Eine Mischung aus Disziplin, Sensibilität und Intuition

Transkript

1 Eine Mischung aus Disziplin, Sensibilität und Intuition Das Werk von Antje Wiewinner Antje Wiewinner: Glück allein, Detail Ihre Arbeiten sind rund oder eckig, organisch oder mathematisch, frei oder angewandt. Im Werk ebenso wie in der Person von Antje Wiewinner treffen ratio und emotio unmittelbar aufeinander und ergänzen sich. Antje Wiewinner (geboren 1957) stammt aus Münster, studierte in Bremen, lebt und arbeitet seit nunmehr 25 Jahren in Osnabrück. Die Entscheidung, sich in Osnabrück niederzulassen, war nicht ganz freiwillig, berichtet sie, hier waren nur lediglich die Quadratmeterpreise für eine Werkstatt mit Ladenlokal und angrenzender Wohnung erschwinglich. Diese Werkstatt mit Laden und Wohnung liegt an einer vielbefahrenen Ausfallstraße Osnabrücks, die erst jüngst vierspurig ausgebaut wurde. Als Antje Wiewinner hier vor 25 Jahren einzog, gab es noch eine lebhafte Einzelhandelsszene, heute existiert außer ihrem Laden und der Apotheke nur Antje Wiewinner: Glück allein, Detail Antje Wiewinner: Glück allein, 2006, Tonpättchen auf Holzplatte, 150 x 150 cm, eigene Technik 30

2 Antje Wiewinner: griffig, 2006, ehenkeltes Gefäß, Engobe, Reduktionsbrand bei 1300 C im Gasofen, H 37 cm, Ø 35 cm KERAMIK Antje Wiewinner: Zylinder und zwei Doppelwandgefäße, Strukturdetails Antje Wiewinner: Zylinder und zwei Doppelwandgefäße, 2006, farbiges Steinzeug, Bariumglasur, Reduktionsbrand bei 1300 C im Gasofen, 38 cm x 18 cm und 27 cm noch der gegenüberliegende Friseursalon, den einstmals der Bruder des legendären Osnabrücker Keramikers Rolf Overberg betrieb. Und an Rolf Overberg selber wird heute noch in Osnabrück der Wert jeder Keramik gemessen. Das Haus, in dem Antje Wiewinner lebt, ist das einzige an dieser langen Straße, das im vergangenen Jahr von Grund auf renoviert wurde und schon allein deshalb leicht zu finden ist. Antje Wiewinner hat sich mit ihren Architekturen, Doppelwandschalen, Stelen und Torsi heute einen Ruf weit über Osnabrück hinaus erworben. Und das, obwohl sie keine Märkte macht sondern nur Ausstellungen in Orten, die sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. Antje Wiewinner ist passionierte Nicht- Autofahrerin. Die Arbeiten von Antje Wiewinner entwickeln sich logisch eine aus der anderen. 31

3 Antje Wiewinner: griffig, 2006, gehenkelte Gefäße, blaue Engoben, Reduktionsbrand bei 1300 C im Gasofen, H 37 cm, Ø 32 cm Antje Wiewinner: XXX Da sind zum Beispiel die Tonplättchen, die sie auf Holzplatten in Reihung montiert. Die Idee dazu kam ihr beim Anblick der viel benutzten Papierkapseln, in denen sie ihre Architekturen brennt. Einerseits blätterten sie und andererseits zeigten sie die Abdrücke des Füllmaterials. Heute brennt sie bewusst ihre Tonplättchen zwischen alten Zeitungen oder Werbematerial in der Kapsel. Während ihres Studiums in Bremen unter Prof. Dorothea Colberg-Tjadens durfte nur gedreht werden. Nicht zuletzt deshalb ist sie ein solch perfekte Dreherin, der keine Herausforderung zu gering ist, als sie umzusetzen. Erst der Lehrer Bernd Röter hielt die Studenten dazu an, auch freie Formen zu entwickeln. Bei Antje Wiewinner sind daraus im Laufe der Jahre die Architekturen und Stelen geworden: strenge, kantige Formen, von Öffnungen und Treppen durchschnitten und dabei strukturiert. Sie rufen Erinnerungen an frühgeschichtliche Behausungen ebenso wach wie an die strenge Bauhausarchitektur und das, was 32

4 neomoderne Bauherren vor allem in den USA gestalten. Assoziationen, die Antje Wiewinner nicht gerade gerne sieht, bedeuten sie doch Verpflichtung und damit ein Festgelegtsein, das die Kreativität einengt. Antje Wiewinner erzählt, dass sie vor der ersten öffentlichen Präsentation ihrer Bauwerke große Angst vor der Reaktion der professionellen Architekten gehabt habe. Heute akzeptieren nicht nur Architekten das durchdachte Oeuvre von Antje Wiewinner sondern noch viele andere Menschen und Sammler. Das liegt ganz sicher an dem grafischen Reiz, den diese Objekte ausstrahlen. Sie inszenieren Bewegung, vor allem mit ihren abgestuften Treppenläufen. Treppen, die ins Nichts führen, Treppen, die nur für die Mäuse da sind. Jeder Betrachter kann sich selber einen Weg, ein Ziel ausdenken, das er mit diesen Treppen erreichen will. Daneben gibt es Tore, Eingänge, Innenräume: auch sie Wege, auch sie Ziele, die erreicht werden wollen. Antje Wiewinner: Haus mit gerundeter Seite, 2004, Steinzeug, Oxide, rote Engobe, Oxidationsbrand bei 1260 C, H 25 cm Antje Wiewinner: XXX 33

5 Antje Wiewinner: XXX Antje Wiewinner: XXX Parallel zu den großen Architekturen entstanden die Torsi quasi als Kontrastprogramm. Erfordern die Häuser äußerste Disziplin, kommt bei den Torsi das freie Spiel mit der Körperlichkeit zur Geltung. Für beide gilt letztendlich, es ist ihnen nichts mehr hinzu zu fügen. Diese Torsi haben in jüngster Zeit ihre Entsprechung in sensibel abgeformten Drosselnestern gefunden auch sie Architekturen, wenn auch gänzlich anders, als die von Antje Wiewinner erfundenen. Nach wie vor dreht Antje Wiewinner gerne selber oder schaut Kollegen zu, wie auf der rotierenden Scheibe ein Gefäß entsteht. Um sich die Arbeit an der Drehscheibe nicht zu leicht zu machen, dreht Antje Wiewinner Doppelwandgefäße, bei denen sich die konvexe Außenform und die konkave Innenform Konkurrenz machen und sich doch gleichzeitig so hervorragend ergänzen, dass sie schließlich eine unverwechselbare Einheit bilden. Die Keramikerin ist ständig auf der Suche nach den Eigenschaften des Tons, sie beobachtet ihn, um in Erfahrung zu bringen, was alles man aus ihm herausholen kann. Dabei hält sie die Oberflächen und ihre Farben für durchaus ton-gemäß, weniger die Formen, die schließlich unter ihren Händen entstehen. Die türkisch-niederländische Keramikerin Nesrin During beschreibt den Arbeitsprozess von Antje Wiewinner in der amerikanischen Zeitschrift Ceramic Monthly (2/05) wie folgt: Sie beginnt damit, sich das Objekt erst einmal im Kopf vorzustellen. Dann schneidet sie aus Pappe einzelne Formen aus und baut sie zu einem Modell zusammen. Erst dann kann sie sehen, ob es wirklich ihrer Vorstellung entspricht. Änderungen in den Proportionen können in diesem Stadium möglich werden. Erst wenn das endgültige Modell zufrieden stellend ist, kann die Arbeit im Ton beginnen. Antje Wiewinner relativiert diese Aussage, indem sie feststellt, dass sie nur manchmal diese Pappmodelle baue und auch nur dann, wenn eine entscheidende Änderung möglich sei, bei der sie locker vorab spielen möchte. Die Idee im Kopf waren zum Beispiel endlose Reihen von Birkenstämmen im verschneiten Finnland, eine senkrechte Landschaft. Aus ihnen wurde bei Antje Wiewinner die Serie weißer Stelen. Dann kamen die kleineren Häuser und Tore, noch ohne Innenleben, und dann die eigentlichen Innenleben und ausführlicheren Treppen. Und ganz zum Schluss, das heißt in jüngster Zeit, die Stelenpaare, bei denen es dann weniger um Innenleben als um Körper im Raum geht. Innen und Außen sind für die Künstlerin eine untrennbare Einheit, wie das Ying und Yang des chinesischen Konfuzianismus. Diese Stelen zeigt sie in der Regel paarweise, so dass sich nicht nur Innen und Außen gegenüberstehen sondern auch zwei aufeinander bezogene und doch unterschiedlich gestaltete Formen. Antje Wiewinner nennt sie komplementär. Ich muss für mich eine innere Spannung aufbauen, wenn ich meine Ideen überbringen will. Nur wenn ich selber gespannt bin, gelingt mir das, beschreibt sie selber ihren Arbeitsprozess. Und dabei arbeitet ihr der Ton fast wie selbst in die Hand. Antje Soléau 34

6 ANTJE WIEWINNER KURZVITA 1957 geboren in Münster nach dem Abitur Studium an der Hochschule für gestaltende Kunst und Musik in Bremen bei Prof. Dorothee Colberg-Tjadens und Bernd Röter 1980 Abschluss als Diplom-Designerin 1981 Eigene Werkstatt in Osnabrück AUSZEICHNUNGEN: Preis im Wettbewerb um die Gestaltung des Landschaftspreises des Landschaftsverbandes Osnabrücker Land e.v Mencio d honor beim Concurs de ceramica, l Alcora, Spanien seit 1979 Ausstellungen im In- und Ausland Arbeiten in öffentlichen Sammlungen wie Frechen, Berlin, Hamburg, Höhr-Grenzhausen, Karlsruhe, Sögel und Stuttgart sowie in zahlreichen privaten Sammlungen. Antje Wiewinner: zwei Stelenpaare, 2005, Steinzeug mit Porzellanengobe, Reduktionsbrand bei 1240 C, H jeweils 40 cm Antje Wiewinner: Komplementär 1 und II, 2005, Steinzeug mit Porzellanengobe, Reduktionsbrand bei 1240 C, H 32 cm und 30 cm AKTUELLE AUSTELLUNGEN: Mathematical Ceramics , St. Josephs Galerie, Leeuwarden Niederlande Blickpunkte, Jahresausstellung der Gruppe Angewandte Kunst Münster , Handwerkskammerbildunsgszentrum Münster Werkstattausstellung , Osnabrück Epilog , Satdtgalerie Osnabrück 35