Zum Gedenken an. Adalbert Brauer. * 24. August 1908 in Villingen/Baden Oktober 1990 in Frankfurt am Main
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1 Zum Gedenken an Adalbert Brauer * 24. August 1908 in Villingen/Baden Oktober 1990 in Frankfurt am Main Dieses Gedenkblatt wurde verfasst von Dr. Elisabeth-Maria Hettwer Wintersemester 2016/17
2 Vorbemerkung Im Vordergrund der Abhandlung stehen die Ereignisse während der nationalsozialistischen Zeit, entsprechend dem Konzept der Westfälischen Wilhelms Universität Münster, an alle Personen dieser Institution zu erinnern, die in dieser Zeit Repressionen ausgesetzt waren. Herkunftsfamilien Adalbert Brauer wurde am 24.August 1908 als ältester Sohn der Eheleute Dr. Arnold Brauer und seiner Ehefrau Ellen in Villingen/Baden geboren. 2 Die Eheschließung erfolgte am 11. November 1905 in Tiverton/Devonshire. Am 3. Dezember 1910 wurde auf der Reise nach Tokio, wo Arnold Brauer als 1911 Handelsattaché tätig war, die Schwester Leonore Selma Laura Mabel in Rapallo geboren. Sie heiratete 1934 Theodor Heinrich Radmann und arbeitete nach seinem frühen Tod 1956 als Bankangestellte in Frankfurt am Main. Adalbert Brauers Mutter, eine geborene Allan, war Schottin, die aufgrund der beruflichen Aktivitäten ihres Vaters James Manuel Allan er war seit 1978 Ostindienkaufmann in Moulmain/Burma dort geboren wurde. Ihre Mutter, die Burmesin May Kay, blieb 1890 in Rangun zurück, da ihr Gatte nach 20jährigem Aufenthalt Burma mit der Lehrerin Nina Lambertini verließ, die er 1890 in Melbourne heiratete. Die Ehe mit May Kay, nach burmesischer Heiratszeremonie geschlossen, war in England rechtsunwirksam. Weitere Stationen des Großvaters und seiner Familie waren Australien und Kyoto; 1892 siedelten alle nach London über. Die zweite Frau seines Großvaters charakterisierte Adalbert Brauer als rücksichtslos, sie habe sich zudem»selbst in Wohlstand und ihre Vorgängerin in arme Verhältnisse gebracht«. Adalberts Vater Arnold war ein erfolgreicher Geschäftsmann, der in München, Leipzig, Paris und Berlin Jura und»academic sciences pol. & soc.«studiert hatte. Er war Mitbegründer der Union internationaler Messen, so war er u.a. für die Leipziger Messe in London tätig, Berater der Handelskammer in Santiago de Chile sowie Generaldelegierter der Pariser Messe in der Bundesrepublik Deutschland. Sein Vater, also Adalberts Großvater väterlicherseits, Albert Franz, wurde 1828 in Wien geboren, wo er als Baumwollgroßhändler arbeitete. Er zog nach Hannover und wurde preußischer Staatsbürger, um seinem Sohn den österreichischen Militärdienst zu ersparen. Er heiratete 1866 Wilhelmina Weißhaar. 3 1 Bildnachweis, Institut für Personengeschichte, Bensheim; Teil-Nachlass Adalbert Brauer 2 Lebensdaten der Eltern: Dr. Arnold Brauer ( ), Ellen Brauer, geb. Allen ( ), Mittei-lung Dr. v. Lehsten, Institut für Personengeschichte, Bensheim, in dem ein Teilnachlass von A. Brauer liegt. Alle weiteren Angaben zur Familiengeschichte beziehen sich auf diese Quelle. 3 Mitteilung Dr. v. Lehsten, Institut für Personengeschichte. 2
3 Das berufliche Leben von Adalberts Eltern bedingte häufige Wohnortswechsel. So verlebte Adalbert nach dem frühen Tod seiner Mutter die Kindheit an verschiedenen Orten im Inund Ausland, bis der Vater nach Berlin-Schmargendorf zog, wo er am 22. Juni 1918 Luise Maria Hansen 4 heiratete. Aus dieser Ehe stammt Adalberts Halbbruder Claus Hans Heinrich, der am 9. Juni 1919 in Flensburg geboren wurde. Er wurde Exportkaufmann und war verheiratet mit Jenny Jacobson. Adalbert Brauer war bereits im Jugendalter interessiert an genealogischen Fragen. So recherchierte er über seine Familie und war stolz auf seinen Stammbaum. Väterlicherseits war seine Familie 1810 von Oldenburg nach Wien übergesiedelt. Unter seinen Vorfahren dieses Zweiges befanden sich acht Bürgermeister, 15 reformierte Pfarrer sowie Schuldirektoren und Forstmeister. Fast alle Linien ließen sich ungefähr drei Jahrhunderte zurückverfolgen. Mütterlicherseits entstammte er einer schottischen Seefahrer- und Kaufmannsfamilie. 5 Die relativ ausführliche Schilderung der Herkunfts- und Familiengeschichte soll das weltoffene, kosmopolitische Milieu und Klima seiner Kindheit und Jugend verdeutlichen, allerdings auch auf Brüche und ausgeprägte Belastungen dieser Zeit verweisen, dies im starken Kontrast zur späteren Abgeschlossenheit, geistigen und räumlichen Enge der Jahre und Erlebnisse im sogenannten Dritten Reich. Frühe Jahre Kindheit und Jugend waren aufgrund der beruflichen Aktivitäten des Vaters durch häufige Wohnortswechsel gekennzeichnet. Seine Gattin Ellen, eine Britin mit burmesischen Wurzeln, erkrankte nach sechsjähriger Ehe Ende 1911 in Japan schwer, so dass die Familie nach Deutschland zurückkehrte, wo die Mutter am 28. Juni 1912 in Badenweiler an Tuberkulose verstarb. Die Kinder wurden teils von Angestellten, teils von Familienangehörigen wie der Großmutter betreut. Adalbert erhielt von 1914 bis 1917 Privatunterricht, bis er regulär eingeschult wurde. In seinem Lebenslauf berichtete er, dass er von 1917 bis 1919 das Realgymnasium 6 in Berlin-Schmargendorf besucht habe, anschließend das Carolinum in Neustrelitz, von 1920 bis 1922 das Realgymnasium in Leipzig mit Wechsel 1922 zum Nikolaigymnasium, einem Reformgymnasium, an dem er am 12. März 1927 das Abitur 4 Luise Maria Hansen ( ). 5 Brief von Brauer vom an den Rektor der WWU Münster, Universitätsarchiv Münster (UAM), Bestand 4, Nr Realgymnasien: im Kaiserreich neu eingerichtete Oberschulen, die sich von den humanistischen Gymnasien durch den Wegfall von Griechisch unterschieden. 3
4 mit der Note»gut«bestand. Er studierte Geschichte, Geographie und Anglistik bzw. englische Philologie in Leipzig und Münster. Am 17. Januar 1931 wurde er an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Dr. phil. promoviert mit einer Dissertation über den»oranje-freistaat «. 7 Gerne wäre er nach Südafrika ausgewandert, ein Angebot aus England durchkreuzte den Plan. 8 Kurz darauf begann sein Leidensweg, jahrelange einschneidende, demütigende Erlebnisse aufgrund seiner politischen Einstellung. Verurteilungen Adalbert Brauer bezeichnete sich als»stark antimilitaristisch«, er habe gegen den in Preußen verkörperten nationalsozialistischen Geist offen agiert. Er glaubte, dass die Linksparteien den besten Schutz gegen eine derartige Geisteshaltung böten, so habe er sich»zugunsten der Linken im Frühjahr 1931 zu einer Handlung hinreißen lassen«, die er später offen bedauerte. 9 Brauer lässt aus, um welche Handlung es sich handelte, auch erwähnt er nicht, ob er einer linken Partei angehörte oder nur mit ihr sympathisierte. Aus Unterlagen der Universität Münster und einer Verurteilung vom Amtsgericht Leipzig vom 22. Mai 1931 geht hervor, dass es sich um einen Diebstahl handelte mit einer Strafe von Reichsmark beziehungsweise drei Monaten Haft. Eine zweite Verurteilung erfolgte am 9. Juni 1931 in Leipzig wegen wissentlich falscher Anschuldigung zu 300 Reichsmark Geldstrafe oder einmonatiger Haft. Brauer erwähnte, dass der Richter Dr. Lang bezüglich der Urteile geschwankt habe,»ob er mich überhaupt verurteilen solle besonders mit meiner zutage getretenen antinationalen Gesinnung«. 10 Im Juli 1931 wurde Brauer Mitarbeiter in der Firma»Systematic Advertising Specialists«in London, in der er auch journalistisch tätig war. Der Inhaber und Chef, Adolf Markham, war lange Zeit Repräsentant der Leipziger Messe in England gewesen. Brauer berichtet, dass er nebenbei Vorlesungen an den Universitäten Oxford, Cambridge und London besucht habe. Darüber hinaus führten wiederholte Reisen nach Brüssel und Paris zur Verbesserung seiner französischen Sprachkenntnisse. Die unerwartete Verhaftung in Frankfurt am Main am 29. August 1933 wegen Devisenvergehens bedingte das Ende seiner Tätigkeit in England. 11 Die verschiedenen Transaktionen und Tätigkeiten Brauers sind undurchsichtig und schwer verständlich. In den Gerichtsakten des Landgerichts Frankfurt finden sich dagegen 7 Brauer an den Rektor der Universität Münster vom , S. 3, UAM, Bestand 4, Nr und Bestand 65, Nr Gleißner, Peter: Adalbert Brauer Historiker, Genealoge, Archivar, in: Neues Lausitzisches Magazin Neue Folge 2 (1999), S , hier S Brauer an den Rektor vom , S. 1, UAM, Bestand 4, Nr Ebd., Brief, S Ebd., Brief S. 3. 4
5 Aussagen, dass Brauer in dem bakteriologischen Institut von Professor Newell gearbeitet hatte, für den er Gesellschaften auf dem Festland gründen sollte. Dieses Projekt sollte durch zwei Herren finanziell unterstützt werden, von denen er einen, einen gewissen Dr. Hermann Forger, 12 als Altparteigenossen bezeichnete. 13 Ebenfalls trat er im Dezember 1932 mit der Firma Kayser & Co. in Leipzig in Kontakt, die ausländisches Geld suchte. Eine deutsch-ausländische Firmengesellschaft sollte die Finanzierung übernehmen. Die Anklagepunkte betrafen den Transfer von Zahlungsmitteln durch Gründung von Aktiengesellschaften, eine ohne Genehmigung aus London empfangene Summe sowie die eigenmächtige Verfügung über ,- RM eines Herrn namens Sigmund Weil. 14 Zusammen mit dem Kaufmann Arno Wasserziehr wurde er wegen Devisenvergehens und Beihilfe angeklagt. In der Sitzung vom 18. Januar 1934 der großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt, an der der Landgerichtsdirektor, zwei Landgerichtsräte, zwei Schöffen und ein Staatsanwaltschaftsrat teilnahmen, wurde folgendes Urteil erlassen: Der Angeklagte Wasserziehr wurde freigesprochen, Brauer»wegen Vergehens gegen 13 Abs. 3 der Devisenverordnung vom 23. Mai 1932 in Tateinheit mit Beihilfe zum Versuch eines Vergehens nach 12 der Devisenverordnung zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und zu einer Geldstrafe von RM (Zweitausend Reichsmark) verurteilt, an deren Stelle für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit eine Gefängnisstrafe von einem Monat tritt. Die beschlagnahmten RM werden einbezogen [ ] Im übrigen trägt der Angeklagte Brauer die Kosten.«15 Bei der Strafbemessung wurde seine deutsche Staatsbürgerschaft berücksichtigt, zudem angemerkt, dass ihm aufgrund seiner Intelligenz die staatsgefährdende Handlung hätte bewusst sein müssen. Er sei den Bestrebungen der Reichsregierung zur Aufrechterhaltung der Währung in den Rücken gefallen. 16 Zur Sprache kamen Kindheits- und Jugenderfahrungen von Adalbert Brauer. Nach dem frühen Tod der Mutter sei er»viel herumgeworfen worden«, teils bei der Stiefmutter, teils bei der Großmutter untergebracht gewesen. Es wechselten Aufenthalte in Villingen, Berlin, Hannover und Leipzig. Er habe schon früh eine»perverse«neigung zur Zerstörung entwickelt, zudem habe er Bücher aus der Bibliothek des Vaters 12 Es finden sich keine Angaben zur Person Forger. 13 Brief Brauers an den Rektor vom , UAM, Bestand 4, Nr Die Identität Sigmund Weil bleibt ungeklärt; es handelt sich wahrscheinlich um einen Juden. 15 Abschrift der Anklageschrift Frankfurt a/m., UAM, Bestand 4, Nr. 1089, p und p Anklageschrift, ebd., p. 417, p
6 entwendet, die er beschädigt oder verkauft habe. Vom Jahre 1931 wird von einer»dunklen«geschichte berichtet. 17 Ein psychiatrisches Gutachten wurde erhoben, unklar bleibt allerdings eine Begründung für diesen Schritt. Möglicherweise hat dies mit den erwähnten Auffälligkeiten zu tun. Festgestellt wurde seine Verantwortlichkeit. Psychiatrische Klassifikationen flossen in die Bewertung ein.»er ist ein willensschwacher, ein Eigenleben führender, in das Gebiet der Schizophrenie zu verweisender Neuropath. 51 StGB findet auf ihn keine Anwendung.«18 Brauer wies in Briefen darauf hin, dass die Verurteilung wegen Devisenvergehens nicht gerechtfertigt gewesen sei. Er habe seit Mitte 1931 in London gelebt und habe von den erlassenen Devisenbestimmungen nichts gewusst. Sigmund Weil habe ihn um Hilfe gebeten, wie er sein Geld unauffällig investieren könne, da er befürchtete, dass die Nationalsozialisten nach seinem Besitz trachteten. Er sollte als Staatsfeind ins Konzentrationslager kommen. Einen Anwalt habe er nicht erhalten. 19 Selbst wenn sich viele Details und Zusammenhänge des Gerichtsverfahrens im Nachhinein nicht mehr vollständig rekonstruieren lassen, manifestiert sich angesichts des verweigerten Anwalts, der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens und des Inhalts der Anklagepunkte der Eindruck eines politisch motivierten, nicht nach rechtsstaatlichen Kriterien zustande gekommenen Urteils gegen Brauer. Entziehung des Doktortitels Die Universität wurde vom Oberstaatsanwalt Frankfurt am Main im Oktober 1934 über das Urteil in Kenntnis gesetzt mit der Bitte um Klärung. 20 An der diesbezüglich anberaumten Sitzung vom 5. Oktober 1934 nahmen die Professoren Anton Eitel als Vorsitzender sowie die Dekane der Theologischen Fakultäten, der Rechts- und Staatswissenschaften, der Medizinischen und der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät teil. Vorab musste geklärt werden, ob die Verurteilung der Promotion vorausgegangen war, denn dann hätte 17 In der Abschrift wurde erwähnt, Brauer habe die Tochter eines Hofrats zu einer Autofahrt verleiten wollen, um sie dabei zu erschießen. Die anschließende gerichtsärztliche Untersuchung führte am zu einer Kastration. Zu diesem Sachverhalt fanden sich keine weiteren Hinweise, auch wurde dieser Punkt in keinem anderen Schriftstück mehr erwähnt, UAM, Bestand 4, Nr. 1089, p.; 411, p Inwieweit dieses Verhalten mit der Verurteilung zu tun hatte, konnte nicht geklärt werden. 18 Anklageschrift Frankfurt a/m., UAM, Bestand 4, Nr. 1089, p. 417, p Brief Brauers an den Rektor vom , UAM, Bestand 4, Nr Brief Brauers an den Rektor der WWU Münster vom , UAM, Bestand 4, Nr. 1089, p Brief vom an den Rektor, UAM 4, 1089, p
7 Brauer nicht zur Promotion zugelassen werden dürfen. Da die erste Verurteilung im Mai 1931, d.h. nach der Promotion, erfolgte, entfiel dieses Argument. Das Urteil war der Universität Münster auf Anfrage im Januar 1935 von der Oberstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main zugesandt worden. 21 Aufgrund der Vergehen wurde am 29. Mai 1935 die Aberkennung der Promotion beschlossen, da ein derartiges Verhalten dem Tragen eines Doktortitels unwürdig sei. Die Promotionsordnung der Universität enthielt die Klausel»die Doktorwürde vor jedem Makel zu bewahren und jederzeit unbeirrt von äußeren Rücksichten der Wahrheit zu dienen«. 22 Diese Verpflichtung hatte Brauer am 24. Januar 1931 unterschrieben. 23»Lassen schon die beiden erstgenannten Urteile die Entziehung der Doktorwürde erwägenswert erscheinen, so offenbaren jedenfalls die Devisenschiebungen, die sich Brauer teils im Interesse von Emigranten, teils im Zusammenwirken mit einer ausgesprochen internationalen fragwürdigen Gesellschaft hat zuschulden kommen lassen, sowie das sonstige, in den Urteilen festgestellte Verhalten des Brauers einen derartig unwürdigen und für die Volksgemeinschaft schädlichen Charakter, dass ihm die Doktorwürde nicht belassen werden konnte.«24 Aufgrund der klaren Sachlage erschien es zudem nicht erforderlich, Brauer selbst vor der Beschlussfassung anzuhören. Wohl hätte er nach Erlasslage innerhalb eines Monats nach Eingang der Mitteilung Beschwerde beim Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung einlegen können. 25 Brauer befand sich zu dieser Zeit jedoch in Haft; ein Anwalt riet vom Widerspruch ab. Brauer wies in seinem Antwortschreiben an den Rektor der Universität darauf hin, dass ihn die Aberkennung des Doktortitels empfindlich träfe, vor allem da er beabsichtige, wieder in England tätig zu werden, der moralische Schaden durch den Entzug ihn härter träfe und größer wäre als die Verurteilung. Zudem erwähnte er einen erpresserischen Druck bezüglich der Abhebung des Geldes und verwies auf den Hauptschuldigen der Strafsache, Hermann Forger Mitteilung vom , ebd., p UAM, Bestand 65, Nr Ebd. 24 UAM, Bestand 4, Nr. 1089, p. 448f., ebd., Bestand 65, Nr UAM, Bestand 4, Nr. 1089, p. 451; ebd., Bestand 65, Nr Brief Brauer an den Rektor vom , UAM, Bestand 4, Nr. 1089, p
8 Haft und weiteres Leben im Dritten Reich Nach Verbüßung der einjährigen Haftstrafe in Frankfurt wurde Brauer Weihnachten 1934 entlassen, um allerdings bereits am 1. Februar 1935 erneut inhaftiert zu werden; sein Pass wurde eingezogen. Grund der Verhaftung waren Vorwürfe, er habe Schritte gegen Forger unternommen. 27 Brauer berichtet von seiner Unterbringung in der Haftanstalt Frankfurt- Preungesheim, in der er physisch»schärfsten Torturen«ausgesetzt geworden sei. Seinem Freund, Dr. Karl Neu, dem Sohn des sächsischen Staatsministers, gelang es, zu ihm vorzudringen. Dieser riet ihm zur Simulierung eines Nervenleidens als Ausweg aus dem Gefängnis. So gelang es Brauer, am 12. Dezember 1935 als unheilbar geisteskrank entlassen zu werden. Es folgten 17 Monate Aufenthalt in der sächsischen Nervenheilanstalt Hochweitzschen, in der er als Kassenrechner unentgeltlich tätig war. Im Mai 1937 wurde er als geheilt entlassen. Gerda Engelbracht weist in ihren Bremer Recherchen darauf hin, dass es ab 1933 auch lebensgefährlich sein konnte, in einer psychiatrischen Klinik zu sein. 28 Der weitere Lebensweg von 1937 bis 1945 führte zur Stabilisierung und eröffnete Möglichkeiten, seinen Interessen beruflich nachzugehen. Er zog nach Ruppersdorf in der Oberlausitz, wohnte im Haus des Studiendirektors a.d. Dr. Grosse, der 1933 von den Nationalsozialisten als politisch unzuverlässig aus dem Schuldienst der Realschule abgesetzt worden war. 29 Nach einigen Wochen des Brotverdienstes als Holzarbeiter erhielt er durch Vermittlung Dr. Grosses eine Stelle als Archivpfleger in Eibau/Oberlausitz. Aufgrund seines guten Gedächtnisses übernahm er für sieben Kirchengemeinden die Matrikelführung und den Ahnennachweis. Trotz der politischen Belastung wurde er gegen Ende des Krieges Kreisarchivverwalter des Kreises Löbau. Lobend erwähnt Brauer den Einfluss des protestantischen Pfarrers in Haan-Eibau, der ihn nachhaltig geprägt habe. Infolge der heranrückenden Front wurde im März 1945 die Archivarbeit eingestellt, die Archive wurden unterirdisch verlegt, Brauer unbefristet beurlaubt. 30 Nachkriegszeit Brauer begab sich zu Freunden nach Niederbayern in den Kreis Griesbach, wo er schnell durch Wissen und politische Korrektheit verantwortliche Positionen einnehmen konnte. Nach Einmarsch der Amerikaner wurde er von der Bevölkerung mit der Verwaltung der Südhälfte des Kreises betraut. Mit Geschicklichkeit verhinderte er Plünderungen, deren Gefahr durch die Auflösung des Polenlagers Schlupfing und des Konzentrationslagers Kirch- 27 Aus den Unterlagen geht nicht hervor, um welche Schritte es sich handelte. Da Brauer Forger als Altparteiengenossen bezeichnet hatte, könnte es sich auch um eine persönliche Abrechnung handeln. 28 erda Engelbracht: Erinnerungsbuch für die Opfer der NS-Medizinverbrechen in Bremen (Kleine Schriften des Staatsarchivs Bremen, 53), Bremen Nicht zu klären war, woher Brauer Dr. Grosse kannte. 30 Brief Brauers an den Rektor vom , UAM, Bestand 4, Nr
9 ham groß war. Die amerikanische Militärregierung ernannte ihn am 18. Juni 1945 zum Landrat von Griesbach, damit zum obersten Offiziellen des Bezirks Unterbayerns. Für die amerikanischen Offiziere hielt er Vorträge zur Geschichte Deutschlands und Österreichs, berichtete über Entwicklungen des deutschen Verfassungswesen seit 1815, wurde Referent für Erziehungs- und religiöse Fragen und wurde zudem wiederholt zu Verhandlungen der bayerischen Regierung hinzugezogen. Vor diesem Hintergrund beantragte er im November 1945 bei der Universität Münster, die Aberkennung des Doktorgrades zu widerrufen. 31 Bescheinigung der Militärbehörde Ebd. 32 Bescheinigung der Militärregierung vom , UAM, Bestand 4, Nr
10 Anfang November 1945 beantragte Brauer bei der Universität die Wiederanerkennung des Doktortitels, mit positivem Bescheid vom 14. Dezember desselben Jahres. Zugleich wurde der politische Hintergrund benannt:»es ist im besonderen gewürdigt worden, dass Sie damals aus politischen Gründen gemassregelt wurden.«33 Zahlreiche Bescheinigungen und Empfehlungen der Nachkriegsmonate auf Anfrage der Universität Münster erstellt verdeutlichen den weiten, imposanten Bekanntenkreis Brauers, seine positive Rezeption. In allen Berichten wurde sein herausragendes, phänomenales Gedächtnis gelobt. Die Schreiben und Zeugnisse folgender Verfasser finden sich im Universitätsarchiv: des Militärgouverneurs von Griesbach Alyre J. Gallat, des Erzbischofs von München und Freising Kardinal Michael von Faulhaber, des Domkapitulars von München Johann Zinkl, des Generalvikars des Bistums Passau Franz Seraph Riemer, des Amtsgerichtsrats a.d. Wilhelm Fehler aus Göttingen sowie des Chefs des staatlichen Gesundheitsamts Griesbach Dr. Ilberg. Einige Auszüge mögen die Wertschätzung verdeutlichen:»dr. Brauer has rendered invaluable service to Military Government [ ] Speaks English fluently and, as a leading Anti-Nazi has considerable influence on the people.«34 Domkapitular Zinkl beschrieb ihn als ungemein rege und erfolgreich auf kulturellem Gebiet. Er habe sich um den Wiederaufbau des Erziehungs- und Schulwesens gekümmert, sich für die durch die Verfolgungspolitik verletzten Eigentumsrechte kirchlicher Körperschaften eingesetzt sowie für die Nöte der ungerecht Geschädigten und Verfolgten. Er sei besonders geeignet für Aufgaben auf kulturellem Gebiet. 35 Das Schreiben des Leiters des Gesundheitsamts, Dr. Ilberg, der ihn bereits lange aus Eibau kannte, betonte sein phänomenales Gedächtnis besonders für Zahlen und Geschichte, seine ungewöhnliche Arbeitskraft, seine lautere Gesinnung, seine Herzensgüte und sein diplomatisches Geschick. Er sei schroff gegen den Nationalsozialismus gewesen, unerschütterlich und ruhig in schwierigsten Situationen, zudem religiös gefestigt. 36 Der frühere Amtsgerichtsrat Fehler aus Göttingen charakterisierte ihn als geistig rege, lebendig, von lauterer Gesinnung, mit gutem Gedächtnis, für jede Stellung auf kulturpolitischem Gebiet geeignet. 37 Und der Generalvikar des Bistums Passau bestätigte ihm, er habe 33 UAM, Bestand 4, Nr Military Government, , UAM, Bestand 4, Nr Johann Zinkl, , ebd. 36 Staatl. Gesundheitsamt Griesbach, , ebd. 37 Wilhelm Fehler , ebd. 10
11 einen guten Eindruck von seiner Persönlichkeit, seinem Charakter und seiner Haltung; tatkräftig, liebenswürdig, aufgeschlossen und verständnisvoll gegenüber den Nöten und Bedürfnissen der Bevölkerung habe er sich viele Sympathien erworben. 38 Von Haus aus Protestant war Brauer im September 1945 zum katholischen Glauben konvertiert. Kardinal Faulhaber verweist auf die Bemühung zur Ordnung der Schulverhältnisse. Brauers Bitte zu Besuchen des Bischofs von Münster wurde bewilligt. 39 Dr. von Lehsten vom Institut für Personengeschichte beschreibt ihn Jahrzehnte später aufgrund der dort liegenden Unterlagen als einen sonderbaren, aber extrem begabten Menschen mit einem fantastischen Gedächtnis. 40 Sein unerschöpfliches Wissen und fabelhaftes Gedächtnis nannte Peter Gleißner, 41 der ihn 1965 kennenlernte, unfehlbar. Dieses war nicht zuletzt seiner umfangreichen Publikationstätigkeit wie auch vielleicht seinem Mittel gegen Schlaflosigkeit geschuldet. Es bestand zum Beispiel in der Auflistung aller regierenden Reichsfürsten von 1914 mit ihren Lebensdaten,»spätestens bei Lippe-Detmold übermanne ihn immer der Schlaf«. 42 Dieses extrem gute Gedächtnis erwähnt auch der Bibliothekar der Oberlausitzischen Bibliothek, Herr Wenzel, der Herrn Brauer Anfang der 1980er-Jahre als eifrigen Besucher kennenlernte. 43 Brauer wurde ab 1952 Mitarbeiter des Börsenblatts des Deutschen Buchhandels wurde er Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins, 1969 dessen Archivar, dies wohl aufgrund des Erscheinens seiner Dümmler-Firmengeschichte. 44 Die Chronik des Dümmler-Verlags war ein Nebenprodukt seiner Beschäftigung mit der Familie von Clausewitz, die aus der Oberlausitz stammte. 45 Dieser Posten des Archivars war eine Besonderheit, er wurde eigens für ihn institutionalisiert aufgrund seiner Verdienste, 46 der vielfältigen, präzisen, profunden und plastischen Abhandlungen zu Themen des Buchhandels, einzelner Personen und Verlegerfamilien. Bis 1979 betreute Brauer das Historische Archiv des Börsenvereins als»einzelkämpfer«, anschließend stand er bis zu seinem Tod dem Börsenverein bei einzelnen Fragestellungen zur Seite. 47 Im Januar 1981 bat Brauer den Rektor der Universität Münster um Ausstellung eines Goldenen Doktor-Diploms. 48 Dieses Ansinnen wurde abgelehnt mit der Begründung, dass eine Eigenbewerbung nicht möglich sei Generalvikar des Bistums Passau, , ebd. 39 Erzbischof von München und Freising, , ebd. 40 Mitteilung Dr. v. Lehsten. 41 Peter Gleißner, Arzt, journalistisch tätig für den Görlitzer Anzeigers, Mitglied der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften. 42 Gleißner 1999, S Mitteilung Hr. Wenzel. 44 Mitteilung v. Lehsten; Gleißner 1999, S Gleißner 1999, S Mitteilung v. Lehsten. 47 Mitteilung H. Staub, Deutsche Nationalbibliothek, Archiv u. Bibliothek des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. 48 Brief vom , UAM, Bestand 65, Nr Brief vom , ebd. 11
12 Auch im Ruhestand war Brauer aktiv, er recherchierte, publizierte. Häufig besuchte er die Oberlausitzische Bibliothek in Görlitz, wo er durch sein fabelhaftes Gedächtnis auffiel. 50 Er war Mitglied der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften. Die Verbundenheit mit der Region drückte sich in seinen Studien zur Landes- und Personengeschichte der Oberlausitz aus. 51 Die Bibliographie seiner Veröffentlichungen umfasst 280 Titel, zwei Drittel zu Themen des Buchhandels, ein Drittel betrifft genealogische Abhandlungen. 52 Genannt seien Forschungen über die Exilantenfamilie Apelt, zu der der Philosoph Ernst Friedrich, der sächsische Innenminister der Weimarer Zeit, Hans Willibald, und der Bremer Senator Hermann gehörten, und Publikationen zu Brasiliens Kaiser Dom Pedro II ( ), Pui-Yi als letztem Kaiser von China, Lenins deutschen und schwedischen Ahnen. Gleißner nennt seine Schriften faktenhaltig, zuverlässig, deskriptiv. 53 Die Online-Quelle zur Reichsgeschichte erwähnt zum Beispiel folgende Publikationen von ihm: Burgen und Schlösser in Hessen, Archivreisen durch Sachsen und Thüringen, die Patrizierfamilie Boell aus Weissenburg im Unterelsass als Ahnen des Hauses Mountbatten und des französischen Bildhauers Auguste Bartholdi, als Schöpfer der»liberty«statue. 54 Als sein glücklichstes Alterserlebnis bezeichnete Brauer die Wiedervereinigung Deutschlands, die er in der Oberlausitz erlebte. 55 Dr. Adalbert Brauer war ledig und kinderlos. Am 25. Oktober 1990 starb er in seinem Wohnort Frankfurt am Main. Fazit Der Kontakt von Adalbert Brauer zur Westfälischen Wilhelms-Universität Münster betrifft die vornationalistische Zeit seiner Studien- und Promotionsjahre. Er war nicht existentiell gefährdet, so wie viele andere Universitätsangehörige, wohl aber Repressionen ausgesetzt. Das Gedenken an ihn im Rahmen des Projekts resultiert aus dem Entzug des Doktortitels, für den politische Motive naheliegen, wie aus den Unterlagen hervorgeht. 50 In der Bibliothek waren auch zu DDR Zeiten immer Historiker aus der BRD und anderen europäischen Ländern vor Ort. Es gab keine Restriktionen übergeordneter Stellen für diese Anliegen, da es der kulturpolitischen Linie entsprach, das kulturelle Erbe zu präsentieren. Mitteilung Hr. Wenzel. 51 Gleißner 1999, S Ebd., S Ebd., S Regesta Imperii.- Online Quellen zur Reichsgeschichte, (Zugriff: ). 55 Gleißner 1999, S
13 Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Universitätsarchiv Münster Bestand 4, Nr. 176, Nr. 1503, Nr Bestand 65, Nr Institut für Personengeschichte, Bensheim Teil-Nachlass Adalbert Brauer Anfragen und Korrespondenzen Deutsche Nationalbibliothek, Archiv und Bibliothek des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Frankfurt am Main, Mitteilung Archivar Hr. H. Staub Institut für Personengeschichte, Bensheim, Mitteilungen von Dr. von Lehsten Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz, Mitteilung des Bibliothekars Hr. M. Wenzel Literatur Engelbracht, Gerda: Erinnerungsbuch für die Opfer der NS-Medizinverbrechen in Bremen (Kleine Schriften des Staatsarchivs Bremen, 53), Bremen 2016 Gleißner, Peter: Adalbert Brauer Historiker, Genealoge, Archivar. Ein Nachruf, in: Neues Lausitzische Magazin Neue Folge 2 (1999), S Online-Recherche Regesta Imperii. Online Quellen zur Reichsgeschichte, lang_de/suche.php?qs=brauer%2c+adalbert (Zugriff: ) 13
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