Beethoven: Die Revolution in seinen Sinfonien

Transkript

1 KLASSIKKENNENLERNEN 4 Beethoven: Die Revolution in seinen Sinfonien KLASSIKKENNENLERNEN Dr. Stefan Schaub

2 In der Reihe KLASSIKKENNENLERNEN sind bereits folgende Titel erschienen: NX : Faszination Klavierkonzert NX : Die Sonatenform bei Mozart und Beethoven NX : Das Genie Bachs in der Matthäus-Passion Die für die CD Beethoven: Die Revolution in seinen Sinfonien verwendeten Musikbeispiele finden Sie auf folgenden NAXOS-CDs: Sinfonien Nr. 1 und 6: Sinfonien Nr. 2 und 5: Sinfonien Nr. 3 und 8: Sinfonien Nr. 4 und 7: Sinfonie Nr. 9: Nicolaus Esterházy Sinfonia-Orchester, Leitung: Béla Drahos Der Autor Stefan Schaub studierte Musikwissenschaft, Musikpädagogik (Dr. phil.) und Psychologie (Diplom) gründete er die Seminare für Klassische Musik und veröffentlichte u.a. die Sachbücher: Hören mit Begeisterung und Erlebnis Musik. Kontakt: D Appenweier, Tel

3 Beethoven: Die Revolution in seinen Sinfonien 1 Einleitung Die Jahre in Bonn und die politischen Einflüsse zweier wichtiger Lehrer Die Eroica: Das "Durch Nacht zum Licht" im ersten Satz Die Eroica: Revolution und Aufklärung in den Sätzen zwei bis vier Freiheitskampf und Naturgewalt: Die Fünfte und die Pastorale Der Tonfall der Humanität in der siebten und achten Sinfonie Der Geist der frühen Bonner Jahre vollendet sich in der Neunten

4 Annäherung an die Sinfonien von Ludwig van Beethoven Die genauere Betrachtung der Werke von Beethoven bietet sowohl dem professionellen Musikwissenschaftler als auch dem Musikfreund die größte denkbare Steilvorlage für ein ganz besonderes Vergnügen: Die Schönheit und Faszination, die von der Musik ausgeht, selbst wenn man sie nur aus Freude an hört, sind so groß wie nur irgend möglich. Gleichzeitig bietet ihre Innen-Ansicht, wenn man einmal hinter die Kulissen schaut, so viele Möglichkeiten des Entdeckens, wie dies in dieser Art und Weise nicht gerade oft der Fall ist! Selten geht das Innen und das Außen in der Musik eine so glückliche Beziehung ein wie in den Werken von Beethoven. Da genügt es in der Regel auch, sich ganz und ausschließlich mit der Musik selbst zu beschäftigen. Eine Maxime, die ich übrigens, so weit es geht, auch bei anderen großen Komponisten und ihren Werken beherzige, auch wenn die Geschichte mit dem Heiligenstädter Testament und der Taubheit, mit der "fernen Geliebten" und dem Drama um die Vormundschaft für den Neffen Karl noch so anrührend ist. Das können wir in jeder Biographie nachlesen. Die Musik geht ihren eigenen Weg. Dies ist extrem formuliert, wissen wir doch alle, dass es eine Einheit gibt zwischen dem Künstler und dem Werk, das er schafft. Und trotzdem: Wenn man sich erst einmal auf den Weg der Spekulation begibt, und mehr bleibt uns nach inzwischen gerade zweihundert Jahren auch nicht übrig, kommt man leicht darin um. Der Geist, der aus der Musik spricht, Note für Note - und das weiß jeder aufmerksa

5 me Aktiv-Hörer - ist es bei Beethoven immer Wert, unter die Lupe genommen zu werden. Im Umgang mit den Klaviersonaten, den Streichquartetten und all den anderen genialen Erzeugnissen seiner Feder ist dies für mich sogar der Königsweg schlechthin. Einzig bei den Sinfonien finde ich, ist es nicht nur lohnend, eine zusätzliche Brille aufzusetzen, sondern geradezu notwendig. Hat man erst einmal festgestellt, dass diese neun Sinfonien einen anderen Geist atmen als die zuvor komponierten von Haydn oder Mozart - ohne dass jene deshalb schlechter wären - ist man neugierig herauszufinden, woran dies wohl liegen könnte. Die Suche nach einer Erklärung für den typischen Tonfall, den wir aus seinen Sinfonien heraushören, führt uns in Beethovens Jugend nach Bonn und zu der Tatsache, dass der junge Musiker dort bereits bestens vertraut war mit der Musik der Französischen Revolution. Greift man diese Spur erst einmal auf - Beethoven und Frankreich - wird man auf höchst abenteuerliche Weise fündig erschien zum ersten Mal eine Analyse von Arnold Schmitz ( Das romantische Beethovenbild ), der mit zahlreichen Notenbeispielen dargelegt hat, wie viele der Beethovenschen Themen und Zitate in den Sinfonien durch Vorbilder jenseits der Grenze inspiriert sind. Doch die Zeit war damals noch nicht reif für solche Erkenntnisse. Liest man heute bei Schmitz unvoreingenommen Begriffe, die ursprünglich für die französische Musik gemünzt waren, wie Elan terrible oder Eclat triomphal, so fällt es einem hört man die Beethoven-Sinfonien erst einmal unter dieser Perspektive fast wie Schuppen von den Ohren. Was man lange für typisch Beethoven gehalten hat, ist typisch für eine ganze musikalische Stilrichtung, nämlich die der französischen Revolutionsmusik. Wenn die Komponisten F.-J. Gossec ( ), A. E. M. Grétry ( ), E.-N. Méhul

6 ( ), J.X. Lefevre ( ) oder L. Cherubini ( ), von denen Beethoven sich hat inspirieren lassen, so bedeutend gewesen wären, dass wir ihre Musik heute noch im Konzertsaal hören würden, wäre uns diese musikalische Seelenverwandtschaft längst eine Selbstverständlichkeit. Da allerdings, um es überspitzt zu formulieren, nur Beethoven übrig geblieben ist, war es leicht möglich, alle Merkmale dieses Stils ausschließlich ihm selbst zuzuschreiben. So möchte Sie mein Vortrag auf dieser CD dazu einladen, die Beethoven- Sinfonien tatsächlich einmal mit anderen Ohren zu hören. Den Geist der Revolution und der Aufklärung in ihnen aufzuspüren, um eine kleine Annäherung an das zu erreichen, was Beethoven bei der Komposition durch den Kopf gegangen sein mag. Trägt man auch nur einige Querverbindungen zusammen (und es können hier aus Zeitgründen längst nicht alle sein, die möglich wären), wird man einen etwas anderen Beethoven kennen lernen - ohne das Risiko einzugehen, sich allzu sehr in Spekulationen zu verlieren. Neben dem erwähnten Buch von Arnold Schmitz haben mir als Quellen gedient bzw. möchte ich als weiterführende Literatur empfehlen: Martin Geck und Peter Schleuning: Geschrieben auf Bonaparte (rororo 1989). Zu dem auf der CD mehrfach erwähnten Eulogius Schneider, der in Bonn Beethovens Philosophie-Lehrer war: Michael Schneider: Der Traum der Vernunft. Roman eines deutschen Jakobiners (Kiepenheuer & Witsch 2001). Als neueste Buchveröffentlichung zu unserem Thema: Jost Hermand: Beethoven, Werk und Wirkung (Böhlau-Verlag 2003). Eine ausführliche Werkbetrachtung zum ersten Satz der Erocia findet sich in: Stefan Schaub: Hören mit Begeisterung (Atlantis Musikbuch 1997)

7 Beethoven: Die Sinfonien in Leben und Werk 1770 Geboren in Bonn 1781 Unterricht bei Gottlob Neefe, der über den jungen Beethoven schreibt: "Dieses junge Genie verdiente Unterstützung. Er würde gewiss ein zweiter Mozart werden, wenn er so fortschritte, wie er angefangen" 1787 Kurzer Aufenthalt in Wien; Treffen mit Mozart 1789 Beethoven immatrikuliert sich in der Bonner Universität und studiert bei Prof. Eulogius Schneider Sturm auf die Bastille 1790 Tod Kaiser Joseph II. von Habsburg. Beethoven schreibt eine Trauer-Kantate 1792 Beethoven übersiedelt nach Wien und beginnt seine Laufbahn als Pianist 1793 Es entstehen allmählich die ersten Werke, die Beethoven selbst mit Opus- Nummern versieht 1799 Napoleon wird erster Konsul 1800 Sinfonie Nr. 1, Ballet "Die Geschöpfe des Prometheus" 1801 Napoleon schließt mit dem Papst ein Konkordat, was Beethoven sehr enttäuscht Sinfonie Nr Beginn der Taubheit; "Heiligenstädter Testament" 1803 Oratorium "Christus am Ölberg", das einen "menschlichen" Jesus zeigt 1803 Sinfonie Nr. 3 ("Erocia"). Beethoven macht die Widmung auf Bonaparte rückgängig, als er erfährt, dass dieser sich zum Kaiser gekrönt hat 1803 Violinsonate A-Dur op. 47. Gewidmet dem Prof. am Pariser Konservatorium Adolphe Kreutzer 1806 Drei Streichquartette op. 59; Violinkonzert op. 61; "Fidelio" (als Revolutions-Oper) 1807 Sinfonie Nr. 4, Klavierkonzert Nr Sinfonien Nr. 5 und 6 uraufgeführt 1809 Klavierkonzert Nr. 5; Streichquartett op Sinfonien Nr. 7 und Wiener Kongress; Fidelio (Endfassung) 1815 Tod des Bruders; Vormundschaft für den Neffen Karl mit Prozessen angestrebt Klaviersonate op. 106 ("Hammerklaviersonate") 1819 Klaviersonaten op "Missa solemnis" und Sinfonie Nr. 9 uraufgeführt; 1825 Die letzten Streichquartette 1827 Tod Beethovens

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