Versorgung psychisch kranker Geflüchteter. Quo vadis? Carolin Böhmig Referentin Bundespsychotherapeutenkammer
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- Lieselotte Baumann
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1 Versorgung psychisch kranker Geflüchteter Quo vadis? Carolin Böhmig Referentin Bundespsychotherapeutenkammer 6. Hamburger Psychotherapeutentag 10. September
2 Wie groß sind die Herausforderungen der Versorgung psychisch kranker Geflüchteter? 2
3 Viele Menschen suchen Schutz in Deutschland > 1 Mio. Geflüchtete seit Beginn 2015 (BAMF, 2016) Fast zwei Drittel dieser Menschen stammen aus den Kriegsund Krisengebieten Syrien, Afghanistan und Irak Etwa ein Drittel ist minderjährig unbegleitete minderjährige Flüchtlinge 3
4 Wie viele Geflüchtete sind psychisch krank? Internationale Studienlage: Mehrzahl der Studien zeigt Prävalenzraten jeweils über 20 Prozent für Depressivität, Angst und PTBS (Lindert et al., 2008). Erwachsene Studien aus Deutschland mit Geflüchteten in den ersten Monaten ihres Aufenthaltes: mind. eine psychische Störung: ca. 60 Prozent (Richter et al., 2015) PTBS: Prozent (Gäbel et al., 2008; Richter et al., 2015; Ullmann et al., 2015) 4
5 Wie viele Geflüchtete sind psychisch krank? Kinder/Jugendliche Studien aus Deutschland mit geflüchteten Kindern/Jugendlichen (bis 14 Jahre): ca. ein Drittel leidet unter einer psychischen Erkrankung (Mall & Hennigsen, 2015) UMF: Prozent (Witt et al., 2015) PTBS: etwa 20 Prozent (Ruf et al., 2010; Mall & Hennigsen, 2015) Schätzung: Rund die Hälfte der erwachsenen Geflüchteten und rund ein Drittel der geflüchteten Kinder und Jugendlichen, die aktuell Schutz in Deutschland suchen, sind psychisch krank 5
6 Welche Hilfen benötigen psychisch kranke Geflüchtete? Differenziertes Versorgungsangebot für psychisch kranke Geflüchtete notwendig Ehrenamtliches Engagement Psychosoziale Beratung & Unterstützung Ambulante psychotherapeutische/ psychiatrische Behandlung Stationäre Therapie Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen steht unter Approbationsvorbehalt das gilt auch für Geflüchtete Angemessene und frühzeitige Gesundheitsversorgung ermöglicht/erleichtert Integration 6
7 Welche strukturellen Probleme gibt es bei der Versorgung psychisch kranker Geflüchteter? 7
8 15 Monate & keine Anerkennung Gesetzliche Regelungen Gesundheitsversorgung Geflüchteter Ankunft in Deutschland (Gesundheits-) Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz ( 4, 6) Anerkennung i. d. R. ALG II o. Erwerbstätigkeit (GKV-Mitglied, SGB V) 2 AsylbLG wie Sozialhilfe Anerkennung 8
9 Eingeschränkte Gesundheitsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) In den ersten 15 Monaten Behandlung in der Regel nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen ( 4 AsylbLG) Psychotherapie nur in Einzelfällen ( 6 AsylbLG) häufig fehlende Qualifikation der Sachbearbeiter und Amtsärzte Häufig Ablehnung der Anträge auf Psychotherapie und Verweis auf medikamentöse Behandlung 9
10 EU-Aufnahmerichtlinie reduziert Ermessenspielraum nach AsylbLG auf Null Psychisch kranke Geflüchtete nach EU-Aufnahmerichtlinie besonders schutzbedürftig Anspruch auf Zugang zu einer [ ] psychologischen Behandlung oder Betreuung (Artikel 25) Klarstellung der Bundesregierung (BT-Drs. 18/9009) Die Anwendung der EU-Aufnahmerichtlinie reduziert Ermessenspielraum bei der Genehmigung von Psychotherapie nach 6 AsylbLG bei schutzbedürftigen Geflüchteten auf Null 10
11 Flickenteppich egk 1. Asylpaket (10/2015): Krankenkassen zur Übernahme der Krankenbehandlung für Geflüchtete in den ersten 15 Monaten verpflichtet, wenn Landesregierung dazu auffordert Rahmenvereinbarung über die Leistungen (nach AsylbLG) und Ausgabe einer egk Elektronische Gesundheitskarte: Umsetzungsstand heterogen Landesrahmenvereinbarung: Einschränkungen nach AsylbLG unterschiedliche Vorgaben hinsichtlich der Gewährung von Psychotherapie 11
12 Keine verbindlichen Strukturen zur Früherkennung und -intervention psychischer Erkrankungen Früherkennung psychischer Erkrankungen im Rahmen der Erstuntersuchung in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht vorgesehen Versorgung in der Regel abhängig vom regionalen Engagement einzelner Initiativen Quelle: dpa/picture alliance/ingo Wagner 12
13 Nach 15 Monaten wird es besser!?... Nach 15 Monaten: Anspruch auf GKV-Leistungsspektrum KK erbringt Leistung Sozialhilfeträger erstattet die Kosten Nach Anerkennung als Flüchtling: i. d. R. GKV-Mitglied Aber: 6 Monate Wartezeit auf eine ambulante Psychotherapie (BPtK, 2011) 13
14 Fehlende Finanzierung von Sprachmittlung Kosten von Sprachmittlung für die Gesundheitsversorgung werden von den Sozialämtern nur selten und von den Krankenkassen überhaupt nicht übernommen Aufklärung, Diagnostik und Behandlung ohne Sprachmittlung bei Geflüchteten zumindest zu Beginn ihres Aufenthaltes häufig nicht möglich (u. a. auch haftungsrechtliche Probleme) Sprachmittlung = Nadelöhr Psychotherapie mit Sprachmittlung ist bei Geflüchteten wirksam (Brune et al., 2011; d Ardenne et al., 2007) 14 Quelle:
15 Was konnte bisher erreicht werden? 15
16 Ermächtigung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten Oktober 2015: Änderung der Ärzte-ZV Zulassungsausschüsse sind verpflichtet, Ärzte, Psychotherapeuten und Psychosoziale Zentren zur ambulanten psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung von Asylsuchenden, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, zu ermächtigen Ermächtigte Psychotherapeuten dürfen Psychotherapie mit Geflüchteten, die Leistungen nach dem AsylbLG beziehen, nach den ersten 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland mit der GKV abrechnen 16
17 15 Monate & keine Anerkennung Gesetzliche Regelungen Gesundheitsversorgung Geflüchteter Ankunft in Deutschland Gesundheitsleistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz (eingeschränkt im Vgl. zu GKV) Anerkennung i. d. R. ALG II o. Erwerbstätigkeit (GKV-Mitglied, SGB V) 2 AsylbLG wie Sozialhilfe Anerkennung 17
18 Umsetzungsstand Ermächtigungen Abbildung: Stand der Umsetzung der Ermächtigungsregelung Quelle: Umfrage der BPtK bei den LPKn Stand: Juni
19 15 Monate & keine Anerkennung Probleme bei der Umsetzung der Ermächtigungsregelung Ankunft in Deutschland Gesundheitsleistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz (eingeschränkt im Vgl. zu GKV) Anerkennung i. d. R. ALG II o. Erwerbstätigkeit (GKV-Mitglied, SGB V) Weiterbehandlung 2 AsylbLG wie Sozialhilfe Anerkennung 19
20 Initiative Sprachmittlung im Gesundheitswesen Ziel verbindliche gesetzliche Regelung für Finanzierung von Sprachmittlung verbindliche Anforderungen an die Qualifikation von Dolmetschern und Sprachund Integrationsmittlern 20
21 Vorschlag für ein Modellprojekt von BPtK und BÄK 3 Module zur Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Flüchtlinge Aufbau eines aus Bundesmitteln finanzierten Pools von qualifizierten Dolmetschern/Sprach- und Integrationsmittlern Einrichtung von Koordinierungsstellen in den Ländern, die für die Beantragung, qualifizierte Begutachtung, Genehmigung und Vergütung von Psychotherapien bei Geflüchteten verantwortlich sind Qualifizierung von Psychotherapeuten und Ärzten zur Versorgung psychisch kranker Geflüchteter 21
22 Flüchtlingseltern und -helfer unterstützen Ratgeber für Eltern Wie helfe ich meinem traumatisierten Kind auf Deutsch, Englisch, Arabisch (Kurdisch/Kurmandschi und Farsi in Vorbereitung) Ratgeber für haupt- und ehrenamtliche Helfer Wie kann ich einem traumatisierten Flüchtling helfen? 22
23 Viele engagieren sich Umfrage bei den Landespsychotherapeutenkammern (09/2015) Alle Kammern bieten Fortbildungsveranstaltungen zur psychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten an 2 Kammern beteiligen sich an Fortbildung von Flüchtlingshelfern bzw. Lehrkräften im Umgang mit traumatisierten Geflüchteten 3 Kammern sind an Initiativen zur Früherkennung traumatisierter Geflüchteter beteiligt Fast alle Landeskammern stehen im Austausch mit den PSZ (regelmäßige Gesprächsrunden, gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen, politische Initiativen) Etwa die Hälfte der Kammern ist in Landesinitiativen, Netzwerken, Vereinen und Arbeitskreisen zur Verbesserung der Versorgung von Geflüchteten beteiligt Alle Kammern setzen sich gegenüber der Politik, in Stellungnahmen, Pressemitteilungen, Resolutionen für eine angemessene Versorgung von Geflüchteten ein, inklusive der Finanzierung von Sprachmittlung 23
24 Viele engagieren sich 24
25 Was gibt es noch zu tun? 25
26 Es gibt noch viel zu tun Sprachmittlung finanzieren Strukturen zur Früherkennung und -intervention aufbauen und finanzieren (z. B. psychotherapeutische Sprechstunden in den Erstaufnahmeeinrichtungen) Erteilung von Ermächtigungen zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten nicht unnötig beschränken Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer ausbauen und Finanzierung sicherstellen Einschränkungen in der Gesundheitsversorgung nach AsylbLG abschaffen 26
27 Wir schaffen das Es gibt noch viel zu tun! 27
28 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Carolin Böhmig Referentin Bundespsychotherapeutenkammer Klosterstraße Berlin Homepage: 28
29 29
30 Postmigrationsfaktoren beeinflussen psychische Gesundheit Bedingungen im Aufnahmeland beeinflussen psychische Gesundheit (Steel et al., 1999; Gavranidou et al., 2008): Fehlende Privatsphäre bei der Unterbringung Hürden und Verzögerungen im Asylverfahren Angst, abgeschoben zu werden Fehlen einer Arbeitserlaubnis Hindernisse bei der Gesundheits- und Sozialversorgung Sprachbarrieren (bei Kindern: Dolmetschen für die Eltern) Diskriminierungserfahrungen 30
31 Psychische Erkrankungen und Asylverfahren Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (Februar 2016): PTBS regelmäßig kein Abschiebehindernisgrund mehr 60 Abs. 7 AufenthG (Verbot der Abschiebung): Keine Abschiebung bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden Gesetzesbegründung: Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann hingegen zum Beispiel in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden: In Fällen einer PTBS ist die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung. 31
32 Psychische Erkrankungen und Asylverfahren Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (Februar 2016): Psychotherapeuten dürfen keine Gutachten bei Fragen der Abschiebung erstellen 60a Aufenthaltsgesetz: Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. 32
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