Ich habe mich von der Sommersession in Bern davongestohlen, um mit Ihnen das 20-jährige Jubiläum der Stiftung Landwirtschaft und Behinderte zu feiern.
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- Alexander Lang
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1 1 Meine Damen und Herren, Liebe Freunde aus der Welt der Landwirtschaft, Liebe Freunde aus dem Behindertenwesen. Ich habe mich von der Sommersession in Bern davongestohlen, um mit Ihnen das 20-jährige Jubiläum der Stiftung Landwirtschaft und Behinderte zu feiern. Als Mitglied des Zentralvorstands von insieme Schweiz, als Bäuerin und Nationalrätin möchte ich Ihnen sagen, dass ich sehr stolz bin, dass sich diese Stiftung seit 20 Jahren dem schönen Vorhaben widmet, geistig behinderte Menschen zu integrieren. Ja, die Integration von Menschen, die anders sind, ist ein Projekt das es allen Widerständen zum Trotz jeden Tag von neuem anzupacken gilt. Sie alle hier haben zweifellos beispielhafte Integrationsprojekte im Kopf. Ich möchte Ihnen ein Beispiel erzählen, das ich vor nicht allzu langer Zeit erlebt habe. Vor kurzem hat Radio Fribourg/Freiburg, in dessen Verwaltungsrat ich tätig bin, einen blinden journalistischen Volontär eingestellt. Zweifellos eignet sich das Radio für blinde Personen besser als das Fernsehen. Und trotzdem: Die Einstellung eines blinden Menschen bei einem Radiosender ist alles andere als gewöhnlich. Viel Überzeugungsarbeit von meiner Seite und Investitionen zur Anpassung des Arbeitsplatzes waren nötig.
2 2 Heute ist das Resultat dieses Integrationsprojektes sehr positiv. Der junge journalistische Volontär beweist tagtäglich seine Fähigkeiten. Sein Arbeitgeber ist sehr zufrieden und seine Kolleginnen und Kollegen müssen nicht sparsam mit ihrer Zeit umgehen, um ihn zu unterstützen. Wie in vielen Fällen ist die Integration auch bei diesem Fall in zwei Richtungen zu verstehen: - Einerseits integriert sich der junge Journalist in seiner Arbeitsumgebung. - Andererseits nehmen seine Kollegen auch seine Behinderung oder seine Andersartigkeit in ihrem Alltag auf. So profitieren alle von Integrationsprojekten. Im Falle Ihrer Stiftung profitieren die platzierten Personen sicherlich ebenso sehr wie die Bauernfamilien, die sie aufnehmen. II. Aber es war nicht immer so, wie Sie sicherlich wissen. Es mangelt auch nicht an Missbrauchsfällen von Personen, die auf unseren Höfen platziert wurden. Zu viele Menschen mit Behinderung wurden gezwungen, zu unmenschlichen Bedingungen zu arbeiten oder wurden Opfer von verbalen, psychischen oder sexuellen Misshandlungen. Die Schweiz erkannte schliesslich die Problematik und entschuldigte sich bei den Pflegekindern, die gegen ihren Willen untergebracht wurden.
3 3 Unter ihnen gibt es zweifellos auch behinderte Personen. Jetzt stellt sich die Frage nach deren Entschädigung. Nebst diesen Fragen unterstreichen diese schmerzhaften Erinnerungen die wichtige Rolle einer und anderer Platzierungsorganisationen, wenn es darum geht, diese Dramen zu verhindern. Ihrer Stiftung kommt die Trägerschaft von insieme Schweiz und dem Schweizer Bauernverband zugute. Sie kennen die beiden Bereiche ihrer Tätigkeit genauestens; und einem ebenso genauen Rahmen folgt Ihr Handeln. Dank Ihnen wissen die Familien von Menschen mit Behinderung, dass ihre Kinder den Bauernhof, das Umfeld und die Beschäftigung finden, die ihnen entspricht. Dank Ihnen fühlen sich die Bauernfamilien bei ihrer täglichen Integrationsarbeit unterstützt. Denn Integration lässt sich nicht verordnen. Sie muss gelebt werden. Sie wird nur langsam aufgebaut, ist Tag für Tag auf neuen Mut angewiesen, um die vielen kleinen Barrieren auf dem Weg der einzugliedernden Person und der mit der Integration betrauten Person zu überbrücken. III. In diesem Bereich ist die ein Vorzeigemodell.
4 4 Trotzdem arbeiten nicht alle Platzierungsorganisationen mit Ihrer Ethik, nicht mit der gleichen Erfahrung und nicht mit der gleichen Legitimität. Aus diesem Grund habe ich bei meinem Eintritt in den Nationalrat eine Bewilligungspflicht für Platzierungsorganisationen gefordert, die Sie bereits erfüllen. Der Bundesrat hat meine Motion angenommen. Schliesslich zog er es aber vor, sich auf eine Melde- und Aufsichtspflicht zu beschränken. Jeder Kanton soll eine Aufsichtsbehörde errichten, die Mängel und Missbräuche aufdecken und den zuständigen Stellen meldet. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass ein Zulassungssystem eine bessere Lösung wäre für die Dienstleister, für die Familien sowie auch für die Kinder selbst. Bei einer solchen Regelung müssten die Organisationen sehr strikte Bedingungen erfüllen, um überhaupt zugelassen zu werden. Dank den Überwachungsmassnahmen könnten Dinge frühzeitig erkannt werden, anstatt dass man ihnen hinterher rennen muss. Ausserdem wünsche ich, dass finanzielle Fragen transparenter geregelt werden und Dienstleister qualitativ strengere Kontrollprozesse einführen. Ebenso wichtig ist es, dass die Kantone ihr Handeln harmonisieren. Aber wie so oft in der Schweiz fehlt auch heute noch eine echte Dynamik in dieser Richtung.
5 5 IV. Nun möchte ich auf Ihre Stiftung und ihre Dienstleistungen zurückkommen. Sie bieten Menschen mit Behinderung eine familiäre Betreuung an, während sich andere Stiftungen oder Institutionen zum Beispiel als Heim oder Ateliers positionieren. Diese familiäre Betreuung ist meiner Meinung nach Ihre bemerkenswerteste Eigenschaft, zusammen mit der Tatsache, dass Sie behinderten Menschen einen engen Kontakt mit der Natur ermöglichen. Die Familie ist für mich einer der Grundwerte. Ich möchte Ihnen sagen, warum es wichtig ist, dass Ihre Dienste beibehalten werden und natürlich immer mehr Bauernfamilien, aber auch Familien mit Behinderten davon überzeugt sind. Ihr Ansatz ist ganzheitlich! Er unterstützt die Entfaltung in sämtlichen Lebensbereichen. Das ist für Menschen mit Behinderung eine unglaubliche Bereicherung, davon können sie profitieren.
6 6 V. Ihre Stiftung knüpft auch eine Verbindung zwischen zwei Bereichen, die mir sehr am Herzen liegen: dem Sozialen ich bin Präsidentin einer Stiftung für Menschen mit Behinderung in Freiburg und der Landwirtschaft ich leite einen Landwirtschaftsbetrieb in meine Gemeinde Ueberstorf. Die Beziehung zwischen diesen beiden Bereichen unserer Gesellschaft ist heute leider angespannt und ich glaube, dass wir verschiedene Wege ausprobieren müssen, um ihr die ganze Bedeutung geben zu können, die sie eigentlich verdient. Die beiden Gebiete können sich gegenseitig bereichern davon zeugen Ihre Gastfamilien auf den Bauernhöfen. Tatsächlich werten Sie das bäuerliche Leben für die Allgemeinheit auf, indem Sie geistig behinderte Menschen auf Ihren Betrieben aufnehmen. Und umgekehrt entspricht Ihr soziales Handeln einer Nachfrage, die Familien ohne landwirtschaftlichen Hintergrund zweifellos niemals erfüllen könnten, alleine schon auf der Ebene der Logistik. Ich würde aber sogar noch weiter gehen: Könnte man nicht die Bäuerinnen im Bereich der sozialen Arbeit oder in der Betreuung von Senioren und Seniorinnen ausbilden?
7 7 Das hätte den Vorteil, dass Bäuerinnen einen Nebenerwerb aufbauen könnten, der den Landwirtschaftsbetrieb der Familie mit zu erhalten hilft. So könnte die Gesellschaft die starken Kräfte finden, die uns heute in der sozialen Arbeit und in der Pflege fehlen. Ich habe diesen Vorschlag im letzten Jahr im eidgenössischen Parlament gemacht. Aber die Bundesverwaltung zeigte zu diesem Zeitpunkt nur geringes Interesse dafür. Wenn ich Sie heute anschaue, dann denke ich, dass es sich lohnt, diesen Kampf weiter zu verfolgen. VI. Nun sollen aber auch die Feierlichkeiten ihren Platz haben. Ich danke Ihnen herzlich, dass Sie mich heute Morgen eingeladen haben und ich freue mich, dass ich nun noch etwas Zeit mit Ihnen verbringen kann. Ich bin überzeugt, dass jede Bauernfamilie sehr interessante Dinge zu berichten weiss. Zum Beispiel frage ich mich, ob die Begleitpersonen nicht mindestens ebenso viel lernen wie die Personen mit Behinderung, die sie aufnehmen? Ich möchte mit einem Zitat von Alexandre Jollien schliessen. Er ist ein Westschweizer Schriftsteller und Philosoph mit einer geistigen Behinderung, der in der französischsprachigen Welt recht bekannt ist:
8 8 Ich präge mich dank anderen. Der eine hat einen Humor, der mir zweifellos gefällt, bei einem anderen schätze ich das grosse Vertrauen. Bei jemand anderem bezaubert mich die Ausgeglichenheit. Und alle entwerfen das Ideal, das ich anstrebe. Augustinus bestätigt: Indem er mich fördert, zu werden «was ich bin», zeigt mir der andere, wer ich wirklich bin. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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