Umweltpolitik als Entwicklungshelferin
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- Emil Kneller
- vor 8 Jahren
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1 Hintergrund: Mexiko Nr. 79 / 13. November 2015 Umweltpolitik als Entwicklungshelferin Julia M. Fesser Zusammenfassung Haben Klimawandel und Umweltverschmutzung erst einmal handfeste ökonomische Auswirkungen, werden fast stündlich neue Programme zu ihrer Eindämmung verabschiedet. Umwelt stellt mittlerweile einen bedeutenden wirtschaftlichen Faktor dar, der in gleicher Weise Kosten verursacht wie die Entwicklung eines Schwellenlandes hemmt, das noch immer mit grundlegenden Strukturproblemen, Armut und Kriminalität zu kämpfen hat. Der mexikanische Staat hat die Verbindung zwischen Umweltpolitik und Entwicklung erkannt und will mit einer Vielzahl von Projekten ein langfristiges Umdenken in der Gesellschaft anregen. Die Ergebnisse werden sich erst in mehreren Jahren analysieren lassen. Vorerst aber ist eine Anstrengung des Staates zu beobachten, die in einigen Bereichen Früchte trägt. Hintergrund: Mexiko Nr. 79 / November
2 Extreme Wetterverhältnisse infolge des Klimawandels machen Mexiko derzeit stark zu schaffen. Doch als Schwellenland, dessen Wirtschaft und somit auch Ausstoß von Treibhausgasen in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen ist, trägt es in Teilen selbst eine Verantwortung für diese Entwicklung. Eine Bevölkerung, die zwischen den Jahren 1900 und 2015 von 15 Mio. auf 122 Mio. angewachsen ist, brachte dem Land Platz 15 der Staaten mit den weltweit höchsten CO2- Emissionen ein. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist rund die Hälfte der Waldbestände Mexikos von Abholzung betroffen. Gleichzeitig nahmen die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, Umweltverschmutzung und Urbanisierung rasant zu. Besonders der Anteil der in Armut lebenden Bevölkerung von 45% ist auf die Nutzung natürlicher Ressourcen angewiesen, weshalb die Etablierung eines nationalen und langfristigen Aktionsplans der Regierung zur nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes von ausschlaggebender Bedeutung ist, um Ressourcen zu bewahren, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und die Armut zu verringern. Zudem bringt die bisherige Vernachlässigung umweltpolitischer Themen spürbare wirtschaftliche Kosten mit sich. So verursachten die Folgen von Umweltschäden und Klimawandel laut dem mexikanischen statistischen Institut INEGI 2011 Kosten in Höhe von 6,5% des BIP. Für die kommenden Jahre ist bei gleichbleibender klimatischer Entwicklung mit einem landesweiten Temperaturanstieg von bis zu 1,5 C zu rechnen, was zu tiefgreifenden sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Konsequenzen, wie noch extremeren Dürreperioden, Überschwemmungen und Ernteausfällen führen würde. Nicht minder betroffen wären in indirekter Weise Gesundheitssystem, Tourismus, Handel sowie die Energieversorgung Mexikos. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung für den Zeitraum 2013 bis 2018 den nationalen Entwicklungsplan PROMARNAT erstellt, der eine Reihe von Maßnahmen zur Förderung eines ganzheitlichen Umweltbewusstseins vorsieht. Ziele sind die Reduktion von Treibhausgasemissionen und der Erhalt der Biodiversität durch Aufforstungsprogramme, Bildung und strengere Zulassungsauflagen für Automobile. Ein wichtiger Schritt hin zu einer systematischen Herangehensweise war die Verabschiedung des Gesetzes zum Klimawandel (Ley General de Cambio Climático) im Jahr 2012, welches den institutionellen Rahmen für die Durchführung diverser Projekte setzt. So legt es die Kompetenzen zwischen föderalen, staatlichen und kommunalen Einrichtungen fest und ermöglichte die Errichtung von Institutionen wie dem Klimawandelrat (Consejo de Cambio Climático), dem Nationalen Institut für Umwelt und Klimawandel (Instituto Nacional de Ecología y Cambio Climático) und der ressortübergreifenden Kommission zum Klimawandel (Comisión Intersecretarial de Cambio Climático). Gemeinsam mit dem mexikanischen Umweltministerium arbeiten diese an einer nationalen Strategie, die unter anderem den Ausbau erneuerbarer Energien fördern und den CO2-Ausstoß reduzieren soll. Hauptverursacher des Co2- Ausstosses sind Automobile betrug ihr Anteil an der Luftverschmutzung laut Ministerium für Kommunikation und Verkehr rund 80%. Entwicklungen seit 1990 im Vergleich (Quelle: PROMARNAT, Plan Nacional de Desarrollo ) Im selben Jahr beliefen sich die Folgekosten der Luftverschmutzung auf 3,6% des BIP, womit dieser Posten den größten Teil an umweltbezogenen volkswirtschaftlichen Schäden für Mexiko aus- Hintergrund: Mexiko Nr. 79 / November
3 macht. Dies brachte dem Land Platz 79 des Environmental Performance Index ein, der von den Universitäten Yale und Columbia ermittelt wird. Die Zulassung von Kraftfahrzeugen soll daher strenger auf ihre Schadstoffemissionen hin kontrolliert werden, indem das bereits bestehende Programm Verificación Vehicular Obligatoria auf das gesamte Land ausgeweitet werden soll. Bisher halten sich nur 17 von 31 Bundesstaaten an die Regelung. Das dramatische Ausmaß der Luftverschmutzung wird besonders in und um Mexiko-Stadt deutlich, wo der Grenzwert für das schädliche Gas Ozon 2011 an 154 Tagen im Jahr überschritten wurde. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wurde die Realisierung der PROAIRE-Programme beschlossen, die Aspekte wie Aufforstung, effizientere Energienutzung und Bildung beinhalten. Neben Luftverschmutzung sind auch Wasserversorgung und verschmutzung Probleme, denen sich die mexikanische Regierung mit gesonderten Programmen annehmen will. Der Nationalen Wasserkommission CONAGUA zufolge ist die im Land existente Menge Wasser seit 1950 von über Kubikmetern auf nur noch Kubikmeter pro Einwohner gesunken. Angesichts des steten Bevölkerungswachstums könnte sich diese Zahl bei gleichbleibender klimatischer Entwicklung schon bald weiter reduzieren, während der Bedarf um über 36 Milliarden Kubikmeter jährlich stiege. Die knappen vorhandenen Wasserressourcen sind zudem geographisch ungleich verteilt, was nicht nur Auswirkungen auf die Lebensqualität der Menschen hat. Der mit 80% zur jährlichen Wirtschaftsleistung beitragende Norden muss mit nur einem Drittel der Ressourcen auskommen, während dem Süden die restlichen zwei Drittel zur Verfügung stehen. In diesem Sinne ist es wichtig, die Aussaat von Getreide- und Gemüsearten künftig von ihrer Effizienz in Bezug auf Wasserkonsum abhängig zu machen, um die vorhandenen Mengen intelligenter zu nutzen und eine Erholung der Wasservorkommen in bestimmten Gebieten zu ermöglichen. Ferner bleibt es eine Herausforderung für Mexiko, die gesamte Bevölkerung mit ausreichend Trinkwasser zu versorgen, zu welchem knapp ein Zehntel noch immer keinen Zugang hat. Eine systematische Wasseraufbereitung fehlt und ein Großteil der Abwässer wird ungereinigt in Flüsse, Seen und Meere geleitet. Mexiko-Stadt und der Smog (Foto: Lidia Lopez / Wikimedia) Auch Abfallentsorgung stellt ein großes Problem dar und beeinflusst die Lebensqualität der Einwohner. Obwohl Mexiko mit rund 311 Kilogramm Müll pro Kopf und Jahr unter dem Schnitt der OECD von 540 Kilogramm liegt, macht dieser Aspekt einen wichtigen Teil der auf die Umwelt einwirkenden Faktoren aus. Weder Trennung noch Wiederverwertung sind üblich und die auf offenen Müllhalden deponierten Reste verunreinigen ihre Umgebung ebenso wie das knappe Grundwasser, dessen Konsum in der Folge schädlich ist. Auch die Artenvielfalt des Landes ist dadurch gefährdet. Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen wird die Relevanz umweltpolitischer Fragen aller Art für eine positive und nachhaltige Entwicklung Mexikos deutlich. Besonders am Beispiel der Hauptstadt sind Anstrengungen zu verantwortungsvollerem Umgang mit Abfall und zur CO2- Reduktion erkennbar, da Mexiko-Stadt unter einer ständigen Smogglocke leidet. Schätzungsweise Menschen starben 2008 an den Folgen verschmutzter Atemluft in der Region. So verabschiedete die Stadt Anfang 2008 den Plan Verde, der eine Reihe von zunächst auf 15 Jahre angelegten Zielen und Maßnahmen umfasst und damit die bisher langfristigste Strategie Mexikos auf diesem Gebiet darstellt. Um die Weiterführung dieses Programms unabhängig von Regierungs- Hintergrund: Mexiko Nr. 79 / November
4 wechseln sicherzustellen, wurde parallel ein Rat ins Leben gerufen, der nicht nur aus Vertretern des öffentlichen, sondern ebenso des privaten und akademischen Sektors besteht (Consejo de Evaluación y Seguimiento del Plan Verde). Auch das staatliche Kontroll- und Verwaltungssystem SIGOB (Sistema Integral de Gobierno) wurde etabliert und dient ausschließlich der Verfolgung der Plan-Verde-Ziele. Ecobici-Stand im Zentrum von Mexiko-Stadt (Foto: Mario Roberto Durán Ortiz / Wikimedia) Im Zuge dessen setzte die Stadt das Projekt Ecobici um, das es Einwohnern wie Touristen ermöglichen soll, sich mit dem Fahrrad anstelle des Autos fortzubewegen. Die Nachfrage stieg nach seiner Einführung 2010 rasant an, wodurch mittlerweile 444 Ecobici-Stationen mit über zur Verfügung stehenden Fahrrädern errichtet werden konnten. Ihre Nutzung erfolgt für maximal 45 Minuten nach Registrierung und Zahlung einer Gebühr, bevor sie an einer beliebigen Station wieder angeschlossen werden können. In vier Jahren konnten so rund 500 Tonnen CO2 eingespart werden, was der Pflanzung von neuen Bäumen entspricht. Mit 21 Millionen bisher realisierten Nutzungen ist das Ecobici-System das größte seiner Art in Lateinamerika und belegt Platz vier im weltweiten Vergleich. Auch das Thema Recycling wird in der Hauptstadt seit 2011 konkreter behandelt, da die täglich anfallende Menge Abfall von über Tonnen eine große Belastung für Mensch und Umwelt darstellt. Die Bürgerinitiative ECOCE (Ecología y Compromiso Empresarial) hat daher eine breite Auklärungskampagne gestartet und bietet im Internet, auf Plakaten und in Schulprojekten die Möglichkeit, sich über das Thema zu informieren. Eine besonders innovative Idee stellen Automaten entlang der Metrobus-Linie 1 dar, an welchen PET-Flaschen eingeworfen und direkt gegen Fahrkarten eingetauscht werden können. So einfach wie tanzen..., Kampagne der Recycling-Initiative ECOCE (Foto: Die vielen Grünflächen der Stadt sind außerdem das Ergebnis eines Aufforstungsprogramms, das alleine im vergangenen Jahr die Pflanzung von über einer Million neuer Bäume verordnet hat. Diese Maßnahme richtet sich nicht nur gegen Luftverschmutzung, sondern ebenso gegen die Erosion des Erdbodens und hat das Ziel, die Lebensqualität der Stadt zu verbessern. Besonders die großen Parkanlagen werden von vielen Städtern für sportliche Aktivitäten genutzt. Nach Angaben des Umweltministeriums bestehen mittlerweile 60% der Stadt aus begrünten Straßen und Flächen. Das Regionalbüro Lateinamerika der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit unterstützt diese Entwicklungen durch sein Klimaprojekt, das sich in besonderem Maß der Bildungs- und Aufklärungsarbeit bezüglich Umwelt und Klimawandel widmet. Da es häufig an Faktenwissen über Wirkungsketten, Auslöser und den Einfluss des eigenen Handelns mangelt, ist Bildung der aus- Hintergrund: Mexiko Nr. 79 / November
5 schlaggebende Teil der Arbeit, um langfristige Veränderungen bewirken zu können. In diesem Sinne organisiert die Stiftung unter anderem Weiterbildungen für Journalisten ( Energía y Desarrollo Sustentable Taller para Periodistas ), da diesen eine wichtige Rolle als Informationsvermittlern zukommt. Ziel ist es, Umweltthemen greifbarer zu machen und ihre Bedeutung für Mexiko und die Welt zu verdeutlichen. Weiterhin tragen Foren und Konferenzen zur Vernetzung der einzelnen Bundesstaaten, Städte und internationalen Experten dazu bei, den Austausch von Erfahrungen und Informationen unter ihnen zu fördern und sich konkret mit Schlüsselthemen wie der Bedeutung fossiler Brennstoffe und erneuerbarer Energien zu befassen ( Foro de Análisis de la actual Estrategia Nacional de Energía, Mercados de Energía: Intercambio de Experiencias Internacionales ). Verschiedene Publikationen ergänzen die Stiftungsarbeit in diesem Bereich und dienen als Wegweiser für die klimafreundliche Entwicklung Mexikos hin zur Etablierung einer nachhaltigen Umweltpolitik ( Manual de Políticas Ambientales Municipales Exitosas, La Ruta hacia la Alianza del Pacífico ). Da ökologisches Handeln gerade für den kommunalen Bereich von entscheidender Bedeutung ist, hat die Stiftung in einer regionalen Projektinitiative intelligente Politikkonzepte in Mexiko und Mittelamerika zusammengestellt, die die Lebensqualität der Menschen vor Ort erhöhen sollen. Für Mexiko ging es dabei vor allem um die Bereiche der Energieversorgung und Mobilität. Das Experten- Team der Stiftung stellte dieses Handbuch für kommunale Umweltpolitik auf einem Kongress der mexikanischen Fachzeitschrift Alcaldes ( Bürgermeister ) im September 2015 in Mexiko-Stadt den interessierten Kommunalpolitikern und Verwaltungsfachleuten vor. Gemeinsam würdigen die Stiftung und die Zeitschrift Alcaldes darüber hinaus engagierte, umweltbewusste Kommunen durch die Vergabe von Preisen für gute Umweltpolitik. Julia M. Fesser ist Stipendiatin der FNF und z.z. Praktikantin im Regionalbüro Lateinamerika in Mexiko-Stadt Redaktion: Birgit Lamm, Regionalbüroleiterin Lateinamerika. Impressum Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) Fachbereich Internationales Referat für Querschnittsaufgaben Karl-Marx-Straße 2 D Potsdam Hintergrund: Mexiko Nr. 79 / November
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