NEHMER QUALITÄTEN TEST KOMFORT-MESSUNG

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1 TEST KOMFORT-MESSUNG NEHMER QUALITÄTEN Wie viel Federweg hat ein Hardtail? Wo sind die Komfort-Reserven? Wir sind mit einem neuen Prüfstand den letzten Geheimnissen der Ungefederten auf den Grund gegangen. Steine, Bodenwellen, Wurzeln wer hinten keine Federung hat, ist froh um jedes Quäntchen Komfort. 22_ BIKE 12/07

2 FEDERUNG AM HARDTAIL Auch Hardtails haben Vollfederung: Reifen, Rahmen und Sattelstütze entscheiden über den Komfort. Flex in der Sattelstütze: Je nach Durchmesser und Rahmenkonstruktion federt die Stütze mehr oder weniger. Insgesamt macht die Rahmen/Sattelstützen-Kombination etwa ein Drittel des Gesamt-Komforts aus. Je dicker desto komfortabler das ist eine Binsenweisheit, wenn es um Reifen und Komfort geht. Doch wie stark wirkt sich Reifenbreite und vor allem der Luftdruck aus? Auf dem Prüfstand kommen wir auf etwa zwei Drittel des Gesamt-Komforts. TEXT und FOTOS MARKUS GREBER Kein anderes Thema hat die Mountainbike-Welt über die Jahre so beschäftigt, wie der Wunsch nach Fahrkomfort am Hardtail. Schon in den Anfangsjahren, als man an Federungen und Scheibenbremsen noch nicht einmal dachte, stellten sich Mountainbike-Pioniere wie Joe Breeze, Gary Fisher und Keith Bontrager die Frage, wie man einen Rahmen seitensteif, aber in Stoßrichtung komfortabel konstruieren kann. Da wurde experimentiert mit dicken und dünnen Rohren und extravaganten Rahmenformen. Die Alchemisten aus dem Bike-Mittelalter köchelten an neuen Stahl- und Alu-Legierungen. Titan, Scandium und Carbon wurden als Wundermaterialien gefeiert. Doch die Geschichten von den großartigen Unterschieden sofern es sie überhaupt gab grenzten an Esoterik und waren nie messbar. Dann kam das Fully. Die traditionellen Rahmen bauer verschwanden in der Versenkung oder wurden zu Fahrwerksspezialisten. Das Thema Komfort erledigte die Federung. Für den Rahmen gab es fortan nur noch drei Ziele: Steif, steif und steif musste er sein. Das Hardtail wurde zum Nebenschauplatz eine aussterbende Rasse für Innovationsverweigerer, Einsteiger oder allenfalls Rennfahrer. Doch Totgesagte leben länger. Das Hardtail erlebt eine Renaissance. Grund sind die großen Entwicklungssprünge in der Carbon- Technik der letzten Jahre. Die Rahmengewichte sacken in den Keller, und das bei extrem hohen Steifigkeits- und Haltbarkeits- werten. Und: Carbon-Rahmen lassen sich glaubt man den Ingenieuren trotz hoher Steifigkeitswerte sehr komfortabel bauen. WIE STARK FLEXEN HARDTAIL-RAHMEN? Komfort an Carbon-Hardtails Marketinggag oder real messbare Werte? Um das herauszufinden, haben wir einen neuen Prüfstand in unser Labortest-Prozedere aufgenommen. Dieser Komfort-Prüfstand kommt bereits beim Racebike-Test in diesem Heft zum Einsatz und wird künftig Bestandteil aller Highend- Hardtail-Tests (Test Carbon-Hardtails ab Seite 26). Hierbei wird der Rahmen am Ausfallende eingespannt. Über die Sattelstütze wird eine Kraft eingeleitet, die etwa einem 80-Kilo-Fahrer beim Durchfahren einer Bodenwelle entspricht. Über einen Wegaufnehmer messen wir, wie stark sich der Rahmen samt Sattelstütze verformt. In unserem Testfeld messen wir Werte zwischen 3,32 Millimetern (Scott Scale ) und 8,25 Millimetern (GT Zaskar ). So viel Federweg hat also die Kombination aus Rahmen und Sattelstütze. SO VIEL FEDERWEG HABEN HARDTAILS Fast einen Zentimeter beträgt der Rahmen- Flex bei dieser alltäglichen Belastung. Doch wie groß ist dieser Anteil, verglichen mit dem Federweg des Gesamtsystems aus Rahmen, Laufrädern und Reifen? Oder anders gefragt: Ist es überhaupt sinnvoll, so viel Augenmerk auf den Komfort des Rahmens zu legen, wenn dieser Wert verglichen mit dem Federweg der Reifen womöglich verschwindend gering ist? Um das zu prüfen, haben wir den vorher beschriebenen Prüfstand leicht verändert und messen nun das Gesamtsystem aus Sattel stütze, Rahmen, Laufrädern und Reifen. Elektronische Wegaufnehmer zeichnen dabei den Flex an Sattelstütze, Felge und Reifen auf. > Karl Platt, Rennfahrer Für ruppige Kurse haben wir bei den Hardtails mit verschiedenen Sattelstützen experimentiert. Ich bevorzuge eine möglichst dünne Stütze, die bringt definitiv den größten Komfort. Illustration: Tilmann Domzig BIKE 12/07 _23

3 TEST KOMFORT-MESSUNG Exemplarisch haben wir mehrere Rahmen mit jeweils drei unterschiedlich dicken Reifen und verschiedenen Luftdrücken gemessen. Außerdem wollten wir wissen: Wie wirken sich unterschiedliche Sattelstützen-Durchmesser auf den Komfort aus? Für diese Messung haben wir das Focus Raven einmal mit einer dicken 31,6er- und mit einer dünnen 27,2er- Stütze in den Prüfstand eingespannt. LÖWENANTEIL BEIM KOMFORT: DIE REIFEN Das GT Zaskar empfanden die Tester in der Praxis als äußerst komfortabel. Die Messungen auf dem Prüfstand bestätigen diesen Eindruck: Das Zaskar hat bei der oben beschriebenen definierten Kraft einen Gesamtfederweg von 26,1 Millimetern. Besonders interessant ist die Verteilung der Federwege auf die Komponenten: Der Reifen (Dimension: 2,25"/Luftdruck: 2 bar) macht 66 Prozent, die Kombination aus Rahmen und Stütze 31 Prozent und die Felge verschwindend geringe drei Prozent des gesamten Federwegs aus. DER LUFTDRUCK MACHT DEN UNTERSCHIED Wie wirken sich unterschiedliche Reifengrößen mit verschiedenen Luft drücken auf DER BIKE-KOMFORT-PRÜFSTAND: Die Federwege der Hardtails haben wir mit einer Last von 100 Kilo ermittelt, die über einen Hebel auf die Sattelstütze beaufschlagt wurde. Dies entspricht einem 80-Kilo-Fahrer bei einer Beschleunigung von 2 g (zweifache Erdanziehung). Diese Beschleunigung tritt zum Beispiel beim Durchfahren einer moderaten Rinne auf. Aus Realdatenerfassungen ist bekannt, dass bei sehr harten Schlägen bis zu 4 g auf den Sattel einwirken können. Dies würde dann einer Last von 200 Kilo bei einem 80-Kilo-Fahrer auf dem Sattel entsprechen und den Federweg annähernd verdoppeln. 1. DIE FEDERWEGSKETTE 3. FEDERWEGE REIFEN BEI 4 BAR 24_ BIKE 12/07 GESAMTFEDERWEG 26,1 mm REIFEN 66 % LAUFRAD 3 % RAHMEN/STÜTZE 31 % AM BEISPIEL GT ZASKAR (2,25"-REIFEN MIT 2 BAR) So setzt sich der Federweg dieses Bikes zusammen: Der Reifen und die Kombination aus Rahmen und Sattelstütze teilen sich den Löwenanteil am Komfort. Interessant auch für Tuner: Mit anderen Reifen und dem idealen Luftdruck kann man extrem viel erreichen. REIFENBREITE FEDERWEG BEI 4 BAR 1,8" 8,4 mm 2,1" 8,5 mm 2,25" 8,4 mm Zu hoher Luftdruck ist nicht nur schlecht für die Traktion, auch der Komfort leidet darunter. Diese Messung zeigt: Der breite Reifen bietet bei vier bar keinerlei Vorteile mehr gegenüber einem schmaleren mit gleichem Luftdruck der Reifen ist dann totgepumpt. 2. FEDERWEGE REIFEN REIFENBREITE min. zul. DRUCK max. zul. DRUCK 1,8" 11,0 mm (3,0 bar) 7,3 mm (5,0 bar) 2,1" 12,9 mm (2,5 bar) 8,5 mm (4,0 bar) 2,25" 17,2 mm (2,0 bar) 8,6 mm (4,0 bar) Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Reifenbreite- und Luftdruck haben einen immensen Einfluß auf den Komfort eines Hardtails. Etwa sieben Millimeter beträgt der Unterschied zwischen einem schmalen 1,8er- und einem breiten 2,25er-Pneu. Gemessen haben wir das mit baugleichen Schwalbe Nobby Nic -Reifen, die es in vier unterschiedlichen Breiten gibt. 4. SATTELSTÜTZEN-VERGLEICH Dicke Stütze (31,6 mm) Dünne Stütze (27,2 mm) FEDERWEG 15,8 mm 17,4 mm REIFEN 72 % 66 % LAUFRAD 4 % 4 % RAHMEN/STÜTZE 24 % 30 % AM BEISPIEL FOCUS RAVEN (2,1"-REIFEN MIT 3 BAR) Gleiches Bike, aber zwei unterschiedlich dicke Sattelstützen: Die dünnere Stütze flext wesentlich besser und sorgt so für Komfort.

4 den Komfort aus? Dazu haben wir baugleiche Reifen (Schwalbe Nobby Nic ) in drei unterschiedlichen Breiten (1,8", 2,1", 2,25") gemessen. Wie erwartet, hat der breiteste Reifen mit dem niedrigsten Druck den größten Federweg: 17,2 Millimeter. Er macht etwa einen Zentimeter mehr als das schmalste Pendant mit hohem Luftdruck. Ein interessantes Phänomen beobachten wir bei der Messung mit vier bar Luftdruck: Hier haben alle drei Reifengrößen etwa den gleichen Federweg. Das heißt: Einen breiten Reifen sollte man auch mit entsprechend wenig Druck fahren, sonst bringt er außer dem Mehrgewicht gar nichts. (Rennfahrer sprechen bei diesem Phänomen von einem totgepumpten Reifen). DIE SATTELSTÜTZE ALS FEDERUNG Welchen Einfluss hat der Sattelstützen- Durchmesser auf den Komfort? Diese Frage sollte der letzte Versuch unserer Testreihe klären. Dünn flext stärker als dick das ist klar. Nur wie groß sind die Unterschiede GRAUE THEORIE ODER SPÜRBARER EFFEKT? DÄMPFUNGSEIGENSCHAFTEN UND KOMFORT CARBON ALU Theoretisches Schwingungsverhalten nach einem Initialschlag Carbon-Rahmen sollen sich bei gleicher Steifigkeit komfortabler als Alu-Chassis fahren. Die Erklärung dafür liegt im Schwingungs- und Dämpfungsverhalten der Materialien. Alu schwingt nach einem Initialschlag einige Male nach. Die Theorie besagt, dass der Körper nicht nur den ersten Schlag, sondern auch dieses Nachschwingen als Stressbelastung wahrnimmt. Carbon schwingt deutlich weniger nach, der Körper nimmt nur den ersten Stoß wahr. Diese Theorie klingt plausibel, mit Messungen können wir sie jedoch bis jetzt nicht belegen. genau? Focus liefert das Raven mit einer dicken 31,6er-Stütze aus, liefert aber serienmäßig eine Reduzierhülse mit. Damit lässt sich wahlweise eine Stütze mit 27,2er-Durchmesser montieren. Auf unserem Prüfstand flext die dünnere Stütze 1,6 Millimeter mehr als das dickere Pendant. Das bedeutet einen Federwegsgewinn von 15 Prozent, bezogen auf die Kombination aus Rahmen und Sattelstütze. FAZIT Fast drei Zentimeter Federweg messen wir am GT Zaskar, dem komfortabelsten Hardtail unseres Testfelds. Und: Die Unterschiede bei verschiedenen Bikes sind deutlich messbar. Den Hauptanteil am Hardtail-Komfort hat dabei sicherlich der Reifen. Aber auch die Kombination aus Rahmen und Sattelstütze ist mit etwa einem Drittel am Gesamtfederweg beteiligt. Hersteller, die in dieser neuen Hardtail-Wertung punkten wollen, müssen die wichtigen Kriterien geschickt miteinander kombinieren: Der Flex im Rahmen, Material und Durchmesser der Sattelstütze, die Wahl der Reifen. Das wichtigste Kriterium liegt allerdings in der Hand des Bikers: Der Hardtail-Komfort steht und fällt mit dem Luftdruck im Reifen.

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