Ein Männlein steht im Walde...

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Kristian Scholz
vor 7 Jahren
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1 Der Begriff Spätsommer ist ja wohl der reine Hohn beim Blick aus dem Fenster! Grau in grau allenfalls der großartige Loriot wäre in der Lage, leider nur noch von seiner Wolke dort oben aus, am Himmel Mausgrau von metallischem oder Schiefergrau zu unterscheiden. Und der Regen kommt bei uns in Westfalen gerne aus allen Richtungen, ja, man könnte manchmal sogar meinen, er käme von unten. Da haben wir jahrelang Kühlschränke abgestochen und Haarspray in die Haare geballert in der Hoffnung, es würde bei uns endlich wärmer und mit etwas Glück hätten wir in 30 Jahren einen Strand vor der Münsterländer Haustür und was macht der Klimawandel? Nix da! Was hab ich denn von einer durchschnittlichen Temperaturerhöhung, wenn deren Folgen lediglich mehr Regen und noch mehr Stürme sind? Nun gehört das Wetter, spätestens seit Kachelmann aus dem Rennen ist, zu dem, was man unter normativer Kraft des Faktischen versteht. Oder, wie wir Westfalen sagen, Isso und Wat willse machen... Ein Männlein steht im Walde An solch tristen Tagen weiß ich spätestens ab Ende Juli allerdings genau, was ich mache: Stiefel und lange feste Hosen anziehen (weil im Wald das sinnloseste Wesen der Evolution auf unsere behaarten Beine wartet die Zecke), und ab geht s in den Forst. In die Pilze, wie mein Onkel früher sagte (wobei ich als kleiner Junge das wörtlich nahm und mir meinen Onkel beim Versuch vorstellte, in einen Pilz zu gelangen so wie meine Schlümpfe in ihre Fliegenpilzhäuser). Denn spätestens in dieser Zeit beginnen bei entsprechender Witterung diese Waldbewohner der besonderen Art wortwörtlich aus dem Boden zu schießen. Pilze sammeln hat etwas zutiefst Mystisches und ebenso Meditatives. Stundenlang auf bemoostem Untergrund langsam zwischen den Bäumen umherzustreifen, den Blick konzentriert auf den Boden gerichtet, manchmal in der Hocke wie ein Golfer beim Putten, da bekommt Slow Food eine ganz neue Bedeutung. Ich bin Mitglied in einem Verein namens Tempus e. V. Verein zur Verzögerung der Zeit, und dort gibt es unter anderem das Ritual, 100 Meter nicht unter einer Stunde zu gehen. Egal, wie langsam man ein Bein vor das andere setzt, es gelingt einem kaum. Beim Pilzesammeln jedoch schafft man das ohne eine Sekunde der Langeweile! Und wenn einem dann plötzlich der bräunliche Hut eines Eichensteinpilzes entgegengrinst, dann entsteht in einem Jäger und Sammler wie mir solch eine aufgeregte Jäger- und Sammler-Freude, wie sie einem im Alltag allenfalls der Münsteraner Stadtverkehr beim Radfahrerjagen bescheren kann...! Welch ein Vergnügen, den dicken Bauch junger Braunkappen oder der etwas größeren Kiefernsteinpilze mit ihren samtenen, satt kastanienfarbenen Hüten auf dem Kopf kleinen stolzen Zwergen gleich zu erspähen, während man innerlich schon den Waldduft in der Pfanne riecht! Oder wenn man eine Nuggetwiese voll vom Gold des Waldes entdeckt; ich meine natürlich den leider seltener gewordenen Pfifferling. In dieser Zeit könnte ich täglich in die Pilze, ich habe sogar heimlich beim Joggen immer ein Messerchen und eine Jutetasche dabei, und meine Laufroute führt plötzlich durchs Unterholz... Am besten nimmt man übrigens einen luftigen Korb mit. Pilze schneidet man direkt unten am Fuß, kurz über dem Myzel ab, sodass die Schnittfläche minimal klein ist und das Myzel nicht beschädigt wird denn dieses Myzel, also quasi das Wurzelgeflecht des Pilzes, ist das allerwichtigste für den Pilz. Wir sehen nur den oberirdischen Pilzkörper, den wir essen, aber der eigentliche Pilz ist dieses Myzel durch das etliche

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4 Pilze eine feste Symbiose mit einem spezifischen Baum eingehen. Darum findet man den Eichensteinpilz im feucht-sauren Milieu von Pionierswäldern mit Eichen, ein paar Birken und gerne auch Nadelbäumen. Und meist gilt die Regel: Ein Pilz steht selten allein... Ich habe zum Beispiel nur eine Fläche von vielleicht 20 Quadratmetern, auf denen ich meine Pfifferlinge sammle; aber seit Jahren wachsen sie zuverlässig in großen Mengen an eben genau dieser einen Stelle und kilometerweit drum herum nichts! Eine meiner Steinpilzstellen liegt direkt an einem Landwirtschaftsweg; von dem vielleicht 20 mal 3 Meter breiten Randstreifen dort hole ich jedes Jahr etwa 20 Kilogramm beste Steinpilze wenn nicht der dämliche Bauer mitten im Herbst wieder die Randbegrünung niedermetzelt und damit gleich noch Steinpilze im Wert von etlichen Hundert Euros zerschnibbelt (dieselbe Pfeife jammert natürlich kurz danach wieder nach EU-Subventionen manchmal bin ich mir unsicher, ob das mit den dicksten Kartoffeln nicht doch stimmt...). Übrigens sammle ich nicht alles, was essbar ist, sondern nur, was mir wirklich gut schmeckt. Das sind vor allem die leckeren Boletus-Arten (Steinpilze und Verwandte), Maronenröhrlinge, Pfifferlinge, gerne mal eine Krause Glucke (sieht pervers aus, schmeckt aber in Butter geschwenkt mit Meersalz und etwas weißem Estragonessig extrem geil) und wenn ich zufällig welchen begegne auch mal Morcheln oder sehr junge Birkenpilze und zu guter Letzt natürlich auf Wiesen mit Freuden Champignons und Riesenschirmlinge. Letzteren lasse ich im Wald wiederum lieber stehen, weil andere Schirmlinge ihm dort mitunter sehr ähnlich sehen (kein Problem) und blöderweise sehr giftig sein können (großes Problem...). Was den Trüffel angeht, habe ich mich diesem wunderbaren Pilz-Thema ausgiebig an anderer Stelle gewidmet (Seite XX). Ich lasse die Finger von Pilzen, die Sie zu mir sagen, weil ich sie nicht zu hundert Prozent kenne. Wer mal einen Arzt gesprochen hat, der einen Menschen nach dem Genuss von Knollenblätterpilzen hat sterben sehen, der weiß, warum! Zu Hause gilt: Pilze niemals waschen, nur grob bürsten und Schwamm entfernen, ein Stück Waldboden ist weniger störend als jeglicher Verlust des Aromas oder der Konsistenz. Die Waldaromen sind übrigens meiner Meinung nach gerade bei Pfifferlingen besonders abhängig vom Terroir! So leckere Pfifferlinge, wie ich sie im Engadin gesammelt hatte, sind mir bis heute nicht wieder begegnet! Und was Würmer angeht: Bitte nicht zu empfindlich sein, so ein winziger Wurm fällt nicht auf höre ich Vegetarier aufstöhnen? Wenn der Pilz, in der Mitte durchgeschnitten, keine Fraßstellen aufweist, ist sehr wahrscheinlich nichts drin, und selbst wenn, man merkt es nicht... (Das habe ich bewusst schon getestet und es ist wirklich wahr!) Mit Pilzen kann man Tausende kleiner Sachen machen, gerne schmiegt er sich an Teigwaren von Blätter- und Strudelteig bis zu einfachem Pfannekuchen oder an Kartoffeln in allen Variationen. Auch ist die Latte an Rezepten mit getrockneten Pilzen lang. Doch am besten kommt ein Pilz immer noch zur Geltung, wenn er einfach mit Zwiebeln und Butter angebraten wird etwas Meersalz und Pfeffer, gut ist. Vielleicht noch ein paar Kräuter: Schnittlauch mit Petersilie oder Estragon, in Verbindung mit Kartoffeln passt auch sehr gut Majoran einfach selber fleißig rumexperimentieren! In diesem Buch habe ich den Steinpilz als Star in einem Rezept (mit Essenz aus Rinderfond, altem Aceto, Rübenkraut und Pinien dazu) und als Applausgarant an der Seite von Fleisch. Außerdem stehen im Anhang noch zwei Grundsaucen mit Pilzaromen, nämlich von Steinpilzen, Maronen oder dem meiner Meinung nach völlig unterschätzten flockenstieligen Hexenröhrling, den ich immer mit im Korb habe: eine hellere Sauce als Weißfisch und Weißfleisch-Begleiter und eine sehr dunkle Version, die dufte zu rotem Fleisch und Wild passt. Und in den Baukastenrezepten werde ich mich mit den sonderbaren Eigenschaften der Speisemorchel beschäftigen, dem wohl einzigen Pilz, der getrocknet für die Saucenküche besser nutzbar ist als in seiner frisch geernteten Form. 14

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