VIETNAM. Perfekte Tage im Land der Drachen und Pagoden

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1 VIETNAM Perfekte Tage im Land der Drachen und Pagoden

2 Der Vietnamkrieg DAVID GEGEN GOLIATH Der Krieg in Vietnam beendete zwar die Spaltung des Landes, doch es sollte viele Jahre dauern, bis Nord- und Südvietnamesen tatsächlich zusammenfanden. Für die USA war die Niederlage gegen die Dschungelkrieger in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht eine traumatische Erfahrung. Als die Franzosen nach der Niederlage im Indochinakrieg Vietnam sich selbst überließen, hinterließen sie ein zerrissenes Land. Im Norden des auf Beschluss der Genfer Indochina-Konferenz 1954»provisorisch«geteilten Landes regierten die Kommunisten unter der Führung von Ho Chi Minh in Hanoi, im prowestlichen Süden in Saigon der Antikommunist und Katholik Ngo Dinh Diem, der sich schließlich als Diktator entpuppte und mit unverhohlener Härte gegen Buddhisten und politisch Andersdenkende vorging, bis er mithilfe der CIA und dem Wissen US-Präsident John F. Kennedys 1963 gestürzt und erschossen wurde. Zwei Jahre später kam es zu den ersten Kampfhandlungen des Vietnam kriegs, des blutigsten Konfl ikts des Kalten Krieges. Eine offi zielle Kriegserklärung der USA an Nordvietnam gab es nicht:»rolling Thunder«(»rollender Donner«) lautete das Einsatzkommando, mit dem die ersten US-Soldaten im März 1965 an der vietnamesischen Küste bei Da Nang landeten ihre Zahl erhöhte sich in den nächsten vier Jahren von auf über »Dschungelkrieger«,»Charlie«und der Vietcong Mit schweren Waffen, Panzern und Bombardements sollten die kommunistischen Soldaten aus dem Süden vertrieben und der von der Sowjetunion U.S. Marines warten nahe der sogenannten Demilitarized Zone (P139) auf Befehle (Juni 1969) 18

3 und China unterstützte Norden besiegt werden. Doch die Nationale Front für die Befreiung Südvietnams, als Vietcong bekannt, kämpfte mit unglaublicher Disziplin und Guerillataktik auf einem ihm vertrauten Terrain, teils mit Unterstützung der ländlichen Bevölkerung. Wegen der Repressionen und der Vielzahl an Kriegsopfern unter der Zivilbevölkerung liefen auch viele Südvietnamesen zu den Kommunisten über. Schließlich wurden große Teile der Landbevölkerung in sogenannte Wehrdörfer und in die Städte umgesiedelt, um dem Vietcong seine Versorgungsquelle zu nehmen.»charlie«, wie die US-Truppen die südvietnamesischen Guerillasoldaten bald nannten, sorgte mit Tretminen, Tigerfallen, Überraschungsangriffen und Sabotageakten für große Verluste auf Seiten der Amerikaner. Die heute für Touristen geöffneten Tunnel von Cu Chi (P53) machten den Vietcong quasi unsichtbar, sodass es den kommunistischen Kämpfern gelang, sich in einem weit verzweigten Tunnelsystem unaufhaltsam sogar der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon zu nähern. Tagsüber schienen die US-Truppen die Oberhand zu haben, nachts jedoch schlug der Vietcong zurück und brachte der Weltmacht empfi ndliche Niederlagen bei. Ein militärischer Gesamtsieg der kommunistischen Partisanen war aufgrund der Übermacht aus amerikanischen, südvietnamesischen und alliierten Soldaten jedoch unmöglich: Mehr als Alliierte kämpften gegen die rund Mannen Ho Chi Minhs. Um die militärische Patt-Situation zu beenden, erwägten die US-Militärs sogar den Einsatz von Nuklearwaffen.»Feuer frei«mit Napalm und Dioxin US-Oberbefehlshaber General Westmoreland befahl schließlich den Einsatz der dioxinhaltigen Chemikalie»Agent Orange«. Großfl ächige Gebiete wurden zur»feuer-frei-zone«für die B-52-Bomber erklärt. Bevorzugtes Ziel der Entlaubungsaktionen mit Napalmbomben und Sprengstoff war der Ho-Chi-Minh-Pfad (P140), ein etwa km langes und weit ver- 19

4 zweigtes Straßen- und Wegenetz, das sich zum Teil auf südlaotischem und kambodschanischem Grenzterritorium befand. Auf diesen bergigen Trampelpfaden brachten nordvietnamesische Kämpfer pausenlos militärischen Nachschub in den Süden und kehrten anschließend für neue Einsätze wieder in den Norden zurück. Die Wende beim Tet-Fest Die Wende im Kriegsgeschehen trat zum vietnamesischen Neujahrsfest Tet am 31. Januar 1968 ein. Trotz des Waffenstillstands für diesen Feiertag griffen die Kämpfer Ho Chi Minhs und des Vietcong landesweit die Stellungen der amerikanischen und südvietnamesischen Verbände an zwar mit geringem militärischen Erfolg und hohen Verlusten für die eigenen Truppen (schätzungsweise Tote), aber auch mit verheerenden Folgen für die US-Regierung: Die Fernsehbilder zeigten einige Vietcong-Soldaten sogar auf dem Gelände der US-Botschaft in Saigon und straften die seit Jahren übertriebenen amerikanischen Erfolgsmeldungen über das nahe Kriegsende Lügen. Die Bilder lösten einen Schock in der amerikanischen Öffentlichkeit aus, im Lauf des Jahres schlug die Stimmung in den USA endgültig um: Immer mehr Kriegsveteranen und als Invaliden zurückgekehrte GIs schlossen sich der Antikriegsbewegung an. In Amerika und Westeuropa gingen Millionen Menschen auf die Straße, um die Beendigung des Vietnamkriegs zu fordern. US-Präsident Lyndon B. Johnson kündigte im gleichen Jahr offizielle Friedensverhandlungen an, die schließlich im Mai in Paris begannen. Der Waffenstillstand, einer der Voraussetzungen für die Aufnahme der Verhandlungen, dauerte nur kurz. Die Kriegshandlungen wurden schon bald fortgesetzt und schließlich sogar offiziell auf Laos und Kambodscha ausgeweitet, deren Bevölkerung schon seit Jahren durch das geheime Die Fotos des Mädchens mit Napalmverbrennungen von Nick Ut gingen um die ganze Welt und wurden Sinnbild für das Leiden der vietnamesischen Bevölkerung 20

5 DAS GRAUEN IN ZAHLEN n Opfer: Es sind nur Schätzungen möglich, die Zahlen schwanken zwischen 1,7 und 3,5 Mio. Toten, darunter auch Laoten und Kambodschaner und rund gefallene US-Soldaten. 10 Mio. Menschen trieb der Krieg zeitweise oder dauerhaft in die Flucht, Hunderttausende wurden verkrüppelt. n Bomben: 7,5 Mio. t aus der Luft, die gleiche Menge am Boden (mehr als dreimal so viel wie im Zweiten Weltkrieg) n Natur & Umwelt: 80 Mio. t der Entlaubungsmittel Agent Orange, Agent White und Agent Blue kamen zum Einsatz, 2,6 Mio. ha Wald und Ackerland wurden zerstört, verwüstet und verseucht, ebenso fast die Hälfte der Städte und Dörfer mitsamt Fabriken, Schulen, Krankenhäuser, Verkehrswegen. n Kriegskosten aufseiten der USA: rund 150 Mrd. US$ Bombardement des Ho-Chi-Minh-Pfades betroffen war. Unter Präsident Richard Nixon wurde die»vietnamisierung«des Konfliktes ab Juli 1969 vollzogen: der schrittweise Abzug der US-Armee. Erst am 27. Januar 1973 unterzeichneten die Kontrahenten das Pariser Abkommen über die Beendigung des Krieges und den Abzug der Amerikaner. Doch die Regierung in Nordvietnam trieb die Eroberung des Südens nach dem Abzug der US-Truppen offensiv voran, Anfang 1975 ging sie zum Generalangriff über. Am 30. April 1975 zogen die nordvietnamesischen Truppen schließlich in Saigon ein und eroberten den Präsidentenpalast, ohne auf nennenswerte Gegenwehr der durch Desertation geschwächten südvietnamesischen Armee zu stoßen. Die Republik Südvietnam kapitulierte bedingungslos, das Land war geeint. Was blieb, waren Wunden, die nur langsam verheilten. Mit zunehmender Kriegsdauer formierte sich in den USA eine Friedensbewegung (im Bild: Demonstration in Los Angeles, Juni 1967) 21

6 WIE PHÖNIX AUS DER ASCHE Mit Improvisationskunst und Pragmatismus haben die Vietnamesen nicht nur den Krieg gegen einen Goliath, sondern auch die Hungerjahre danach überstanden, haben Bombenschrott in Löffel und Werkzeuge, 40-Millimeter-Kartuschen in Blumenvasen und Bombenkrater in Fischteiche verwandelt. Ihr Fleiß hat den Vietnamesen den Ruf eingebracht, die»deutschen Asiens«zu sein. Tatsächlich muss sehr viel Fleiß vonnöten gewesen sein, um aus einem napalmverbrannten Land einen der führenden Reisexporteure (Platz 2) zu machen. Und nicht nur das: Nach zwei Jahrzehnten mit fast zweistelligen Wachstumsraten stieg Vietnam zum größten Produzenten von schwarzem Pfeffer und zweitgrößten Kaffee-Exporteur auf. Außerdem versorgt Vietnam den Weltmarkt mit Cashewnüssen, Tee, Meeresfrüchten, Kautschuk, Textilien und Schuhen. Dabei zählte die Weltbank das Land noch Mitte der 1990er-Jahre zu den elf ärmsten Ländern der Welt, weshalb kaum übertrieben sein dürfte, von einem asiatischen Wirtschaftswunder zu sprechen: Die Armutsquote wurde halbiert, zumindest in den Städten (das Stadt-Land-Gefälle klafft immer weiter auseinander, Monatsverdienste liegen zwischen 30 und 1000 US$!). Der jährliche Durchschnittsverdienst eines Vietnamesen ist von 200 US$ im Jahr 1993 auf derzeit rund 1300 US$ gestiegen. Turbokapitalismus und Touristenboom Die vietnamesische Gesellschaft befindet sich mitten in einem rasenden Gesellschaftswandel von einer Agrarnation zur Dienstleistungsgesellschaft; bis 2020 will Vietnam den Status eines Industrielands erreichen. Mit regelrechtem»turbokapitalismus«katapultieren sich die Vietnamesen vom Mittelalter in die Neuzeit und überholen dabei sogar mitunter die»erste Welt«. Kein Wunder, dass vor einigen Jahren eine Umfrage unter Jugendlichen nach dem beliebtesten Vorbild nicht etwa den jahrzehntelang hochverehrten Landesvater Ho Chi Minh auf Platz eins ergab, sondern: Bill Gates! 22