Tierheimhund = Problemhund??

Transkript

1 Tierheimhund = Problemhund?? Ein Plädoyer Sind Sie auch der Meinung, dass Hunde aus dem Tierheim immer Problemhunde sind? Nun, da haben Sie sich geirrt, denn sie sind oft gut leinenführig, stubenrein, gehorsam und 1 / 7

2 kennen die menschliche Welt. Einen Hund aus dem Tierheim zu nehmen, hat einen tierschützerischen Aspekt und auch einige Vorteile, denn die Hundepflegerin kennt ihre Pappenheimer, kann einiges zu seinem Charakter, Verhalten und Sozialisation mit Mensch und Tier sagen. Bei uns haben Sie die Möglichkeit, den Hund in Ruhe kennen zu lernen, Gassi zu gehen, zu beobachten, zu streicheln, mit dem Ersthund auf unserem Hundeplatz zusammen zu führen, mit ihm zu spielen. Mensch und Hund müssen zusammen passen, denn nichts ist für die Hundeseele trauriger, als wieder zurück ins Tierheim zu müssen. Schenken Sie unserem Personal Vertrauen, in der Beurteilung einzelner Hunde, denn das Aussehen alleine ist es nicht, was die Zufriedenheit und das Zusammenleben mit dem Hund ausmacht. (von Kirsten Wagner, Tierheimleiterin) Und noch viel wichtiger: schenken Sie Ihrem neuen Hund Vertrauen, Zeit und Geduld. Bedenken Sie seine Vorgeschichte (falls Sie sie kennen manche dieser Geschichten würden wir lieber gar nicht kennen). Vielleicht hat er eine Odyssee durch halb Europa hinter sich. Vielleicht hatte er noch nie ein Dach über dem Kopf. Vielleicht ist er immer hungrig gewesen, vielleicht mißhandelt worden. Vielleicht hat er aber auch nur sein schönes Zuhause, seine geliebte Familie verloren, ist hierhin und dorthin geschoben worden, bis er schließlich im Tierheim gelandet ist. Nicht jeder dieser Hunde kann von jetzt auf gleich umschalten, Vertrauen gewinnen, funktionieren. Für viele von ihnen ist der Umzug in die neue Familie erstmal nur wieder ein weiterer Streß, ein weiteres gefährliches Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Geben Sie Ihrem neuen Hausgenossen ein paar Tage, vielleicht Wochen, Zeit, sich einzugewöhnen, anzukommen. Der Hund verhält sich erstmal ganz anders als erhofft? Er läßt sich die ersten Tage gar nicht knuddeln? Und mit den Kindern spielt er auch nicht gleich? Wieso pullert er jetzt auch noch ausgerechnet auf den schönen Teppichboden? Haben Sie Geduld, geben Sie ihm Zeit! Schließlich muß erst langsam zusammenwachsen, was zusammengehört. 2 / 7

3 Und wenn es in der ersten Zeit mit Ihrem neuen Mitbewohner Fragen gibt, stehen wir mit Rat und Tat gerne zur Verfügung. Ihnen, aber vor allem dem Hund zuliebe. 3 / 7

4 Nein, so hatten wir uns das aber nicht vorgestellt Ein Erfahrungsbericht Einen eher zurückhaltenden Hund hatte ich gesucht.nicht so einen wilden Feger wie die Vorgängerin, die mir den letzten Nerv geraubt hatte. Und da stand die kleine wuschlige Praline nun vor mir. Eher sehr zurückhaltend, wie die freundliche Frau vom Tierschutz erklärte. Sie ist schwer mißhandelt worden, und sie läßt sich nicht anfassen, - aber das wird bestimmt! Wäre doch gelacht! Schließlich hatte ich ja jahrelange Hundeerfahrung, mit allen Höhen und Tiefen, die das Thema Hund so zu bieten hat. Nach ein paar Besuchen und vorsichtigen aber völlig erfolglosen Annäherungsversuchen meinerseits zog Praline bei uns ein. Wäre doch gelacht! 4 / 7

5 Und Praline ließ sich nicht anfassen. Zuckte panisch zusammen, wenn sich nur meine Hand näherte, flüchtete in die verwinkeltsten Ecken des Hauses. Schlang ihr Essen nur herunter, wenn niemand im Raum war, verkroch sich, sobald ich fröhlich Gassi-Gassi rief. Puh, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Wochenlang ging das so. Frustrierende Wochen, in denen ich stundenweise auf dem Fußboden lag oder saß, scheinbar in irgendein Buch vertieft, um sie an meine Nähe zu gewöhnen. Wochen, in denen ich sie an einem dünnen, langen Wollfädchen am Halsband langsam zu mir herzog, um ihr wenigstens die Leine anzulegen. Wochen, in denen sie auf Spaziergängen hinter mir herschlurfte, als ginge es zu ihrer eigenen Beerdigung. Wochen, in denen sie beim Autofahren zitterte wie Espenlaub. Ob der eingeklemmte Schwanz wohl jemals wedeln würde? Jahrelange Hundeerfahrung hin oder her: Nein, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Keine fünf Monate später konnte ich mich an meine Enttäuschung, meine Verzweiflung und an all die Nervereien kaum noch erinnern. Praline springt inzwischen draußen munter über die Felder, hechtet über Baumstämme und freut sich grinsend ihres Lebens. Fremden gegenüber ist sie immer noch zurückhaltend, aber Streicheleinheiten bei mir werden deutlich eingefordert, und an manchen Tagen wedelt der ganze Hund ununterbrochen. Ich kann sie inzwischen streßfrei fast überall mit hinnehmen, sie folgt mir dicht bei Fuß, auch ohne Leine. Es hat ein bißchen gedauert, aber Praline ist aufgetaut. Wenn ich ihr diese Wochen nicht gegeben hätte, hätte ich heute keinen Seelenhund, der mich hoffentlich noch viele Jahre durchs Leben begleitet. 5 / 7

6 Und jetzt kommt auch noch Zoe dazu.. - die kleine Zoe aus dem Tierheim Pfungstadt. Ein witzig-strubbeliges Hündchen, einfach nur lieb. Beim Kennenlernen im Tierheim zeigt sie sich von ihrer freundlich-aufgeschlossenen Seite, wedelt jeden an, hängt meinem Mann an den Lippen. Ja, so unkompliziert soll der neue Mitbewohner sein, damit es mit uns, mit Praline und den Katzen klappt. Nur leider verwandelt sich Klein-Zoe im neuen Heim erstmal in eine gernegroße Schnappschildkröte. Scheinbar völlig unvermittelt schießt sie in manchen Situationen keifend auf Praline zu, und Freund Klaus stellt uns nach einem Besuch seine zerrissene Hose in Rechnung. Außerdem hat sie offenbar vergessen, daß sie doch stubenrein war. Nach dem Fressen spuckt sie regelmäßig das frisch geputzte Haus voll. Au weia so hatten wir uns das nicht vorgestellt. Was ist nur mit dem Hündchen los? Aggressiv? Dachschaden? Im Tierheim galt sie doch als äußerst lieb!? Wir bedenken ihre Vorgeschichte, betrachten gemeinsam mit der angeheuerten Hundetrainierin (warum sind wir da nicht selber drauf gekommen???) nur die vergangenen paar Wochen: Unklares Vorleben in Ungarn, anstrengender Transport in ein deutsches Tierheim, dann Weiterreise nach Pfungstadt. Zoe ist trächtig, zieht in Pfungstadt ihre Welpen auf, wird von denen wieder getrennt, dann unter Vollnarkose kastriert. Dann wieder ein Umzug, diesmal zu uns, zu Praline und den Katzen. Zoe steht massiv unter Streß. Und verhält sich getreu dem alten Schnapp-Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Wen wunderts? Heimlich sind wir dankbar dafür, daß wir in unserem Leben noch nicht mitmachen mussten, was sie bis hierhin mitgemacht hat. Die Hundetrainierin empfiehlt nach einem Kennerblick auf Zoe nur eines : Zeit! Geben Sie dem Hündchen Zeit! Lächerliche zwei Wochen. 6 / 7

7 .und eine homöopathische Behandlung später ist aus der Schnappschildkröte schon ein halbwegs entspannter Hausgenosse geworden, der nicht mehr auf jedes fremde Geräusch, auf jeden Besuch mit scheinbar unkontrollierten Attacken reagiert. Der inzwischen immer öfter zu verstehen scheint, daß er uns vertrauen kann. Magen und Darm sind zur Ruhe gekommen, und Zoe erinnert sich inzwischen gut daran, wie das mit der Stubenreinheit funktioniert. Vielleicht ist sie mit einer ihrer vier kleinen Pfoten schon im neuen Leben angekommen!? Wir werden ihr weiter Zeit geben, werden versuchen, ihr noch mehr Sicherheit zu vermitteln. Wir werden nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Wäre doch gelacht! von Friederike Kroitzsch, Journalistin,Südwestrundfunk 7 / 7