*homesweethome. Text: Frank Siering, Los Angeles Fotos: Airbnb / Frank Siering DAS ONLINE-MAGAZIN FÜR BEWEGTBILD

Transkript

1 SEITE 1 *homesweethome Die Geschichte vom Aufstieg der Wohnbörse Airbnb ist ein amerikanischer Traum. Aus der Idee einer Studenten-WG entwickelte sich in wenigen Jahren ein weltweit erfolgreiches Unternehmen mit dem wohl coolsten Image, das die Westküste zu bieten hat. Den Gründern ist es gelungen, Design und Lifestyle mit dem Wunsch nach globaler Vernetzung zu verbinden. Ist die Company wirklich so cool und pfiffig wie alle behaupten? Screen.tv-Autor Frank Siering hat den Test gemacht und dabei einige Überraschungen erlebt. Text: Frank Siering, Los Angeles Fotos: Airbnb / Frank Siering

2 HOMESWEETHOME SEITE 2 Mietservice statt Matratzenlager: Die Freunde Brian Chesky, Joe Gebbia und Nathan Blecharczyk sind die kreativen Köpfe hinter Airbnb. * Die Sonne in San Francisco bricht durch den dichten Küstennebel, der die Bay Area in den Sommermonaten so häufig bedeckt und durchflutet die frisch gestrichenen Büroräume von Airbnb in der hippen Brannan Street im South of Market Distrikt. Brian Chesky huscht über den Flur und sucht seine Kaffeetasse. Wer hat die versteckt?, fragt der 31-Jährige, der zusammen mit seinen beiden besten Freunden Nathan Blecharczyk und Joe Gebbia seit einiger Zeit die Hotelbranche in Angst und Schrecken versetzt. Der Grund dafür heißt Airbnb, wobei der Name, so sagt Chesky selbst, mittlerweile arg in die Irre führt. Airbnb ist ein Community-Marktplatz für außergewöhnliche Unterkünfte. So jedenfalls steht es in der etwas steif formulierten Online-Broschüre auf der Website der Company. Doch Airbnb ist viel mehr. Die Firma ist die Zufallsgeburt zweier Freunde, die im Oktober 2007 ein Apartment in San Francisco teilten. Wir waren es leid, ständig Nudeln aus der Dose und kalte Pizza essen zu müssen, erinnert sich Gebbia an seine WG mit Chesky. Genauso war s, ich schwöre es Zu dieser Zeit kam eine große Designer-Konferenz mit tausenden von Teilnehmern in die Stadt. Die Hotels waren hoffnungslos überfüllt. Chesky und sein hungriger Kumpel hatten eine Idee und kauften kurzerhand ein paar billige Luftmatratzen (airbed). Sie vermieteten den Platz im Wohnzimmer an einige Konferenz- Teilnehmer und verdienten sich so ein paar Dollars nebenher. So begann unser air-bed-and-breakfast, berichtet Blecharczyk, den die Freunde als Mitgründer und Programmierer der Airbnb- Website an Bord holten. Aus dem Experiment wurde schnell ein Geschäftsmodell. Als nächstes probierten die drei ihre Matratzen-Börse bei einem Musikfestival, dann sogar bei der Democratic National Convention in Denver aus. Damals hatten die gewieften Kalifornier auch schon eine Website kreiert, auf der potentielle Airbnb-Kunden wie auch Vermieter, Betten oder einzelne Zimmer anbieten und abrufen konnten. Wir haben ganz klein angefangen, und sind dann auf ganz natürliche Art und Weise gewachsen, sagt Chesky über die ersten Jahre. Wer heute durch die hochmodernen Büros von Airbnb in San Francisco spaziert, das leise Tippen auf den Apple-Computern von hunderten von wuseligen Mitarbeitern hört und die beeindruckenden Zahlen der laut Time Magazine pfiffigsten Vermieter-Börse der Welt studiert, mag an den frühen Tagen der Luftmatratze durchaus zweifeln. Chesky zuckt mit den Schultern: Genauso war s, ich schwöre es. Nur vier Jahre später verwaltet Airbnb rund Unterkünfte in mehr als 192 Ländern Städte weltweit nutzen den Service. Allein im vergangenen Jahr stieg die Anzahl der verfügbaren Angebote um 166 Prozent. Was einmal in San Francisco als kleine regionale Untervermieter-Börse begonnen hat, ist heute ein weltweiter Erfolg. 70 Prozent aller Vermietungen finden mittlerweile im Ausland statt. Selbstversuch in Los Angeles Was aber ist das Geheimnis dieser Wohnungsbörse? Wie verdienen Chesky und seine einstigen Mitbewohner ihr Geld? Ist die Company und ihr Geschäftsmodell wirklich so cool und pfiffig, wie alle behaupten? Ich will es genauer wissen und mache den Test in Los Angeles. Eigentlich ist es ganz einfach, eigentlich. Auf der Website sind alle verfügbaren Mietobjekte aufgelistet. Tolle Immobilien dabei. Vom Loft in Downtown L.A. bis hin zum

3 HOMESWEETHOME SEITE 3 * Mitgründer Brian Chesky tourt meistens durch die Welt, auf der Suche nach neuen Märkten und weiteren Geschäftsfeldern.Von einer eigenen Hotelkette ist derzeit die Rede.

4 HOMESWEETHOME SEITE 4 werden und Telefonnummer freigeschaltet. Gunzel und ich organisieren die Schlüsselübergabe. Hong Kong Corner und Family Tree: Die hochmodernen Büros im Headquarter sollen das Image der globalen Übernachtungsbörse widerspiegeln stylish und charming. Gartenhäuschen mit Anschluss an eine Yoga-Gruppe. Einfach eines aussuchen und buchen. Doch dann beginnt der Irrlauf durch den Selbstverwaltungs-Apparat. Die klugen Köpfe hinter Airbnb machen es sich dabei relativ leicht. Sobald das Zimmer oder die Wohnung ausgesucht und die Miete plus Gebühr, die dann an Airbnb abgeführt wird über die Kreditkarte abgebucht ist, werden die Kontaktdaten von Vermieter und Mieter freigeschaltet. Zumindest ein Teil der Kontaktdaten. Aus Sicherheitsgründen erreichen den Mieter anfänglich via Airbnb-Switchboard nur unvollständige -Anschriften und Telefonnummern vom Vermieter. Deshalb also die vielen wuseligen Mitarbeiter in der Brannon Street. Mein Handy brummt mich ständig mit neuen Kurznachrichten vom Vermieter an, die über Airbnb verschickt werden, meine Antworten können dann wiederum nur via San Francisco zurück zum Vermieter gelangen. Ein ziemlich nerviges Unterfangen, ständig über eine dritte Partei kommunizieren zu müssen, aus Sicherheitsgründen aber durchaus verständlich. Ich will ja nicht irgendeinen Freak in meine Wohnung lassen, erklärt mir meine Vermieterin Gunzel G. später: Bevor ich mein Okay gebe, will ich ein paar Fragen beantwortet haben. Damit meint sie durchaus persönliche Fragen nach Hygiene- und Schlafgewohnheiten. Gunzel will wissen, ob ich nachts wach werde und zur Toilette muss, ob ich Besucher empfangen wolle, oder sogar Übernachtungsgäste erwarte, was auf keinen Fall erlaubt sei. Ich tippe die Antworten brav in mein Handy und denke: Das hätte natürlich auch ein Freak hinbekommen. Als alle Unklarheiten aus dem Weg geräumt sind, Wohnei mit spirituellem Anschluss Bei unserer ersten Begegnung fühle ich mich in die 70er Jahre zurückversetzt. Gunzel erklärt ihre vielen Fragen. Die Mieter müssten ihr auf spiritueller Ebene sympathisch sein. Sie zeigt mir das Wohnei auf ihrem Grundstück, das ich für 54 Dollar die Nacht gemietet habe. Kein Schlüssel, kein Schloss. Dafür ein Bankbett mit Blick in den kalifornischen Nachthimmel. Das Laken ist ordentlich glatt gestrichen, aber nicht frisch gewaschen. Die Klamotten einiger Vormieter sind hinter einem Gardinenvorhang versteckt. Ein kleiner Buddha lächelt mich entschuldigend aus einem selbst gebastelten Schrein an. Alles eher rustikal, kein WC, kein Waschbecken. Dafür muss ich ins Haupthaus kommen. Vorbei an drei Katzen und vier Mitbewohnern von Gunzel. Nichts für Reisende, die es gerne diskret haben. Meine Airbnb-Erfahrung ist gemischt. Für meinen Geschmack musste ich ein bisschen zu viel von mir preisgeben für einen Schlafplatz, der eher an ein bequemes Zelt als an eine saubere Wohnung erinnert. Aber ein Abenteuer war es allemal. Ich kann verstehen, warum Airbnb bei so vielen Reisenden mit kleineren Budgets gut ankommt. Vielleicht bin ich auch einfach schon in einer Altersklasse, die ein nettes Hotelbett mit Schokolade auf dem frischen Kissen einer Campingerfahrung mit spirituellem Anschluss vorzieht. Zurück in San Francisco. Im hippen Bürogebäude mit Yoga- und Meditierzimmer sowie Sonnenterrasse und Ruheraum für gestresste Mitarbeiter, laufen alle Fäden zusammen. Mitgründer Chesky ist dieser Tage selten hier anzutreffen, er tourt durch die Welt, auf der Suche nach neuen Märkten und

5 HOMESWEETHOME SEITE 5 * New York Corner: Bunter Stilmix und Wohnatmosphäre sollen die Mitarbeiter zu Höchstleistungen für die Community anfeuern.

6 HOMESWEETHOME SEITE 6 weiteren Geschäftsfeldern für Airbnb. Von einer eigenen Hotelkette ist die Rede. Einer der drei Chefs ist immer vor Ort. Wir wachsen so schnell, da fällt es manchmal schwer, das Tempo zu dosieren, sagt Gebbia, der auch heute noch 10 bis 16 Stunden am Computer sitzt. Iglus, Schlösser und Privatinseln Der Erfolg von Airbnb liegt sicherlich im Preisvorteil. Aber auch die Originalität vieler Unterkünfte ist kaum zu überbieten. Hier wollen sich Chesky und seine Kollegen auch von der wachsenden Konkurrenz unterscheiden. Iglus, Schlösser, sogar private Inseln und Baumhäuser sind bei Airbnb mittlerweile im Angebot zu finden. Ein absoluter Traum ist nicht nur die Auswahl, sondern auch der sofortige Kontakt zu den Leuten, die vor Ort leben, sagt Michael Meyers aus New York, der bei seinen Reisen durch die USA seit einigen Jahren nur noch Airbnb nutzt. Der Tour- Guide durch die lokale Region, den viele Vermieter anbieten, ist ein willkommener Bonus für die Kunden. Auch meine Gastgeberin wollte mir gerne ein paar schöne versteckte Ecken in Santa Monica und Venice Beach zeigen. Einen ähnlichen Service bietet wohl kaum ein Hotel. Firmen wie Roomorama oder istopover verfolgen jedoch längst ein ähnliches Business-Modell. Aus Deutschland gingen Portale wie 9flats und Wimdu ans Netz. Tatsächlich gibt es mittlerweile mehr als 350 Internetseiten für Kurzzeitvermietungen, sagt William May, Präsident der Vacation Rental Industry. Übernachtung in Los Angeles: Das Bett ist glatt gestrichen, aber nicht frisch gewaschen. Ein Buddha lächelt entschuldigend aus einem selbst gebastelten Schrein. Und viele dieser Seiten haben dieselbe Geschäftsstruktur wie Airbnb. Was Airbnb zum Marktführer macht, sei die Tatsache, dass diese Firma auch einzelne Zimmer vermiete. Verwüstete Apartments Dass damit auch Risiken verbunden sind, liegt auf der Hand: Vor allem für den Vermieter, aber auch für den Mieter, der letztlich auch nicht sicher sein kann, ob er sich nicht selbst bei einem Freak einmietet. Dieser systemimmanente Unsicherheitsfaktor ist natürlich auch ein potentieller Krisenherd für Chesky und seine Teilhaber. Längst machen Horror-Stories von Vermietern und Mietern die Runde. Zum Beispiel von der Geschäftsfrau aus San Francisco, die ihre Zwei-Zimmer-Wohnung via Airbnb für eine Woche vermietet hat und ein völlig zerstörtes Apartment vorfand. Sogar den Schmuck der Oma hatten die Zeitmieter mitgehen lassen. In der Zentrale wird mit Hochdruck an der Verbesserung der Sicherheitsstandards gearbeitet. Wir müssen nach außen reflektieren, dass wir die sichere Alternative zum Hotel sind, sagt Chesky. Er hat sich persönlich dafür stark gemacht, dass in Zukunft Vermieter bei Vandalismus oder Diebstahl bis zu Dollar Entschädigung erhalten sollen. Im Falle eines zerstörten Apartments ist das allerdings nur ein schwacher Trost. In Deutschland scheinen die kalifornischen Vermieter übrigens offene Türen mit ihrem Angebot eingerannt zu haben. Laut Airbnb stieg die Zahl der Übernachtungen im vergangenen Jahr um mehr als 700 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Allein in Berlin wurden nach eigenen Angaben über Übernachtungen gebucht, insgesamt waren es rund Übernachtungen in Deutschland. Zurück in San Francisco lehnt sich Chesky an die weiße Wand in seinem verglasten Office. Er hat seine Kaffeetasse gefunden

7 HOMESWEETHOME SEITE 7 WOHNBÖRSE * Schlafen im Schneehaus: Airbnb lebt von der Originalität seiner Unterkünfte. Die Idee des Community-Marktplatzes für jeden Geldbeutel und jeden Geschmack hat weltweit Konkurrenten auf den Plan gerufen. Der Community-Marktplatz für die Vermietung und Buchung von Privatunterkünften startete Gründer sind die Freunde Brian Chesky, heute CEO von Airbnb, Joe Gebbia (CPO) und Nathan Blecharczyk (CTO). Das Unternehmen mit Hauptsitz in San Francisco verwaltet laut eigenen Angaben derzeit weltweit mehr als Unterkünfte in 192 Ländern. Neben vielen einfachen Übernachtungsmöglichkeiten gibt es auch Außergewöhnliches: 899 Villas, 99 Boote, 37 Baumhäuser und 47 Autos. und schlürft genüsslich an seinem Milchkaffee. Vor ihm auf dem Computerbildschirm blinken all die Städte auf dem Globus auf, die am Airbnb-Netzwerk hängen. Fast die gesamte Weltkarte ist mit kleinen roten Pfeilen übersäht. Natürlich empfinde er so etwas wie Stolz, sagt er: Stolz und Glück. Denn noch heute kann er sich gut an die Tage erinnern, als er und seine Freunde vor allem Couchsurfing betrieben haben. Die Sportart, die Studenten von Sofa zu Sofa treibt, um hier und da ein bisschen Geld zu sparen. Dass sich daraus mal ein lukratives Business- Model entwickeln würde, daran hat auch ein Visionär wie Chesky nicht geglaubt: Ich bin heilfroh, dass ich selbst nicht länger auf Luftmatratzen schlafen muss. * Autor: Frank Siering Die Berufsgruppe, die sich am häufigsten bei Airbnb einbucht, sind die Lehrer. Rund 10 Millionen Übernachtungen wurden bisher vermittelt. Airbnb hat erst mehrere Hundert Mitarbeiter. Vorstandschef Chesky gelang es dennoch 2011 rund 112 Millionen Dollar Venture Capital einzusammeln. Der Firmenwert wird auf 1,3 Milliarden Dollar geschätzt. Die Axel Springer AG ( Bild, Welt ) hat sich Anfang dieses Jahres an Airbnb beteiligt. Die Konkurrenten schießen wie Pilze aus dem Boden: Sie heißen Roomorama oder istopover. Aus Deutschland gingen zum Beispiel die Portale 9flats und Wimdu ans Netz.