SWR2 Musikstunde mit Stephan Hoffmann

Transkript

1 1 SWR2 Musikstunde mit Stephan Hoffmann In Schumanns Schatten (5) Ludwig Schuncke Sendung: Redaktion: 12. Februar 2009, Uhr Bettina Winkler M a n u s k r i p t Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Einen Mitschnitt dieser Sendung können Sie bestellen unter der Telefonnummer /

2 2 Musikstunde In Schumanns Schatten ( ) 5. Ludwig Schuncke Wenn ein Virtuose stirbt, schrieb Robert Schumann im Mai 1836 in der Neuen Zeitschrift für Musik, sagen die Leute gewöhnlich: Hätt er doch seine Finger zurückgelassen ; diese machten s bei Ludwig Schuncke nicht: ihm wuchs alles aus dem Geist zu und von da ins Leben; ihn eine Stunde studieren, ja die Tasten CDEFG hin und her üben zu hören, war mir ein Genuss und mehr als manches Künstlerconcert...Hat er nun auch als Componist nicht die Höhe erreicht wie als Virtuos..., so war ihm nach dieser einzigen zweiten Caprice eine fruchtbare und ruhmesvollen Zukunft zuzusichern...erinnert euch des Jünglings manchmal, bitt ich noch. Als Schumanns Rezension von Ludwig oder auch Louis Schunckes zweiter Caprice in der Neuen Zeitschrift für Musik erschien, war Schuncke bereits seit eineinhalb Jahren tot. Er starb zwei Wochen vor seinem 24. Geburtstag am 7. Dezember 1834 an Lungen- Tuberkulose, an Schwindsucht, wie man damals sagte. Musik 1: Ludwig Schuncke, Caprice c-moll op. 10. Jozef de Beenhouwer, Klavier. Prod. SWR Baden-Baden, Hg. Schuncke-Archiv. Tr. 2. Dauer: 9 12 Jozef de Beenhouwer spielte die zweite Caprice c-moll Opus 10 von Ludwig Schuncke. Dessen nicht einmal 24jähriges Leben war also noch kürzer als das von Norbert Burgmüller, der in der Musikstunde am vergangenen Montag unser Thema war und der mit 26 Jahren starb. Von allen fünf Schumann-Zeitgenossen, über die wir in dieser Woche sprachen, ist Schuncke mit Abstand der unbekannteste und das war er auch schon im 19. Jahrhundert, in dem Komponisten wie Ferdinand Hiller oder Sigismund Thalberg, die heute auch weitgehend vergessen sind, ein hohes Ansehen genossen. Gleichzeitig ist Schuncke aber auch derjenige Musiker, der am nächsten an Schumann dran war er teilte sich mit Schumann eine

3 3 Wohnung in der Burgstraße 21 in Leipzig und er war unmittelbar an der Gründung der Neuen Zeitschrift für Musik mitbeteiligt. Schuncke zeichnete 1834 zusammen mit Robert Schumann, mit dessen späterem Schwiegervater Friedrich Wieck und mit dem Pianisten Julius Knorr als erster Herausgeber der Zeitschrift verantwortlich; er war an der kompletten Planungsphase des bis heute existierenden Blattes genauso beteiligt wie als Autor an ihren ersten Nummern auch wenn Schumann drei Monate nach dem Erscheinen des ersten Heftes desillusioniert an seine Mutter schrieb: Vor der Hand muss ich durchaus der Zeitung meine ganze Tätigkeit widmen auf die Anderen ist nicht zu bauen. Wieck ist fortwährend auf Reisen, Knorr krank, Schuncke versteht nicht so recht mit der Feder umzugehen wer bleibt übrig? Auch ein Musikfreund und Konzertgänger wird also in der Regel den Namen Schuncke noch nie gehört haben. Das ging auch dem amerikanischen Musikwissenschaftler und Pianisten Ruskin King Cooper nicht anders, dem Verfasser der einzigen Dissertation, die sich ausschließlich mit Ludwig Schuncke, genauer: mit dessen Klavierwerk beschäftigt. Cooper hatte als Teenager für billiges Geld die Noten von Schumanns Toccata Opus 7 gekauft; die konnte er zwar noch nicht spielen, denn die Toccata ist ein wirklich schweres Stück, aber über den Noten stand der Name Ludwig Schuncke als Widmungsträger. Coopers Interesse war geweckt und bis heute kommt man am ehesten über diese Widmung mit Schuncke in Berührung. Schumann selber allerdings war mit der Widmung an seinen Mitbewohner zeitweilig gar nicht besonders glücklich: Wenn man jemandem etwas dediziert, schrieb er mit leicht verärgertem Unterton, so wünscht man, dass er s vorzugsweise spiele...da mir kein Ton entging, den er anschlug, so hatte ich meinen leisen Ärger, dass er sich nicht darüber machte... Nach langer Zeit besuchte uns ein Fremder, Schuncke zu hören. Wie aber staunte ich, als er jenem die Toccata in ganzer Vollendung vorspielte und mir bekannte, dass er mich einige Male belauscht und sie sich im Stillen ohne Clavier herausstudiert, im Kopfe geübt habe.

4 4 Musik 2: Robert Schumann, Toccata op. 7. SWR-Archiv-Nr /a. Tr. 30. Dauer: 6 49 Martin Stadtfeld spielte Robert Schumanns pianistisch haarige Toccata Opus 7, die Ludwig Schuncke gewidmet ist. Zur Welt kam Schuncke am 21. Dezember 1810, also im selben Jahr wie Robert Schumann. Schunckes Kindheit und Jugend unterscheidet sich kaum von der anderer musikalischer Hochbegabungen: Früher Klavierunterricht, erste Kompositionen, mit zehn ein öffentlicher Auftritt mit einem Mozartschen Klavierkonzert, weitere Konzerte und Konzertreisen all das findet sich einschließlich des Mozart-Konzertes mit zehn Jahren auch in anderen Pianisten-Biographien. Schuncke verbrachte auch genau wie seine Kollegen einige Jahre in Paris, der damaligen Welthauptstadt des Klaviers als Instrumentenvorführer beim Klavierfabrikanten Duport. Ich habe weiter gar nichts zu tun, als die Pianos zu spielen, wenn jemand kommt. Er hatte in seiner Pariser Zeit Kompositionsunterricht bei Anton Reicha und revanchierte sich dafür, indem er Reichas Tochter Klavierunterricht gab; er beschreibt ein recht komfortables Leben: Meine Tagesbeschäftigung ist folgende: 4 Stunden Klavier, komponieren, Partituren lesen, meine Stunden geben... Ich gebe der kleinen Reicha Stunde, und nehme alle Woche eine bei Herrn Reicha. Dass Schuncke als Pianist Karriere machte, wurde ihm nicht in die Wiege gelegt. Das ist ganz wörtlich zu verstehen; Schunckes Vater und nicht weniger als vier von dessen Brüdern waren Berufshornisten und angestellt in den jeweiligen regionalen Hoforchestern; sie müssen ganz ausgezeichnete Musiker gewesen sein. Eigentlich ist es erstaunlich, dass Ludwig Schuncke erstens nicht auch Hornist wurde und zweitens nur selten etwas für Horn komponierte eine der Ausnahmen ist das Duo Concertant für Horn und Klavier. Wann und warum es entstanden ist, wissen wir allerdings nicht.

5 5 Musik 3: Ludwig Schuncke, Duo Concertant für Horn und Klavier. (Carus-Verlag). Stefan Henke, Horn; Rainer Gepp, Klavier. Privataufnahme. Tr. 7, Dauer: Stefan Henke und Rainer Gepp spielten das Duo Concertant für Horn und Klavier von Ludwig Schuncke, der einzigen erhaltenen Komposition Schunckes für das in seiner Familie so zentrale Instrument Horn. In einem seiner letzten Beiträge für die Neue Zeitschrift für Musik zieht Schuncke im August 1834 richtig vom Leder es geht um ein längst und offenbar zu Recht vergessenes Rondo militaire von Henri Herz, für Schuncke ein unrühmliches Beispiel oberflächlicher Virtuosenmusik: Wie? Sollte sich die Kritik...mit solchen Werken schaler Gewinnsucht als wie mit Werken des Gemüts und der Kunst beschäftigen müssen?...man sagt, Henri Herz hätte seine Zeit verstanden; o ja: er hat ihre Seichtheit würdig besungen und die Masse hat ihr gehuldigt. Verstehe er sie auch jetzt...und vergebe er es ihr, dass sie ihm einen Lorbeer aufsetzte, den er gar nicht verdiente. Die Schärfe der Formulierung verschleiert ein bisschen, dass auch Schunckes eigene Werke lange Zeit gar nicht weit weg waren von glänzender Virtuosenmusik. Brillant ist sein Lieblingsausdruck in den Titeln seiner Werke, und er hatte ja auch Recht: Virtuose Variationen verkauften sich eben besser als gedankenschwere Sonaten, und Schuncke konnte es sich definitiv nicht leisten, den materiellen Aspekt außer Acht zu lassen; er war nicht gerade auf Rosen gebettet. Aus seinem Tagebuch: Mein Schüler Poley hatte den sehr guten Einfall, mir heute Stundengeld zu bringen, ohne dieses wäre ich ohne einen roten Heller bis zum nächsten Montag gewesen, wo ich ihm wieder Stunde gebe. Schunckes vierhändige Klavierstücke, von denen er immerhin einige schrieb, sind zwar keine Virtuosenliteratur, sie zielen eher im Gegenteil auf die nichtprofessionelle Hausmusik-Praxis ab, aber es geht auch hier wie in den Virtuosenstücken darum, einen möglichst großen

6 6 Abnehmerkreis zu interessieren, vierhändiges Musizieren hatte damals Hochkonjunktur. Musik 4: Ludwig Schuncke, Petit Rondeau C-Dur für Klavier zu vier Händen. Klavierduo Ljiljana Borota und Christian Knebel. Musik aus Stuttgart. Ars Produktion (LC 06900) 38465, Tr. 2. Dauer: 2 30 Das Klavierduo Ljiljana Borota und Christian Knebel war das mit Ludwig Schunckes Petit Rondeau C-Dur für Klavier zu vier Händen. Schuncke selber hatte zum Vierhändigspiel eine zumindest intensive, wenn nicht sogar erotisch gefärbte Beziehung. Er hat viel vierhändig gespielt vorzugsweise mit attraktiven Damen. Ich habe dir recht viel Schönes von einer sehr liebenswürdigen Klavierspielerin zu sagen... Frl. Schauroth, welche damals gewöhnlich spielte, jetzt aber ganz außerordentlich... in den 8 Tagen, wo sie hier war, spielten wir alle Tage zusammen, schreibt Schuncke in einem Brief. Delphine von Schauroth hatte auch schon Mendelssohn den Kopf verdreht und muss eine höchst attraktive Erscheinung gewesen sein. Und Henriette Voigt, Schunckes wichtigste Freundin in seinem letzten Lebensjahr, schrieb in ihr Tagebuch: Mit Schumann und Schuncke viele schöne quatre-mains von Schubert gespielt. Und 14 Tage zuvor heißt es: Abends Schumann, die Mutter und Schuncke hier ich mit letzterem das Ottetto von Mendelssohn gespielt. Musik 5: Felix Mendelssohn Bartholdy, Oktett op. 20. Fassung für Klavier zu vier Händen. SWR Archiv-Nr Tr. 3. Dauer: 4 10 bis hier (T 9 20, M ) Yaara Tal und Andreas Groethuysen spielten aus der von Felix Mendelssohn selber eingerichteten vierhändigen Fassung seines Streich-Oktetts den dritten Satz, das Scherzo.

7 7 Da Ludwig Schuncke Pianist war und ein ganz ausgezeichneter dazu, komponierte er verständlicherweise vor allem für Klavier. Ausnahme eins: seine Werke für das Familieninstrument Horn und Klavier, von denen allerdings die meisten verloren sind; Ausnahme zwei: Schunckes Lieder, von denen es etwa 15 gibt zwei davon auf Goethe-Texte, die auch Schubert vertont hat; es sind mit die bekanntesten Schubert-Lieder überhaupt: Gretchen am Spinnrad und Erlkönig. Auch in diesem Fall wissen wir nicht, wann Schuncke die Lieder komponierte und ob er die Schubert- Vertonungen der beiden Goethe-Gedichte kannte. Aber wenn nicht, wäre das schon ein sehr großer Zufall, denn die Ähnlichkeiten sind verblüffend sie reichen beim Erlkönig vom extrem unruhigen Gestus in beiden Klavierbegleitungen bis zu den Vertonungen der Schlusszeile in seinen Armen das Kind war tot, die in beiden Fällen in deutlich reduziertem Tempo und fast rezitativisch erfolgt nur dass Schuncke noch ein kleines tröstliches Nachspiel anfügt. Hier die beiden Vertonungen dieser Schlusszeile, zuerst Schubert: Musik 5: Schubert, Erlkönig. SWR-Archiv-Nr Tr. 9, Dauer: 0 25 und jetzt die entsprechende Stelle bei Schuncke: Musik 6: Schuncke, Erlkönig. Claus Temps, Bass-Bariton; Christian Knebel, Klavier. Musik aus Stuttgart. Ars Produktion (LC 06900) 38465, Tr. 3, Dauer: 0 42 Und hier Ludwig Schunckes Vertonung von Goethes Erlkönig noch einmal im Zusammenhang: Musik 7: Ludwig Schuncke, Erlkönig. Claus Temps, Bass-Bariton; Christian Knebel, Klavier.

8 8 Musik aus Stuttgart. Ars Produktion (LC 06900) 38465, Tr. 3. Dauer: 3 57 Claus Temps sang, begleitet von Christian Knebel, Ludwig Schunckes Vertonung von Goethes Erlkönig. Es gibt einen Brief Ludwig Schunckes an seine Mutter, bei dem wir im Gegensatz zu seiner Erlkönig-Vertonung ganz genau wissen, wann er geschrieben wurde: am Heiligen Abend 1833, also drei Tage nach Schunckes 23. Geburtstag, Schuncke war gerade erst in seinem neuen Wohnort Leipzig angekommen. Für meine große Sonate aus g-moll und 2 Capriccios erhielt ich gerade an meinem Geburtstag 80 Thaler Honorar, schreibt er, und es freute mich sehr, dass mein 24. Jahr mit einem so guten omen den Anfang nahm. Man kann diesen Satz nicht ohne eine gewisse Rührung lesen, wenn man weiß, was am Ende dieses Jahres stand: Schunckes Tod. Schon im August 1834 schrieb Robert Schumann an Henriette Voigt, mit der Schuncke eng befreundet war: Ludwig ist sehr, sehr krank. Der Arzt spricht nur noch von einem Winter das sind ja schreckliche Aussichten! Schenke mir der Himmel Kraft zum Verlieren! Und im November, als Henriette Voigt Schuncke bereits in ihr Hause genommen hatte, schreibt Schumann: Von Ludwig schreiben Sie mir, was Sie wissen...wie kann ich nur den Gedanken tragen, ihn hinzugeben. Stirbt er, so schreiben Sie mir s um Himmelswillen nicht. An diese Bitte hielt sich Henriette Voigt allerdings nicht. Am 7. Dezember 1834 schrieb sie an Schumann: Unser Ludwig ist verklärt vor ein und einer halben Stunde schwang sich sein edler Geist himmelan ruhig verschied er und ohne Schmerzen. Schuncke hatte wenigstens noch erlebt, dass seine Grande Sonate Opus 3, sein pianistisches Opus summum, im Druck erschien, und er widmete die Sonate a son ami Robert Schumann so wie dieser ihm seine Toccata gewidmet hatte. Dass Schumann sich bei einem so engen persönlichen Verhältnis enthusiastisch über diese Sonate äußerte, verwundert nicht: Ihr seid ein großer Meister eurer Kunst und die Sonate heiße ich euer bestes Werk, schrieb Schumann, an

9 9 Schuncke gewandt. Auch Mendelssohn, der von Henriette Voigt einige Klavier-Noten von Schuncke erhalten hatte, schreibt dankbar zurück: Durch die Sendung haben Sie mir eine sehr große Freude gemacht, indem Sie mir, freilich nun zu spät, eine neue musikalische Bekanntschaft verschaffen; am meisten sagt mir die Sonate zu, sie ist am ernstesten gehalten, auch scheint sie mir am unbefangensten; namentlich das erste Stück und das Andante. Hören Sie zum Abschluss dieser Musikstunden-Woche über Komponisten In Schumanns Schatten den Kopfsatz der g-moll-sonate Opus 3 von Ludwig Schuncke, der enger mit Schumann in Verbindung stand als jeder andere Komponist. Musik 8: Ludwig Schuncke, Klaviersonate g-moll op Satz. Gregor Weichert, Klavier. SWR-Archiv-Nr Tr. 1. Dauer: 7 32 Zeit: (Text 13 40, Musik )