Postpartale Depression

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1 Postpartale Depression Steven Clavey In den vergangenen Jahren fragten mich viele Kollegen, welche weiteren Möglichkeiten es zur chinesischen Behandlung postpartaler Depression (Wochenbettdepression) gibt. Diese Frage mag zwar klar und einfach sein, aber leider gibt es zu einfachen Fragen nicht immer einfache Antworten. Da Syndrome in der Schulmedizin und chinesischen Medizin auf unterschiedliche Art und Weise strukturiert werden, sind entsprechende Angaben zu vielen Störungen nur schwer auszumachen, wie etwa bei Reizdarmsyndrom, chronischem Erschöpfungssyndrom, prämenstruellem Syndrom usw. Diese eben genannten sowie weitere Störungen vereinen die folgenden Eigenschaften: a) Bei ihnen handelt es sich in der Regel um Störungen, für die die Schulmedizin keine wirklich brauchbaren Ansätze bietet, und b) neigen sie zu einer großen, zufälligen Anordnung an Symptomen. Auch unser Thema lässt sich nur so unbestimmt einordnen, da der Begriff postpartale Depression aus der Schulmedizin stammt und es in der chinesischen Medizin keine exakte Entsprechung gibt. Das liegt daran, dass das Syndrom in der chinesischen Medizin in verschiedene klinische Manifestationen unterteilt wird, hierzu gehören: Chan hou bu yu Postpartale Aphonie (Sprachprobleme) Chan hou jing ji Postpartales Herzklopfen (dazu gehören auch Panikattacken ) Wang yan zhan yu Postpartale Hysterie (deliriöse Sprache) Zha jian gui shen Postpartale Hysterie (Halluzinationen) Chan hou huang hu Postpartale Aufmerksamkeitsstörungen (Vergesslichkeit) Chan hou xu fan Postpartale Hitzewallungen (vom Leere-Typ, die Brust aufsteigend) Chan hou dian kuang Postpartale Verrücktheit (psychotisches Verhalten) Das Ji Yin Gang Mu (Kompendium der Frauen zuträglichen Dinge, von Wu Zhi-Wang im Jahr 1620) ist ein in der TCM-Frauenheilkunde wichtiges Werk, in dem gynäkologische Rezepturen nach den Erkrankungskategorien sortiert sind. Hierin befinden sich mehr als 50 Rezepturen für verschiedene Störungen, mitunter auch solche, die im Westen unter Umständen zur Kategorie postpartale Depression zählen würden, wie etwa wiederkehrender Schluckauf oder wandernde Schmerzen. Die im Ji Yin Gang Mu erwähnten Kommentare benennen drei Hauptmethoden zur Behandlung von postpartalen emotionalen Störungen. Bei der letzten Methode wird auf pathogenen Wind verwiesen, der sich den Blut-Mangel zunutze macht und somit ungehindert angreifen kann. Selbstverständlich bieten sich bei diesen Behandlungsmethoden absolut unterschiedliche Ansätze an, wie mit einem bestimmten Problem umzugehen ist. In den nun folgenden Auszügen habe ich die kritischen Erläuterungen des chinesischen Autors miteinbezogen, um damit einen Eindruck zu verschaffen, wie sehr man sich mit diesen Hauptmethoden auseinander gesetzt hat. Als Beispiel möchte ich nun aufführen, was das Ji Yin Gang Mu zur postpartalen Aphonie zu sagen hat: Das Herz besitzt sieben Öffnungen und drei Flügel. Nach der Niederkunft entsteht eine Leere, was häufig zu einer Anhäufung von schlecht funktionierendem Blut (bai xue) führt. Wenn es die Öffnung des Herzens verstopft, ist das Bewusstsein (shen zhi: wörtlich Geist und Wille) nicht in der Lage, seine Klarheit zu bewahren. Nun kommuniziert das Herz-Qi direkt mit der Zunge; sobald das Herz-Qi blockiert ist, versteift sich auch die Zunge, und die Patientin kann nicht mehr sprechen. Man kann Qi Zhen San (Sieben Perlen Pulver) einsetzen. Qi Zhen San (Sieben Perlen Pulver) Ren Shen 30 g (Ginseng, Radix) Shi Chang Pu 30 g (Acori Graminei) Sheng Di 30 g (Rehmannia) Chuan Xiong 30 g (Ligustici Wallichii) Xi Xin 3 g (Asari cum Radice) Fang Feng 15 g (Ledebouriellae) Chen Sha 15 g (Cinnabaris) 214

2 Postpartale Depression Die oben genannten Zutaten werden zu einem feinen Pulver vermahlen (es wird stark empfohlen, keinen Zinnober zu verwenden!). Die Patientin soll pro Dosis 3 g des Pulvers mit einem Tee aus Bo He (Herba Menthae) runterspülen. Will man die Rezeptur als Dekokt verwenden, so werden die Dosierungen im gleichen Verhältnis reduziert. Es folgen nun Zitate aus anderen Büchern mitsamt Differenzierung und Behandlungsvorschlägen. Diesen angehängt findet sich diese Fallstudie: Nach der Entbindung kann eine Frau nicht mehr sprechen. Qi Zhen San wurde verschrieben, die Therapie schlug an, aber dann kehrte die Stummheit zurück, in Begleitung von innerer Hitze und Hitzewallungen, Schweregefühl und Schwäche in den Extremitäten, und sie konnte weder trinken noch essen. Als Hauptrezeptur wurde nun Jia Wei Gui Pi Tang (Modifiziertes Milz-wiederherstellendes Dekokt) eingesetzt, wobei Qi Zhen San ebenfalls hinzukam. Ein weiteres Mal erholte sie sich, doch als sie dann mal wütend wurde, erlitt sie aufs Neue einen Rückfall; nun bestand aber ein Rückenmuskelstarrkrampf sowie Unfähigkeit zu essen oder zu trinken, zitternde Hände und Füße, gelegentlich Blut im Harn, sowie gerötetes Gesicht in abwechselnd einem Grün- oder Gelbton. Der Arzt sagte: Grün ist die Farbe der Leber, während gelb auf einen Milz-Qi-Mangel hinweist, und rot deutet auf einen Herz-Blut-Mangel hin. Ba Zhen Tang ( Acht Schätze Dekokt ) plus Gou Teng, Fu Ling und Yuan Zhi wurden verschrieben, und sie erholte sich allmählich. Zur Förderung der Behandlung und Verhinderung weiterer Rückfälle wurde Jia Wei Gui Pi Tang weiter verschrieben. Im nächsten Abschnitt des Ji Yin Gang Mu geht es um das Thema, wenn nach der Entbindung unmäßiges Reden sowie Bewusstseinseintrübung auftreten, was dem näher kommt, dass die Schulmedizin als die häufigste Manifestation von postpartaler Depression bezeichnet: Gefühlsschwankungen und unpassende Gefühlsregungen. Sechs Mechanismen beim Syndrom Unmäßiges Reden sowie Bewusstseinseintrübung nach der Entbindung 1. Herz-Mangel mit einer Anhäufung von schlechtem Blut Beim ersten Mechanismus geht es um Herz-Mangel mit Anhäufung von schlecht funktionierendem Blut, das aufsteigt und so das Herz beeinträchtigt. Bei Patienten, die wie irre mit sich selbst reden, sollte hinsichtlich der Behandlung wie mit denen verfahren werden, die Geisterhalluzinationen haben; [dort steht: das auf diese Weise beeinträchtigte Herz...] beginnt den Halt zu verlieren, und allmählich baut sich eine körperliche Unruhe auf. Die Patientin kann nicht still daliegen, redet irre daher und sieht Gespenster. Unter Umständen übersieht ein Arzt dies und hält das Muster für pathogenen Wind; eine Behandlung auf Wind wird aber sicherlich erfolglos bleiben. Tiao Jing San (Mens regulierendes Pulver) sollte eingesetzt werden, wobei jedes Mal eine Brise Long Nao (Borneol, Bing Pian) hinzugefügt wird. Sobald sie schläft, wird sie sich erholen. Anzeige Hierin werden sechs Pathomechanismen beschrieben, jeweils mitsamt Rezepturen: Es gibt viele Ursachen dafür, wenn nach der Entbindung unmäßiges Reden oder Verhalten auftreten, sowie Ohnmacht, oder Bewusstseinseintrübung als ob die Patientin Geister sehen würde. Man muss die Symptome und klinischen Zeichen vorsichtig differenzieren und seine Kräuter zur Behandlung auf ähnlich vorsichtige Weise einsetzen

3 Tiao Jing San (Mens-Regulierendes Pulver) Mo Yao 3 g (Myrrha) Hu Po 3 g (Succinum) Rou Gui 3 g (Cinnamomi Cassiae, Cortex) Chao Chi Shao 3 g (Paeonia Rubra, Radix, gebraten) Dang Gui 3 g (Angelica Polymorpha, Radix) Xi Xin 5 g (Asari cum Radice, Herba) Eine kleine Menge She Xiang (Moschus Moschiferi, Secretio) Zu einem feinen Pulver verarbeiten und 1.5 g pro Dosis mit etwas frischem Ingwersaft und warmem Wein vermischt einnehmen. Man kann auch Su He Xiang Wan (Pille mit flüssigem Styrax) verwenden. Lehrer Xue sagt: Das eben erwähnte Muster sollte mit Tiao Jing San behandelt werden, wenn als Ursache schlecht funktionierendes Blut / bai xue, das die Herz-Öffnung verstopft, zugrunde liegt. Ist das Blut jedoch schwach mit Leere-Fieber, sollte man Ba Zhen Tang (Acht Schätze Dekokt) plus Pao Jiang (Zingiberis Officinalis, Rhizoma, knusprig gebraten) einsetzen. Wenn das Herz-Blut erschöpft ist, sollte man Bo Zi Ren San (Pulver mit Biotasamen) verwenden. Am häufigsten resultiert diese Störung aus einem Herz- und Milz-Blut-Mangel. Man tonisiere und reguliere einfach das Magen-Qi, so dass Schleim sich klärt und sich der Geist Shen auf natürliche Weise von selbst fasst. Sieht die Patientin weiterhin Geister von Vorfahren und ähnliches, dann soll man die Geisterpunkte moxen, was ihr zur Heilung verhilft. Tritt der Fall ein, dass sie immer noch nicht aufstehen kann, so ist dies auf den übereifrigen Einsatz Schleim zerstreuender und Feuer ausleitender Kräuter zurückzuführen. Bo Zi Ren San (Pulver mit Biotasamen) Bo Zi Ren (Biotae Orientalis, Semen) Yuan Zhi (Polygalae Tenuifoliae, Radix) Sheng Di (Rehmannia Glutinosae, Radix) Ren Shen (Ginseng, Radix) Dang Gui (Angelica Polymorpha, Radix) Sang Ji Sheng (Loranthi seu Visci, Ramus) Fang Feng (Ledebouriella Sesloidis) Hu Po (Succinum) Gan Cao (Glycyrrhizae Uralensis) Von den oben aufgeführten Kräutern werden gleiche Anteile zu einem grobkörnigen Pulver verarbeitet. Nun stellt man eine Suppe aus dem Herzen eines weißen Widders her (Anmerkung des Herausgebers: ein Schafsherz könnte auch genügen), seiht sie ab, und kocht 15 g des Pulvers darin ab. Hiermit behandelt man postpartale Yuan-Qi-Leere mit Blut-Stagnation, die zu Bewusstseinseintrübung und Halluzinationen führt. Fallbeispiel aus dem Ji Yin Gang Mu Eine Frau wies nach der Entbindung die vorher erwähnte Störung auf, nahm Tiao Jing San ein und erholte sich zunächst, erlitt dann aber einen Rückfall. Nach der nochmaligen Einnahme derselben Formel ging es ihr noch schlechter, und Schleim quoll nach oben. Morgens war ihr kalt und abends heiß. Morgens verabreichte ich ihr Ba Zhen San, und abends Jia Wei Gui Pi Tang. Nach 50 Dosen war sie geheilt. 2. Zang-Leere Beim zweiten Pathomechanismus geht es um Leere der Zang-Organe nach der Entbindung, wodurch das Herz-Shen leicht erregt und gestört wird und so das Bewusstsein (zhi yi wörtlich: Wille und Gedanken) seine Verwurzelung verliert. Die Patientin redet chaotisch und hat weder Kontrolle über ihre Gefühle (jue) noch ihre Wahrnehmung (zhi). Lehrer Xue sagt: Jede Person steht unter der Kontrolle des Herzens, das Herz jedoch wird durch das Blut kontrolliert. Sobald Herz-Blut schwach wird, verliert das Shen seine Behausung, was die Ursache der emotionalen Verstörung ist. Daher tonisiert man am besten Qi und Blut. Behandlung: Gui Pi Tang (Milz-wiederherstellendes Dekokt) [für mehr Informationen zu diesem Ansatz siehe auch die Fallstudie von 1997 am Ende dieses Artikels] 3. Konstitutionelles Wind-Toxin Drittens kann konstitutionelles Wind-Toxin bestehen (Anmerkung: Dies entspricht einer Eklampsie). Da Herz und Qi nach der Entbindung schwach sind, werden Rücken und Lendenwirbelbereich steif, und es kann zu Singen, Schreien, Lachen und Schimpfen kommen, und die Rede ist allgemein gestört. (Die Therapie wird in diesem Fall nicht erwähnt, da diese Störung weit über eine postpartale Depression hinausgeht.) 4. Herz-Mangel mit Eindringen von äußerem Wind Hierbei besteht postpartal gleichzeitig ein Herz-Mangel mit äußerem Wind, der direkt das Innere angreift. Die Patientin ist nervös, leicht zu erschrecken, und kann ihre Rede und Gedanken nicht sortieren. [Das liegt daran, dass] Qi und Blut in enger Beziehung zu Ying (Nähr-Qi) und Wei (Abwehr-Qi) stehen und über die Leitbahnen zu den Zang-Fu fließen. Nach der Entbindung sind Qi und Blut beide erschöpft, die Fünf 216

4 Postpartale Depression Zang sind schwach, und Ying und Wei unzureichend, um äußeren Wind davon abzuhalten, diese Lage auszunutzen und einzudringen. Lehrer Xue sagt [trotz alledem]: In diesem Fall sollte man dennoch von der Herangehensweise her vor allem Qi und Blut stark tonisieren, unter Einbezug einiger der folgenden Rezepturen. Man sei sich dessen klar, dass der Wind hier in der Tat nur eine falsche Manifestation darstellt, die das Produkt des extremen Mangels ist. Man stärke den zugrunde liegenden Ursprung und jegliche Krankheit wird sich auflösen. Versteift man sich zu sehr auf die Behandlung des Windes, dann wird es der Patientin immer schlechter gehen. Eine dieser hier angedeuteten Rezepturen: Yuan Zhi San (Pulver mit Polygala) Yuan Zhi 30 g (Polygalae Tenuifoliae, Radix) Fang Feng 30 g (Ledebouriellae Sesloidis, Radix) Dang Gui 22 g (Angelica Polymorpha, Radix) Fu Shen 22 g (Poriae Cocos, Sclerotium) Shou Zao Ren 22 g (Ziziphi Spinosae, Semen) Mai Men Dong 22 g (Ophiopogonis Japonici, Tuber) Sang Ji Sheng 22 g (Loranthi seu Visci, Ramus) Ling Yang Jiao 22 g (Antelopis, Cornu) Du Huo 22 g (Duhuo, Radix) Rou Gui 22 g (Cinnamomi Cassiae, Cortex) Zhi Gan Cao 15 g (Glycyrrhizae Uralensis, Radix, zubereitet) Zu einem grobkörnigem Pulver vermahlen und davon 15 g abkochen. Eine Anmerkung im Ji Yin Gang Mu besagt: Diese Rezeptur behandelt postpartal eingedrungenen Wind, der zu einer Störung des Herz- Shen, unmäßiger Rede, Bewusstseinseintrübung, Brustenge und Schlaflosigkeit geführt hat. 5. Bewusstseinseintrübung und Manie aufgrund von bai xue / schlechtem Blut, das die Herz-Leitbahn verstopft Beim fünften Szenario entsteht eine Bewusstseinseintrübung aufgrund der Anhäufung schlecht funktionierenden Blutes nach der Entbindung, das die Herz-Leitbahn verstopft. Hierauf kommt es zu Manie, unzusammenhängendem Reden ohne jegliches Anzeichen normaler Vernunft, oder sogar gelegentlich zu Koma. Die Rezeptur hierfür ist Duo Ming San. Die beiden Substanzen werden zu gleichen Anteilen pulverisiert. Dann kocht man jeweils eine halbe Tasse eines guten Reisweines und von Kinderurin für zwei Minuten ab. Nun gibt man 6 g des Pulvers hinzu und nimmt es ein. (Anmerkung des Herausgebers: Anstelle von Urin könnte man auch Wasser verwenden.) Die Rezeptur eignet sich zur Behandlung von postpartalem [schlechtem] Blut, das in die Herz-Leitbahn eindringt, mit Symptomen wie Bewusstseinseintrübung, Kollaps, Vergesslichkeit und Willensverlust. 6. Eindringen von äußerer Wind-Kälte Beim sechsten Pathomechanismus dringt nach der Entbindung äußere Wind-Kälte ein, worauf es zu einem Rückgang und Stoppen des Wochenflusses kommt, mit einer malariaartig abwechselnden Kälte und Hitze, klarem Bewusstsein während des Tages, aber Bewusstseinseintrübung und ungeordnetem Reden in der Nacht. Zur Behandlung bereite man zunächst gleiche Anteile von Sheng Di (Rehmannia Glutinosae, Radix), Shou Di (Rehmanniae Glutinosae Conquitae, Radix) und Chai Hu (Bupleuri, Radix) als Dekokt zu. Wenn die Symptome nicht verschwinden, nehme man Xiao Chai Hu Tang (Kleineres Dekokt mit Bupleurum) plus Sheng Di und Shu Di in derselben Dosierung wie Huang Qin (Scutellariae Baicalensis, Radix) ein. Verhält sich die Patientin so, als ob sie einen Geist gesehen hätte, dann ist die Behandlung ähnlich wie beim Muster von Hitze, die in die Blut-Kammer eindringt (re ru xue shi), also Hu Po Di Huang Wan (Pille mit Succinum und Rehmannia) plus Si Wu Tang (Dekokt aus vier Substanzen). Anzeige Duo Ming San (Pulver, das das Leben greift) Xue Jie (Draconis, Sanguis) Mo Yao (Myrrha) 217

5 Hu Po Di Huang Wan (Pille mit Succinum und Rehmannia) Hu Po 30 g (Succinum) Yan Hu Suo 30 g (Corydalis) Dang Gui 30 g (Angelica Polymorpha) Chao Pu Huang 12 g (Typhae, Pollen, gebraten) Sheng Di 1 kg (Rehmannia) Sheng Jiang 1 kg (frischer Ingwer) Man entsafte den frischen Ingwer und das Sheng Di Huang, dann mit dem entsaftetem Brei zusammen anbraten. Nun pulverisiere man die ersten vier Zutaten. Mithilfe von karamellisierten Honig fertige man kugelgroße Pillen an. Pro Dosis nimmt man eine Pille mit einer Suppe aus Dang Gui ein. Dies behandelt Blut-Mangel mit Bewusstseinseintrübung und auffälligem Verhalten. Mit der nun folgenden interessanten Bemerkung schließt das Ji Yin Gang Mu diesen Abschnitt: Bei allen oben genannten Störungen, in den Abschnitten sowohl über die Situation vor der Geburt als auch danach, sind deren eigenen und spezialisierten Behandlungsweisen bereits etabliert, und sie ähneln sich nicht um ein Haar. Zum Beispiel muss in dem Abschnitt über Störungen vor der Geburt, wenn das allgemeingültige Prinzip gilt, zuerst das schlecht funktionierende Blut auszustoßen und neues [Blut] herzustellen, hiernach jede Situation wieder genau unterschieden werden. Man darf nicht einfach unbesonnen neue Namen und Kategorien erfinden, nur um der [egoistischen] Idee zu folgen, sein eigenes System anzupreisen. Die Rezepturen mitsamt den angebrachten Modifikationen sind [bereits] da und den Störungen angepasst. Folgt man den althergebrachten Behandlungsmethoden, so werden alle Frieden erlangen können. Andere alte Texte weisen zwar zu bestimmten Shen-Störungen noch viel mehr Detail in der Behandlung auf, aber das hier Erwähnte gibt uns sowohl einen generellen Eindruck als auch eine Quelle allgemein bekannter Kräuter zur Behandlung dieser Störungen. Akupunktur bei postpartaler Depression Die Suche nach Behandlungsvorschlägen mit Akupunktur stellte sich als weniger erfolgreich heraus. Im Zhen Jiu Da Cheng gibt es nur zwei Seiten, die sich einzig und allein gynäkologischen Problemen widmen. Hiervon sind die folgenden von Interesse: Bei allen postpartalen Störungen: Qi Men (Le 14). Bei postpartaler Synkope und Unfähigkeit, Leute zu erkennen (inklusive Drehschwindel, Ohnmacht, Völlegefühl im Brustkorb, Übelkeit und Erbrechen, und sogar Bewusstseinsstörungen): Zhi Gou (SJ 6), Zu San Li (Ma 36) und San Yin Jiao (Mi 6). Im selben Buch steht wesentlich mehr unter dem Kapitel Bewusstseinseintrübung und Manie, was in diesem Zusammenhang wahrscheinlich nützlich sein könnte, jedoch nichts spezifisch zum Thema postpartal. Daher lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass die Behandlung postpartaler Depression als Muster (auch wenn sie in ihre verschiedenen symptomatischen Kategorien unterteilt werden) traditionell nicht zum Repertoire der Akupunktur gehörte. Stattdessen wurde an das benachbarte Feld der traditionellen chinesischen Medizin verwiesen: Chinesische Frauenheilkunde, bei der hauptsächlich Kräuter zum Einsatz kommen. Dies macht auch Sinn, denn wie wir oben bereits erfahren haben ist der Hauptanteil postpartaler Störungen ein Blut-Mangel, und die schnelle Wiederherstellung eines Mangels von einer Substanz wie Blut verlangt in der Regel nach Kräutern. Ein Qi- Mangel hingegen, der ohne Substanz, also immateriell ist, könnte mit Nadeln unter Umständen schneller gerichtet werden. Dass Qi Men im Zhen Jiu Da Cheng als Punkt für postpartale Störungen auserwählt wurde, legt dar, wie das Gesamtbild erfasst wurde. Die Leber-Leitbahn umkreist den Leistenbereich, und die Leber bewahrt das Blut auf; wenn man nun (generell) das alte Blut ausstoßen möchte, um das neue Blut wiederherzustellen, dann ist der vordere Mu-Punkt der Leber der beste Anfangspunkt. Hiermit bewegt man Qi um altes Blut zu entfernen, was jeglichem neuem Blut, das in der Leber aufbewahrt ist, ermöglicht, zum Einsatz zu kommen. Für den Akademiker mag noch interessant sein, dass noch sieben weitere Texte Qi Men als absolut wesentlichen Punkt für postpartale Störungen nennen. Das Jia Yi Jing ist hierbei besonders explizit: Bei Frauen mit postpartalen Störungen, wie Unfähigkeit, Essen und Trinken einzunehmen, Enge und Völlegefühl in Brustkorb und Flankenbereich, visueller Schwindel, kalte Füße, erschwertes Wasserlassen, stechende Herzschmerzen, häufiges Würgen, saurer und übler Geruch, Bi-Schmerzen (der Extremitäten), und Völlegefühl im Bauch, besonders 218

6 Postpartale Depression auffällig im Unterbauch, ist Qi Men der herrschende Punkt. [Zitat aus einer Übersetzung von Yang und Chace, S. 710] Moderne Fallstudien aus Australien Es folgen zwei Fallstudien mit postpartaler Depression vom Juli Beide werden zum Vergleich hier beschrieben. Die beiden zugrunde liegenden Mechanismen kommen meiner Meinung nach bei Fällen mit postpartaler Depression am häufigsten vor. Fallstudie 1 Gillian (Name wurde geändert), eine 35-jährige Frau, wurde von mir schon wegen verschiedener Probleme behandelt, einschließlich wegen wiederkehrenden Panikattacken seit zehn Jahren. In der frühen Schwangerschaft suchte sie mich wegen eines Hustens und einer Grippe auf. Jetzt war ihr Sohn drei Jahre alt, und sie berichtete mir, dass sie seit neuestem an Müdigkeit, Appetitlosigkeit und breiigem Stuhl litt. Was sie aber am meisten störte war eine Panikattacke sieben Wochen nach der Entbindung, bei der sie sich übergeben musste und breiigen Stuhl bekam. Sie hatte immer noch Schlafstörungen, was teils mit dem Stillen, teils aber auch mit wiederkehrenden und unruhigen Gedanken zusammenhing. Die Tatsache, dass diese Panikattacke sieben Wochen nach der Entbindung aufgetreten war, und nicht sofort darauf, ließ mich kurz rätseln, bis mich eine Inspiration erfasste. Ich fragte so souverän wie ich nur konnte: Wann also setzte die Periode wieder ein? Sie schaute mich überrascht an und sagte: Zur achten Woche nach der Entbindung. Aber woher wussten sie das? Im Nachhinein war die Schlussfolgerung gar nicht so schwer zu erlangen. Da das Herz-Shen zur Aufrechterhaltung seines Gleichgewichts durch Blut ernährt werden muss, bleibt als unmittelbare Ursache nur noch ein Mangel an Blut. Normalerweise ist dies das Resultat der Geburt, hier jedoch manifestierte sich der Blut-Mangel erst ca. zwei Monate später. Irgendetwas muss das Blut ausgeleitet haben, und die offensichtlichste Ursache war die früh einsetzende Regel (in der TCM gilt als normaler Zeitraum drei bis neun Monate nach der Geburt). Da das Verdauungssystem augenscheinlich geschwächt ist, konnte es nicht mit den Anforderungen von gleichzeitig Stillen und Periode gerecht werden ( Brustmilch ist nichts anderes als umgewandeltes Regelblut ). Einen Moment aber! höre ich schon den Leser aufzeigen, Sie hat sieben Wochen nach der Geburt die Panikattacke erlitten, die Periode aber kam erst nach acht Wochen. Wie erklären sie das? Nun, die Periode geschieht nicht einfach aus dem Nichts heraus zuerst muss sich das Blut in der Zeit vor der Periode unten in Chong- und Renmai ansammeln. Dies leitet noch mehr das in der Leber aufbewahrte Blut aus, was ihre Funktion der Qi-Bewegung stört und die Unterstützung der Leber an Milz und Magen verringert. Als nächstes wird die auf- und absteigende Funktion dieser Organe gestört. Das Behandlungsrezept basierte auf Gui Pi Tang, wobei ich Ban Xia zum besseren Absenken des Magens, Chao Shan Yao zur Festigung der Milz, sowie Jie Geng und Tong Cao zur Unterstützung des Milchflusses hinzufügte. Fallstudie 2: Dion (Name wurde geändert), eine 32-jährige Frau, wurde vor 4 Jahren von ihrem Hausarzt wegen Endometriose und Infertilität an meine Praxis überwiesen. Damals konnte sie schon nach der ersten Ladung Kräuter schwanger werden. Es ist wenig überraschend, dass sie wieder erschien, als sie ein zweites Kind bekommen wollte. Dieses Mal waren 3 Ladungen Kräuter vonnöten, um ihr zur Schwangerschaft zu verhelfen. Vor einer Woche kam Dion zurück, also 11 Monate nach der Entbindung. Im April diesen Jahres war ihr eine postpartale Depression diagnostiziert worden. Die folgenden Symptome setzten 6 Monate nach der Geburt ein: Angst, körperliche Unruhe, Weinen und enorme Gemütsschwankungen. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht und auf vier Medikamente gesetzt: Zoloft (Sertralinhydrochlorid, ein Antidepressivum), Diazepam (Beruhigungsmittel), Temazepam (Sedativum) und Haloperidal (Antipsychotikum). Es muss wohl nicht erwähnt werden, dass sie zu ihrem Termin gefahren werden musste. Obwohl sie zu jenem Zeitpunkt mithilfe dieser Medikamente emotional etwas stabiler war, so wachte Dion dennoch täglich mit Angstanfällen und einem Gefühl auf, als ob ein Baby treten würde. Sie berichtete wie erschrocken sie sei, dass sie nicht ihren eigenen Körper im Griff hätte, und fühlte sich erschöpft und kalt. Seit einer Phase übermäßigen Erbrechens während der frühen Schwangerschaft 219

7 (Hyperemesis gravidarum), die nicht behandelt wurde, war ihr Appetit recht gering. Sie hatte Gewicht abgenommen und konnte nur Schonkost zu sich nehmen. Ihre Augen waren müde und empfindlich gegenüber Helligkeit. Die zwei bisherigen Perioden waren recht stark und voller Klumpen, aber beide Pulse waren schwach. Der rechte Puls war tief und dünn, der linke kaum zu spüren. Die Zunge war blassrot mit einem dünnen Belag, zitterte aber auch etwas. Auch wenn Dion von ihrer Medikation runterkommen wollte, einigten wir uns, dass zuerst eine Grundlage physiologischer Stabilität gelegt werden müsste, ehe dies geschehen konnte. Als allererstes musste diagnostisch die Bedeutung der starken Klumpenbildung während der Regelblutung geklärt werden: War Blut-Stagnation ein primärer oder eher sekundärer Faktor? Der Schlüssel zu dieser Frage lag im Puls. Beide Pulse waren schwach, vor allem aber der linke, der schwer zu spüren war, was auf einen extremen Blut-Mangel hinwies. Es gab im Puls keinen Anzeichen für die Rauheit, die man bei Blut-Stagnation so gewohnt ist. Ohne Blut ist das Shen verwundbar, unterernährt und kann sich nicht selbst stabil halten. Der Grund hierfür ist - wie schon bei der vorausgegangenen Fallstudie - die Schwäche des Verdauungssystems, sowie die schweren Regelblutungen bisher. Woher kam dann die Klumpenbildung? Dion war schon immer kalt gewesen. Dieser Mangel an Yang und die Erschöpfung reichten aus, eine Verlangsamung des Blutflusses zu erklären, die letztlich zur Klumpenbildung führte. Daher war die Stagnation in ihrer Entstehung sekundär und nicht primär, weil die Stagnation allein nicht für die Müdigkeit, Kälte und schwachen Pulse verantwortlich sein konnte. Die erste Behandlung war schwerpunktmäßig auf den Mangel gerichtet, sowie auf Wärmen und Wiederherstellung von Qi und Blut. Shi Quan Da Bu Tang (Alles beinhaltendes, großes tonisierendes Dektokt) wurde als primäre Rezeptur ausgewählt, wobei Aspekte von Gui Pi Tang hinzukamen: Ren Shen 9 g (Ginseng, Radix) Fu Ling 15 g (Poriae Cocos, Sclerotium) Dang Gui 9 g (Angelica Polymorpha, Radix) Zhi Huang Qi 12 g (Astragali, Radix, zubereitet) Yuan Zhi 6 g (Polygalae Tenuifoliae, Radix) Mai Men Dong 12 g (Ophiopogonis Japonici, Tuber) Bai Shao 12 g (Paeoniae Lactiflora, Radix) Shou Zao Ren 15 g (Ziziphi Spinosae, Semen, gekocht) Bai Zhu 12 g (Atractylodis Macrocephalae, Rhizoma) Shou Di 9 g (Rehmanniae Glutinosae Conquitae, Radix) Sha Ren 3 g (Amomi, Fructus et Semen) Rou Gui 3 g (Cinnamomi Cassiae, Cortex) Chao Gan Cao 3 g (Glycyrrhizae Uralensis, Radix, gebacken) Frischer Ingwer 2 Scheiben Rote Datteln 4 Stück 100 ml morgens und abends Hiervon wurden vier Beutel verschrieben. Sobald die Kräuter aufgebraucht sind, soll die Patientin Shi Quan Da Bu Wan einnehmen: Zehn Pillen morgens und abends. Der nächste Termin wurde in drei Wochen vereinbart, und die Patientin soll ihre momentane Medikation nicht verändern. Diese Verschreibung für Dion ist offensichtlich mehr auf Nährung als auf Beruhigung fixiert, wobei vor allem die Verdauungsfähigkeit gestärkt werden soll. Dies soll auf langer Sicht die Blutversorgung erlauben, die für die Stabilität des Shen so wichtig ist. Diese Grundlage muss früher oder später gelegt werden, und am besten jetzt, wo sie durch die schulmedizinischen Medikamente unterstützt wird. Auf diese Art kann man die Wirkung beider Medizinsysteme optimieren. Hinsichtlich der Klumpen während der Periode: Sobald die Bewegung des Yang Qi durch Ginseng, Ingwer und Zimt, sowie das Blut bewegende Dang Gui verbessert ist, sollten die Klumpen weniger werden. Dann geht während der Periode auch weniger Blut verloren, wodurch das Verdauungssystem auch weniger gefordert sein wird. Über den Autor Steven Clavey qualifizierte sich als Arzt für Chinesische Gynäkologie am Zhejiang College für TCM, nachdem er 5 Jahre in Taiwan und 2 Jahre im Mutterland China studiert hatte. Er praktiziert seit 1986 Kräutermedizin und Akupunktur im Bereich der Gynäkologie in Melbourne, Australien. Er ist Autor des Buches Fluid Physiology and Pathology in Chinese Medicine, Churchill Livingstone, 1995, Deutsche Übersetzung der zweiten Auflage: Die Körperflüssigkeiten in der Chinesischen Medizin, Verlag für Ganzheitliche Medizin Dr. Erich Wühr, Kötzting, Wir danken THE LANTERN und Steven Clavey für die freundliche Abdruckgenehmigung. Übersetzung ins Deutsche von Maximilian Beer. 220