Beitrag: Unabhängige Patientenberatung in Gefahr Zum Wohle des Profits?

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Unabhängige Patientenberatung in Gefahr Zum Wohle des Profits? Sendung vom 13. Oktober 2015 von Jörg Göbel und Sha Hua Anmoderation: Der aufgeklärte Patient, ein Wunschtraum im Gesundheitswesen. Denn welcher Kranke weiß schon, ob die Diagnose richtig und die Therapie sinnvoll ist. Und was die Krankenkassen zahlen müssen und was nicht. Zum Glück, so sollte man meinen, gibt es die Unabhängige Patientenberatung. Sie soll helfen, wenn es Ärger mit Ärzten oder Kassen gibt. Soll! Denn bisher war der Anbieter dieser Patientenberatung gemeinnützig. Doch jetzt übernimmt ein privater Call-Center-Betreiber, der auch für die Krankenkassen tätig ist. Wo bleibt dann allerdings die Unabhängigkeit? Und ist das jetzt zum Wohle des Patienten oder profitieren andere? - fragen Jörg Göbel und Sha Hua. Text: Nürnberg. Gabriele Adkins hat Ärger mit ihrer Krankenkasse. Sie hat akut starke Zahnschmerzen. Den nötigen Zahnersatz soll sie selbst bezahlen. Doch das schafft sie nicht. Sie hat chronisches Rheuma, ist deswegen arbeitslos. Nun ist sie auf dem Weg dorthin, wo ihr geholfen wird - zur Unabhängigen Patientenberatung und ihrer Beraterin Claudia Schlund. O-Ton Gabriele Adkins, Versicherte: Bei der Frau Schlund war es so, dass die Frau Schlund gesagt hat, schreiben Sie mit, und ich sage Ihnen den genauen Wortlaut, damit Sie weiterkommen bei der Krankenkasse. Das heißt, das ist wie so ein Code-Word oder ein Schlüsselsatz, um an die Information zu kommen, dass da Hilfe wäre für Menschen, die halt ein geringes Einkommen haben. Die Sozialpädagogin Claudia Schlund hilft häufig Menschen, die bei Ärzten oder Krankenkassen nicht mehr weiter wissen. Die Probleme sind vielfältig. O-Ton Claudia Schlund, Unabhängige Patientenberatung

2 Nürnberg: Unser Gesundheitssystem wird immer wirtschaftlicher orientiert und es muss eben auf die Kosten geschaut werden. Und das trifft oft ältere Menschen, Menschen, die nicht so viel Geld haben, die arbeitslos geworden sind. Die trifft es besonders hart und deswegen kommen sie auch zu uns. Genau für diese Fälle wurde die Unabhängige Patientenberatung Deutschland, kurz UPD, gegründet. Finanziert von den gesetzlichen Krankenkassen, betrieben von drei Sozialverbänden, unter anderem der Verbraucherzentrale unabhängig von wirtschaftlichen Interessen. Seit 2007 hat sich die UPD zu einer echten Stimme der Patienten entwickelt. Beispiel: Krankengeld. Frontal 21 berichtete schon 2013 über eine Gesetzeslücke. So konnten Krankenkassen häufig aus formalen Gründen Krankengeldzahlungen verweigern. Die Bundesregierung änderte daran lange nichts. Das Problem wurde größer, erreichte in zahlreichen Beschwerden die UPD. In ihrem Jahresbericht 2013 war das Thema Krankengeld ein Schwerpunkt. Krankengeld ist die Kassenleistung, zu der am häufigsten Rat bei der UPD eingeholt wird. Die UPD hat ja nicht nur die Patienten beraten, sondern sie hat aus den Beratungen Schlüsse gezogen, Schwerpunkte von Problemen identifiziert, zum Beispiel: Wie die Krankenkassen mit der Gewährung oder der Verweigerung von Krankengeld umgegangen sind. Und das waren heiße Punkte, die dann auch diskutiert wurden und auch geändert werden mussten, weil dort einmal die Patientensicht in die politischen Entscheidungen einfließen konnte. Die Arbeit der UPD hatte Konsequenzen: Zum 1. August 2015 trat das neue Versorgungsstärkungsgesetz in Kraft. Das stärkt die Rechte für Patienten beim Krankengeld. Einsatz für Patientenrechte, Kritik an Krankenkassen - das könnte jetzt vorbei sein, fürchten Ärzte und Verbraucherschützer. Denn ab 2016 wird ein neuer Betreiber die UPD organisieren: das private Unternehmen Sanvartis. Sanvartis ist in erster Linie eine Telefonberatungsfirma, ein Call-Center, das im Wesentlichen für gesetzliche

3 Krankenversicherungen und auch für gewinnwirtschaftliche Versicherungen arbeitet. Und deshalb in der gesamten Prägung auf Gewinnwirtschaft, Kosteneinsparung und sparsame Beratung aus ist. Das ist etwas ganz anderes als die patientenorientierte Beratung der alten UPD. Der Gesundheitsökonom Rolf Rosenbrock war jahrelang im Beirat der UPD und hat so die Beratung begleitet und kontrolliert. Nach der Entscheidung für Sanvartis ist er zurückgetreten. Der Grund dafür: Sanvartis ist einer der größten Call-Center Anbieter der Gesundheitsbranche. Auf der Homepage wird klar: Sanvartis arbeitet seit Jahren für die gesetzlichen Krankenkassen, zum Beispiel für die AOK und die Barmer GEK. Rühmt sich mit jährlich über einer Million Kundenkontakten. Wie soll so ein Unternehmen unabhängig Patientenrechte vertreten? Ausgerechnet der Patientenbeauftragte der Bundesregierung sieht darin kein Problem. Schließlich habe der private Betreiber eine öffentliche Ausschreibung gewonnen und Sanvartis werde die telefonische Erreichbarkeit ausbauen. O-Ton Karl-Josef Laumann, CDU, Patientenbeauftragter der Bundesregierung: Fakt ist auf jeden Fall, ich sage mal, dass das höchste deutsche Vergabegericht, nämlich die Vergabekammer, eindeutig gesagt hat, dass diese Vergabe rechtlich nicht zu beanstanden ist. Und dass das Konstrukt, was die neue UPD bildet, völlig unabhängig ist von Sanvartis. Und das ist nun mal einfach die Rechtssituation. Doch das Verfahren wirft Fragen auf. Eine Rechtsanwaltskanzlei bescheinigt der neuen von Sanvartis betriebenen UPD in einer Stellungnahme Unabhängigkeit und Neutralität. Das Problem: Genau diese Kanzlei hat den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen beim gesamten Ausschreibungsverfahren begleitet bei der Vergabe wie auch vor Gericht. Für Experten eine verdächtige Parteilichkeit: O-Ton Prof. Hans-Peter Schwintowski, Rechtswissenschaftler: Die Stellungnahme finde ich rechtlich problematisch, weil hier eine Grenzüberschreitung stattfindet - zwischen dem Berater einerseits und dem Begleiter bei dem Verfahren. Es ist geradezu auf der Hand liegend, dass jemand, der das Verfahren begleitet, seinem eigenen Mandanten nicht sagen wird, dass alles das, was er sich wünscht, womöglich falsch ist. Der GKV-Spitzenverband sieht darin kein Problem. Auf Anfrage teilt er weiter mit,

4 Unabhängig, neutral und kompetent zu beraten war, ist und bleibt das Herz der Unabhängigen Patientenberatung. Zweifel an der Unabhängigkeit sind nicht das einzige Problem. Sanvartis verdient sein Geld nicht nur mit dem klassischen Call- Center-Geschäft. Das Unternehmen verdient auch an der Betreuung von chronisch schwerkranken Patienten. Dabei werden sogenannten Hochkostenfälle der Krankenkassen von einem Gesundheitscoach angerufen. Die Teilnahme ist freiwillig. Der Geschäftsführer von Sanvartis äußerte sich dazu in einem Interview. Darin wird er indirekt zitiert: Gesucht würden vor allem Lösungen, die helfen, extreme Hochkostenfälle erfolgreich zu managen. Jede Firma, die ihr Geld damit verdient, dass sie Kassen berät, wird darauf achten, aus Hochkostenfällen möglichst Niedrigkostenfälle zu machen. Das ist zum Teil so, dass die Patienten dann auf andere und auch wirklich gleich gute Alternativen verwiesen werden. Das ist in Ordnung. Das hätte die alte UPD auch gemacht. Aber es gibt dann eben auch die Möglichkeit, die verunsicherten Patienten so zu beraten, dass sie auf teure Leistungen verzichten und dadurch der Krankenkasse Geld sparen. Sanvartis weist die Kritik von sich: Das Unternehmen leiste mit dem Gesundheitscoaching Hilfe zur Selbsthilfe. Auch die Vorwürfe gegen die neue Patientenberatung seien unbegründet. Die neue UPD sei eine eigenständige GmbH, ein eigens beauftragter Auditor werde die Unabhängigkeit sicherstellen. O-Ton Thorben Krumwiede, designierter Geschäftsführer UPD: Der Auditor hat eine Funktion, die operative Unabhängigkeit und Neutralität in der Beratung sicherzustellen. Er wird durch den Beirat eingestellt, das heißt, die UPD hat keine Einflussnahme auf diesen Auditor. Doch personell sind Sanvartis und die neue UPD eng verknüpft. Der designierte Geschäftsführer war direkt vorher als Manager bei Sanvartis angestellt. Ein Call-Center-Betreiber mit wirtschaftlichen Interessen und zu großer Nähe zu den Krankenkassen, all das hat parteiübergreifend viel Kritik ausgelöst. Bayerns Patientenbeauftragter Hermann Imhof von der CSU hat den Patientenbeauftragten der Bundesregierung scharf kritisiert.

5 Gegenüber Staatssekretär Laumann habe ich wiederholt eine dezentrale, wohnortnahe Beratung von Patienten angemahnt. Das kann ein Callcenter nicht leisten. Kritik auch von der Gesundheitsministerin aus Nordrhein- Westfalen: O-Ton Barbara Steffens, B 90/GRÜNE, Gesundheitsministerin Nordrhein-Westfalen: Sanvartis ist einer der größten Anbieter, der als Auftraggeber die Krankenkassen selber hat. Das ist für mich auch was, wo man zwar wirtschaftlich durch Ausgründung und durch unterschiedliche Geschäftsmodelle sagen kann, das ist dann hinterher ein unabhängiger Anbieter. Aber wenn der größte Arbeitgeber die Krankenkassen sind, dann hat das für mich ganz einfach auch als Versicherte schon einen komischen Beigeschmack. Die Unabhängige Patientenberatung hat mit dem Betreiberwechsel über Jahre aufgebautes Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren. Die Stimme der Patienten ist geschwächt. Die Krankenkassen werden das am wenigsten bedauern. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.