Diesseits und jenseits der innerdeutschen Grenze

Transkript

1 Eröffnungsrede der Landesbeauftragten zur Tagung Diesseits und jenseits der innerdeutschen Grenze Der Mauerbau und seine Folgen für die Menschen zwischen Ostsee und Elbe am 12. August 2011 in Schlagsdorf Sehr geehrte Vizepräsidentin des Landtages Mecklenburg-Vorpommern Frau Renate Holznagel, sehr geehrter Chef der Staatskanzlei Herr Reinhard Meyer, sehr geehrter Regierungsbeauftragter der evangelischen Kirchen in MV Herr Wiechert, sehr geehrter Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Mecklenburg-Vorpommern Herr Schmidt, sehr geehrte Landtagsabgeordnete von MV, sehr geehrte Vertreter der Stadt Ratzeburg und der Bürgerschaft Lübeck, sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich zu unserer Tagung mit dem Titel Diesseits und jenseits der innerdeutschen Grenze der Mauerbau und seine Folgen für die Menschen zwischen Ostsee und Elbe. Lassen Sie mich zu Beginn all jenen danken, die diese Tagung vorbereitet haben, das sind meine Mitarbeiter, insbesondere danke ich Frau Munser, Frau Herbst und Frau Pingel-Schliemann. 1

2 Vor allem danke ich auch Ihnen Herr Mechlin, für die Möglichkeit, diese Tagung hier in Schlagsdorf durchführen zu können. Mit der Friedlichen Revolution von 1989 fielen auch Wachtürme, Zäune und Mauern. Über vieles wuchs, im wahrsten Sinne des Wortes, Gras. Manche Narben sind verheilt, viele brennen den Menschen noch immer auf der Seele. Wir haben deshalb den 50. Jahrestag des Mauerbaus zum Anlass genommen, um nicht nur an dieses historische Datum zu erinnern. Wir wollen fragen, wie diesseits und jenseits der innerdeutschen Grenzen der Alltag der Menschen aussah. Lassen Sie uns heute auf dieser Tagung genauer hinschauen. Die Berliner Mauer ist zu Recht das Symbol der deutschen Teilung und des kalten Krieges. Vor fünfzig Jahren wurde sie gebaut. Vor fünfzig Jahren wurde das letzte Schlupfloch in einem Eisernen Vorhang geschlossen, der ganz Europa geteilt hat. Die Geschichte der europäischen Teilung, der innerdeutschen Grenze und der Berliner Mauer beginnt nicht erst am 13. August Sie beginnt viel früher. Lassen Sie mich zwei Daten nennen. Das eine ist zweifellos der 30. Januar Mit dem Wahlsieg der Nationalsozialisten begann das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Aber auch ein anderes Datum prägte die europäische Teilungsgeschichte entscheidend. Ich meine den 24. August An diesem Tag unterzeichneten die Außenminister der beiden blutigsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts einen Nichtangriffspakt und teilten Polen unter sich auf. Am 1. September 1939 marschierte die deutsche Wehrmacht in Polen ein, die Rote Armee folgte wenige Tage später von der anderen Seite. Damit begann ein unvergleichbar grausames Kapitel in der Menschheitsgeschichte. 2

3 Sechs Jahre später war der Spuk vorbei. Den Ostdeutschen, den Balten, Polen, Tschechen, Slowaken, Ungarn, Rumänen und Bulgaren wurde eine kommunistische Diktatur aufgezwungen. Ein undurchdringlicher Eiserner Vorhang teilte Europa von der Barentssee im hohen Norden bis ans Schwarze Meer. Bis zum Bau der Mauer, blieb Berlin als einziges Tor in die Freiheit offen. Schon 1952 begann die frisch gegründete DDR mit der systematische Abschottung, Abriegelung und Befestigung ihrer Westgrenze. Es wurden Absperranlagen ausgebaut, übermannshohe Zäune aus Stacheldraht gezogen, Gräben ausgehoben, Alarmeinrichtungen installiert. In den 70-er Jahren kamen Selbstschussanlagen und Bodenminen dazu. Auch die wenigen Grenzübergangsstellen wurden systematisch aufgerüstet. Seit 1979 wurden sogar Röntgenanlagen und Gammakanonen eingesetzt. Mit Hilfe radioaktiver Strahlung sollten Flüchtlinge, die sich in Fahrzeugen versteckt hielten, aufgespürt werden. In den vierzig Jahren ihrer Existenz haben über drei Millionen Menschen die DDR verlassen. Die hermetische Abriegelung der Grenze diente, entgegen anders lautenden Meinungen, die sogar heute noch von führenden Politikern bestimmter Parteien vertreten werden, nur einem einzigen Zweck: Die Bürger der DDR sollten mit allen Mitteln an einer Flucht in den anderen Teil Deutschlands gehindert werden. Über eintausendsechshundert Menschen verloren bei dem Versuch, von einem Teil Deutschlands in den anderen zu gelangen, ihr Leben. Um mögliche Fluchtversuche schon im Vorfeld der Grenze aufzuklären, wurde entlang der innerdeutschen Grenze eine 5 km breite Sperrzone eingerichtet, die man nur mit einem besonderen Ausweis betreten durfte. Hier war das Netz der Spitzel besonders dicht. Wer als politisch unzuverlässig galt, wurde kurzerhand 3

4 ausgesiedelt Menschen mussten, meist innerhalb weniger Stunden, ihre Wohnungen und Häuser verlassen. Die Entscheidung über Gehen oder Bleiben trafen die Parteisekretäre. Um jemanden auf die Liste der Auszusiedelnden zu setzen reichte oft eine einfache Denunziation. Wer einen unliebsamen Nachbarn loswerden wollte, schwärzte ihn beim Parteisekretär an. Gründe fanden sich immer, und wenn es das Erzählen eines politischen Witzes war. Da viele Äcker, Höfe, ja ganze Dörfer beim Ausbau der Grenzanlagen störten, wurden sie einfach dem Erdboden gleich gemacht. Um ein freies Schuss- und Beobachtungsfeld zu haben, wurde sogar noch 1985 an der Berliner Mauer die Versöhnungskirche gesprengt. Stellvertretend für das vielfache Leid, das sich eben nicht nur unmittelbar an der Grenze, sondern auch im Sperrbezirk abspielte, möchte ich Ihnen ein Beispiel erzählen, das ich kürzlich in einem Buch von Dorian Rätzke gefunden habe. Das Buch heißt Zwischen Stacheldraht und Strandkorb DDR-Alltag an der Lübecker Bucht und ist im Boltenhagen-Verlag erschienen. Es geht um die tragische Geschichte des Fischers Heinrich Möller aus Groß Schwansee. Groß Schwansee liegt an der Lübecker Bucht, westlich von Boltenhagen. Auch dieses Gebiet war zu DDR-Zeiten Sperrbezirk. Der Strand zwischen Boltenhagen und Priwall war Grenzbereich und durfte von niemandem betreten werden. Baden und Fischen in der Lübecker Bucht waren verboten. Fischer Möller aus Groß Schwansee nahm sich mit 83 Jahren das Leben. Er war niemand, der Schlagzeilen gemacht hätte. Ein alter Mann, der an seiner Sehnsucht starb und damit war die Sache für die Behörden erledigt. Aber Fischer Möller hat sich nicht irgendwo das Leben genommen. Er hat sich am Grenzzaun erhängt, denn dieser Zaun war sein ganzes Unglück. Hinter dem Zaun stand früher seine Fischerkate, in der er Zeit seines Lebens gewohnt hatte. Das Haus stand mitten im Grenzgebiet und wurde geschleift. 4

5 Dem Mann wurde das Fischen auf der Ostsee verboten. Aber mit seinem Holzkahn auf der Ostsee zu fischen, das war seine Leidenschaft, sein Lebensinhalt und seine Lebensfreude gewesen. Gegen die SED-Diktatur war er wehrlos und wie bei Hemingway stirbt der Alte Mann, aber nicht auf seinem Kahn, sondern am Grenzzaun. Heinrich Möllers Grabstein ist längst verschwunden. Hinterbliebene gibt es nicht. Im Dorf erinnert sich fast niemand mehr an ihn. Er taucht in keiner Statistik, die sich mit den Toten an der innerdeutschen Grenze beschäftigt, auf. Ich sage, wir sollten auch das Schicksal von Fischer Möller nicht vergessen. Sehr geehrte Damen und Herren, viele Opfer physischer und psychischer Gewalt, zu viele seelische Verkrüppelungen hatte das System aus Angst und Schrecken in den Menschen hinterlassen. Landauf, landab werden in diesen Tagen Gedenkreden gehalten und Kränze niedergelegt. Bei all dem Leid der Opfer an der innerdeutschen Grenze sollten wir aber auch die Menschen nicht vergessen, die unter inhumanen und menschenunwürdigen Bedingungen weiterleben und ihre Wunden fast ihr ganzes Leben lang verbergen mussten. Der Alltag in der DDR war eben nicht von fehlenden Spreewaldgurken und FKK-Stränden gekennzeichnet. Der Alltag in der DDR war geprägt von Unterdrückung, Entmündigung, Entrechtung bis in die kleinste Verästelung des täglichen Lebens hinein. Deswegen werden wir uns heute mit den Folgen des Mauerbaus für die Menschen beschäftigen, die mit dieser unmenschlichen Grenze leben mussten. Ich danke Ihnen für Ihr Kommen und wünsche uns allen erhellende Beiträge und spannende Diskussionen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! 5