TesT 30 RADtouren 1 17

Transkript

1 Test 30 RADtouren 1 17

2 Test: 10 tourentaugliche Gravelbikes ab Euro Kieslaster Schnell unterwegs, aber nicht dem Verkehr auf Straßen ausgesetzt das ist das Versprechen der neuen Gravelbikes: Räder mit Rennlenker und Allroundreifen. Mit Gepäckträgern und Schutzblechen zum Nachrüsten sind sie alltagstauglich. Und auch Radreisen gehören zum Metier. Was alles ein Gravelbike sein will oder kann, ist dabei ganz verschieden. Wir haben das Spektrum von Einstiegsklasse bis Oberklasse gecheckt. Test & Text: Jan Gathmann / Fotos: Lisa Partzsch GGravelbike heißt das Trendgefährt, das in den USA und zunehmend auch in Europa die Rennradwelt umtreibt. Gemeint ist ein Rennrad, das auf Straßen und auf befestigten Wegen komfortabel und sicher zu fahren ist. Meist bietet es dafür eine ziemlich aufrechte Sitzhaltung, Scheibenbremsen und das entscheidende Reifen, die breiter sind als gewöhnlich am Rennrad: zwischen 28 mm und 42 mm Breite sind meist drin. In der Regel sind sogar ab Werk Befestigungspunkte für Schutzbleche und Gepäckträger vorgesehen, damit der Gravelracer auch als Alltagsgefährt funktioniert. Alles schon dagewesen? Das kommt Ihnen bekannt vor? Ja, der Unterschied zum klassischen Reiserennrad, dem Randonneur, ist geringfügig. Er äußert sich mehr im Anspruch, auch derbere Feldund Waldwege unter die Räder nehmen zu können. Deshalb fehlen ab Werk meist die Schutzbleche, die sich im Gelände mit Dreck zusetzen können. Warum dann nicht zum Cylcocrosser greifen? Dieses ausgewiesene Rennrad für den Dreck kann schließlich in den günstigeren Preisklassen meist ebenfalls mit Schutzblechen und Gepäckträger aufgerüstet werden. In der Tat sind hier die Unterschiede noch geringer. Und mit dem Stevens und dem Bombtrack sind in diesem Test zwei Räder vertreten, die zur Gattung Cyclocrosser gehören. An ihnen zeigt sich aber auch der Unterschied zu den (meisten) ausgewiesenen Gravelbikes: An den Cyclocrossern stehen die Räder dichter beisammen, der Radstand ist geringer. Das macht sie wendiger und damit geeigneter für typische winklige Crossrennkurse oder einfach Freude am schnellen Kurvenfahren. Auch die Sitzposition fällt sportlich gebückter aus. Dagegen baut das Gravelbike eher auf einen langen Radstand. Mit ihm läuft es spurtreuer über Unebenheiten und mildert Bodenwellen. Oft steht auch der Lenker ab Werk höher, was dem bevorzugten Einsatz auf langen Strecken entgegenkommt. Das Erfreuliche am Gravelbiketrend ist, dass er Bewegung in die Gattung Tourenrad mit Rennlenker zu bringen scheint. Beispielhaft dafür stehen Räder wie das Velotraum, das sportliches Schalten am Schaltbremshebel mit der wartungsarmen Rohloff-Nabenschaltung verbindet. Oder das Poison Phenol, das den Rennlenker mit einem 18-Gang-Pinion-Getriebe und Riemenantrieb kombiniert und so feinere Gangsprünge als die vermeintlich sportlicheren Kettenschaltungen bietet und ebenfalls in Sachen Wartungsarmut glänzt. Und nicht zuletzt das allgemein gewachsene Angebot an qualitativ ausgereiften tourentauglichen Rennrädern im Einstiegsbereich, für die im Test das Bulls, das Stevens und das Bombtrack beispielhaft antreten. Was sollte ein Gravelbike für Touren können? Um das breite Spektrum zu erfassen, haben wir unsere Testanforderungen sehr offen gehalten (siehe Kasten, Seite 33). Anbauteile wie Schutzbleche und Gepäckträger waren nicht gefordert. Für das Vorhandensein von Gewinden zum einfachen Nachrüsten derselben gab es aber Punkte. Interessantes Detail: An fast allen Rädern sind die nötigen Gewinde so platziert, dass Standardträger und Radschützer leicht anzubringen sind. Lediglich bei Hartje und Poison müssen die Scheibenbremsen umgangen werden, ein Problem, das früher häufig war und erhöhten Montageaufwand bedeutet oder Spezialgepäckträger wie den Tubus Disco am Hartje verlangt. Nicht jedes Rad, das sich Gravelbike nennt, ist auch reisetauglich. Eine wichtige Grundbedingung ist eine ausreichende RADtouren

3 Test Gewichtszulassung. Bei 115 kg liegt im Test das Minimum genug für einen 90 kg- Radler mit 15 kg Gepäck und deutlich mehr als die meisten Rennräder erlauben. Die große Freiheit beim Beladen oder Fahrergewicht gibt es bei Marin, Bombtrack und Poison, die sämtlich über 150 kg Gesamtgewicht gestatten. Beim Open Cycle, das ab Werk keiner Beschränkung unterliegt, hängt die Gewichtszulassung vom individuellen Aufbau ab. Natürlich sollten die Komponenten dem Radwandern auf unbefestigten Pfaden gewachsen sein. Das ist weniger eine Frage des Rahmenmaterials. Im Fahrtest bewiesen Bombtrack und Poison, dass ein Stahlrahmen ähnlich fahrsicher sein kann wie ein Alurahmen wenn auch schwerer. Laufräder und Reifen entscheiden Eine zentrale Rolle für die Off-Road-Qualitäten und den Fahreindruck insgesamt spielen die Laufräder und Reifen. Vorteilhaft sind tendenziell breitere Felgen wie am Bulls, Tout Terrain und Marin. Auf ihnen können die Reifen mit weniger Druck gefahren werden. Neu ist, dass gleich drei Testbikes auf 27,5-Zoll-Rädern rollen: Velotraum, Hartje und Open Cycle. Alle drei setzen zugleich auf breite Reifen ab 50 mm. Sie rollen auf Asphalt nicht spürbar schwerer, bieten aber abseits befestigter Wege viel mehr Halt beim Bergauffahren wie in Kurven. Und sie erhöhen den Komfort merklich. Übrigens besitzen sie einen nur leicht geringeren Umfang als 28-Zöller mit 35 mm Breite. An Fahrrädern, wo im Rahmen und in der Gabel genug Platz ist, lassen sie sich deshalb auch als zweiter Laufradsatz nachrüsten ohne die Geometrie zu verändern ein Ansatz, den Open Cycle im Konzept verankert. Möglich macht diesen einfachen Laufradtausch (bei Kettenschaltungen) erst die Scheibenbremse. Dieses weitgehend witterungsunabhängige Bremssystem ist der Standard im Test. Dabei überzeugen besonders die hydraulischen Systeme von Shimano wie Sram mit bisher am Rennlenker ungekannt geringer Handkraft bei großer Bremskraft. Mechanische Modelle sind in diesem Punkt unterlegen, punkten aber mit Einfachheit der Wartung ein Vorteil bei Reisen in entlegene Gebiete. Für höhere Gewichte bei Touren rät die RADtouren-Redaktion zu Bremsscheiben mit mindestens 180 mm vorne. Gelungene Gangwahl? Sram Rival 1x11-Antrieb am Marin mit 42er-Ritzel: einfach zu bedienen mit einem Schalthebel, trotzdem voll bergtauglich,aber große Sprünge. Pinion 18-Gang am Poison: extrem wartungsarm, feinste Gangsprünge, aber separater Hebel. So haben wir getestet Alle Fahrräder wurden bei den Herstellern zum Test angefordert. Gefragt waren tourentaugliche Fahrräder mit Rennlenker ohne Preisobergrenze. Wegen der großen Preisunterschiede haben wir die Räder in zwei Klassen unterteilt: bis Euro und ab Euro. Eine Ausstattung mit Radschützern, Gepäckträgern oder Licht war nicht vorgegeben die Räder sind ohne Lichtnachrüstung nicht StVZO-kompatibel. Den Anforderungen der StVZO lässt sich aber mit Batterielicht gerecht werden. In manchen Fällen müssen zusätzlich Reflektoren angebracht werden, da die Reifen keine Reflexstreifen besitzen. Das Punkteschema für die Gravelbikes ist nicht mit anderen Reiserad- und Trekkingradtests von RADtouren vergleichbar. Da es sich um sportliche Räder handelt, haben wir das Gewicht in der Wertung stärker gewichtet. Um ausgestattete Räder nicht zu benachteiligen, wurde das Gewicht wenn nötig um den Anteil von Schutzblechen, Trägern, Licht und Radständer sowie Montageteilen bereinigt. Auch die Preis-Leistungs-Angabe bezieht sich auf Räder ohne diese Ausstattung. Pluspunkte gab es für das Vorhandensein von Gewinden für die Montage von Schutzblechen und Bewertung Fahrverhalten (max. 60) Radreisequalitäten (max. 31) Alltag (max. 25) Komfort (max. 35) Ausstattung (max. 12,5 12,5 9, ,5 21, ) Service (max. 12) Gesamtpunkte 96,5 88,5 80, ,5 118, =1,0 (70%) Testnote 2,1 2,3 2,5 1,5 2,2 2,1 2,1 1,4 1,7 1,5 einem Hinterradgepäckträger. Die Räder werden in den gezeigten Kategorien nach einem Punkteschema mit über 90 einzelnen Unterpunkten bewertet: von der Dicke der Reifen und der Qualität der Kontaktpunkte für den Komfort bis hin zur Art der Zugverlegung, dem Bremsentyp (Stichwort: Wartungsarmut) oder dem Kettenschutz in der Alltagswertung. Als Maßstab für die Bewertung der Gewichtszulassung legten wir ein Fahrergewicht von 90 kg zugrunde sowie ein Gepäck von 15 kg. So konnte ein Rad mit einer Gewichtszulassung von 120 kg in diesem Punkt schon eine gute Bewertung erhalten. Bei unseren Reiseradtests liegt diese Grenze bei 140 kg. Die Note 1,0 gab es für 70 Prozent der Maximal-Punktzahl. Die Bewertungen der Radreisequalität und des Fahrverhaltens beinhalten subjektive Einschätzungen der Tester. In der Kategorie Fahrverhalten ohne Gepäck machen Einschätzungen der Tester zum Bremsen, Beschleunigen und Geradeausfahren über die Hälfte der Punkte aus. MTB Cycletech Stevens Bombtrack Poison Bulls Tout Terrain Hartje Velotraum Marin Open 32 RADtouren 1 17

4 Die richtige Bremse? Der passende Lenker? Shimano 2x11-Gang (Stevens, Bulls): hoher Schaltkomfort, aber auch hoher Krafteinsatz am Berg wegen kleiner Zähnezahl am größten Ritzel. Die Brems-Schalthebel sind am Rennlenker die meistgenutzte Position. Bei den Tiagra-Griffen (Bulls, Tout Terrain) stört dort eine Kante. Ein breiter Lenker mit ausgestellten Enden wie hier am Velotraum gibt auf schlechten Wald- und Wiesenwegen eine feinere Kontrolle. Rohloff 14-Gang mit Gebla Rohbox am Velotraum: bergtauglich, gleichmäßige Gangsprünge, gute Schaltlogik und wartungsarm runde Sache! Wiegen Fahrer und Gepäck über 100 kg, sollten Bremsscheiben vorne größer dimensioniert sein. 180 bis 200 mm (Bild: Velotraum) sind gut. Wenn die Lenkerenden weit Richtung Hinterrad reichen, macht das die Unterlenker-Position bequemer, wie hier am Amar. 27,5-Zoll am Gravelbike. Reifen und Laufräder zum Tuning: radtouren-magazin.com Breite 27,5-Zoll-Reifen, hier am Hartje, erhöhen den Komfort, wirken aber genauso dynamisch wie die schmalen 28-Zoll-Reifen im Test. Mechanische Scheibenbremsen wie bei Stevens, Poison, Bombtrack sind einfacher zu warten, benötigen aber auch mehr Aufmerksamkeit. Marin biegt die Lenkerenden nach außen, sie sitzen aber tief. Das ergänzt die aufrechte Oberlenkerhaltung um eine Gelände-Aero-Position. RADtouren

5 Velotraum: Speedster SP3 Baukasten Fachhandel 4.290,00 Euro Radreisen Alltag Sport Tipp Test Gravelbikes RADtouren 1 17 Top-Produkt Das Velotraum Speedster SP3 wäre ein würdiger Beitrag für den Concours des Machines im 21. Jahrhundert, einen Wettbewerb für Allroad-Langstreckenrennräder von Rahmenbauern, käme es nicht aus einer (stark individualisierten) Serienfertigung. Es ist leicht, kommt mit den 27,5-Zoll Laufrädern schnell in Fahrt und steckt voller kluger Lösungen für die Langstrecke. Genial: die Kombi von Rohloff-Nabe mit Sram-Schaltbremshebeln und Rohbox-Adapter. So bleiben die Taster der Schalthebel nutzbar: links drücken, schwerer treten, rechts drücken gleich leichter treten. Und man erhält eine hochgebirgstaugliche Übersetzung, sportlich schnelle Gangwechsel sowie einen wartungsarmen Alltagsantrieb. Überlegen ist das Komfort-Konzept: Die straff abgestimme Cane Creek-Federstütze dämpft viele Stöße, stört aber nicht beim Schnellpedalieren, die dicken Reifen vereinen Traktion und weitere Dämpfung. Das harmoniert bestens mit Sitzgeometrie und Lenker: Er bietet oben eine beinahe aufrechte Sitzposition, ist aber unten noch so komfortabel, dass man auch 50 km am Stück fahren kann. Fahrund Bremsleistungen sind ohnehin souverän. Nur die Gewichtszulassung ist (für Velotraum) eher niedrig. Fazit: Der Speedster SP3 ist als All-Terrain-All-Day-Randonneur im Test erste Wahl und im Komfort. Geniales Komfort-Teil: Die Cane Creek ST-Federstütze bewirkt eine starke Stoßdämpfung. Genialer Schaltadapter: Die Rohbox von Gebla macht die Rohloff-Nabe mit Sram-Hebeln schaltbar. maximaler Komfort wartungsarme Schaltung mit Rennrad-Schaltbremshebel-Ergonomie Technische Daten: Rahmen/ Radstand Gabel/ Federung Rahmenhöhen* standfeste Scheibenbremse hohe Fahrsicherheit Preis 27,5" Alu/1.090 mm 1 1/8" Alu/starr, Lowrider-Ösen S, M, L (52 cm), XL, XXL Gewicht 12,27 kg (ausstattungsbereinigt) Entfaltung 1,59-8,36 m/pedalumdrehung Zul. Gewichte** 130/15/25 kg Schaltung Rohloff Speedhub 500/14 14-fach Nabenschaltung, 16 Z. Kurbelsatz Sram Firex, BSA Innenlager, 175 mm, 42 Z. Bremsen/ Bremshebel Naben vo./hi. Felgen/ Speichen Sram Force hydr. Scheibenbremse 200/160 mm SP Dynamo Hub PD-8/Rohloff Ryde, Alu, 584x21c/ 32/32 Speichen Reifen Schwalbe Thunder Burt Bewertung: Fahrleistungen Komfort Ausstattung/Verarbeitung Preis/Leistung Testnote: 1,4 Sitzposition komfortabel Fahrverhalten geradeaus sportlich wendig Vorbau/Lenker Sattel/ Sattelstütze Ritchey Comp, Alu/Ritchey WCS Rennlenker (500 mm) Selle Royal Shadow/Cane Creek Thudbuster Federsattelstütze Besonderheiten 3 Paar Flaschenhalterösen, Kettenschutzring Garantie 5 Jahre * Testgröße fett ** gesamt/träger vorne/träger hinten RADtouren