Martin Zels:morendo oder Das Vergehen des Don Carlo Gesualdo 2 D 2 H, ab 14 Jahren, UA: frei

Transkript

1 Martin Zels:morendo oder Das Vergehen des Don Carlo Gesualdo 2 D 2 H, ab 14 Jahren, UA: frei Gesualdo fasziniert uns nicht nur durch seine gewagte und überirdisch schöne Musik, sondern als Verbrecher aus Leidenschaft. Nie wollte er etwas anderes machen als Musik. Und musste doch per Gesetz plötzlich sein, was er nicht wollte und nicht sein konnte: Fürst. Er heiratet, zeugt einen Thronfolger, versucht mehr schlecht als recht die Geschäfte zu führen. Und verzweifelt immer mehr daran, dass ihm für seine Musik keine Zeit bleibt. Als ihn seine Frau betrügt und ihn damit zum Gespött der Stadt macht, bricht seine mühsam zur Schau gestellte Fassade zusammen: Vom Wahnsinn getrieben tötet er sie und den vermeintlichen Liebhaber kaltblütig und verlangt von der Kammerdienerin auch den Sohn zu töten. Wir sind, wer wir sein wollen ist der zentrale Satz dieses Stückes, das einen Menschen zeigt, der es nicht schafft, zu sein, wer er sein will, und der daran so irre wird, dass er sich aus allen menschlichen Bezügen heraussetzt. In einer freien Phantasie über die historische Tragödie gelingt es Martin Zels die bis heute aktuelle Gratwanderung zwischen Sozialität und Individualismus, zwischen Willensfreiheit und Verantwortung präsent und atmosphärisch darzustellen. Gesualdos Lust an seiner eigenen Kreativität kann uns dabei trotz seines menschlichen Scheiterns einen Weg weisen auf der Suche nach denjenigen, die wir sein wollen. Martin Zels wurde 1967 geboren und lebt nach seinem Studium der Musik als freischaffender Künstler in Nürnberg. Neben seiner Arbeit als Komponist und Dirigent ist er vor allem Musikalischer Leiter und Schauspieler am Theater Pfütze. Alle Rechte beim Verlag für Kindertheater Weitendorf GmbH, Max-Brauer-Allee Hamburg Tel 0049 (0) kindertheater@vgo-kindertheater.de /

2 Gerade hat der Principe noch mit dem Dolch in Leichen gestochert, schon setzt er peinvolle süßdunkle Kontrapunkte, die schönsten, die es gibt. Bestimmt war er grün im Gesicht, und gelblich. Er bleibt ohne Beispiel. Wolfgang Rihm Gesualdo nun aber, mitten in dem Dazwischen, im Niemandsland, durchquert das Minenfeld der Leidenschaft, die zu fühlen andere sich schon lange nicht mehr erlauben, bewegt sich auf den Trennungslinien und in dem Spannungsfeld des Schmerzes und der Liebe, das die anderen schon lange nicht mehr zu betreten wagen. Anne Duden Unstimmigkeiten Zwei Frauen und zwei Männer richten die Bühne ein. Die beiden Frauen schminken sich. Offensichtlich sind DER ERSTE MANN und DIE ERSTE FRAU einander sehr zugetan. Auch DIE ZWEITE FRAU scheint Interesse am ERSTEN MANN zu haben. DER ZWEITE MANN interessiert sich nur für seine Angelegenheiten. Er hat eine spürbare Unruhe, stottert leicht und sieht deutlich weniger gepflegt aus, als die Anderen. DER ZWEITE MANN zu den Anderen: Ich will eigentlich nicht. DIE ANDEREN zum ZWEITEN MANN: Du bist der Richtige! DER ZWEITE MANN zum ERSTEN MANN: Wieso nicht mal Du? DIE ZWEITE FRAU zum ZWEITEN MANN: Er hat doch seinen Platz. DER ERSTE MANN: Ich mag es wie es ist. DIE FRAUEN zum ERSTEN MANN: Ja? Schön. DIE ZWEITE FRAU und DER ZWEITE MANN: Also schön. ALLE: An die Arbeit. 2

3 1. Szene Carlo auf dem Weg, weg von sich Neapel. Ende des 16. Jahrhunderts. Das Stadtschloss der Fürstenfamilie Gesualdo. In Carlo Gesualdos völlig verdrecktem Badezimmer. Carlo wird ausgezogen, gewaschen und eingeölt. Man will ihn auf seine Krönung vorbereiten. Er mag dabei nicht still halten. DER ZWEITE MANN/ DIE ANDEREN: DER ERSTE MANN: DIE ZWEITE FRAU: DER ERSTE MANN: DIE ANDEREN: DER ERSTE MANN/ DIE ZWEITE FRAU: DER ERSTE MANN: Ich bin Carlo. Carlo Gesualdo. Ich erröte leicht. Das macht nichts. Ich stottere manchmal. Da musste sein Bruder immer lachen! Luigi. Luigi Gesualdo. Mein großer Bruder. Bis gestern. Leih' mir deinen grünen Rock, Carlo! Der ist so warm! Wozu brauchst du meinen Rock, Luigi? Das ist meine Sache, du kriegst ihn ja wieder. Sag mir erst, was du vorhast! Gib ihn mir, sonst wird's dir leid tun! Ich mag Blumen. Als Mann! Die stehen so fest in der Erde, und mit den Händen über die Köpfe streichen. Sieh an! Ich küsse nicht gern. Das kommt noch. Ich mag mein Zimmer. Das ist doch im Winter eiskalt! Ich mag die Nacht. Der Tag ist doch heller! Ich mag Kinder nicht. 3

4 DIE FRAUEN: DIE ANDEREN: Das ist ohnehin Frauensache. Ich mag alte Geschichten. Dagegen kann man nichts haben. Ich brauche Musik. ALLE singen: Man braucht Liebe. Ja. Ein Spiegel. Man braucht Wärme. Hier. Ein alter, grober, grüner Rock. Man braucht seinen Platz. Nicht viel. Ein zerknittertes, kleines Heft. Man braucht Zeit. So lang. Eine Feder. Man braucht Licht. Ganz sacht! Eine Kerze. Man braucht Ruhe. Für sich. Ein Streichholz zündet die Kerze an. Man braucht Luft. Der Wind... Die Kerzen werden ausgeblasen. Dunkelheit. Man braucht Stille. Kein Laut! Stille. CARLO leise: Ich brauche Musik. Von früh bis spät- und wieder bis früh: Schlafen sollen die Müden, Musik! Immerfort und jeden Tag diese Welt neu erfinden! So möchte ich sein. DIE ANDEREN leiser: Dagegen kann man nichts haben. Ich kann nichts anderes. Eine Ohrfeige in der Dunkelheit. Au! 4

5 Licht. Gib mir endlich den Rock, Carlo! Mit Ohrfeigen hat er nur so um sich geschmissen, mein Bruder. Gibt dem ERSTEN MANN den grünen Rock. Der sollte heute Fürst werden,- DER ERSTE MANN wird im Folgenden zu Luigi: Wie vor ihm der Vater! Der war nun zu alt, um weiter Fürst zu sein. Luigi hat die Jagd geliebt,- DER ERSTE MANN: Wie der Vater auch! Luigi war ein Rauher,- DER ERSTE MANN: Und ein Schneller! Und ein Lauter,- DER ERSTE MANN: Und ein Mutiger! CARLO UND So wie unser Vater! Der wieder war selten da. Auch nicht gestern, als Luigi bei der Jagd so viel Spaß hatte wie nie zuvor! Hoch zu Pferd und los, dem Gaul die Sporen, übern Schnee, ganz frisch! Ha, dass einem das Herz lacht, so kalt und weiß, hier in Neapel: Schnee! Ich glaube, das war mein erster Schnee. Lärmend und schnell aus der Stadt durch die Tore, die ganze Truppe den Hasen nach und den Hirschen über die Felder, und quer durch die Wälder, die Sträucher nur so vorbei, ja, und drüber weg! Die Hunde mal hier, mal dort, die Wildspuren so frisch, so klar dem Fluss zu! Und dort hinauf auf's Eis, es hält- Und knackte doch, er vorne dran,- ich: war gern zu Hause geblieben! Den Schnee hören! Er macht alles so leise in den Gassen, da unten, wo die Armen leben - Da bricht es doch, das Eis, oder rutscht nur das Pferd aus? 5

6 Der Fluss ist nicht tief, aber es kommt,- Und es war. Mein Bruder wirkte seltsam alt, als man ihn die Schlosstreppe herauf trug. Der erste tote Mensch, den ich sah... DIE ZWEITE FRAU: Schnell ein Bote zum alten Fürsten nach Burg Gesualdo! Bereitet Carlo auf die Krönung vor! 6