Vom Leben und Arbeiten in Baltimore:
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- Curt Heinrich
- vor 8 Jahren
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Transkript
1 Vom Leben und Arbeiten in Baltimore: Inzwischen ist es schon mehr als 9 Monate her, dass ich am in Frankfurt in den Flieger nach Washington D.C gestiegen bin und mich für ein Jahr Freiwilligen Dienst in USA entschieden habe. An diesem Tag wusste ich noch nicht mal, in welches Projekt und welche Stadt ich überhaupt komme. Dies hat sich auf der 3-wöchigen Orientation in New Windsor in Maryland entschieden - meine Wahl war das Obdachlosenheim PROJECT PLASE in Baltimore, in dem ich seither als Maintenance Assistant (Assistent des Hausmeisters) arbeite. Dieser Job hat mir bisher sehr viel Spaß gemacht und ich habe eine Menge dazu gelernt. Die meiste Zeit arbeite ich mit Billy, meinem Chef und George, einem Mitarbeiter zusammen. Zur Maintenance-Gruppe gehören auch noch Roland und Robert, die nicht festangestellt sind wie Billy und George, sondern hin und wieder kleinere Arbeiten erledigen und häufig beim Abholen von Spenden mitkommen. Roland ist hierbei sehr hilfreich, da er Baltimore sehr gut kennt und somit ein guter Copilot ist. Robert hat früher bei einer Umzugsfirma gearbeitet und hat deswegen sehr viel Erfahrung im Möbelpacken. George ist ein wahrer Meister im Beladen des Vans und erstaunt nicht nur mich damit immer wieder aufs Neue. Von links: Billy, Robert, George und ich im Hausmeisterkeller
2 Der Tag beginnt um Punkt 9 Uhr, wenn wir uns im Hausmeisterkeller treffen, der sich im Untergeschoss des Frauenwohnheims von Project Plase befindet. Wir reden erst mal über aktuelle Dinge, wie Football, die neuesten Ereignisse und dann erklärt uns Billy, welche Arbeiten und Aufgaben für den jeweiligen Tag anstehen. Dies kann das Austauschen einfacher Glühbirnen oder Schlösser reparieren, aber auch das Streichen von Wänden, bis zu kompletten Umzügen von ehemaligen Obdachlosen sein. Den Aufgaben entsprechend bilden wir meistens zwei unterschiedliche Gruppen und legen dann los. Das Projekt besitzt im Moment einen Van der zweite sollte dringend repariert werden mit dem wir durch die Stadt und ihre Außenbezirke fahren. George ist froh, wenn er als Beifahrer daneben sitzen kann. Gegen 13 Uhr bringe ich normalerweise George nach Hause, da er schon pensioniert ist und im Projekt nur halbtags arbeitet. Danach treffe ich dann Billy und arbeite mit ihm den restlichen Tag. Project Plase besitzt 4 Hauptgebäude: ein Wohnheim für Männer, eines für Frauen, ein gemischtes Haus und dazu noch ein Bürogebäude. Manchmal finde ich meine Arbeit frustrierend, nämlich dann, wenn ich sehe, dass ein von mir vor einem Monat renoviertes Zimmer wieder aussieht wie vor der Renovierung und alles wieder neu gestrichen und repariert werden muss. Dieser Frust ist aber in der Regel schnell vergessen, wenn ich erlebe, wie glücklich die Clients (Obdachlosen) sind, nachdem wir ihnen beim Umzug in ihre neue, jetzt eigene Wohnung geholfen haben. Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit meinen Aufgaben, da sie sehr abwechslungsreich sind und ich viele verschiedene Teile der Stadt sehe und somit einen sehr guten Einblick in das Leben einer amerikanischen Großstadt und ihrer Probleme bekomme. Das ist unser zweiter Van, der schon seit November im Hinterhof eines Shelters repaturbeduerftig herumsteht.
3 Nun noch kurz zu unserer Wohnsituation. Nils, der andere deutsche Freiwillige und ich wohnen zusammen in einem 3-stöckigen Haus. Im Erdgeschoss befindet sich eine Foodpantry, also eine Einrichtung, die einem Tafelladen ähnelt. Jeden Samstag werden von 9:00 bis 12:00 Uhr Lebensmittel, hauptsächlich Dosen, an bedürftige Menschen in unserer Nachbarschaft verteilt. Jedoch hängt diese Foodpantry nicht direkt mit Project PLASE zusammen. Im ersten Stock unseres Hauses befinden sich eine gemütliche Küche mit anschließendem Esszimmer, ein Badezimmer und das Zimmer von Nils. Eine Treppe geht dann in den 2. Stock hoch, in dem sich mein Zimmer und nochmal ein Badezimmer befinden. Das Haus bietet auch noch eine Dachterrasse, die vor allem im Sommer einfach genial ist. Internetanschluss ist auch vorhanden. Leider ist die Nachbarschaft nicht die beste und vor allem nachts sollte man mindestens zu zweit sein und sich sehr zielstrebig bewegen. Zum Glück hatten wir beide in den letzten 9 Monaten bisher keine gefährliche Situation oder irgendeinen Zwischenfall. In weniger als einer Minute erreichen wir den 8ter Bus, der uns direkt in die Innenstadt bringt. Die Pizzeria um die Ecke PIZZA DEAL - ist preisgünstig und lecker. Zu Fuß ist man in 5 Minuten auch schon in einem besseren Viertel, in dem man sich deutlich wohler fühlt. Direkt im Nebenhaus wohnt Robert, der bei Project Plase als Koch arbeitet und auch immer für uns da ist. Er war uns vor allem am Anfang neben Billy eine große Hilfe. Durch unsere Wohnsituation genießen wir beide viele Freiheiten, sind aber auch mehr auf uns selbst gestellt.
4 Baltimore ist seit einigen Jahren eine Stadt mit vielen sozialen Brennpunkten. Bei meiner Projektauswahl konnte ich mir das Leben in Baltimore mit seinen verwahrlosten und gefährlichen Wohnbezirken überhaupt nicht vorstellen. In Baltimore haben sehr viele Menschen ein Drogenproblem, soweit ich von Erzählungen weiß, kam in den 80er Jahren Crack in die Stadt. Crack ist eine Droge, die aus Kokainsalz und Natron hergestellt wird und sehr schnell wirkt - in ca. 8 bis 10 Sekunden. Sie wird in kleinen Pfeifen geraucht und ist die Droge mit dem höchsten psychischen Abhängigkeitspotenzial. So haben viele Menschen durch ihre Drogenabhängigkeit ihre Häuser verloren, weil sie kein Geld mehr für die Miete aufbringen konnten. Deswegen sieht man sehr viele verlassene und zugenagelte Häuser auch in unserem Viertel. Dort bewohnen Nils und ich ein Appartement in einer Gegend, in der man sich nicht unbesonnen bewegen darf. Drogen, Obdachlosigkeit und Kriminalität gehören zum Alltag in diesen Stadtgebieten hatte die Stadt noch eine Million Einwohner und war nach New York die zweitgrößte Stadt mit dem ebenfalls nach Ellis Island zweitwichtigsten Flüchtlingshafen. Der Bevölkerungsschwund ist in Baltimore besonders ausgeprägt und die Stadt versucht gegen Armut, Verwahrlosung und Kriminalität anzukämpfen. So lernte ich nach einer Eingewöhnungszeit, als wir dann auch nach und nach die schönen Seiten von Baltimore entdeckten, auch ein liebenswertes Baltimore (Charme City wie Baltimore auch genannt wird) kennen. Der Hafen heißt heute Inner Harbor und wird schon längst nicht mehr für Industriezwecke benutzt, sondern ist Teil von Baltimores Touristenattraktionen. Neben dem Inner Harbor besitzt Baltimore noch zahlreiche Museen und ist berühmt für seine Museen für Moderne Kunst. Inner Harbor von Baltimore bei Nacht.
5 Und es gibt auch Hoffnung: Durch die zahlreichen Colleges und Universitäten, allen voran John Hopkins, kommt Geld in die Stadt und Stück für Stück werden verlassene und heruntergekommene Stadtteile wieder hergerichtet. Auch Project Plase mit seinen von großem Idealismus und viel Geduld getragenen Mitarbeitern leistet einen wertvollen Beitrag, für die Menschen, die ganz am Rand der Gesellschaft stehen. Genau an dieser häufig beschriebenen Armut und Obdachlosigkeit in Baltimore setzt Project PLASE an, denn es gibt ungefähr Menschen, die in Baltimore obdachlos sind und nachts auf der Straße schlafen müssen. Project PLASE bietet diesen Menschen Wohnungen und hilft ihnen aus der Obdachlosigkeit heraus, indem es sich mit den Gründen und Ursachen der Obdachlosigkeit der einzelnen Personen auseinandersetzt. Jedes Jahr kann ungefähr 450 Menschen geholfen werden und in den letzten 36 Jahren, in denen es schon Project PLASE gibt, durften sicher tausende Menschen Hilfe erfahren. Project PLASE wurde in den 70ern von Mary Slicher und einigen anderen Studenten ins Leben gerufen. Mary Slicher leitet seitdem Project PLASE mit viel Liebe und Enthusiasmus. Anfang September geht bereits mein Freiwilliges Jahr zu Ende und es beginnt für mich mit dem Studieren ein neuer Lebensabschnitt. Ich freue mich bereits wieder auf Deutschland, bin dankbar für alle Erfahrungen und die vielen wunderbaren Menschen, die ich hier kennenlernen durfte. Schön, dass ich nun noch den Sommer an der Ostküste in Baltimore erleben darf. Billy, mein Supervisor und ich beim Lunch in einem typisch amerikanischen Diner.
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