ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Sie hat den guten Teil gewählt! Predigt von Pfarrer Walter Gisin gehalten am 26. Februar 2017
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- Johann Schwarz
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1 ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Sie hat den guten Teil gewählt! Predigt von Pfarrer Walter Gisin gehalten am 26. Februar 2017 Schriftlesung: Psalm 84,1-5 Predigttext: Lukas 10,38-42 Als sie weiterzogen, kam er in ein Dorf, und eine Frau mit Namen Marta nahm ihn auf. Und diese hatte eine Schwester mit Namen Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füssen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz mit der Bewirtung beschäftigt. Sie kam nun zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Bewirtung mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie solle mir zur Hand gehen. Der Herr aber antwortete ihr: Marta, Marta, du sorgst und mühst dich um vieles; doch eines ist nötig: Maria hat das gute Teil erwählt; das soll ihr nicht genommen werden. Liebe Gemeinde Ein bekannter Text! Was soll ich überhaupt noch darüber predigen? Es gibt doch nichts Neues unter der Sonne, sagte der Prediger im Alten Testament (Prediger 1,9). Also gehen wir doch möglichst schnell zum Abendmahl über und dann nach Hause! Halt! Ich habe natürlich Möglichkeiten, diesen Text der Heiligen Schrift wieder neu erlebbar zu machen. Wir merken sofort, dass dieser Text eine Erzählung ist. Und diese Geschichte ist eingebettet in einer anderen Geschichte, weil, wenn man den Anfang vom Predigttext liest, heisst es: kam er in ein Dorf. Da
2 2 weiss man nicht, wer es ist. Aber aus dem Zusammenhang wird es ganz klar; doch wissen wir nicht genau, wer alles dabei war. Nur aus dem Text entnimmt man, dass die Jünger ihren Herrn begleitet haben. Es werden nur drei Personen genannt, zwei davon mit ihrem Namen: Jesus sein Name erscheint nicht, dann Maria und Marta. Alles drum herum ist ausgeblendet. Durch die Erzählung wird man unwillkürlich in ein Haus versetzt, auch wenn es nicht erwähnt ist. Dort sitzt Maria zu Füssen von Jesus und Marta hantiert am Kochherd. So stellt man sich das unwillkürlich vor. Sie hat eine kurze Einleitung, einen Spannungsbogen, der in einem Lehrwort endet: Maria hat das gute Teil erwählt; das soll ihr nicht genommen werden. Mit diesem Lehrwort ist diese Geschichte zu ende. Es geht weiter in dem es heisst, dass Jesus an einem Ort betete und seinen Jüngern das Gebet Unser Vater lehrte. Eine Lehrgeschichte folgt der anderen. Wir wissen nicht, wo sich die Geschichte zugetragen hat, ausser man ist bibelfest; dann kommt man sofort auf Bethanien. Wenn Sie nicht darauf aufmerksam werden, können Sie in einer Konkordanz unter Maria oder Marta nachschlagen; da wird man auf die Geschichte von Lazarus, Maria und Marta aus Bethanien hingewiesen. Dieses Dorf liegt etwa eine Stunde zu Fuss östlich von Jerusalem entfernt. Diese Erzählung ist sehr kunstvoll gestaltet. Sie lässt alles weg, was nicht wichtig ist. Da ist kein Wort zu viel und keines zu wenig. Und trotz der Kürze wird die Geschichte anschaulich. Das ist Kunst! Es handelt sich zuerst einmal um eine Geschichte, die wirklich so geschehen ist. Dann aber wurde dieses Ereignis zu einer Lehr-Erzählung gestaltet. In ihr geht es darum, dass der Leser etwas aus der Geschichte lernen soll. Also gut, wir wollen etwas lernen. Nehmen wir uns zuerst Marta vor! Am besten, wir sind Marta, wir versetzen uns in diese Person.
3 3 Ein lieber Kollege berichtete mir vor längerer Zeit, er habe eine ähnliche Erfahrung gemacht, doch in einem ganz anderen Sinn. Immer wieder habe er zusammen mit seinem Gemeindehelfer Unterrichtsnachmittage organisiert. Das sind spannende Nachmittage, an denen man den Kindern und Jugendlichen das Wort Gottes nahe bringen will. Sie sollten dabei auch etwas erleben, eben, Gottes Wort erleben. Ich verstand ihn, weil auch ich solche Nachmittage organisiert habe. Natürlich musste man am Ende dieses Nachmittages, wenn alle Schüler sich auf den Heimweg machten, noch aufräumen. Fast regelmässig kam der junge Gemeindeleiter zu ihm und schaute ihn treuherzig an. Ich habe gerade eine Sitzung und muss leider sofort gehen. Noch nen schönen Abend. Und damit verschwand er. Mein Kollege räumte dann allein auf. Was blieb ihm anderes übrig! Ich sagte dann lachend: Dein Gemeindehelfer hat die Geschichte von Marta und Maria sehr gut verstanden! Kennen Sie so etwas auch? Man fühlt sich doch wie der letzte Idiot. Könnte ich nicht auch einfach davon laufen und sagen: Entschuldigung, ich habe noch einen wichtigen Termin bei Jesus. Ich denke, Marta ist ein Vorbild: Für Gastfreundschaft sorgen und sich um das Wohl der Gäste bemühen, ist wichtig. Die Leute, die Jesus in seinen Gleichnissen porträtiert, arbeiten meistens, sie tun etwas und das ist gut: Der Sämann sät, die Tagelöhner arbeiten, der Empfänger von Talenten muss diese einsetzen und damit arbeiten. Darum sollen wir die Arbeit der Frauen und Männer schätzen, die ganz einfach und schlicht ihren Dienst tun. Sie haben ein gutes Teil erwählt. Ei du guter und treuer Knecht, sagt Jesus, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; gehe ein in die Freude deines Herrn (Matthäus 25,21). Aber das ist nicht der eigentliche Sinn des Lebens, die Arbeit. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich zwei Wochen arbeitslos war. Da hatte ich das Gefühl, ich sei nichts mehr wert. Doch gibt es noch etwas Wichtigeres. Das
4 4 sollte Marta lernen, und mit ihr sollten auch wir das ernst nehmen. Wir wollen jetzt Maria sein. Wir versetzen uns in ihre Position. Wenn meine Frau und ich mit dem Auto unterwegs sind, läuft meistens der Radio. Da hört man abends die Stunde Zambo für Kinder und Jugendliche. Kürzlich berichteten die Moderatoren dieser Sendung, dass die Kinder, die Zambo hören und sich auch am Radio per Telefon melden, eine Besonderheit haben. Eine grosse Anzahl von ihnen, ich glaube 60 %, lesen viel, die einen zwei Stunden am Tag, andere drei, ja sogar bis zu fünf Stunden am Tag. Da habe ich gestaunt, nie in meinem Leben hätte ich das gedacht. Die Jugend von heute ist doch nicht so schlecht, wie man denkt! Nicht alle hängen immer am Handy. Ich kann mir diese Leseratten gut vorstellen, wenn ich an mich selbst zurückdenke, an meine Kindheit und Jugendzeit. Es gab Bücher, die habe ich verschlungen, ich las und las, sodass meine Mutter Mühe hatte, mich aus meiner Welt herauszuholen. Man ist so gespannt, wie die Geschichte weitergeht. So muss man sich Maria vorstellen. Sie hatte von Jesus gehört, sie hat ihn kennen gelernt und jetzt ist er hier. Sie wollte unbedingt hören, was er zu erzählen und zu lehren hat, wie es in der Geschichte weiter ging und im wertvollen Lehrgang von Jesus, an dem sie teilnahm. Das war so fesselnd und interessant, dass sie alles andere um sie her vergessen konnte. Und jetzt stört Marta und reisst sie mit ihrem Rufen aus ihrer Versunkenheit heraus: Herr, kannst du nicht dafür sorgen, dass Maria mir zu Hilfe kommt? Jesus aber sagt zu Marta: Maria hat das gute Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden. Sie darf bleiben und weiter zuhören. Sie lauscht den Worten von Jesus so hingebungsvoll, das soll ihr niemand nehmen! Wie wünschte ich mir diese Zeit zurück, als ich das Neue Testament verschlang, es immer wieder las, fünf Mal hintereinander! Das war so spannend und so immens wichtig, dass ich zu Füssen Jesu sass und zu-
5 5 hörte, wie Maria. Jetzt habe ich immer noch dieselbe Passion, wenn ich das Alte Testament eingehend studiere und in diesem Buch immer wieder zu neuen Schätzen vordringen darf. Es ist, wie wenn man zu Füssen von Jesus sitzt. Ich hoffe, wir alle heute Morgen geniessen diese Stunde, in der wir uns etwas eingehender mit dieser Geschichte befassen. Wir haben abgeschaltet, haben die tägliche Arbeit beiseite gelassen und haben uns nun Zeit genommen, um zuzuhören. Ich selbst bin ja auch beim Zuhören, selbst wenn ich jetzt predige. Wir sitzen alle zu Jesu Füssen, und er sagt zu uns: Du hast das gute Teil erwählt, das soll man dir nicht wegnehmen. Die dritte Person ist Jesus. Wir wollen uns jetzt mit ihm identifizieren. Dürfen wir das überhaupt? Diese Woche am Freitag feierte Pfr. Ernst Sieber seinen 90. Geburtstag. Herzliche Gratulation! In unserer Zeitung las ich, dass er gesagt hat: Sein wie Jesus, das ist der Punkt! Da hat er Recht. Christ sein heisst Jesus nachfolgen und so handeln wie er. Es gibt Missionare, die in der Welt umhergehen, Menschen gesund machen und den Leuten die Frohe Botschaft verkündigen. Das ist eine sehr wertvolle Arbeit, die ich ausserordentlich schätze, und für diese Leute, die das tun, bete ich und unterstütze sie. Was sie tun, ist sein wie Jesus! Es gibt zwei weitere gute Möglichkeiten, die ich Ihnen jetzt nennen will. Wenn wir in einem Gespräch mit einem Mitmenschen sind und merken, dass er traurig ist, Sorgen hat und Lasten tragen muss, dann können wir ihm vielleicht zum Schluss des Gesprächs einfach sagen: Gott liebt dich! Wenn wir es aus Überzeugung sagen, merkt unser Gegenüber das und nimmt es an: Gott liebt mich wirklich! Menschen leiden oft an Mangel an Liebe. Wenn sie hören, dass Gott sie liebt auch wenn sie gar nicht mit ihrem ganzen Herzen an Gott glauben, kann es ihnen wohl tun. Das tat Jesus, als er in dieser Welt war. Er zeigte uns Menschen, dass Gott uns liebt.
6 6 Das zweite, das wir tun können: Wenn wir die Sorgen und Lasten unserer Mitmenschen gehört haben und sie vielleicht zu trösten versuchten, kann es sein, dass eine innere Stimme uns sagt: Du solltest mit diesem Menschen beten. Dann können wir unsere Gegenüber fragen: Darf ich für dich beten? Meistens sind Menschen dankbar dafür und nehmen es gerne an. Dann tun wir es. Es kann auch für mich wie ein Balsam sein, wenn jemand für mich und meine Sorgen und Mühen betet. Am Mittwoch sagte ich in der Bibelstunde: Wenn man das einen Moslem oder eine Muslima fragt, dann sind diese meist sehr erstaunt und nehmen es auch sehr dankbar an. Wenn wir dann mit ihnen beten, merken sie, dass wir eine ganz enge, persönliche Beziehung zu Gott haben. Es kann sogar vorkommen, dass sie dann nachfragen, weshalb wir zu Gott beten, wie wenn er unser Vater wäre. Dann können wir von unserem Glauben an Jesus sprechen. Beten können wir für alle Menschen, wenn sie es wollen. Selbst einen Atheisten kann man das fragen. Er kann ja Nein sagen. Aber manchmal hat Gott ganz spezielle Wege, wie er bis ins Innerste der Herzen von uns Menschen dringen kann. Selbst einem Atheisten kann er die Augen öffnen. Ich habe auch schon Geschichten gehört, wie Atheisten am Ende ihres Lebens zu Gott rufen: Gott wenn es dich gibt, hilf mir! Sogar Atheisten könnten akzeptieren, dass für sie gebetet wird. Das führt Menschen näher zu Gott. Wir können das tun, wenn wir wie Jesus sein wollen. Nun, das sind nur zwei von den vielen Möglichkeiten, die wir haben, wenn wir Jesus nachfolgen und sein wollen wie er. Heute haben wir ihm zugehört und wollen das Gehörte in unserem Alltag umsetzen. Wir können uns zusprechen und sagen: Ich möchte sein wie Marta und freudig meinen Mitmenschen dienen. Ich möchte sein wir Maria und gerne zuhören, was Jesus mir zu sagen hat. Ich möchte sein wie Jesus und Menschen die frohe Botschaft der Liebe Gottes bringen.
7 7 Dabei denke ich, dass die meisten von Ihnen das schon hie und da oder immer wieder getan haben; auch ich! Sie sind ein Aufsteller für ihre Mitmenschen! Herzliche Gratulation! Aber wir alle sind immer wieder dankbar, wenn wir einfach einmal zuhören, uns beschenken lassen dürfen, Menschen an unserer Seite haben, die uns ermutigen, die uns daran erinnern und sagen: Gott liebt dich, die mit und für uns beten. Das ist die Gemeinde von Jesus Christus, die das erlebt. Das dürfen wir sein: Ein Licht in dieser Welt wie Jesus. Amen. ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH St. Anna-Kapelle, St. Annagasse 11, 8001 Zürich Gottesdienste: Sonntag Uhr, Bibelstunden: Mittwoch Uhr Sekretariat St. Anna, Burriweg 26a, 8050 Zürich, Telefon
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