Gemeindekreis Zwingli Kirchgemeinde St. Elisabethen

Transkript

1 Gemeindekreis Zwingli Kirchgemeinde St. Elisabethen Jesus und Winnetou (Johannes 12,12-19) Gottesdienst am Palmsonntag 1. April 2012 im Zwinglihaus Pfarrer Andreas Möri Als am Tag darauf die grosse Volksmenge, die zum Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem komme, nahmen sie die Palmzweige und zogen hinaus, ihn zu empfangen, und riefen: Hosanna, gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König Israels. Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht: Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt, sitzend auf dem Füllen einer Eselin. Dies verstanden seine Jünger zunächst nicht, aber nachdem Jesus verherrlicht worden war, da erinnerten sie sich, dass dies über ihn geschrieben stand und dass man ihm solches getan hatte. Das Volk nun, das bei ihm gewesen war, als er Lazarus aus dem Grab gerufen und ihn von den Toten auferweckt hatte, legte davon Zeugnis ab. Eben darum zog ihm das Volk entgegen, weil es gehört hatte, er habe dieses Zeichen getan. Da sagten die Pharisäer zueinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet. Alle Welt läuft ihm bereits nach. (Übersetzung: Neue Zürcher Bibel) Liebe Leserin, lieber Leser Wer hat sie nicht gerne angeschaut: die Filme mit Winnetou! Und genauso gerne haben wahrscheinlich manche von uns die Abenteuerromane von Karl May gelesen, dessen Todestag sich gerade zum hundertsten Mal gejährt hat. Auch auf mich hat Winnetou in meiner Kindheit einen nachhaltigen Eindruck gemacht. Cowboy- und Indianerspiele waren für uns Kinder eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Dabei regte die Freundschaft 1

2 zwischen Old Shatterhand und dem edlen Apachenhäuptling Winnetou unsere Fantasie an. Meine Bewunderung für Winnetou war gross. Wie er angeritten kommt! Im Film taucht er auf wie aus einer anderen Welt. Mit seinem forschenden Blick, dem langen schwarzen Haar, das von einem Stirnband zusammengehalten wird, bestückt mit seiner Silberbüchse sitzt er aufrecht auf seinem Pferd und strahlt in jeder noch so brenzligen Situationen Überlegenheit und Ruhe aus. Karl May beschreibt Winnetou als königliche Gestalt. Er lässt den Häuptling auf alle Zeichen von Macht verzichten und ihn gerade so, durch sein blosses Wesen, Stärke zeigen. Winnetou erscheint unbesiegbar. Und doch ist das Ende der Geschichte unendlich traurig. In Winnetou III stirbt der geliebte Held. Old Shatterhand weint, Winnetou wird Christ vor seinem Tod, die Männer um ihn singen auf einem Felsen ein Ave Maria. Karl Mays Romane gelten als Trivialliteratur. Sie sind voll von Klischees. So erscheint die Begegnung zwischen dem weissen Mann und dem edlen Wilden idealisiert und überhöht. Bei einer kritischen Betrachtung lassen sich in der Fantasiewelt des Autors die kolonialistischen Züge seiner Zeit feststellen. Und doch hat er seine Romanfiguren so subtil und wirksam dargestellt, dass sie in viele Herzen Eingang gefunden haben und weiter leben. Geschichten Erfinden und später das Schreiben waren für Karl May Mittel zum Überleben. Er entstammt einer sehr armen sächsichen Webersfamilie. Von seinen 14 Geschwistern sterben 9 in den ersten Lebensmonaten. Er selber erblindet, vermutlich aus Mangel an Vitamin-A. In seiner Erblindung, die wieder geheilt wird, lebt er mit inneren Bildern. Später gerät er als Kleinkrimineller auf eine schiefe Bahn. Er erzählt unglaubliche Geschichten, um sich herauszulügen. Auf diese Weise wurde er Schriftsteller. Er begab sich auf Fantasiereisen in ganz andere Welten, wohin ihm seine Leser und Leserinnen bis heute gerne folgen. Ein Mensch, der von allen bewundert wird, ist auch Jesus in unserem Predigttext. Nun erscheint es etwas gewagt, Jesus und Winnetou in einem Atemzug zu nennen. Die beiden haben nicht wirklich etwas gemeinsam. 2

3 Eher zufällig haben sich bei mir aufgrund der Retrospektive zu Karl Mays 100. Todestag in den Medien die zwei Bilder nebeneinander gestellt. Mit Jesus kommt auch ein königlicher Mensch angeritten, der die Herzen der Menschen erobert hat. Alle Welt läuft ihm bereits nach! sagen Jesu Gegner. Und doch ist Jesus ganz anders. Im Bibeltext geht es darum, das zu verstehen. In Jerusalem hat sich zum Passafest eine grosse Volksmenge eingefunden. Als die Leute hören, dass Jesus kommt, ziehen sie ihm entgegen vor die Tore der Stadt. Sie bereiten Jesus einen triumphalen Empfang, indem sie ein Siegeszeichen schwenken. In den Händen halten sie Palmzweige, und sie rufen Jesus zum König aus. Was macht Jesus? Er aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf. Der Text nimmt Bezug auf eine Prophezeiung aus den Heiligen Schriften. Im Prophetenbuch Sacharja wird ein Friedenskönig angekündigt, der zum Zeichen seiner Sanftheit auf einem Esel geritten kommt. Der König auf dem Eselchen ist ein einprägsames Gegenbild zu den Triumphzügen der römischen Feldherren. Der jüdische Historiker Josephus beschreibt in seinem Geschichtswerk, wie der Kaiserssohn und spätere Kaiser Titus im Jahr 70 in die Stadt Antiochien einzog. Titus kam mit seiner Armee aus Judäa, wo er gerade einen Krieg gewonnen und Jerusalem dem Erdboden gleichgemacht hatte. Nicht nur Männer, schreibt Josephus, sondern Scharen von Frauen und Kindern strömten aus Antiochien hinaus. Sobald sie Titus kommen sahen, stellten sie sich auf beiden Seiten des Weges auf, begrüssten ihn voller Freude und begleiteten ihn unter dem Zuruf von Segenswünschen in die Stadt. Man stelle sich vor, bei diesem Triumphzug wäre Titus, Sohn eines Kaisers und Imperator, auf einem Eselchen geritten! Aber genau das macht Jesus. Er ist ganz anders König. Setzt er sich damit nicht dem Spott und der Lächerlichkeit aus? Es dauert nicht lange, und Jesus wird von römischen Soldaten als König der Juden verspottet. Im Johannes-Evangelium ist diese Doppelbödigkeit ein Zeichen für den Weg, den Jesus geht. Seine Hoheit zeigt sich auf paradoxe Weise. Jesus wird erhöht, indem er am Kreuz stirbt. Und das nun ist ein derart ungewöhnliches Bild von einem König, dass es nicht erfunden werden kann! 3

4 Auf diese Weise besiegt Jesus den Tod. Im Johannes-Evangelium wird dieser Sieg drastisch angekündigt. Lazarus, ein Freund von Jesus aus Bethanien, wird krank und stirbt. Schon vier Tage liegt er tot im Grab, als Jesus nach Bethanien kommt. Zum Zeichen seiner Vollmacht ruft ihn Jesus zurück ins Leben. Wozu wird das erzählt? Die Texte des Johannes-Evangeliums überraschen und erschrecken uns. Sie wollen keine Bewunderung hervorrufen. Diese Berichte gehen tiefer. Sie beschreiben den Weg, den Jesus geht, als einen Weg für jeden Menschen. Diese Texte rufen uns in die Nachfolge. Das Bild des Königs auf dem Eselchen will uns den Weg in ein anderes Leben aufzeigen. Das wissen die Menschen noch nicht, die Jesus mit Palmzweigen zujubeln. Und doch nehmen sie mit ihrem Jubel eine viel grössere Freude vorweg. Jesus hat nicht nur den Lazarus auferweckt. Er selber wird auferstehen. Deshalb ist es notwendig, dass Jesus stirbt. Mit seinem Tod am Kreuz zeigt sich, was für ein König Jesus ist. Nun beginnt für alle, die an Jesus glauben, ein neues Leben. Ist das mehr als eine erfundene Geschichte? Können wir die Berichte über die Auferstehung unterscheiden von Fantasie oder Fiktion? Ja, wenn wir bereit sind, neu hinzusehen. Die Geschichte mit Jesus hat ihren Ursprung nicht in dieser Welt. An ihrem Anfang finden wir Gott. Es ist eine Geschichte, geschrieben von Gottes Liebe. Mit dieser Geschichte begibt sich Gott hinein in unser Leben. Indem wir Jesus Glauben schenken, können wir einen Weg gehen wie er. Jesus wird für uns zum Weg. Dann ist in unserem Leben Gott anwesend. Und auch wenn auf diesem Weg Leiden und Tod unumgänglich sind, steht am Ende Gottes Liebe. So betrachtet, erweist sich die Geschichte von Jesus als wahr. Jesus lebt mit uns. Aus dieser Zuversicht können wir schöpfen und das Leben gestalten. Amen. 4

5 Fürbitten Gott, lass uns erkennen, wie du deine Liebe einschreibst in unser Leben. Schenke uns Fantasie und Mut, um mit Hilfe deiner Liebe unser Leben zu gestalten. Wie werden Geld, Macht, Ruhm bewundert! Hilf uns dieses Spiel durchschauen. Lass uns den Menschen sehen und Mitmenschlichkeit leben. Wir sind vergänglich. Je mehr wir diese Tatsache verdrängen, umso mächtiger wird der Tod. Lass uns stattdessen unsere Begrenztheit annehmen im Vertrauen auf deine Liebe, die ewig bleibt. Amen. Literatur: Basler Zeitung, , S. 24: Liebe auf den ernsten Blick Artikel von Christine Richard über Winnetou Reformierte Presse, , S. 9: Winnetou ist Christ geworden, Hans Jürgen Luibl Klaus Wengst, Das Johannes-Evangelium, 2. Teilband,