EINLEITUNG Schatzkammer der Antike

Transkript

1 EINLEITUNG Schatzkammer der Antike Seit Jahrtausenden war Ägypten ein Land der Wunder und ungeheuren Reichtümer. Als Kleopatra, die letzte Pharaonin, starb, fiel das uralte Reich an die Römer, die neuen Herren der Welt.

2 FOTOCREDIT Die Pyramiden von Giseh, erbaut im 3. Jahrtausend v. Chr. 15

3 EINLEITUNG Königin in Marmor: Die römische Büste aus der Zeit zwischen 40 und 30 v. Chr. zeigt Kleopatra mit Diadem und traditioneller Frisur Altes Museum, Berlin S. 14/15: KENNETH GARRETT / NGS IMAGE COLLECTION; S. 16: CHRISTO GERIGK / ALTES MUSEUM BERLIN 16 SPIEGEL GESCHICHTE

4 Von DIETMAR PIEPER Für eine ägyptische Königin war es niemals zu früh, an den Tod zu denken. Und so hatte Kleopatra beizeiten ihr eigenes Grabmal erbauen lassen, ein Mausoleum im makedonischen Stil nahe dem Meeresufer an der Küste Alexandrias. Der noch unfertige Prachtbau sollte ihre letzte Zufluchtsstätte werden. Gold, Silber, Smaragde, Perlen, Ebenholz, Elfenbein und Zimt ließ die Monarchin in ihr Monument schaffen, dazu noch den Staatsschatz Ägyptens, so erzählt es ein antiker Chronist. Da war Kleopatra 39 Jahre alt und die reichste und mächtigste Frau der Welt. Aber nachdem sie gemeinsam mit ihrem Geliebten Marcus Antonius eine vernichtende Niederlage erlitten hatte, war sie vor allem eine Gejagte. Bald sah sie nur noch einen Ausweg: den Tod. Der Selbstmord verschaffte ihr im Atlantik Untergang noch einen letzten Triumph, die Gewissheit, dass der siegreiche Feind sie nicht als Trophäe durch die Straßen seiner Hauptstadt schleifen würde. Bei Shakespeare, dem Meister des Königsdramas, spricht Kleopatra vor der Vergiftung die stolzen Worte: Sollt ich des bis 133 v. Chr. bis 44 v. Chr. bis 14 n. Chr. (beim Tode Augustus ) schmähnden Roms jubelndem Pöbel zur Schau stehn? Lieber sei ein Sumpf Ägyptens mein freundlich Grab! Mit diesem Entschluss im Hochsommer des Jahres 30 v. Chr. ging mehr zu Ende als ein Leben, auch mehr als eine Dynastie. Als das Gift zu wirken begann und Kleopatra aufhörte zu atmen, war nach drei Jahrtausenden die letzte Stunde des ägyptischen Reiches gekommen. Größere Beute hat Rom niemals mehr gemacht. Das unermesslich reiche Land am Nil wurde zu einer Provinz des Imperiums. Octavian, der Sieger im Kampf mit Kleopatra und Marcus Antonius, ließ sich bald darauf den Ehrennamen Augustus ( der Erhabene ) zuerkennen. Politisch überaus klug, aber auch skrupellos, bereitete er den Boden für das römische Kaisertum. So begann ein neues Kapitel der Geschichte auf den Trümmern einer grandiosen und uralten Hochkultur. Die Emporkömmlinge von der stiefelförmigen Halbinsel im Nordwesten der ägyptischen Küste, nun fühlten sie sich endgültig als Herren der Welt! Fortan beherrschten die Römer das Mittelmeer, dazu einen großen Teil Europas und weite Gebiete Vorderasiens. 400 Jahre lang war das Wort ihrer Kaiser Gesetz, vom Atlantik bis an den Euphrat und die Sahara. Das Imperium Romanum widerstand vielen Attacken, ehe es in zwei Teile zerfiel und schließlich unterging. 400 Jahre, eine Ära, die tiefe Spuren im Leben der Völker hinterlassen hat. 400 Jahre, ein kurzes Intermezzo, gemessen an der gewaltigen Spanne der Pharaonenherrschaft (siehe Zeitleiste Seite 19). Ihre Anfänge reichen zurück bis nah an den Ursprung der Zivilisation. Rom Mittelmeer Die Überreste, die aus jener fernen, langen Epoche erhalten blieben, die Tempel und Grabmonumente, Inschriften und Reliefzeichnungen, Götterbilder und Tierskulpturen, erzählen Geschichten, die bis heute ebenso beeindruckend wie rätselhaft sind. Noch Jahrtausende später ist spürbar, welche Phantasie und Leidenschaft die Menschen damals bewegt haben müssen, gepaart mit Größenwahn sowie einer archaischen Geringschätzung des einzelnen Lebens. Der Gottesstaat der Pharaonen wurde auch über menschlichen Abgründen errichtet. Noch bei den Ptolemäern, die als Eroberer ins Land gekommen waren, wirkte das alte Gesetz der Grausamkeit fort. Die Nachwelt richtet ihr Augenmerk naturgemäß stärker auf die erhabenen Momente. Neben den Zeugnissen der pharaonischen Stärke und Willenskraft, seien sie aus Stein gebaut oder von Chronisten überliefert, verblasst alles andere. Die Faszination, die das alte Ägypten ausübt, spürten schon die Menschen der Antike. Im 5. Jahrhundert v. Chr. widmete der griechische Historiker Herodot dem Land am Nil ein ganzes Buch, in dem er die Leser wissen ließ: Jetzt werde ich über Ägypten sprechen, weil es sehr viele Wunder enthält und vor allen Ländern Werke darbietet, die man kaum beschreiben kann. Was gab es nicht alles zu sehen an den Ufern des Nils, der 6700 Kilometer lang durch halb Afrika strömt und mit seinen an- und abschwellenden Fluten riesige Mengen fruchtbaren Schlamm nach Ägypten schwemmte: Überragend, in jeder Hinsicht, sind bis heute die Pyramiden von Giseh, Inbegriff des Staunenswerten und Geheimnisvollen. Errichtet um 2580 v. Chr. aus rund 2,4 Millionen Steinblöcken, erreichte die Schwarzes Meer größte von ihnen, die Cheops-Pyramide, ursprünglich eine Höhe von 146,6 Metern. Damit war sie lange Zeit das höchste Alexandria Gebäude der Welt. Ein komplexes System von Gängen, ÄGYPTEN Das Römische Weltreich Quelle: Putzger Schächten und Kammern durchzieht das Innere dieses mathematisch-technischen Wunderwerks, dessen Rätsel wohl noch lange nicht alle entschlüsselt sind. Unter welchen ungeheuren Anstrengungen und Opfern das mehr als sechs Millionen Tonnen schwere Monument aufgeschichtet wurde, entzieht sich weitgehend der Vorstellungskraft. Die Überlieferung ist äußerst dürftig, was vor allem am hohen Alter der Pyramiden liegt. Als das Reich der Pharaonen unterging, lag ihre Errichtung erheblich länger zurück als von heute aus gesehen das Leben und Sterben Kleopatras. Etwa zur gleichen Zeit wie die gigantischen Grabmale entstand der große Sphinx von Giseh, teils Mensch, teils Löwe. Sphinx-Darstellungen waren auch später noch weit verbreitet sogar außerhalb Ägyptens. In der griechischen SPIEGEL GESCHICHTE

5 EINLEITUNG Mythologie wurde aus dem männlichen Mischwesen ein weiblicher Dämon: Die Sphinx, so lautet die Sage, traktiert die Menschen mit ebenso simpel erscheinenden wie schwierig zu lösenden Rätselfragen. Wer versagt, wird von ihr erwürgt. Viele Tagesreisen flussaufwärts auf dem Nil lag Theben, ein herausragendes Fest trugen die Priester in einer feierlichen Prozession Götterstatuen zu den heiligen Stätten von Luxor. So wollten sie das spirituelle Band zwischen Amun- Re und dem König festigen. Die ältesten aufgefundenen Tempelteile stammen aus der Zeit des Pharaos Sesostris I., der von 1956 bis 1911 v. Chr. Altägyptisches Vorbild: Königin Hatschepsut, 15. Jh. v. Chr. tausend vom Nildelta im Norden bis tief nach Afrika zu den Siedlungsgebieten der Nubier, die ungefähr dort begannen, wo heute die Stadt Assuan liegt. Welchem König es gelang, die ober- und unterägyptischen Lande zu vereinen, lässt sich bisher nicht ein deutig klären. Manches spricht dafür, Narmer als ersten Monarchen des Gesamtreiches zu betrachten; er lebte um 3000 v. Chr. und ist durch mehrere Funde belegt. Aus der langen Reihe der seitdem herrschenden Könige ragen einige her - aus: Djoser, der die erste Stufenpyramide errichten ließ. Cheops und Chephren, die die Idee der Pyramide monumental vollen - deten. Hatschepsut, die mächtigste Frau der damaligen Welt. Echnaton mit seiner Gemahlin Nofretete, der den Gott Aton, dargestellt als gleißende Sonnenscheibe, über alle anderen Götter erhob (so dass manche in ihm sogar den Erfinder des Monotheismus sehen wollen). Exzentrisch wie sein religiöser Eifer waren auch die Porträtbüsten, die er von sich anfertigen ließ. Sie zeigen ihn mit einem langen, schmalen Kopf, wulstigen Lippen und stark hervortretenden Wangenknochen. Tutanchamun, ein Sohn Echnatons, der mit 8 Jahren zum König gekrönt wurde und mit 19 Jahren starb; seine Totenmaske zählt zu den berühmtesten Kunstwerken der Pharaonenzeit. Unter seiner Herrschaft endete das Aton-Projekt seines Vaters, Amun und die anderen Götter erhielten ihre alten Rechte zurück. Ramses II., unter dem das Reich so glanzvoll war wie vorher und nachher nicht; sein Nachbarschaftsvertrag mit den Hethitern gilt als ältester schriftlicher Friedensschluss. Eine Kopie ist im New Yorker Uno-Hochhaus ausgestellt. Zentrum des Götter- und Pharaonenkults. Dort säumten Hunderte von Sphinx-Darstellungen einst eine Allee von zweieinhalb Kilometer Länge zwischen den gewaltig aufragenden Tempeln von Karnak und Luxor. Die Tempelanlage von Karnak gilt als die größte unter den altägyptischen Kultstätten. Verehrt wurde hier vor allem der Gott Amun-Re, ein Garant der Fruchtbarkeit. Beim alljährlichen Opet- regierte. Im Lauf der Jahrhunderte bis hinein in die römische Kaiserzeit wurde die Kultstätte immer wieder erweitert, ausgebaut, umgestaltet. Riesige Pylonen und Säulenhallen vermitteln noch heute einen tiefen Eindruck von der sakralen Prachtentfaltung. Als Sesostris I., der zu den gro - ßen Monarchen des Mittleren Reiches zählt, über Ägypten herrschte, erstreckte sich das Land schon seit einem Jahr- Aber niemand von diesen hat die Phantasie späterer Zeiten so sehr beschäftigt wie Kleopatra, nach deren Tod das Reich an die Römer fiel. Für das Land war es eine tiefe Zäsur. Fast zwei Jahrtausende sollten vergehen, bis Ägypten in einer völlig veränderten Welt wieder seine Unabhängigkeit erlangte. Leben und Legende der Kleopatra, das ist beinah schon eins geworden. Die WERNER FORMAN / AKG 18 SPIEGEL GESCHICHTE

6 Das alte Ägypten Alexandria Sais BILDAGENTUR-ONLINE / RUNHEL -MACPHO RADIUS/IMAGES/CORBIS GEOPRESS / YOUR PHOTO TODAY Stufenpyramide des Djoser Hatschepsut-Tempel (Deir al-bahari) Ramses II, Tempel von Abu Simbel Memnonkolosse Oase Faijum Giseh Sakkara Heliopolis Memphis Amarna Nil Abydos ERICH LESSING / AKG Dendera Armant Edfu Theben Philae Kasr Ibrim Luxor-Tempel Relief im Horus-Tempel Isis-Tempel JOHANNA HUBER IAN BERRY / MAGNUM MARTIN/ LE FIGARO / LAIT 100 km ANFÄNGE ca bis 3000 v. Chr. Ackerbau, erste Städte, Schrift entwickelt sich. FRÜHZEIT ca bis 2700 v. Chr. Vereinigtes Königreich, Gründung von Memphis. Einführung des Kalenders. ALTES REICH ca bis 2200 v. Chr Aufwendiger Verwaltungsapparat, große Bauprojekte, Pyramiden von Giseh. ERSTE ZWISCHENZEIT ca bis 2050 v. Chr. Zerfall in einzelne Fürstentümer. MITTLERES REICH ca bis 1650 v. Chr. Erschließung der Oase Faijum für die Landwirtschaft, Schulsystem. ZWEITE ZWISCHENZEIT ca bis 1550 v. Chr. Kunst und Kultur verfallen in ständigen Kriegen. NEUES REICH ca bis 1070 v. Chr. Theben ist zunächst Hauptstadt, dann religiöses Zentrum. Wichtige Pharaonen: Hatschepsut, Thutmosis III., Tutanchamun, Ramses II. DRITTE ZWISCHENZEIT ca bis 664 v. Chr. Das Land zerfällt, Assyrer fallen in Ägypten ein. SPÄTZEIT ca. 664 bis 332 v. Chr. Hauptstadt Sais, große außenpolitische Erfolge, Ausbau der Kriegsflotte. Perser setzen sich fest. 332 v. Chr. Alexander der Große begründet die hellenistische Herrschaft. SPIEGEL GESCHICHTE

7 EINLEITUNG Tatsachen lassen sich oft kaum noch von den Erfindungen unterscheiden. In den antiken Schriften wird sie häufiger geschmäht als gerühmt, denn überliefert ist vor allem die Sichtweise der Sieger. Und über die alten Bilder hat sich im 20. Jahrhundert eine dicke Schicht neuer Darstellungen gelegt, für die vor allem die Image-Maschinerie in Hollywood gesorgt hat. Seit der Stummfilmzeit ist die verführerische, stolze, tragische Königin ein Sujet, das immerzu Verwandlungen durchmacht und mit Liz Taylor in der Hauptrolle einen Höhe-, aber keinen Endpunkt erreicht haben dürfte. Einzigartig wie Kleopatras Leben ist eben auch ihr Nachleben. Dichtkunst und Film, Trashkultur und Altphilologie können sie mit dem gleichen Recht für sich in Anspruch nehmen. Das teilt Kleopatra mit nur wenigen überragenden Gestalten der Geschichte ganz sicher mit einem Mann, der bald nach ihrem Tod geboren wurde: Jesus von Nazareth. Es ist ein eigentümlicher Zufall, dass auf den Untergang des Pharaonenreiches die große Zeitenwende folgte. Für die damaligen Menschen war der epochale Einschnitt freilich nicht erkennbar, allein schon deshalb nicht, weil es einige Jahrhunderte dauerte, bis aus der Jesus-Bewegung eine Massen- und sogar Staatsreligion wurde. Aber schon die Jahrzehnte vor Christi Geburt waren in Rom und dem östlichen Mittelmeer eine Zeit des Aufruhrs und des umstürzlerischen Fiebers, wie es sie nur selten gibt. Die Granden des aufstrebenden Imperiums, Marcus Antonius und Octavian, kaum anders als zuvor schon Cäsar und Pompeius, zerfleischten sich in einem langwierigen Der ägyptische Reichtum beruhte auf hochentwickelten Methoden der Landwirtschaft, mit denen die Bauern das Wasser aus Oasen oder dem Nil nutzten. Lithografie aus dem 19. Jahrhundert nach thebanischen Fresken Bürgerkrieg, der wie ein Strudel die angrenzenden Länder erfasste. Der Historiker Golo Mann nannte die Epoche eine hundertjährige römische Revolution, ja ein weltgeschichtlich beispielloses Drama. Es war ein Drama, in dem Kleopatra eine der Hauptrollen spielte. Ihr eigener Auftritt erscheint ebenso großartig wie das Feuerwerk der Ereignisse um sie herum, das den Untergang des ägyptischen Reiches grandios illuminiert. Wovon die Geschichte handelt, die in diesem Heft aufgeblättert wird, lässt sich in einfachen Worten so zusam menfassen: Die ägyptisch-griechische Königstochter Kleopatra kämpft nach dem Tod des Vaters mit ihrem ältesten Bruder um die Macht. Sie verbündet sich mit dem starken Mann Roms, Julius Cäsar, und gewinnt mit seiner Hilfe den Thron. Dann aber wird Cäsar ermordet, und wieder flammt der römische Bürgerkrieg auf. Kleopatra setzt auf Marcus Anto nius und unterstützt den Feldherrn in dessen Kampf gegen Oc - tavian. Es kommt zur Entscheidungsschlacht, die Marcus Antonius und Kleopatra verlieren. Beide beenden ihr Leben von eigener Hand. Das machtpoli - tische Geschehen allein wäre schon dramatisch genug; durch eine zwei - fache Liebesgeschichte wird es aber noch spektakulär überhöht. Cäsar und Marcus Antonius sind nicht nur die Verbün - deten Kleopatras, sondern auch ihre Geliebten. In beiden Fällen ist sie die treibende Kraft: Zweimal geht sie eine politisch-erotische Wette ein, und der Einsatz ist sie selbst. Auch wenn Kleopatra am Ende alles verliert, hat sie zwischenzeitlich gute Gründe, sich als Siegerin zu fühlen. Aus beiden Verbindungen gehen Kinder hervor, die schon bei den Zeitgenossen enor- BRIDGEMANART.COM 20 SPIEGEL GESCHICHTE

8 me dynastische Phantasien freisetzen: Plant die Pharaonin eine ägyptisch-römische Zukunft, ein neues Herrschergeschlecht? Will sie womöglich Alexandria zur Hauptstadt eines vereinigten Reiches machen und das stolze Rom zur Nummer zwei degradieren? Solche Gerüchte erzählten sich zum Beispiel Cäsars Gegner, und das bestärkte sie bei ihrem Mordkomplott. Was Kleopatra selbst fühlte und dachte wir wissen es nicht. Die Quellen, so viel sie auch berichten, erzählen nichts über das Innenleben dieser Frau. Nur aus ihren Handlungen und aus ihrem historischen Umfeld ist es möglich, ein Bild von ihr zu gewinnen. Es ist ein Bild, das sich durch starke Farben und Kontraste auszeichnet. Sie war wohl vor allem ein Wunder an Vielseitigkeit: ägyptische Pharaonin und hellenistische Königin in der Nachfolge Alex anders des Großen. Eine hochgebildete Ästhetin, die sich aber auch zutraute, ein Söldnerheer zu führen. Lebenslustige Party-Queen und unnahbare Göttin. Kluge Ökonomin und prunksüchtige Verschwenderin. Verführerisches Weib und vierfache Mutter. Wie es scheint, vermochte sie jede Facette ihres Charakters strategisch einzusetzen. Und sie war auf eine spezielle Art geerdet. Alles, was man über ihr königliches Handeln in den zwei Jahrzehnten auf dem Thron erfahren kann, deutet auf eines hin: Sie wusste, dass sie ganz und gar auf das Wohlergehen ihres Landes angewiesen war. Ihr legendärer Reichtum war immer auch der Reichtum Ägyptens. Eine Reise auf dem Nil, von der mondänen Metropole Alexandria stromaufwärts durch das alte ägyptische Herzland, das war eine Reise in eine andere Welt, eine andere Zeit. Sie führte vorbei an endlosen Kornfeldern, die halbnackte Bauern wie all die Jahrhunderte und Jahrtausende zuvor unter der strengen Aufsicht der Obrigkeit anpflanzten, vorbei an Dörfern und Städten, Tempeln und Grabstätten, deren Ursprünge tief in die Vergangenheit zurückreichten. Kleopatra hat diese Reise oft gemacht, auf einem der königlichen Prunkschiffe, die für ihren Luxus berühmt waren. Die Herrscherin zeigte sich ihrem Volk, und sie hatte ein Ohr für hohe Beamte und religiöse Würdenträger. Zum Hohepriester des Ptah, der bedeutendsten Gottheit in der alten Pharaonenstadt Memphis, hatte schon ihr Vater eine enge Verbindung gepflegt. Hohepriester Psenptah III. ließ einen Text auf seine Grabstele meißeln, in dem er stolz von der Krönungszeremonie berichtet: Ich war es, der den Uräusschmuck am Haupt des Königs anbrachte am Tage, an dem die beiden Länder für ihn vereinigt wurden, und ich vollzog an ihm alle Riten in den Sedfesthäusern. Ich war es, der alle geheimen Ämter leitete. Ptolemäus XII. ist für ihn der König von Ober- und Unterägypten, Herr der beiden Länder, der Gott Philopator Philadelphos, jugendlicher Osiris, Sohn des Re, Herr der Kronen. Sie war lebenslustige Party-Queen und unnahbare Göttin. Es ist zwar kein vergleichbares Dokument zur Krönung Kleopatras überliefert, aber für ihre tiefe Verwurzelung im Kult der altägyptischen Religion gibt es zahlreiche Belege. Zum Beispiel wurde das Heiligtum der Hathor in Dendera unter ihrer Herrschaft prächtig ausgebaut; es zählt zu den am besten erhaltenen Tempeln im heutigen Ägypten. Neben ihrem griechischen Namen er bedeutet Ruhm des Vaters und geht auf die Schwester Alexanders des Großen zurück sind für Kleopatra auch zwei traditionelle Horusnamen bekannt. Die Pharaonen galten als Verkörperungen des falkenköpfigen Gottes Horus. Einer ihrer Namen lautet Wer(et) neb(et) neferu ach(et) seh und bedeutet Groß ist die Herrin der Vollkommenheit, hilfreich an Rat. In einem höchst prekären Moment ihrer frühen Herrschaftszeit konnte sie sich auf den Rückhalt der Priesterschaft verlassen. So jedenfalls haben es die Ägyptologin Sabine Kubisch und der Alt - historiker Hilmar Klinkott in einem gemeinsam verfassten Buch über Kleopatra rekonstruiert. Weil nach den uralten Gesetzen des Reiches eine Frau nicht allein auf dem Thron sitzen durfte, regierte Kleopatra nach dem Tod ihres Vaters gemeinsam mit ihrem ältesten Bruder. Da der Junge noch minderjährig war, vertrat ein Kronrat seine Interessen. Im Sommer 49 v. Chr. kam es zu einem Putsch gegen die ältere Schwester, die sich zu dieser Zeit weit von Alexandria entfernt in der Region um Theben aufhielt. Die dortigen Priester wiesen allerdings den alleinigen Machtanspruch des Bruders zurück und gewährten Kleopatra einen sicheren Aufenthalt. Erst nach einem halben Jahr ging sie nach Syrien, um Söldner für den Kampf gegen die Putschisten anzuwerben. Dass sie, anders als so häufig in ihrer Familie, mit der Macht nicht zugleich ihr Leben verloren hatte, verdankte sie demnach ihrem guten Einvernehmen mit den Hütern des Glaubens. Nachdem sie mit Cäsars Hilfe den Thron zurückerobert hatte, gab sie die Kontrolle über das Reich nicht mehr aus der Hand. Tief in der ägyptischen Geschichte fand sie ein Vorbild, wie sie als Frau ihre faktische Alleinherrschaft durchsetzen konnte, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen: Hatschepsut, die im Jahr 1479 v. Chr. die Regierung übernahm und das Reich 22 Jahre lang anführte. Nach dem Tod ihres Mannes Thutmosis II. war der Thronfolger, ihr Neffe, noch minderjährig. Hatschepsut herrschte an seiner Stelle, ließ sich selbst zur Königin krönen und achtete darauf, dass ihr Neffe offiziell im Amt blieb, aber nichts zu sagen hatte. Berühmt wurde sie auch als Bauherrin; herausragend ist ihr monumentaler Grabtempel vor einem schroffen Felsmassiv nicht weit von Luxor. Stark und unangefochten als Herrscherin über Ägypten, kam Kleopatra schließlich doch zu Fall. Im großen Machtspiel um Rom und das östliche Mittelmeer stand sie am Ende auf der Verliererseite. Nach ihrem Tod erwies ihr der Sieger mehr Respekt, als sie es vielleicht selbst für möglich gehalten hatte. Octavian verstand gut, dass er vom Reichtum Ägyptens am meisten profitieren würde, wenn er das Land für sich einnahm, anstatt es nur zu unterdrücken. Auch der neue Herrscher achtete die religiösen Traditionen und ließ die Tempel weiter ausbauen. In manchen Kultstätten wurde Octavian sogar als Pharao verehrt. Zerstören ließ er die Bildnisse seines Widersachers Marcus Antonius, an ihn sollte nichts mehr erinnern. Die Darstellungen der Kleopatra ließ er unangetastet. SPIEGEL GESCHICHTE