Vom DEK zur Lippe - Wasser auf Abwegen
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- Detlef Schräder
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1 Vom DEK zur Lippe - Wasser auf Abwegen BDir Dr.-Ing. Markus Herten, Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), Referat Grundbau BORin Eva Dornecker, Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), Referat Grundbau 1 Einleitung Am 11. Oktober 2005 kam es beim Neubau der Kanalbrücke Lippe im Bereich der Neuen Fahrt Olfen am Dortmund-Ems-Kanal zu einem Kanalwasseraustritt unter einer Flügelwand am nördlichen Widerlager der im Betrieb befindlichen alten Kanalbrücke. Durch das Schließen der Sicherheitstore Datteln und Schlieker konnte das Leerlaufen des Kanals auf einen 8 km langen Abschnitt begrenzt werden (siehe Bild 1). Nur durch den ungehinderten Abfluss in die Lippe und das umsichtige Handeln der Beteiligten kam es zu keinen Personenschäden. Jedoch betrugen allein die Sanierungskosten für die Beseitigung der Schäden über 15 Millionen Euro und der Kanal musste für mehrere Wochen gesperrt werden. Im Folgenden wird der Schadenshergang kurz beschrieben. Weiterhin werden einzelne Ergebnisse der Untersuchungen zum Hydraulischen Grundbruch, die auf Grund des Schadensfalls in der BAW durchgeführt wurden, dargestellt. Bild 1: Lageplan 2 Schadenshergang Am Schadenstag wurde kurz vor Mittag von Arbeitern ein Wasseraustritt zwischen den nördlichen Widerlagern der alten und der neuen Kanalbrücke beobachtet. Die umgehend informierte Bauaufsicht entdeckte zusätzlich einen Wasserstrudel im Kanal vor der Flügelwand des alten nördlichen Widerlagers (Bild 2). Der Wasseraustritt nahm in kürzester Zeit beträchtlich zu. Das Wasser lief aus dem Kanal unter einer auf Pfählen gegründeten Flügelwand in eine sehr schmale Baugrube (s. Bild 5), die mit einem Auflastfilter gesichert werden sollte, und von dort zwischen den beiden Widerlagern in die Lippe (s. Bild 3). Es wurde versucht, durch Zuführung von Bodenmaterial wasserseitig die Fehlstelle zu schließen, was jedoch nicht gelang. Nachdem alle Schiffe den Bereich verlassen hatten, wurden die Sicherheitstore geschlossen und Großalarm ausgelöst. Aufgrund der hohen Strömungsgeschwindigkeiten erodierte der an die Flügelwand Seite 39
2 BAW-Kolloquium angrenzende Damm und brach (s. Bild 4). Ein Kanalabschnitt von 8 km Länge entleerte sich vollständig in die Lippe. Bild 2: Wasserstrudel vor der Flügelwand des nördlichen Widerlagers Bild 3: Blick auf die Baugrube zwischen den beiden Widerlagern Seite 40
3 BAW-Kolloquium Bild 4: 3 Luftbild vom gebrochenen Damm neben der unterströmten Flügelwand Hydraulischer Grundbruch Bei intakter Dichtung im Bereich der Dammstrecke an der Kanalbrücke Lippe findet nur eine geringe Grundwasserströmung zur Lippe hin statt. Erst durch ein hydraulisches (Teil-)Versagen der Kanaldichtung kommt es zu einem deutlichen Zustrom von Kanalwasser in den Untergrund. Da der Ausfall einer Dichtung nach MSD (2005) prinzipiell zu berücksichtigen ist, wird im Weiteren nicht auf die Ursache für den Ausfall der Tondichtung eingegangen. Vielmehr werden nur die Standsicherheitsnachweise und hier explizit der Nachweis gegen Hydraulischen Grundbruch für diesen Lastfall betrachtet. Auf vorhergehende Bauzustände, die teilweise mit Abwehrbrunnen gesichert wurden, wird nicht eingegangen und es werden zusätzlich zum besseren Verständnis vereinfachte Annahmen (z. B. für den Baugrund) getroffen. Eine Übersicht über die wesentlichen Veröffentlichungen zu Fragen des Hydraulischen Grundbruchs ist in Hettler (2008) enthalten. In Bild 5 ist ein Schnitt vom Kanal zur Baugrube zwischen den beiden Widerlagern durch die Flügelwand dargestellt. Die Flügelwand ist auf Pfählen gegründet, die im Mergel abgesetzt sind. Bei einem Ausfall der Tondichtung kann das Kanalwasser durch den rolligen Boden, der überwiegend aus Sanden und teilweise auch aus sandigen Schluffen besteht, zur Sohle der Baugrube strömen. In der Sohle von auf Pfählen gegründeten Bauwerken darf nach MSD (2005) kein Potentialabbau berücksichtigt werden, d. h. es ist mit einer hydraulisch wirksamen Fuge zwischen Sohle und Boden zu rechnen. Vereinfacht kann auf Grund des nicht zu berücksichtigenden Potenzialabbaus die Dicke des Bauteils entsprechend reduziert werden, wodurch die bis zu 8 m breite Flügelwand wie eine Spundwand betrachtet werden kann (s. Ersatzsystem Bild 5). Zur weiteren Vereinfachung wurde nicht am Potentialliniennetz, sondern mit den Formeln der EAU 2004 das Potential an diesem Spundwandfuß ermittelt. Diese Vorgehensweise erlaubt jedoch nicht einen Nachweis des hydraulischen Grundbruchs mit einem Bruchkörpers nach Terzaghi/Peck (1961), sondern nur die Untersuchung an einem Stromfaden nach Baumgarten/Davidenkoff (1970), was Ergebnisse auf der sicheren Seite liefert. Numerische Untersuchungen von Odenwald & Herten (2008) zeigen jedoch, dass das im Folgenden aufgezeigte Problem immer auftritt. Anstatt die Sicherheit für die im Bild 5 dargestellte Situation mit einer Einbindetiefe von t = 1,5 m nachzuweisen, wird hier die Sicherheit gegen den Hydraulischen Grundbruch (η nach altem Sicherheitskonzept) zuerst unter Annahme eines homoge- Seite 41
4 nen Baugrunds ohne Auflastfilter für verschiedenen Einbindetiefen t ermittelt, wobei luftseitig der Wasserspiegel immer der Geländeoberkante entspricht. Bild 5: Schnitt durch die unterströmten Flügelwand und Ersatzsystem Unter Anwendung der in der EAU 2004 aufgeführten Formel h F h WU hso + h WO t = mit h r = h F h WU h + t SO kann das Potential am Spundwandfuß berechnet werden. Hierin bedeuten (s. Bild E115-1 EAU 2004): h r h F h so h wo h wu t = Differenz der Standrohrspiegelhöhe am Spundwandfußpunkt gegenüber der Unterwasserspiegelhöhe, = Standrohrspiegelhöhe am Spundwandfußpunkt, = durchströmte Bodenhöhe auf der Oberwasserseite der Spundwand, = oberwasserseitige Wasserspiegelhöhe über dem Spundwandfuß, = unterwasserseitige Wasserspiegelhöhe über dem Spundwandfuß, = Einbindetiefe der Spundwand. Angewendet auf das Ersatzsystem ergeben sich hier: h h wo t = h so wu = 51,15 43,50 = 7,65 m = 56,65 43,50 = 13,15 m Vereinfacht wird die Wichte des Bodens unter Auftrieb der des Wassers gleichgesetzt. γ = γ W =10 kn/m³. Seite 42
5 Somit kann die Sicherheit gegen hydraulischen Grundbruch nach Baumgarten/Davidenkoff als Verhältnis des Gewichts t γ des Stromfadens unter Auftrieb zur Strömungskraft h r γ w in dem Stromfaden ermittelt werden mit: η (t) = t γ h (t) γ r w t = h (t) r Wird nun noch berücksichtigt, dass es sich bei der realen Baugrubengeometrie um eine räumliche Anströmung handelt, indem man die Sicherheit mit einem Formfaktor f = 0,6 multipliziert, ergibt sich die in Bild 6 gestrichelte dargestellte Linie für die Sicherheit gegen Hydraulischen Grundbruch in Abhängigkeit von der Einbindetiefe. (Der Formfaktor wurde durch Vergleichsrechnungen mittels 3-D- Grundwasserströmungsmodell ermittelt.) Damit wäre für eine ausreichende Sicherheit bei einem Ausfall der Dichtung (Lastfall 3 η = 1,2 nach MSD von 1998) eine erforderliche Einbindtiefe von 6,42 m bei homogenem Baugrund erforderlich. Wird nun ein Auflastfilter verwendet, ergibt sich eine geringere erforderliche Einbindung der Wand. Der Auflastfilter wurde in der Berechnung abweichend vom realen System durch eine luftseitige Auflast von 25 kn/m² simuliert, die keinen Einfluss auf die Strömungsberechnung hat. Für diese luftseitige Auflast ist die ermittelte Sicherheit gegen Hydraulischen Grundbruch in Abhängigkeit von der Einbindetiefe der Wand in Bild 6 als durchgehende Linie dargestellt. Dabei ergibt die Berechnung, dass für dieses System mit Auflast sowohl bei Einbindetiefen der Wand von t 4,90 m als auch von t 0,10 m eine ausreichende Sicherheit gegen Hydraulischen Grundbruch im Lastfall 3 vorhanden ist. Bild 6: Sicherheit gegen Hydraulischen Grundbruch für verschiedene Einbindetiefen Dies ist auf die Bestimmung der Sicherheit mit η (t) = t γ + G h (t) γ r Filter w zurückzuführen. Wird der Boden komplett abgegraben (t 0) gehen sowohl das Bodengewicht als auch die Strömungskraft gegen Null und es ergibt sich eine unendlich große Sicherheit. Seite 43
6 0 + G η t 0) = 0 ( Filter = Bild 7: Grafische Bestimmung der Sicherheit aus Terzaghi K./Jelinek R. Abb. 79 Damit ließe sich für jedes System mit einer beliebigen Auflast eine ausreichende Sicherheit nachweisen, indem gegebenenfalls tiefer abgegraben wird. Es ist jedoch offensichtlich, dass eine tiefere Lage des Auflastfilters in der Realität nicht zu höheren Sicherheiten führen kann. Für den Grenzfall ohne Einbindung der Baugrubenwand wurde z. B. von Weißenbach (1977) schon erwähnt, dass eine solche Sohle stets aufbruchgefährdet ist. Ein realistischeres Ergebnis ergibt sich, wenn, wie in Terzaghi & Jelinek (1954) schon beschrieben, das Gleichgewicht nicht nur am Spundwandfuß, sondern auch in anderen Tiefenlagen betrachtet wird (s. Bild 7). Sie schreiben: Die Untersuchung kann für verschiedene waagerechte Schnitte durch den Sand wiederholt werden, die in verschiedenen Tiefen t 3 unter der Baugrubensohle anzunehmen sind. Die kritische Druckhöhe ist durch die Bedingung h p = Minimum bestimmt und die waagrechte Schnittfläche, die zu diesem Minimum führt, ist die kritische Schnittfläche. Sie stellt die untere Begrenzung der Sandmasse dar, die im Anfangszustand der Grundbrucherscheinung einem Hochdrücken unterworfen ist. Ein Vorschlag, wie für solche außergewöhnlichen Bemessungssituationen (t 0) der Nachweis im Sinne von Terzaghi mit dem neuen Teilsicherheitskonzept angewendet werden könnte, ist in Odenwald & Herten (2008) enthalten. Diese Berechnungen können nur mit Hilfe des Strömungsnetzes durchgeführt werden. Es wird weiterhin nur ein Stromfaden aber mit der Tiefe t 3 (s. Bild 7) betrachtet, die durch Variation ermittelt wird und hier größer als die Einbindetiefe t ist. In Bild 8 (gestrichelte Linie) ist die so ermittelte Sicherheit in Abhängigkeit von der Einbindetiefen t der Spundwand dargestellt. Im Unterschied zu den Berechnungen mit einem Stromfaden, der immer am Spundwandfuß beginnt (durchgezogenen Linie), steigt die Sicherheit nicht mehr ins Unendliche bei einer Abgrabung bis zum Fuß der Spundwand, d. h. es ist rechnerisch eine Auflast deutlich größer Null erforderlich. Es zeigt sich jedoch auch hier, dass bei einer Einbindetiefe der Wand von t = 0,8 m die Sicherheit wieder ansteigen würde, obwohl dabei auch die abzubauende Druckdifferenz Δh = h so h wu ansteigt. Daher wird in Odenwald & Herten (2008) empfohlen, für die Ermittlung des Gewichts des Filters die rechnerisch geringer werdende erforderliche Auflast bei sehr kleinen Einbindetiefen nicht zu berücksichtigen. Eine weitere Verbesserung bei den rechnerischen Nachweisen könnte erreicht werden, wenn wiederum ein Hinweis von Terzaghi (1925) aufgegriffen würde. Er schreibt: Falls nun das Gewicht an irgendeiner Stelle nicht hinreicht, um in der Erddruckzone senkrecht zu den Kraftlinien wirkenden Druck zu kompensieren, so tritt an dieser Stelle die als Zerrung des Sandes bezeichnete Erscheinung ein. Die Zerrung hat eine Zunahme des Porenvolumens zur Folge. d. h. es bildet sich am Ort der Umlagerung eine Zone erhöhter Durchlässigkeit. Die Stromlinien werden nach der Stelle verminderten Strömungswiderstandes hin abgelenkt und die mit der Zusammendrängung der Stromlinien verbundene örtliche Zunahme der Strömungsgeschwindigkeit führt den Grundbruch herbei. Seite 44
7 Bild 8: Sicherheit in der maßgebenden Tiefe und am Spundwandfuß Statt die von Terzaghi beschriebenen Kraftlinie zu verwenden, könnten gekoppelte Finite-Elemente- Berechnungen durchgeführt werden. D. h. Dehnungen der Elemente, verursacht durch Strömungskräfte, beeinflussen die Durchlässigkeit der Elemente und führen dadurch zu Änderungen der Strömungskräfte und erzeugen wiederum weitere Dehnungen. Solche Berechnungen und auch die Anwendungen der Distinkten-Elemente-Methode können zukünftig dabei helfen, ein besseres Verständnis für solche Grenzzustände zu entwickeln. Somit könnte der Widerspruch - größere Sicherheit durch tieferes Abgraben aufgelöst werden und es würde eine wirtschaftlichere, aber trotzdem ausreichend sichere Bemessung ermöglicht. 4 Schlussfolgerungen Der Schadensfall zeigt, dass der Ausfall einer Sohldichtung kein akademischer Lastfall ist, insbesondere dann, wenn Bautätigkeiten stattfinden. Der Ausfall der Dichtung kann aber nur als Auslöser nicht aber als Ursache bezeichnet werden, da er für alle Bauzustände zu berücksichtigen war. Die Ursache hingegen lässt sich mit einem Zitat aus Terzaghi & Peck (1961) treffend beschreiben: Jeder Wasseraustritt aus dem Baugrund an der Grenze zwischen einer groben und einer feinkörnigen Schicht (Anmerkung: hier der Auflastfilter) kann ein Ausspülen des feineren Erdstoffs verursachen, sofern die Geschwindigkeit des ausströmenden Wassers groß ist. Das Ausspülen beginnt gewöhnlich mit der Bildung kleiner Quellen an verschiedenen Punkten entlang der Grenze, von wo in rückwärtige Richtung verlaufende, schlauchartige Hohlräume ausgehen, die bis zur Fläche, wo das Wasser in den Boden eindringt, führen können. Dieser Vorgang wird unterirdische rückschreitende Erosion genannt. Sie ist eine der größten Gefahren für Staudämme und die Ursache für einige der folgenschwersten Dammbrüche. D. h. schon bevor es wegen zu großer Strömungskräfte zu dem oben beschriebenem Hydraulischen Grundbruch kommen kann, besteht mit Beginn des Wasserzutritts sogar bei geringen Strömungskräften die Gefahr des Versagens durch Erosion. Einen solchen Wasserzutritt hat es vor dem Schadensereignis nachweislich gegeben. Erosion kann jedoch verhindert werden, indem der Auflastfilter nach dem Merkblatt MAK (1989) der BAW sorgfältig hergestellt wird. Der Hydraulische Grundbruch kann vermieden werden, indem die in Abschnitt 3 dargestellten Anwendungsgrenzen der vereinfachten Nachweise berücksichtig werden. Seite 45
8 Literatur Davidenkoff, R. (1970): Unterläufigkeit von Stauwerken, Werner-Verlag, Düsseldorf Hettler, A. (2008): Hydraulischer Grundbruch: Literaturübersicht und offene Fragen, Bautechnik 85 Heft 9, pp , Verlag Ernst & Sohn, Berlin Odenwald, B. & Herten, M. (2008): Hydraulischer Grundbruch: neue Erkenntnisse, Bautechnik 85 Heft 9, pp , Verlag Ernst & Sohn, Berlin Terzaghi, K. (1925): Erdbaumechanik auf bodenphysikalischer Grundlage, Abschnitt VI: Der Boden als Baugrund, pp , Franz Deuticke, Leipzig und Wien Terzaghi, K. & Jelinek, R. (1954): Theoretische Bodenmechanik, Abschnitt C: Die mechanische Wirkung des Wassers im Boden, pp , Springer-Verlag, Berlin, Göttingen, Heidelberg Terzaghi, K. & Peck, R. (1961): Die Bodenmechanik in der Baupraxis, Springer-Verlag, Berlin, Göttingen, Heidelberg Weißenbach, A. (1977): Baugruben Teil III, Kapitel 6: Gleichgewichtsbedingungen. Pp. 246, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin, München, Düsseldorf MSD (2005) Standsicherheit von Dämmen an Bundeswasserstraßen, Bundesanstalt für Wasserbau MAK (1989) Merkblatt Anwendung von Kornfiltern an Wasserstraßen, Bundesanstalt für Wasserbau Seite 46
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