Weise wurden über 2000 bedrohte Obstsorten ermittelt, welche anschliessend in Sammlungen verschiedener Erhaltungsorganisationen in der ganzen Schweiz gesichert werden konnten. Diese Sammlungen bilden heute das Fundament für eine langfristige Erhaltung der Obstgenressourcen in der Schweiz. Je nach Klassierung werden die Sorten in verschiedenen Sammlungstypen erhalten. In Primärsammlungen werden Sorten abgesichert, die einwandfrei identifiziert werden konnten. Solche Sammlungen stehen auf Hoch- oder Halbstammbäumen und bezwecken die langfristige Erhaltung. Demgegenüber bestehen die sogenannten Einführungssammlungen aus Sorten, deren Bestimmung noch unsicher ist, zum Beispiel weil sie mangels pomologischer Beschreibungen Zusammenfassung Seit 1999 unterstützt das Bundesamt für Landwirtschaft im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen (NAP-PGREL) das Sammeln, Sichern und Beschreiben von alten Obstsorten. Im Rahmen einer Obstsorteninventarisierung konnte die Vereinigung Fructus in Zusammenarbeit mit ACW und weiteren Partnern über 2000 Varietäten in Feldsammlungen sichern. Im vierjährigen NAP-Projekt «Beschreibung von Obstgenressourcen» (BEVOG, NAP 03 21) wurde 2007 mit der Charakterisierung dieser Sortenvielfalt begonnen. Dabei wurde das breite Spektrum der Sorten umfassend untersucht: Zentral waren die agronomische und pomologische Beschreibung und die Genotypisierung der Sorten. Eine weitere wichtige Thematik bildete die Testung der Krankheitsanfälligkeit. Das Projekt konnte 2011 dank der Finanzierung durch das BLW in eine weitere vierjährige Phase gehen (04-NAP-P21), wobei die molekulare Sortenidentifikation und die morphologischen Sortenbeschreibungen neben den weitergeführten Krankheitstestungen im Zentrum der Beschreibungsarbeiten stehen. Die Erhaltung der Diversität und das Wissen um die entsprechenden Eigenschaften der einzelnen Sorten kommen der Züchtung, aber auch den Produzenten und Konsumenten langfristig zugute. 17
3 Pflanzenbau Obstgenressourcen: Vielfalt für die Zukunft Projektleitung Inkl. Koordination & Öffentlichkeitsarbeit Modul 1 Genotypisierung Modul 2 Morphologische Beschreibung Modul 3 Krankheitstests Kernobst Apfel Kirsche Pflaume, Zwetschge Birne Baumeigenschaften Fruchteigenschaften vorerst 1 Beschreibung pro Sorte Feuerbrand 18 Sorten/Jahr Schorf/Mehltau 600 Akzessionen Abb. 1 Das Projekt BEVOG II (04-NAP-P21) basiert auf drei Modulen. bisher nicht als eigenständige Sorte verifiziert werden konnten. Sind alle obligatorischen Deskriptoren erfasst, werden die als erhaltungswürdig beurteilten Sorten schliesslich ebenfalls in Primärsammlungen überführt. Diese Beschreibungsarbeiten werden seit 2005 von verschiedenen Erhaltungsorganisationen in mehreren Projekten durchgeführt. Die Arbeiten der einzelnen Projekte werden von der SKEK koordiniert. Die Grundlage für die Beschreibungsarbeit bildet das im Rahmen des Projekts NAP nach internationalen Vorgaben (ECPGR/UPOV) erarbeitete Handbuch «Obst-Deskriptoren NAP» (Szalatnay 2006). Dieses beinhaltet alle für eine umfassende Beschreibung notwendigen Deskriptoren (Baum-und Fruchteigenschaften) und dient als Beschreibungsschlüssel für die wichtigsten Obstarten Apfel, Birne, Zwetschge und Kirsche. Beschreibung von Obstgenressourcen Anfang 2007 startete die Vereinigung Fructus (www. fructus.ch) das vierjährige NAP-Projekt «Beschreibung von Obstgenressourcen» (BEVOG, NAP 03 21). Die Arbeiten wurden an die Forschungsanstalt ACW in Wädenswil delegiert. In vier Modulen ging es um Sortenbeschreibung, Sortenidentifikation, Krankheitstests und Versuche zur Eignung alter Sorten für die Verarbeitung. BEVOG leistete somit nicht nur einen wichtigen Beitrag, um die umfassende Beschreibung anhand der obligatorischen Deskriptoren voranzutreiben, sondern auch, um die Nutzungschancen alter Sorten aufzuzeigen. Das BEVOG-Projekt wurde Ende 2010 abgeschlossen. In einem Nachfolgeprojekt (BEVOG II, 04-NAP-P21) werden die Beschreibungsarbeiten seit 2011 weitergeführt. BEVOG II besteht aus drei sich ergänzenden Modulen (Abb. 1). Im Folgenden wird dieses zurzeit umfangreichste NAP-Projekt im Bereich Obst näher vorgestellt. Genotypisierung Im Rahmen von BEVOG II wird von sämtlichen in NAP-Sammlungen vorhandenen Sorten der Hauptobstarten ein genetisches Profil erstellt. Dieses bildet die Grundlage zur Erkennung von identischen Sorten mit unterschiedlichen Bezeichnungen (Synonyme) sowie zur Identifizierung verschiedener Sorten, die unter dem gleichen Sortennamen inventarisiert wurden (Homonyme) und ermöglicht eine Straffung der Sortensammlungen. Die molekulare Identifikation stellt eine Ergänzung zur klassischen pomologischen Beschreibung und Identifikation von Obstsorten dar. Sie kann insbesondere Unsicherheiten bei der Bestimmungsarbeit klären, z.b. ob zwei Sorten identisch sind oder nicht. Da die Methode auf der Analyse von DNA basiert, ist sie unabhängig von äusseren Faktoren wie Standort, Baumalter oder Gesundheitszustand, die bei der klassischen Bestimmung Einfluss haben können. Notwendig für eine DNA-Analyse ist eine geringe Menge pflanzliches Gewebe. In unserem Fall wird in der Regel junges Blattmaterial verwendet. Dieses wird im Frühjahr in den Sortensammlungen bei ausgewählten Akzessionen (Akzession = vegetativ vermehrte Pflanze einer inventarisierten Varietät) gewonnen und anschliessend möglichst rasch tiefgefroren. Das Material kann dadurch über längere Zeit aufbewahrt und unabhängig von der Jahreszeit weiterverarbeitet werden. Dabei wird zunächst die DNA extrahiert und anschliessend mittels PCR (Polymerase Chain Reaction) 18
4 Obstgenressourcen: Vielfalt für die Zukunft Pflanzenbau Tab. 1 Anzahl Zwetschgen-Akzessionen innerhalb der Gengruppen. 183 Herkünfte sind einmalig, alle anderen kommen im NAP- PGREL-Inventar mehrfach vor. Total sind 216 unterschiedliche Profile (=Sorten) gefunden worden, wobei bisher etwas mehr als 60 % aller Akzessionen ausgewertet wurden Anzahl Akzessionen/ Gengruppe Anzahl Gengruppen Total analysierter Akzessionen einzigartig vervielfältigt. Je nach Obstart werden sechs bis 14 Mikrosatelliten-Marker (SSR = Simple Sequence Repeats) zur Analyse eingesetzt. Solche SSR-Marker bilden jeweils die Länge eines bestimmten DNA-Abschnitts ab, welcher innerhalb einer Sorte identisch ist. Stimmen bei zwei oder mehreren untersuchten Akzessionen alle SSR-Marker überein und ergeben damit dasselbe Marker-Profil, handelt es sich mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit um die gleiche Sorte. Für eine Festlegung der Abstammungslinie einer Sorte reicht die Beurteilung von sechs bis 14 SSR-Markern allerdings nicht aus. Trotzdem können Übereinstimmungen einen Hinweis auf eine Verwandtschaft geben (Frei et al. 2010). Sämtliche Marker-Profile der analysierten Akzessionen werden in einer Tabelle zusammengefasst und bilden so eine Referenzdatenbank. Mittelfristig ist es das Ziel, solche Datenbanken international abzugleichen (homologisieren), um auf diesem Weg möglichst viele bisher noch unbekannte Sorten zu identifizieren. Entscheidende Voraussetzung dafür ist die Auswahl an SSR-Markern, die für die Genotypisierung eingesetzt werden: Die Profile sind nur miteinander vergleichbar, wenn die gleichen Marker verwendet werden. Im BEVOG-Projekt werden 14 SSR-Marker (von über 150 existierenden) für Äpfel, zehn für Kirschen, sechs für Zwetschgen und voraussichtlich deren 14 für Birnen verwendet. Sämtliche Marker wurden von der Expertengruppe des ECPGR (European Cooperative Programme for Plant Genetic Resources) vorgeschlagen und sollen es ermöglichen, die Resultate mit anderen Labors, auch international vergleichen zu können (Frei et al. 2010). Im Rahmen der beiden BEVOG-Projekte wurden bisher knapp 2000 Apfel-, 450 Kirschen- und 279 Zwetschgenakzessionen analysiert. Die Apfelanalysen sind damit zu 95 % abgeschlossen, bei den Kirschen werden rund 350 zusätzliche Akzessionen voraussichtlich noch dieses Jahr bearbeitet. Bei beiden Obstarten zeigte sich, dass knapp 50 % aller vermeintlichen Sorten in den NAP-Sammlungen Duplikate, d.h. genetisch identische Sorten mit unterschiedlichen Namen sind. Etwas anders ist die Situation bei den Zwetschgen. Dort wurde nach der Auswertung von rund 60 % aller Akzessionen «nur» ungefähr ein Drittel als Duplikate identifiziert (Tab. 1). Auf die langfristige Erhaltung der Sorten im Feld haben diese Erkenntnisse insofern einen grossen Einfluss, als von den Duplikaten nur jeweils eine Akzession erhalten werden soll. Agronomische und pomologische Beschreibung Bis Projektende werden 1200 NAP-PGREL-Akzessionen hinsichtlich ihrer Frucht- und Baumeigenschaften charakterisiert. Diese bewährte, klassische Art der Charakterisierung bleibt trotz der molekularen Methoden eine grundlegende Voraussetzung für eine umfassende Sortenbeschreibung. Die Beschreibungsdaten werden in der Nationalen Datenbank zur Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen ( der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Sie umfassen je nach Obstart rund 30 bis 40 Merkmale und werden durch Fruchtfotos (Abb. 2) mit vier bis sieben Ansichten pro Sorte komplettiert. Da sich die agronomischen und pomologischen Eigenschaften einer Sorte je nach Standort und Beschreibungsjahr unterscheiden können, sollen langfristig drei komplette Beschreibungen je Genotyp erstellt werden. Bei Akzessionen, welche sich als genetisch identisch erwiesen haben, wird aus der entsprechenden Gengruppe jeweils eine Akzession dreifach und alle anderen je einmal beschrieben. Somit soll sichergestellt werden, dass allfällige (Farb-)Mutationen, welche mit den molekularen Methoden bisher nicht zu erfassen sind, ebenfalls erhalten werden können. Die für die Beschreibungsarbeit notwendigen Früchte stammen aus verschiedenen Einführungs- und Erhaltungssammlungen, die von Fructus oder Partnerorganisationen betreut werden. Beschreibung der Krankheitsanfälligkeit Die Krankheitsanfälligkeit ist ein charakteristisches Sortenmerkmal und vor allem dann ein bedeutender Aspekt, wenn es um die Sortenwahl für Neupflanzungen geht. Im Rahmen der BEVOG-Projekte konzentrieren sich die Untersuchungen auf drei Hauptkrankheiten beim Kernobst: die Bakterienkrankheit Feuerbrand (Erwinia amylovora) sowie die Pilzkrankheiten Schorf (Venturia inaequalis) und Mehltau (Podosphaera leucotricha). 19
5 Pflanzenbau Obstgenressourcen: Vielfalt für die Zukunft Abb. 2 Jede morphologische Fruchtbeschreibung wird durch ein Farbfoto mit genau definierten Ansichten ergänzt. (Foto: ACW) Tab Apfelsorten aus dem NAP-PGREL mit geringer Triebanfälligkeit gegenüber Feuerbrand Sorte Aargauer Jubiläum Alant Chüsenrainer Heimenhofer Niederhelfenschwiler Beeriapfel Schneiderapfel Schweizer Orange Södliapfel Sternapi Waldhöfler Jahr Ø Läsionslänge in % der Gesamttrieblänge Einschätzung der Anfälligkeit niedrig ,4 niedrig ,9 sehr niedrig ,7 sehr niedrig ,9 niedrig ,8 niedrig ,9 niedrig ,2 sehr niedrig ,6 niedrig ,5 sehr niedrig sehr niedrig ,4 sehr niedrig ,4 niedrig ,4 sehr niedrig ,1 niedrig ,2 niedrig ,9 niedrig ,7 niedrig ,5 sehr niedrig ,2 sehr niedrig Feuerbrand Seit 2007 wird jährlich eine Auswahl inventarisierter NAP-Sorten auf ihre Triebanfälligkeit bezüglich der Bakterienkrankheit Feuerbrand getestet (Tab. 2). Aufgrund ihrer Bedeutung im Feld stehen dabei die Äpfel im Vordergrund. Birnen werden mit niedrigerer Priorität behandelt. Im Rahmen des NAP wurden jährlich 40, im aktuellen Projekt 20 Varietäten untersucht, wovon pro Serie deren zwei als Referenzen fungieren: Gala (anfällig) und Schneiderapfel beziehungswesie ab 2011 Enterprise (robust). Das an ACW etablierte und auch in anderen Projekten verwendete Verfahren der Triebinokulation hat sich bewährt und ermöglicht es, die Resultate auch projektübergreifend zu vergleichen. Damit eine Sorte zuverlässig als robust bezeichnet werden kann, bedarf es mindestens zweier aussagekräftiger Resultate. Aus diesem Grund wurden bisher 24 Sorten zweimal getestet. Für den Versuch im Quarantänegewächshaus von ACW werden im Winter geschnittene Reiser auf M9-Unterlagen veredelt und in 35 cm langen Plastiktubes mit einem Durchmesser von 7 cm bei 18 bis 25 C und 70 % Luftfeuchtigkeit vorgetrieben. Nach vier bis fünf Wochen werden die Jungbäume auf einen Trieb vereinzelt und ins Quarantänegewächshaus verlegt. Hier wird zunächst die Gesamtlänge jedes einzelnen Triebes gemessen. Anschliessend erfolgt die Inokulation 20
6 Obstgenressourcen: Vielfalt für die Zukunft Pflanzenbau Abb. 3 Vergleich der Läsionslängen von Alant (links) und Gala. (Foto: ACW) der Triebe mit einer Suspension des E. amylovora Stamms ACW610 in der Konzentration von 109 cfu/ml auf der Höhe des jüngsten vollentwickelten Blattes. Der Trieb wird dazu mit einer Medizinalspritze durchstochen und ein Tropfen Bakteriensuspension an der Austrittsstelle der Nadel deponiert (Kellerhals et al. 2012). Ab dem Zeitpunkt der Inokulation wird drei Mal in wöchentlichen Abständen die Länge der durch das Feuerbrandbakterium verursachten, sichtbaren Läsion (bräunlich bis schwarz verfärbter Abschnitt des Triebes) gemessen. Da die Trieblängen zwischen den Sorten, aber auch innerhalb der Wiederholungen einer Sorte stark variieren können, wird als Mass für die Triebanfälligkeit die Länge der Läsion in Prozent der Gesamttrieblänge ausgedrückt. Durch das Mittesten der Kontroll- und Referenzsorten Gala und Enterprise in jeder Serie können sowohl die Anfälligkeit der einzelnen Sorten eingeschätzt als auch die jährlichen Resultate miteinander verglichen werden. Resultate meter standardisieren lassen, ergeben sich dennoch teils beträchtliche Unterschiede bei den prozentualen Läsionslängen der Referenzsorten (Abb. 3). Die Gründe dafür können nicht eindeutig identifiziert werden. Es wird vermutet, dass vor allem die in den ersten Jahren der Versuche aufgetretenen Probleme bei der Temperaturregulation im Quarantänegewächshaus und der Zeitpunkt der Inokulation die Resultate beeinflusst haben könnten. Auch die Qualität des Reisermaterials kann sich möglicherweise auf den Befallsfortschritt auswirken. Aufgrund dieser jährlichen Schwankungen werden die Resultate nicht absolut, sondern in Relation zur Referenzsorte Gala interpretiert. Diese Möglichkeit der Klassifizierung (Abb. 4) wurde im Rahmen von BEVOG I entwickelt und wird noch verifiziert und allenfalls nach unten angepasst. Sorten welche gemäss Abb. 4 in einem Jahr als sehr wenig oder wenig anfällig einzustufen sind, werden ein zweites Mal getestet um ein gesichertes Resultat zu erhalten (Kellerhals et al. 2010). Tab. 3 Boniturskala für Schorf- und Mehltaubefall nach Lateur und Populer (1994) Bei der Interpretation der Resultate gilt es zu beachten, dass diese einen Hinweis auf die Triebanfälligkeit einer Sorte geben und nichts über deren Blütenanfälligkeit aussagen. An ACW durchgeführte Blüteninfektionstests legen jedoch nahe, dass Trieb- und Blütenanfälligkeit oft miteinander korrelieren (Baumgartner et al. 2012). Zudem decken sich die Resultate oftmals mit Beobachtungen im Feld (Hunziker und Szalatnay 2008). Die Einschätzung der Triebanfälligkeit ist nicht immer so eindeutig wie im Fall der 2010 und 2011 getesteten Apfelsorte Alant (Abb. 2), welche sich mit einer äusserst geringen Läsionslänge markant von allen anderen Sorten unterscheidet. Obwohl jedes Jahr nach der gleichen Methode gearbeitet wird und sich bei einem Gewächshausversuch viele Para- Boniturstufe Ausprägung Syptome 1 keine sichtbaren Symptome 2 Befall von bis zu 1 % der Organe bei genauer Untersuchung 3 Befall von 1 5 % der Organe, sofort ersichtlich 4 Zwischenstufe 5 rund 25 % aller Organe befallen 6 Zwischenstufe 7 schwere Infektion mit ca. 50 % befallenen Organen 8 Zwischenstufe 9 sehr schwere Infektion, über 90 % aller Organe befallen 21
7 Pflanzenbau Obstgenressourcen: Vielfalt für die Zukunft sehr niedrig Läsionslänge < 50% niedrig Läsionslänge 50-75% mittel Läsionslänge % hoch Läsionslänge % sehr hoch > 125% Abb. 4 Triebanfälligkeit im Vergleich zu Gala. Schorf und Mehltau Im Rahmen eines Freilandversuchs auf einer ACW-Parzelle in Au (Wädenswil) werden 608 Apfel-Akzessionen aus dem Inventarisierungsprojekt auf ihre Anfälligkeit gegenüber den Pilzkrankheiten Schorf und Mehltau untersucht (Tab. 3). Für die Sortenwahl dieses Langzeitversuchs war hauptsächlich die Verfügbarkeit von Reisermaterial ausschlaggebend: Es konnte nur Reisermaterial von den 2000 bis 2002 inventarisierten und gepflanzten Akzessionen gewonnen werden, da die Bäume aus den Inventarjahren 2003 und 2004 noch zu klein waren. Dementsprechend stammen die untersuchten Akzessionen primär aus der Nordwestschweiz. Neben Referenzsorten wie Berlepsch, Bohnapfel, Boskoop, Jonathan, Goldparmäne und Sauergrauech dienen je 36 in regelmässigen Abständen gepflanzte Golden Delicious (schorfanfällig) und Gravensteiner (mehltauanfällig) als Kontrollen. Die Versuchsparzelle wurde im Jahr 2008 angelegt, und es findet bis Ende 2014 jährlich je eine Bonitur auf sichtbare Symptome beider Krankheiten statt. Die bisher vorhandenen Daten der Jahre 2009 bis 2012 lassen zwar erste Tendenzen bezüglich der Krankheitsanfälligkeit erkennen, oft ist die Datenbasis jedoch noch zu lückenhaft, um die Anfälligkeit auf Mehltau und Schorf fundiert beurteilen zu können. Eine detaillierte Auswertung dieses Langzeitversuches wird deswegen voraussichtlich erst 2014 vorgenommen (Hunziker et al. 2011). Äpfeln wird aufgrund der Datenlage eine teilweise Umsetzung möglich sein. Demgegenüber dürfte die Bereinigung der mit letzter Priorität behandelten Birnensammlungen noch etwas mehr Zeit beanspruchen. Zwar sollen die molekularen Analysen auch bei dieser Obstart per Ende 2014 abgeschlossen sein, die morphologischen Beschreibungen sind dagegen noch wenig fortgeschritten. Zumindest die genetisch einzigartigen Varietäten sollten jedoch bei allen Obstarten auch ohne eine morphologische Beschreibung in die langfristige Erhaltung überführt werden können, falls sie nicht bereits in einer Primärsammlung stehen. Allfällig fehlende morphologische Beschreibungen können auch noch zu einem späteren Zeitpunkt in den Primärsammlungen ergänzt werden. Darüber hinaus verdeutlicht die Beschreibungsarbeit der diversen NAP-Projekte, die Wichtigkeit der Erhaltung unserer reichen Obstsortenvielfalt. Gewisse Varietäten wie der bereits erwähnte «Alant» fallen durch ihre offensichtlichen, positiven Eigenschaften wie gute Fruchtqualität bei gleichzeitiger Robustheit gegenüber Krankheiten auf. Solche Sorten sind sowohl für die Züchtung als auch für die Produktion interessant, und es besteht die berechtigte Hoffnung, dass diese in Zukunft dank ihrem ökonomischen Potenzial wieder eine gewisse Bedeutung im Feld erlangen und auch ohne Bundeshilfe erhalten werden können. Viele Varietäten hingegen können heutigen Anforderungen an Fruchtqualität, Lagerfähigkeit, Produktionsmethoden etc. nicht genügen. Dennoch tragen sie Eigenschaften, welche für die Zukunft wertvoll sein können, wie etwa einen hohen Gehalt an Gesamtphenolen (Hunziker et al. 2010) oder interessante züchterische Eigenschaften (Robustheit gegenüber Krankheiten, Eignung für gewisse Klimabedingungen). Der Erhalt dieser genetischen Vielfalt und das Wissen um die entsprechenden Eigenschaften der einzelnen Sorten werden künftig mithelfen, auf Veränderungen wie etwa bei Veränderungen der Konsumgewohnheiten, Klimabedingungen, Krankheiten und Schädlinge zu reagieren. Aus diesen Gründen sind die Arbeiten welche im Rahmen des NAP-PGREL geleistet werden, von einer hohen gesellschaftlichen Relevanz. n Diskussion und Schlussfolgerungen Die im BEVOG und anderen Beschreibungsprojekten erarbeiteten Daten sollen die mittelfristige Straffung der Einführungssammlungen respektive deren Überführung in Primärsammlungen ermöglichen und dadurch nicht zuletzt die Kosteneffizienz steigern. Mindestens beim Steinobst sollte es möglich sein, die Umsetzung im Feld bereits in der NAP-Phase V ab 2015 zu realisieren. Bei den Dank Das Projekt 04-NAP-P21 «BEVOG II» wird im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen für die Ernährung und Landwirtschaft (NAP-PGREL) durch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) unterstützt. Die Projektverantwortlichen danken dem BLW für die erbrachte finanzielle Unterstützung der Projekte BEVOG und BEVOG II. 22
8 Obstgenressourcen: Vielfalt für die Zukunft Pflanzenbau Risorse genetiche della frutta: la diversità per il Fruit genetic resources: diversity for the Riassunto futuro Dal 1999 l Ufficio Federale per l Agricoltura sostiene la raccolta, il salvataggio e la descrizione di varietà antiche di frutta nell ambito del piano d azione nazionale per la conservazione e Summary future Since 1999, the Federal Office of Agriculture (BLW) supports the collection, conservation and description of old fruit varieties within the framework of the l uso sostenibile delle risorse genetiche vegetali National Plan of Action (NAP) for the (NAP-PGREL). Nell ambito della stesura di un Conservation and Sustainable Use of Plant inventario delle varietà frutticole, l associazione Genetic Resources for Food and Agricul- Fructus (in collaborazione con ACW ed altri ture (PGRFA). In the course of the nation- partner), è riuscita a preservare in una collezione wide fruit inventory in the years 2000 to oltre duemila varietà repertoriate in campo. Il 2005, the association Fructus together progetto quadriennale NAP «Descrizioni delle with ACW and other partners could save risorse genetiche della frutta» (BEVOG, NAP more than 2000 varieties in field collec ) ha preso avvio nel 2007 con la caratteriz- tions. The four-year NAP-project «Descrip- zazione di questa diversità varietale. In questo tion of fruit genetic resources» (short ambito è stato svolto uno studio approfondito «BEVOG», NAP 03 21) started the charac- incentrato sulla descrizione agronomica e terization of this diversity in The pomologica nonché sulla genotipizzazione della broad spectrum of old varieties was vasta gamma di varietà a disposizione. Un thereby thoroughly: central issues were ulteriore importante tema era costituito da test agronomic and pomological description as relativi alla sensibilità alle malattie. Grazie ai well as genotyping of the varieties. A finanziamenti dell UFAG è stato possibile further important subject comprised the iniziare nel 2011 un ulteriore fase quadriennale testing of disease susceptibility. Thanks to del progetto (04-NAP-P21) durante la quale, funding by the BLW, in 2011 the project oltre alla prosecuzione dei test sulle malattie, could pass on to another four-year phase l identificazione varietale mediante tecniche (04-NAP-P21). The preservation of fruit molecolari e le descrizioni varietali morfologiche genetic resources and the knowledge of sono state poste al centro del lavoro di caratte- the varieties characteristics will benefit rizzazione. La conservazione della diversità e la fruit breeding programs as well as conoscenza relativa alle peculiarità delle singole consumers and producers today and in the varietà andranno a vantaggio dei processi di future. selezione e coltivazione, con importanti benefici per produttori e consumatori. Key words: NAP, biodiversity, fruit genetic resources, disease resistance. Literatur Baumgartner I. O., Leumann L. R., Frey J. E., Joos M., Voegele R. T. & Kellerhals M., Breeding apples to withstand infection pressure by fire blight and other diseases. Proceedings of the 15th International Conference on Organic Fruit-Growing (Ed. Fördergemeinschaft Ökologischer Obstbau e.v.). Weinsberg, Frei A., Szalatnay D., Zollinger T., Frey & J. E., Molecular characterisation of the national collection of Swiss cherry cultivars. Journal of Horticultural Science & Biotechnology 85 (4), Gantner S. & Egger S., Erfolgreiche Inventarisierung von Obst- und Beerensorten in der Schweiz. Schweizerische Zeitschrift für Obst- und Weinbau 141 (9), 6 9. Hunziker K. & Szalatnay D., Umfrage zur Feuerbrandanfälligkeit alter Kernobstsorten im Kanton Thurgau. Schweizerische Zeitschrift für Obst- und Weinbau 144 (6), Hunziker K., Szalatnay D. & Silvestri G., Eignung alter Apfelsorten für die Verarbeitung. Schweizerische Zeitschrift für Obst- und Weinbau 146 (9), Hunziker K., Noser S. & Szalatnay D., Beschreibung von Obstgenressourcen wird weitergeführt. Schweizerische Zeitschrift für Obst- und Weinbau 147 (13), Kellerhals M., Szalatnay D., Hunziker K., Duffy B., Nybom H., Ahmadi- Afzadi M., Höfer M., Richter K. & M. Lateur, Diversity in European pome fruit genetic resources evaluated for disease resistance. Trees 26, DOI: /s Kellerhals M., Szalatnay D. & Hunziker K., Conservation, description and sustainable use of temperate fruit biodiversity. Mitteilungen Klosterneuburg. 60, Lateur M. & Populer C., Screening fruit tree genetic resources in Belgium for disease resistance and other desirable characters. In: Progress in temperate fruit breeding. Schmidt, H. & Kellerhals, M. (eds). Kluwer Academic Publishers, Dordrecht-Boston-London, Szalatnay D. & Bauermeister R., Obst-Deskriptoren NAP. Agroscope Changins-Wädenswil ACW und Vereinigung Fructus (Hrsg.). 23
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