Predigt zum ersten Teil des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach

Transkript

1 Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Zürich-Enge Rita Famos, Pfarrerin Grütlistrasse Zürich Predigt zum ersten Teil des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach Vor der Aufführung des Oratoriums: Wie in den Gottesdiensten 1734/35 in Leipzig wird nun an der Stelle der Lesung und sozusagen als erste, musikalische Predigt der erste Teil des Weihnachtsoratoriums erklingen. Johann Sebastian Bach nimmt uns dabei mit auf einen Weg von Advent nach Weihnachten: Nach dem Erklingen des ersten Weihnachtsjubels Jauchzet, frohlocket geht er nochmals zurück in den Advent: Der Evangelist erzählt mit den Worten der Lutherübersetzung wie Maria und Joseph sich auf den Weg machen und unterbricht die Lesung mit den Worten: Es kam die Zeit, da sie gebären sollte. Im Weihnachtsoratorium ist die Altstimme oft die Stimme der Maria. Im Rezitativ und in der Arie hören wir die adventliche Maria. Ihre Sehnsucht, ihr Warten auf die Geburt und Ankunft des Kindes erklingt. Und ihr Wunsch, sich vorzubereiten. Mit dem Choral Wie soll ich Dich empfangen? nimmt Bach die Gemeinde hinein in diese hoffnungsvolle Erwartung von Gottes Ankunft. Hören Sie dabei auf den Schlussakkord dieses Chorals: Alles bleibt offen, die Spannung wird aufgebaut mit dem offenen Akkord und erst mit dem Evangelisten gelöst, der seine Lesung fortsetzt: Und sie gebar ihren ersten Sohn. Nun sind wir also bei Weihnachten angekommen. Das zweite Rezitativ - vermischt mit dem Lutherchoral - und die darauffolgende Arie verkündet das Paradox vom grossen König, der in der Krippe zur Welt kommt. Den Schluss bildet der zweite Choral. Wie soll ich Dich empfangen? hat der erste Choral gefragt. Der zweite beantwortet diese Frage: In unseren Herzen sollen wir Jesus empfangen. Gehen wir miteinander auf dem klangvollen Weg von Advent nach Weihnachten! Teil I des Weihnachtsoratoriums von J.S. Bach (BWV 248) 1. Chor Jauchzet, frohlocket! auf, preiset die Tage, Rühmet, was heute der Höchste getan! Lasset das Zagen, verbannet die Klage, Stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an! Dienet dem Höchsten mit herrlichen Chören,

2 Laßt uns den Namen des Herrschers verehren! 2. Evangelist, Rezitativ Tenor Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augusto ausging, dass alle Welt geschätzet würde. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt David, die da heißet Bethlehem; darum, dass er von dem Hause und Geschlechte David war: auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Lukas 2,1, Rezitativ Alt Nun wird mein liebster Bräutigam, Nun wird der Held aus Davids Stamm Zum Trost, zum Heil der Erden Einmal geboren werden. Nun wird der Stern aus Jakob scheinen, Sein Strahl bricht schon hervor. Auf, Zion, und verlasse nun das Weinen, Dein Wohl steigt hoch empor! 4. Arie Alt Bereite dich, Zion, mit zärtlichen Trieben, Den Schönsten, den Liebsten bald bei dir zu sehn! Deine Wangen Müssen heut viel schöner prangen, Eile, den Bräutigam sehnlichst zu lieben! 5. Choral Wie soll ich dich empfangen Und wie begegn' ich dir? O aller Welt Verlangen, O meiner Seelen Zier! O Jesu, Jesu, setze Mir selbst die Fackel bei, Damit, was dich ergötze, Mir kund und wissend sei! (Paul Gerhardt, 1653) 6. Evangelist, Rezitativ Tenor Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippen, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. (Lukas 2,7) 7. Choral und Rezitativ Bass Er ist auf Erden kommen arm, Wer will die Liebe recht erhöhn, Die unser Heiland vor uns hegt? Dass er unser sich erbarm, Ja, wer vermag es einzusehen, Wie ihn der Menschen Leid bewegt? Und in dem Himmel mache reich, Des Höchsten Sohn kömmt in die Welt, Weil ihm ihr Heil so wohl gefällt, Und seinen lieben Engeln gleich. So will er selbst als Mensch geboren werden. Kyrieleis! (Text Choral: Martin Luther, 1527) 8. Arie Bass Johannes M. Blume Großer Herr, o starker König,

3 Liebster Heiland, o wie wenig Achtest du der Erden Pracht! Der die ganze Welt erhält, Ihre Pracht und Zier erschaffen Muss in harten Krippen schlafen. 9. Choral Ach mein herzliebes Jesulein, Mach dir ein rein sanft Bettelein, Zu ruhn in meines Herzens Schrein, Dass ich nimmer vergesse dein! (Martin Luther) Liebe Gemeinde, Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geborn // und nicht in dir; du bleibst noch ewiglich verlorn.", schreibt der schlesische Dichter Angelus Silesius über Weihnachten. Er meint damit: Die biblischen Berichte über die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem entfalten ihre Kraft erst, wenn sie in uns und bei uns ankommen. Sonst bleiben es leere Worte. Wir dürfen und sollen erwarten, dass Weihnachten immer wieder von neuem geschehen kann. Genau das will Johann Sebastian Bach mit seinem ersten Teil des Weihnachtsoratoriums auch verkünden. In der Mitte stellt er deshalb mit dem Choral die dringliche Frage: Wie soll ich Dich empfangen und wie begegne ich Dir? Der schaurig-schöne unharmonische Akkord am Schluss dieses Chorals lässt alles offen und drängt nach Auflösung. Er stellt somit die Frage an uns: Wie kommt Christus bei Dir, im Jahr 2010 an? Wie empfängst Du Gott in Deiner Welt? Die Antwort auf diese Frage kommt im letzten Choral. Aber beim ersten Blick auf den Text ist es einer dieser Choräle von denen viele sagen: Bach? Ja seine Musik gefällt mir gut, aber mit seinen barocken Texten kann ich nichts anfangen: Ach mein herzliebes Jesulein, mach dir ein rein sanft Bettelein... muss das sein? Besteht da nicht die Gefahr, dass der Kern der Botschaft verniedlicht und verkindlicht wird? Verliert sie so nicht ihre Kraft. Weshalb schliesst Bach den ersten Teil mit diesen Kinderworten? In dem Rezitativ und der Arie zuvor ist doch alles noch so anders: Hier hat Bach zusammen mit seinem Librettisten vermutlich war es Picander die Weihnachtsbotschaft oder das Weihnachtsparadox wunderbar dargestellt: Der Schöpfer der Welt liegt in der Krippe. Diese Spannung von königlicher Majestät einereseits und Armut, Niedrigkeit auf der anderen Seite und entfaltet Bach eindrücklich in der Bass-Arie Grosser König. Das Lied stammt, wie andere Passagen des Weihnachtsoratoriums aus der

4 Geburtstagskantate für die sächsische Kurfürstin und Königin von Polen Maria Josepha. Die königliche Trompete erklingt zum ersten Mal wieder nach dem Eingangschor. Sie erklingt in der Art der damals bekannten Fanfarenliteratur. Unmissverständlich soll ausgedrückt werden: Hier in der Krippe liegt ein König, ein Herrscher. Das ist das Weihnachtswunder! Der grosse, majestätische Gott sucht die Nähe des Menschen indem er selber Mensch wird und sich im kleinen Jesuskind dem Menschen zeigt. Aber eben: Weihnachten wird erst zu Weihnachten, wenn es Widerhall in der Seele des heutigen Menschen findet. Die Frage: Wie soll ich Dich empfangen? sucht immer noch nach Antwort. Wie soll ich den majestätischen, königlichen Gott in meinem irdischen, fragilen Leben empfangen? Wie kommt Gott bei mir an? Der letzte Choral gibt die mystische Antwort: Indem Jesus in Deinem Herzen geboren wird. Aber weshalb nun diese kindlichen Worte Ach mein herzliebstes Jesulein...? Hat Bach sich da vergriffen? Glauben Sie mir, nichts ist zufällig im Weihnachtsoratorium, keine Parodie aus Gründen der Zeitersparnis angewandt. Kein Text aus Mangel eines besseren übernommen. Bewusst wählt Bach das Kinderlied für die Weihnacht von Martin Luther. Martin Luther soll es für die Weihnachtsbescherung seiner eigenen Kinder gedichtet und komponiert haben. Mit der 13. Strophe lädt Luther die Kinder ein, Jesus in der Krippe ihres Herzens ruhen zu lassen. Diesen Text, der zuerst einmal das Kind anspricht, nimmt Bach und vertont ihn. Auf jede der vier Zeilen des zarten Kinderliedes folgt der fanfarenhafte Trompetenchor zusammen mit den Pauken, den wir schon aus dem Eröffnungschor kennen. Kinderlied königliche Fanfarenklänge: Aus dem Zarten, Kleinen, Zerbrechlichen geht das Majestätische hervor! Im Kind offenbart sich Gott. Das ist die Botschaft von Weihnachten. So vertont es Bach in seiner ersten Interpretation des Chorals vom Himmel hoch da komm ich her. Nicht infantil ist diese Botschaft, nicht kindisch aber von kindlich-tiefem Ernst. Und vielleicht können wir diese Botschaft nur in uns ankommen lassen, wenn wir werden wie die Kinder. Wieder staunen lernen über das Wunder. Uns vertrauend hingeben der Botschaft: Gott will in unserem Herzen geboren werden. Lassen wir uns hineinnehmen in den kindlich-ernsten, staunenden Glauben daran, dass Gott in uns als Kind geboren werden will. Denn Bach will uns im Symbol des Kinderliedes ans Herz legen:

5 Weihnachten wird es, wenn Du das göttliche Kind in Deinem Herzen ruhen lässt. Denn: Wenn Gott im Herzen ruht, dann kann dort etwas Neues entstehen. Wenn Gott im Herzen ruht, kann er dort unsere Sehnsucht stillen. Wenn Gott im Herzen ruht, können wir beginnen aus dem Herzen heraus zu handeln. Damals nach der ersten Weihnacht strahlte von der einfachen Krippe heraus die Weihnachtsbotschaft in alle Welt. Heute wird Weihnachten aus unseren Herzen herausstrahlen und die Welt anstecken. Amen Gebet Grosser Gott, der Du in unseren kleinen Herzen wohnst, Weihnachten heisst nicht vergessen, dass Du mit uns das Leben teilst und uns den Weg durchs Leben führst. Wenn uns die Fragen des Lebens quälen, wollen wir nicht vergessen, dass Du uns in diesem Fragen begegnen willst und uns auf Wege der Antwort führst. Wenn uns die Krankheiten Schmerzen und Angst bereiten, wollen wir nicht vergessen, dass Du den Weg der Schmerzen und Angst an unserer Seite aushältst. Wenn wir die Not und Armut in der Welt sehen, wollen wir nicht vergessen, dass Du uns rufst in Deiner Nachfolge mit den Menschen die Not zu teilen und ihnen solidarisch beizustehen. Amen Weihnachten 2010 Pfarrerin Rita Famos, Zürich Enge