Nationale Menschenrechtsinstitutionen in den EU-Mitgliedstaaten Stärkung des Grundrechtesystems in der Europäischen Union I
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1 Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) MEMO / 7. Mai 2010 Nationale Menschenrechtsinstitutionen in den EU-Mitgliedstaaten Stärkung des Grundrechtesystems in der Europäischen Union I 82 % der Menschen, die in den letzten 12 Monaten Opfer von Diskriminierung waren, haben ihre jüngste Diskriminierungserfahrung nirgendwo gemeldet. (Befragte der von der FRA durchgeführten Erhebung der Europäischen Union zu Minderheiten und Diskriminierung, siehe EU-MIDIS European Union Minorities and Discrimination Survey) Da das Bewusstsein für Diskriminierung so niedrig ist, muss unbedingt mehr getan werden, um sicherzustellen, dass starke nationale Menschenrechtsinstitutionen vorhanden sind. Manchen nationalen Menschenrechtsinstitutionen fehlt es an politischer Unterstützung, andere sind mit Eingriffen seitens der Regierung konfrontiert, und viele leiden unter einem schwachen Mandat. In einigen Ländern führt die Existenz so vieler in diesem Bereich tätiger Stellen überdies zu Unübersichtlichkeit. Es ist demzufolge klar, dass die Grundrechte-Architektur in der EU benutzerfreundlicher und, in vielen Fällen, effektiver sein muss. Morten Kjaerum, Direktor der FRA Nationale Menschenrechtsinstitutionen In Anbetracht der hohen Dunkelziffer bei Diskriminierungsvorkommnissen und des geringen Bewusstseins für eigene Rechte, die in den Ergebnissen der EU- MIDIS-Erhebung dokumentiert wurden, hat die FRA untersucht, welche Rechtsbehelfsmechanismen Opfern von Menschenrechtsverletzungen in der EU zur Verfügung stehen. Nach 40-jähriger Diskussion und Entwicklungsarbeit wurde im Jahr 1993 mit der Annahme der Pariser Grundsätze eine Einigung darüber erzielt, wie eine nationale Menschenrechtsinstitution aussehen sollte. Die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Grundsätze legen die wesentlichen Kriterien fest, die eine Stelle erfüllen muss, um als nationale Menschenrechtsinstitution (National Human Rights Institution, NHRI) zu gelten, wobei Fragen wie Kompetenz, Unabhängigkeit und Wirksamkeit abgedeckt werden. Die Arbeit der nationalen Menschenrechtsinstitutionen beruht auf dem Konzept, dass gegen Menschenrechtsverstöße am wirksamsten in möglichst großer Nähe zum Opfer auf nationaler Ebene vorgegangen werden kann, anstatt nur durch internationale Überwachungsmechanismen. 1
2 Dieser Bericht über nationale Menschenrechtsinstitutionen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ermittelt Lücken und zu Besorgnis Anlass gebende Aspekte der jeweiligen Mandate und Befugnisse dieser Stellen. Die Analyse stützt sich auf 27 nationale Berichte, die von der FRA-Gruppe der Rechtsexperten (FRALEX) erstellt wurden. WICHTIGSTE ERGEBNISSE Nationale Menschenrechtsinstitutionen genießen nicht in allen Mitgliedstaaten ausreichend politische Unterstützung In nur 16 der 27 Mitgliedstaaten der EU haben nationale Menschenrechtsinstitutionen die internationale Akkreditierung durch das internationale Koordinationskomitee (International Coordinating Committee, ICC) der nationalen Menschenrechtsinstitutionen beantragt, ein selbstverwaltetes Label für die Einhaltung der Pariser Grundsätze. Auswirkungen der Pariser Grundsätze: A: Vollständige Einhaltung der Pariser Grundsätze. B: Keine vollständige Einhaltung der Pariser Grundsätze oder Vorlage unzureichender Informationen für eine Entscheidung. C: Einhaltung der Pariser Grundsätze nicht gegeben. Einstufungen von nationalen Menschenrechtsinstitutionen in den Mitgliedstaaten der EU gemäß den Pariser Grundsätzen: Status A B C Keine akkreditierte NHRI EU-Mitgliedstaaten Dänemark, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Irland, Luxemburg, Polen, Portugal, Spanien, Vereinigtes Königreich (mit jeweils einer nationalen Menschenrechtsinstitution in den Einzelstaaten: Großbritannien, Nordirland und Schottland 1 ) Österreich, Belgien, Niederlande, Slowakei, Slowenien Rumänien Bulgarien, Zypern, Tschechische Republik, Estland, Finnland, Ungarn, Italien, Lettland, Litauen, Malta und Schweden 2 1 Die schottische Kommission wurde vom ICC SCA für den Status A empfohlen; die Genehmigung durch das ICC Bureau wird für Ende Mai 2010 erwartet. 2 Der Status A für die schwedische nationale Menschenrechtsinstitution (JämO) erlosch Ende 2008; derzeit gibt es keine akkreditierte NHRI in Schweden. 2
3 Die Pariser Grundsätze sollten als äußerster Mindeststandard für nationale Menschenrechtsinstitutionen in der Europäischen Union gelten Eine nationale Menschenrechtsinstitution sollte über ausreichende Unabhängigkeit (basierend auf gesicherten wirtschaftlichen Mitteln und der Nichteinmischung von Regierungen), ausreichende Befugnisse (insbesondere die Klagebefugnis, einschließlich quasigerichtlicher Befugnisse, und der Befugnis zur Bearbeitung von Individualbeschwerden) sowie ein Mandat verfügen, das das gesamte Spektrum der Grundrechte (von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen bis zu bürgerlichen und politischen Rechten) abdeckt. Nationale Menschenrechtsinstitutionen sind nicht hinreichend unabhängig und wirksam Nur in 10 der Mitgliedstaaten, in denen die nationalen Menschenrechtsinstitutionen die Akkreditierung beantragt haben, hat das ICC festgestellt, dass die nationale Menschenrechtsinstitution die Pariser Grundsätze (bezogen auf Kompetenz, Unabhängigkeit und Wirksamkeit) voll und ganz erfüllt. Beispielhafte Praktiken: Polen, Portugal, Spanien: Die Unabhängigkeit der Bürgerbeauftragten wird durch verfassungsrechtliche Bestimmungen und spezielle Rechtsvorschriften gewährleistet. Diese nationalen Menschenrechtsinstitutionen genießen parlamentarische Immunität und können nur unter bestimmten gesetzlich festgelegten Umständen ihres Amtes enthoben werden. Schottland: Die Mitglieder der schottischen Menschenrechtskommission werden durch das Parlament ernannt (der Vorsitzende formell auch durch das Staatsoberhaupt). Sie können nur durch eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments ihres Amtes enthoben werden. Nationale Menschenrechtsinstitutionen sollten transparent, aber dennoch sichtbar sein Nationale Menschenrechtsinstitutionen sollten in der Öffentlichkeit bekannt sein, um ihre Wirksamkeit und Glaubhaftigkeit zu stärken. Auf nationaler Ebene muss eine kohärente Architektur geschaffen werden. Die Einrichtung einer einzigen nationalen Menschenrechtsinstitution je Mitgliedstaat würde das System für die Bürger erheblich zugänglicher machen. Der Titel der Institution sollte das Wort Menschenrechte (oder Grundrechte ) beinhalten, und die Auswahl der Mitarbeiter sollte auf einem transparenten Auswahlverfahren beruhen. 3
4 Mehrere Stellen Lücken und Überschneidungen Die Tatsache, dass es in vielen Mitgliedstaaten mehrere unabhängige öffentliche Stellen mit Aufgaben im Bereich Menschenrechte gibt, trägt zu einer Streuung von Ressourcen und zu Lücken in den jeweiligen Mandaten bei. In manchen Fällen führt dies auch zu Überschneidungen von Mandaten. Dadurch wird es für Menschen, die einen Rechtsbehelf in Anspruch nehmen wollen, schwieriger herauszufinden, an welche Stelle sie sich wenden müssen. In EU-Mitgliedstaaten ohne nationale Menschenrechtsinstitutionen des Status A gibt es typischerweise eine Vielzahl von Stellen mit äußerst unterschiedlichen Mandaten. Derartige Stellen konzentrieren ihre Arbeit auf ein bestimmtes Thema, ein bestimmtes Recht, eine bestimmte Zielgruppe oder eine bestimmte Funktion. In vielen Fällen sind Menschenrechtserziehung und Sensibilisierung, Bekanntmachung von Verträgen und Abkommen im Bereich Menschenrechte oder die Interaktion mit der Zivilgesellschaft wobei es sich sämtlichst um Kernfunktionen einer nationalen Menschenrechtsinstitution handelt entweder in den jeweiligen Gründungsinstrumenten nicht explizit verankert, oder aber diese Aufgaben werden aufgrund von Ressourcenbeschränkungen nicht durchgeführt. Insbesondere eine fehlende Koordinierung zwischen den Stellen innerhalb eines Staates führt zu Überschneidungen von Mandaten und infolgedessen dazu, dass bestimmte Bereiche unberücksichtigt bleiben. Dies stellt ein erhebliches Hemmnis für den wirksamen Schutz der Menschenrechte dar. Beispielhafte Praktiken UK: Die Equality and Human Rights Commission (EHRC) des Vereinigten Königreichs übernahm die Befugnisse und Funktionen von drei Fachkommissionen, die es bis dahin gab. Schweden: Vier zuvor spezialisierte Ombudsmann Institutionen (spezialisiert auf die Gleichheit der Geschlechter, ethnische Zugehörigkeit und Weltanschauung, Behinderungen, sexuelle Orientierung) wurden zu einem Gleichstellungs-Ombudsmann zusammengeschlossen (DO). 4
5 Schwache Mandate führen oftmals zu einer Schwächung der Glaubwürdigkeit In vielen Mitgliedstaaten ist die nationale Menschenrechtsinstitution nicht bevollmächtigt, sich mit Individualbeschwerden zu befassen. Der Grund hierfür könnte darin liegen, dass sichergestellt werden soll, dass sich die nationalen Menschenrechtsinstitutionen vorrangig auf den Aspekt der Sensibilisierung für die Menschenrechte konzentrieren sollen wenn es allerdings keinen anderen wirksamen Mechanismus für Beschwerden gibt, wird die Glaubwürdigkeit des Systems gefährdet. Beispielhafte Praktiken Irland: Das Mandat der irischen Kommission umfasst die Aufgabe, die Rechte zu schützen, die durch die Verfassung oder durch Verträge garantiert sind, die Irland als Vertragspartei unterzeichnet hat, und für diese Rechte zu sensibilisieren. Dänemark: Das Mandat des dänischen Instituts für Menschenrechte erstreckt sich auf Menschenrechte, die zum gegebenen Zeitpunkt durch die internationale Gesellschaft anerkannt sind, zu denen insbesondere die in der Allgemeinen Erklärung der Vereinten Nationen und den von den Vereinten Nationen und dem Europarat angenommenen Übereinkommen festgelegten Rechte sowie die in der dänischen Verfassung verankerten Bürgerrechte gehören. Eine den Pariser Grundsätzen entsprechende nationale Menschenrechtsinstitution, die als zentrale Anlaufstelle für Opfer von Menschenrechtsverletzungen dienen kann, sollte in jedem Mitgliedstaat der EU geschaffen werden. Diese Institution muss unabhängig sein, über ein starkes und eindeutiges Mandat verfügen und mit angemessenen Finanzmitteln ausgestattet sein. 5
6 Anmerkungen für die Redaktion Nationale Menschenrechtsinstitutionen (National Human Rights Institutions, NHRI) in den Mitgliedstaaten der EU gibt es in unterschiedlicher Form: Kommissionen, Bürgerbeauftragte oder Institute. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehören: Menschenrechtserziehung und Sensibilisierung, Befassung mit Individualbeschwerden, Bekanntmachung von Verträgen und Abkommen im Bereich Menschenrechte sowie Interaktion mit der Zivilgesellschaft. NHRIs tragen dazu bei, die Umsetzungslücke zwischen internationalen Verträgen und Standards einerseits und konkreten Maßnahmen andererseits zu schließen. Eine NHRI sollte in der Lage sein, Regierungsstellen zu beraten, die Harmonisierung einzelstaatlicher Rechtsvorschriften mit internationalen Menschenrechtsinstrumenten zu fördern, mit internationalen und nationalen Organisationen und Einrichtungen zusammenzuarbeiten sowie die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Dieser Bericht ist Teil einer Berichtsreihe der Agentur für Grundrechte mit dem Titel Stärkung des Grundrechtesystems in der Europäischen Union. Diese fortlaufende Reihe befasst sich mit den Verfahren, die zur Bekämpfung von Verstößen gegen die Grundrechte in der EU verfügbar sind, stellt gute Beispiele aus der Praxis vor und gibt Empfehlungen zu Bereichen, in denen Verbesserungen stattfinden sollten. Weitere Berichte dieser Reihe: Datenschutz in der Europäischen Union: die Rolle nationaler Datenschutzbehörden Stärkung des Grundrechtesytems in der Europäischen Union II Dritter EU-MIDIS-Bericht der Reihe Daten kurz gefasst Rechtsbewusstsein und Gleichbehandlungsstellen Stärkung des Grundrechtesystems in der Europäischen Union III Die Auswirkungen der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse: Ansichten von Gewerkschaften und Arbeitgebern in der Europäischen Union - Stärkung des Grundrechtesystems in der Europäischen Union IV Weitere Informationen erhalten Sie beim FRA-Medienteam: media@fra.europa.eu Tel.: Mobil: (Blanca Tapia) Alle Berichte der FRA sind auf der Website verfügbar. 6
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