Karwendelgebirge. Kurztrip. Carmen Garz Carmen Garz

Transkript

1 zu Fuß Karwendelgebirge Kurztrip Carmen Garz Carmen Garz

2 Wandern im Karwendelgebirge 3. bis 5. Oktober 2014 Wegen dem Tag der Deutschen Einheit habe ich Anfang Oktober ein verlängertes Wochenende frei, Uwe muss arbeiten. Weil herrliches warmes Wetter ist, will ich drei Tage in die Alpen. Aber wohin? Ich gebe paar Orte in mein Auto-Navi ein, und am schnellsten ist man in Mittenwald. Gleich nach der Arbeit fahre ich los, komme aber wegen Stau in München erst im Dunkeln in Mittenwald an. An der Bergbahnstation halte ich um zu nachzusehen, wann die Bahn morgen fährt und sehe gleich, dass ich hier auch gut übernachten kann. Bei einem Stadtrundgang durch Mittenwald mit den schön bemalten Häusern finde ich eine Wandertafel mit den umliegenden Hütten, die Telefonnummern programmiere ich in mein Handy ein, denn ich will eine Hüttentour unternehmen. In einem rustikalen Alpenwirtshaus plane ich bei Zittermusik meine Tour, was schwierig ist, denn die Hütten sind entweder belegt oder schon zu. Ich parke an der Talstation der Karwendelspitzbahn und schlafe wunderbar mit zwei Schlafsäcken auf der 1

3 überdachten Terrasse, wo sonst Kaffee ausgeschenkt wird. Am Morgen bringe ich das Auto 600 m weiter auf einen kostenlosen Parkplatz, kaufe mir im Bäcker einen Kaffee und eine Brotzeit für unterwegs und besteige die erste Bahn hinauf zur Karwendelspitze. Im Nebel fahren wir los, doch nach wenigen Minuten stoßen wir durch die Wolkendecke, allgemeiner Jubel kommt auf, als sich das Alpenpanorama vor uns ausbreitet. Auf der Karwendelspitze ist ein wunderbares (kostenloses) Museum / Naturstation mit Bergfilmkino. Ich wäre noch viel länger drin geblieben, wenn nicht der wunderbare Sonnenschein gelockt hätte. 2

4 Ich steige zum Grad hinauf, wo der Klettersteig beginnt. Die Kletterer stehen hier mit voller Kletterausrüstung an, denn es sind so viele Leute da, dass ein Stau entstanden ist. Ich ändere meine Tour und steige nach dem Genießen der Aussicht wieder zur Liftstation ab und gehe durch den Tunnel hindurch. An der anderen Seite habe ich alle Touristen los und wandere einen steilen Schotterweg hinab. Ein Franzose mit Rucksack kommt mir rechts vom Klettersteig entgegen. Ich frage ihn, ob der Klettersteig gefährlich ist. Der Mann nickt und sagt nein. Genauso hin und her gerissen bin auch ich. 3

5 Ich riskiere es und nehme den Steig hinauf zur Tiefkarspitze. Ich habe herrliche Aussichten, Blumen sind noch zu sehen und in der Ferne Gämsen. Als ich Gipfelrast mache, eilen zwei junge Männer schnellen Schrittes heran, sie wollen abends noch ins Fitnessstudio. Sie kommen vom Tal und fragen mich, wie lange ich denn für den Aufstieg gebraucht habe. Ich sage: zweieinhalb Stunden, verschweige aber, dass ich mit der Bahn gefahren bin. Für den Abstieg brauche ich viel Zeit, denn ich muss an Ketten herunterklettern. Einmal rutsche ich ein bisschen hin, zum Glück holen mich die Männer erst später ein. Gegen 15 Uhr erreiche ich die Hochlandhütte (1623 m), wo reger Betrieb herrscht. Obwohl ich fast bettle, gibt man mir kein Quartier, es ist alles belegt. Wäre ich doch später dran, da hätten sie mir was geben müssen! Zur Strafe esse ich nichts und fülle am Brunnen die Trinkflasche auf. Weiter wandere ich zur Krinner-Kofler-Hütte. Die hat geschlossen, weil Brunftzeit der Hirsche ist. Ich lege mich zur Probe auf die Bank vor der Hütte und stelle mir vor, wie auf der Wiese vor mir in ein paar Stunden die Hirsche mit ihren Geweihen kämpfen. Doch ohne eine Isomatte wird es in der Nacht zu kalt werden. Ich habe nur einen Schlafsack mit. Ich überlege, ob ich die vier Stunden nach Mittenwald absteige (wo im Auto warme Übernachtungssachen sind) oder viereinhalb Stunden nach Vorderriß. 8 Stunden bin ich schon gewandert, das ist eine Mamuttour heute! Lustlos mache ich mich auf nach Vorderriß, es führt ein für Radler beliebter Fahrweg hin, so dass ich mich zumindest auch im Dunkeln nicht verlaufen werde. Ein Rad wäre jetzt schön, alles geht bergab. Einmal müssen die Radler und auch ich den Fluss überqueren. 4

6 Die Sonne schickt die letzten für Oktober ungewöhnlich warmen Strahlen. In der Dämmerung muss ich an einem Jägerauto vorbei, man lädt gerade einen toten Hirsch auf Uhr erreiche ich mit scherzenden Füßen das Dorf Hinterriß, das in einer Sackgasse in einem langen Tal liegt. Im Gasthof hat man auch kein Bett mehr für mich. Was nun? Bus fährt keiner mehr, Mittenwald liegt 40 km Straße entfernt. Als ich noch im Gasthof stehe, kommt eine junge Frau und sagt, sie habe ein Bett für mich im Matratzenlager in Vorderriß. Sie würde mich sofort mitnehmen. Im Auto erzählt sie mir, dass sie morgens krampfhaft ein Quartier gesucht habe, aber nur das Matratzenlager noch frei war. Sie habe es sich reservieren lassen für den Notfall, wenn sie nichts besseres mehr finden würde. Nun wäre sie aber weit gewandert und so befriedigt, dass sie nach Hause fahren würde. Die esoterisch angehauchte Frau sagt, sie fühle, dass ich mich gar nicht richtig freuen würde. Ich bin nur kaputt! Am Gasthof Post in Vorderriß setzt sie mich ab. Der Wirt fragt, ob ich die Frau Sowieso sei, ich sage der Einfachheit halber Ja. Ich soll mich gleich hinsetzen, es gäbe noch Haxe. 5

7 Die steht dann auch gleich auf dem Tisch, ich bin selbst zum Essen zu müde. Im Matratzenlager schläft außer mir nur ein Radfahrer, der exakt zu der Esoterikerin gepasst hätte. Da hat das Schicksaal zugeschlagen, die Hochzeit wäre so gut wie sicher gewesen. Es gibt ein sehr gutes Frühstück, wir von den billigen Matratzenplätzen bedienen uns vom Büfett wie die Hotelgäste. Ich entscheide spontan, noch eine Nacht zu bleiben. Eine Frau vom Nachbartisch erzählt von einer schönen Tour zum Schafreuter. Ein guter Vorschlag. Erst muss ich 5 km mit dem Bus fahren. Ich laufe zur Haltestelle, der Bus fährt erst in 45 Minuten. Doch da kommt ein Auto, ich winke, es hält. Der Mann nimmt mich mit, er verrät mir noch einen besseren Aufstieg parallel zum Forstweg. Ohne einen Menschen zu begegnen steige ich auf bis zum Kamm. Ich genieße die Aussichten. Die Herbstsonne lässt den Wald erstrahlen. Ich lasse mir Zeit, bin von der gestrigen Tour noch geschafft. Die Zehen tun weh. In der Tölzer Hütte kehre ich ein und gönne mir diesmal ein gutes Essen. Auf dem Liegestuhl mache ich 6

8 die Augen zu, genieße den Sonnenschein. Auf den Aufstieg zum Schafreutergipfel verzichte ich. Ich gehe auf dem fast gleichen Weg zurück, nur dass ich beim Abstieg dem kurvenreichen Forstweg folge, so dass die Knie entlastet sind. Nach 5 Stunden reiner Gehzeit bin ich froh, dass mich an der Straße gleich ein Auto zurück zum Gasthof mitnimmt. Beim Abendbrot unterhalte ich mich mit einem einheimischen Mann, der heute die gleiche Tour wie ich gewandert ist. Er ist verblüfft, dass ich noch 7

9 einen anderen Weg für den Aufstieg gefunden habe. Ja, manchmal fügt sich alles. Im Matratzenlager schlafen heute auch zwei Radfahrer und zwei Hüttenwanderer. Sie haben überall umsonst nach Quartier gefragt, alle Hütten und Hotels waren besetzt. Ich gratuliere mir im Nachhinein zu dem Entschluss, im Matratzenlager geblieben zu sein. Wir vom Matratzenlager plündern das Frühstücksbüfett und leeren die Kaffeekannen von den Nachbartischen noch ganz aus. Meine Wanderkarte endet in Vorderriß. Doch ich habe mir die Landkarte von einem Mann genau angesehen und werde den Weg schon finden. 8

10 Denke ich. Dann verlaufe ich mich und folge stundenlang einem weglosen Flusstal. Ich kehre aber nicht um, weil die Richtung stimmt. Ich bin vielleicht froh, als ich endlich am Wanderweg rauskomme, und tatsächlich habe ich luftlinienmäßig den kürzesten Weg gehabt. Nun wandere ich auf einem bequemen Weg nach Krün. Sieben Kilometer nach Mittenwald nimmt mich sofort ein Auto mit. Auf dem letzten 1,5 km zum Auto merke ich, wie anstrengend die heutigen 25 km waren. Am Parkplatz begegnet mir in der Abendsonne ein Ehepaar aus Kulmbach, sie haben mein Nummernschild gesehen, sie freuen sich jemand aus der Heimat zu begegnen. Sie haben den heutigen Tag gebraucht, um von Kulmbach hier her zu fahren. Na, die Strecke habe ich heute noch vor mir. Und morgen 5.15 Uhr heißt es wieder aufstehen und zur Arbeit. 9