Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Strafrechtsausschuss
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- Kai Hochberg
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1 Berlin, im Oktober 2012 Stellungnahme Nr. 79/ Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Strafrechtsausschuss zum Diskussionsentwurf des BMJ für ein Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen Mitglieder des Ausschusses: Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Berlin (Vorsitzender) Rechtsanwalt Dr. h. c. Rüdiger Deckers, Düsseldorf Rechtsanwältin Dr. Margarete Gräfin von Galen, Berlin Rechtsanwältin Dr. Gina Greeve, Frankfurt am Main Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Hamm, Frankfurt am Main (Berichterstatter) Rechtsanwalt Eberhard Kempf, Frankfurt am Main Rechtsanwältin Gül Pinar, Hamburg Rechtsanwalt Michael Rosenthal, Karlsruhe Rechtsanwalt Martin Rubbert, Berlin Rechtsanwältin Dr. Heide Sandkuhl, Potsdam Rechtsanwalt Dr. Rainer Spatscheck, München Rechtsanwalt Dr. Gerson Trüg, Freiburg im Breisgau Zuständig in der DAV-Geschäftsführung: Rechtsanwältin Tanja Brexl, DAV-Berlin
2 2 Verteiler: Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Rechtsausschuss, Innenausschuss des Deutschen Bundestages Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Siegfried Kauder Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Wolfgang Bosbach Landesjustizministerien Rechts- und Innenausschüsse der Landtage Bundesgerichtshof Bundesanwaltschaft Vorstand des Deutschen Anwaltvereins Landesverbände des Deutschen Anwaltvereins Vorsitzende der Gesetzgebungsausschüsse des Deutschen Anwaltvereins Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins Geschäftsführender Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer Vorsitzende des Strafrechtsausschusses des KAV, BAV Vorsitzende des FORUM Junge Anwaltschaft des DAV Deutscher Strafverteidiger e. V., Herr Mirko Roßkamp Regionale Strafverteidigervereinigungen Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen und -initiativen Arbeitskreise Recht der im Bundestag vertretenen Parteien Deutscher Richterbund Strafverteidiger-Forum (StraFo) Neue Zeitschrift für Strafrecht, NStZ Strafverteidiger Prof. Dr. Jürgen Wolter, Universität Mannheim ver.di, Bereich Recht und Rechtspolitik Deutscher Juristentag (Präsident und Generalsekretär) Prof. Dr. Schöch, LMU München
3 3 Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist der freiwillige Zusammenschluss der deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Der DAV mit derzeit ca Mitgliedern vertritt die Interessen der deutschen Anwaltschaft auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. I. Vorbemerkungen Der vorliegende Diskussionsentwurf und die abgegebenen Stellungnahmen aus der Strafjustiz (DRiB und NRV) zeigen, dass die Institutionalisierung und gesetzliche Normierung einer elektronischen Strafakte auf die Akzeptanz und Bereitschaft zur fundamentalen Umstellung der Arbeitsweise in den Kreisen der künftigen Anwender angewiesen ist. Dazu gehört auch die Anwaltschaft, die in den Funktionen der Strafverteidigung, Nebenklägervertretung, Vertretung von Dritten bei der Wahrnehmung von Akteneinsichtsrechten und Stellungnahmen durch die Umstellung von der Papierakte auf die Verwendung der digitalen Medien weder behindert noch bevorteilt werden darf. Die Akzeptanz der Umstellung von der analogen Papierakte auf die elektronische Akte ist auch in der Anwaltschaft nicht von heute auf morgen zu erwarten. Deshalb ist es durchaus zu begrüßen, dass der Diskussionsentwurf in Art. 2 eine großzügig bemessene Überganszeit bis 1. Januar 2020 vorsieht, innerhalb derer die Landesregierungen die Weiterführung der Papierakte für alle Gerichte und Behörden oder nur einen Teil zwecks Durchführung von Pilotprojekten vorsehen dürfen. Ob sich nicht dadurch wieder besondere Reibungsverluste innerhalb der Landesjustizen wegen der Medienvielfalt einstellen, müsste geprüft werden. Im Übrigen enthält sich der DAV einer Stellungnahme zu allen Fragen der justizinternen Zweckmäßigkeit, Machbarkeit, Akzeptanz und Kostenschätzung des Projekts der Umstellung auf die elektronische Strafakte, weil die Anpassung des Dokumentations- und Kommunikationswesens in Strafverfahren an die modernen Medien und Techniken letztlich unausweichlich sein wird und die Fragen der praktischen Umsetzung im internen Justizbetrieb besser von den dort Betroffenen selbst beantwortet werden können, wobei darauf Bedacht genommen werden sollte, dass weniger die Aspekte der Trägheit und Bequemlichkeit als vielmehr das Bemühen um Qualitätssicherung der Dienstleistung Strafrecht im Vordergrund stehen.
4 4 Die folgende Stellungnahme beschränkt sich deshalb auf die spezifisch anwaltliche Sicht. Also nicht das Ob, sondern das Wie einer künftigen Nutzung der digitalen Aktenführung soll dabei unter den Aspekten der Erreichbarkeit größtmöglicher Überlegenheit ihrer Vorteile gegenüber den Nachteilen in den Blick genommen werden. Dabei muss das Interesse der verteidigten bzw. vertretenen Bürgerinnen und Bürger an einer möglichst authentischen, schnellen und jederzeit in ihrem Entstehungsprozess rekonstruierbaren Dokumentation der Akteninhalte höchste Priorität haben. Die Vorteile der elektronischen gegenüber der herkömmlichen Papierakte können sich nur dann einstellen, wenn man die Möglichkeiten der digitalen Dokumentation voll ausschöpft. Das wäre nicht der Fall, wenn man der bisher in großen Wirtschaftsstrafverfahren praktizierten Methode folgen wollte, wonach die auf elektronische Medien gespeicherte Akte nur das digitalisierte Abbild (der Scan ) der zuvor auf Papier erfassten Inhalte darstellten. Zutreffend sieht deshalb der Entwurf vor, dass die elektronische Akte nach der Übergangszeit der Anerkennung einer Opt-out -Möglichkeit in der endgültigen Ausbaustufe die obligatorisch zu sein hat, während freilich für Ausgangsdokumente in Papierform stets auch eine Aufbewahrungspflicht mit jederzeitiger Zugriffsmöglichkeit erhalten bleiben muss. II. Vorteile einer Ersetzung der (führenden) Papierakte durch die elektronische Akte Der heutige technische Standard der elektronischen Text- Bild- und Tondarstellung mittels Computern, Bildschirmen und den sonst üblichen Peripheriegeräten erlaubt ein Arbeiten mit medial gebundenen Inhalten, das dem traditionellen Lesen, manuellem Markieren und Kommentieren auf Papierdokumenten in mehrfacher Hinsicht überlegen ist. 1. Lesbarkeit der Akte wird erhöht Die bessere Lesbarkeit auf einem genügend großen Bildschirm mit hoher Auflösung beginnt bereits bei der individuellen Einstellbarkeit der Schriftgröße und des Lesefeldes und reicht bis zu den Möglichleiten der internen und externen Verlinkung zu jeweils in Bezug genommenen anderen Text(teil)en oder anderen Dokumentenarten.
5 5 2. Durchsuchbarkeit Textdokumente ohnehin, aber auch andere Dateitypen (PDF) können mit OCR- Programmen so aufbereitet werden, dass die Suche nach Worten, Zahlen und ganzen Satzsequenzen auch in großen Dokumenten und mittlerweile sogar dateiübergreifend in Sekunden stattfinden kann, während der vergleichbare Vorgang in eine Vielzahl von Stehordnern mit tausenden von Seiten bei den herkömmlichen Papierakten mehrere Stunden gedauert hätte. 3. Indizierbarkeit Darunter soll hier die Technik verstanden werden, die durch das Kreieren von Indexdateien auch die Datei- und Verzeichnis übergreifende Suche ermöglicht. 4. Strukturierbarkeit Das Anbringen von elektronischen Lesezeichen, Markierungen, Überschriften und automatisch erstellter Inhaltsverzeichnisse wird vielfach schon bei großen Dokumenten wie Ermittlungsberichten, Gutachten, Anklageschriften, Urteilen, Revisionsbegründungen im Entstehungsprozess auf dem jeweiligen PC des Autors angewendet. Indem dann aber bisher als offizielles Dokument doch nur ein Ausdruck in die Papierakte gerät, gehen all die Vorzüge der Textverarbeitungsprogramme wieder verloren und stehen somit dem Verwender nicht mehr zur Verfügung. Mit Einführung der digitalisierten Akte als offizielles Primärdokument, blieben die Gesamtstruktur und der vollständige Informationswert der Originaldokumente erhalten. Das gilt ganz besonders auch für die z.b. in Gutachten und Ermittlungsberichte eingebundenen Excel-Tabellen, die dem Leser u.a. die verwendeten Formeln transparent und überprüfbar machen. Auch Text- und Bilddateien enthalten sog. Metadaten, die dem Leser Aufschluss über den Entstehungszeitpunkt und ort sowie den Autor geben können. Dass auch Ton- und Filmdokumente (z.b. von audiovisuellen Vernehmungen) auf demselben Medium neben der jeweiligen elektronischen Verschriftung integrierte Bestandteile der Strafakte werden können, erleichtert ebenfalls die Kenntnisnahme und Kontrolle der betreffenden Ermittlungsvorgänge. Die hier freilich erforderliche Sicherung der Persönlichkeitsrechte müsste durch Kopierschutz- und ähnliche Techniken hergestellt werden.
6 6 5. Erhöhte Update-Frequenz Während die Schwerfälligkeit der Aktualisierung von Papieroriginal- und Mehrfachakten die Einsichtnahme in den jeweiligen Ermittlungsstand meist nur im Abstand von mehreren Wochen oder Monaten erlaubt, ohne dass ein rechtlich anerkennenswerter Grund zur (Teil-) Verweigerung der Akteneinsicht bestünde, könnte ein gegen Missbrauch gesicherter Onlinezugriff auf die elektronische Akte nahezu eine Mitverfolgung ihres Wachstums in Echtzeit ermöglichen. 6. Erhöhte Transparenz Nachdem bei den insbesondere in Wirtschaftsstrafsachen immer weniger einheitlich praktizierten Aufteilungen der Akten in Hauptakten, Beiakten, Sonderheften, Beweismittel-, Vernehmungsbänden und Fallakten immer mehr der chronologische Entstehungsprozess verwischt wird, sollte die elektronische Strafakte so programmiert und geführt werden, dass bei jeglichem Zugriff darauf, jede Veränderung und Ergänzung transparent wäre oder rekonstruiert werden kann. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, dass diese Metadaten (wer hat wann auf welches Dokument zugegriffen, es eingestellt, verändert, heruntergeladen usw.) für jeden Akteneinsichtsberechtigen ohne großen IT-Umweg sichtbar zu machen sind. 7. Bessere Dokumentation der Entstehungsgeschichte Die ursprünglichen Vorteile einer durchpaginierten und chronologisch gewachsenen Papierakte sind in umfangreichen Verfahren weitgehend dadurch verloren gegangen, dass die Ermittlungsbehörden thematisch geordnete Hauptakten, Zeugenakten, Fallakten, Beweismittelbände usw. so zusammenstellen, dass die Reihenfolge der Hinzufügung jeweils neuer Dokumente oft nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand noch rekonstruiert werden kann. Demgegenüber bestünde bei der entsprechend standardisierten elektronischen Akte die Möglichkeit, ihre Entstehungsgeschichte jederzeit wieder sichtbar zu machen und so auch den Akten- und Kenntnisstand bezogen auf jeden beliebigen Zeitpunkt abzubilden, um auf diese Weise auch z.b. die Berechtigung von Vorhalten bzw. auch deren Ausbleiben verständlich zu machen.
7 7 III. Mögliche und zu vermeidende Nachteile 1. Diskriminierung und Benachteiligung der technikfernen Strafjuristen? Es ist nicht zu verkennen, dass es nicht nur bei den Berufsgruppen der Richter und Staatsanwälte, sondern auch bei den Rechtsanwälten (insbesondere ältere) Personen gibt, die sich bisher schwer tun oder es auch ablehnen, sich mit den Computertechniken vertraut zu machen. Für die Rechtsanwälte setzt sich dieser Nachteil in den mitunter begrenzten Möglichkeiten bei der Information der Mandanten fort.diese Nachteile dürften sich jedoch durch die Möglichkeit, eine gesamte elektronische Akte oder auch nur Teile daraus mit dem eingeschränkten Informationswert der herkömmlichen Papierakte auszudrucken, minimieren lassen. Dies gilt aber nicht für die Kommunikation zwischen dem mit einer umfangreichen elektronischen Akte ausgestattetem Strafverteidiger und seinem inhaftierten Mandaten, zumal die seit der Föderalismusreform primär zuständigen Haftanstalten die Nutzung von Laptops im Haftraum regelmäßig unter Hinweis auf die Sicherheit und Ordnung ablehnen. Hier wäre es notwendig, dass das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte Vorgaben macht, die im Rahmen der Anwendung des 119a StPO eine Benachteiligung der nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten verhindert. 2. Versionswirrwarr Die Gefahr, dass bei einem unkontrollierten Update der Akten einschließlich der Korrektur zeitlich zurückliegender Vorgänge eine verwirrende Vielfalt von zwischendurch heruntergeladenen Zwischenversionen entstehen kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Es wird auch deshalb Aufgabe der im Entwurf vorgesehenen Entwicklung von Standards durch einen IT-Planungsrat sein, nicht nur für eine bundes- und ländereinheitliche Übermittlung und Zugänglichmachung elektronischer Akten zwischen den Justizbehörden zu sichern ( 32 Abs.2 E), sondern auch die Akteneinsichtsrechte der Verteidigung in 147 StPO so zu organisieren, dass der jeweilige Verfahrensstand leicht nachvollziehbar bleibt.
8 8 3. Sogwirkung der nahezu unbegrenzten Kapazitäten Schließlich darf auch die Gefahr nicht verkannt werden, dass gerade die Vorteile der elektronischen Strafakte (Handhabbarkeit großer Aktenumfänge) eine Kehrseite haben kann: Wenn die Handhabbarkeit nicht mehr durch einen überschaubaren Umfang der bisherigen Papierakte limitiert wird, könnte dies als Versuchung wirken, Strafakten beliebig umfangreich anwachsen zu lassen, was den Beschleunigungseffekt der elektronischen Akte in eine Entschleunigung umschlagen ließe. Erfahrungen aus der Vergangenheit bei der Einführung neuer Reproduktionstechniken (Fotokopierer, elektronische Erfassung und Herstellung von Texten auch mittels Textbausteinen), die bisher nur als Vorstufen der Herstellung der Papierakten verwendet wurden, nähren die Befürchtung, dass beim Einsparen des Ausdruckvorgangs kaum noch Hemmnisse gegen das uferlose Anwachsen ( Zumüllen ) von Aktenvolumina bestehen werden. Der Entwurf sieht keine Vorgabe für notwendigen versus überflüssigen Inhalt von Strafakten vor, weil er erkennbar von der Vorstellung getragen ist, es bestehe nur Regelungsbedarf für die Schaffung von Rechtsgrundlagen im Hinblick auf den schlichten Wechsel des Aktenmediums. Hier dürfte sich empfehlen, zumindest die Mehrfacherfassung von auf unterschiedlichem Wege zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingegangenen umfangreichen identischen Dokumenten durch entsprechende Vermerke mit Verknüpfungslinks zu ersetzen. IV. Kritik: 1. Der DAV weist darauf hin, dass der gesamte Gesetzentwurf auf der Annahme aufbaut, dass der nach Art. 91c GG eingerichtete IT-Planungsrat 1 Standards für die Führung der elektronischen Strafakte und den Informationsaustausch erst noch zu entwickeln habe, dass dann diese Standards auch zum Gesetzesvollzug geeignet sind und die Datenschutzinteressen der Bürgerinnen und Bürger gewahrt werden können. Der Fall, dass dies nicht gelingen sollte, ist im Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Deshalb schlägt der DAV vor, bereits parallel zum Gesetzgebungsverfahren die Arbeiten des IT-Planungsrates im Sinne einer Machbarkeitsstudie zumindest soweit voranzutreiben, dass das neue Gesetz sich 1 Zur Organisation, den Aufgaben und bisherigen Aktivitäten des IT-Planungsrats s.
9 9 auch auf konkrete und realistische informationstechnische Bedingungen stützen könnte. 2. Darüber hinaus fällt auf, dass der IT-Planungsrat schon auf der Basis seiner verfassungsrechtlichen Grundlage (Art. 91c GG) als Institution an der Kompetenzschnittstelle zwischen Bund und Ländern (und darüber letztlich auch der Kommunen) zur Planung, Errichtung und dem Betrieb der für ihre Aufgabenerfüllung benötigten informationstechnischen Systeme keine Primärzuständigkeit für die Kommunikation mit und zwischen privaten Stellen (Bürger, Wirtschaft, freie Berufe) hat. Dies lässt besorgen, dass bei der Erfüllung der nach dem Entwurf dieser Institution übertragenen Aufgabe die Belange und Bedürfnisse der öffentlichen Stellen (Gerichte und Behörden) des Bundes und der Länder sowie die Reibungslosigkeit ihrer Kommunikation untereinander im Vordergrund steht und die gesetzlich verbrieften Rechte von Beschuldigten und ihren Verteidigern, wie der Zeugen/Tatopfern und ihren anwaltlichen Beiständen bzw. Vertretern vernachlässigt werden. 3. Der Entwurf versucht dieser Gefahr dadurch zu begegnen, dass er es den Bürgerinnen und Bürgern freistellt, ob sie sich an dem elektronischen Rechtsverkehr beteiligen. Andererseits setzt er für die Wirtschaft insbesondere für Rechtsanwälte voraus, dass dort die erforderliche technische Ausstattung für die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr bereits weitgehend vorhanden sei (EStrAG-E Seite 2 E1). Soweit damit auch die D -Konten ( 32a Abs. 3 Nr. 1 EStrAG-E) gemeint sein sollten, dürfte das für die Anwaltschaft nicht zutreffen. Und soweit in EStrAG-E 32a Abs. 3 Nr. 2 und 3 andere bundeseinheitliche Übermittlungswege als sicher bezeichnet werden, ist die Umschreibung noch so allgemein gehalten, dass die betreffenden Standards und Verschlüsselungstechniken erst noch der Konkretisierung bedürfen. Und ob dann deren Ergebnisse auch den Anforderungen an die Sicherung der Vertraulichkeit und Wahrung des Anwaltsgeheimnisses (auch im Hinblick auf Ermittlungshandlungen) gerecht werden, versteht sich jedenfalls nicht von selbst. Deshalb sollte auch der Anwaltschaft Gelegenheit gegeben werden, dem eigenen Berufsrecht und den Bedürfnissen der vertraulichen Kommunikation untereinander und mit den Mandanten entsprechende
10 10 Standards und Programme zu entwickeln, um sie sodann auf Kompatibilität mir der elektronischen Akte zu prüfen. 4. Dies gilt umso mehr, als der Entwurf die Regelungen über den Anspruch der Verteidigung auf Akteneinsicht in 147 StPO bis auf eine unwesentliche redaktionelle Änderung in Abs. 3 ( Protokolle statt Niederschriften ) unverändert lassen will, aber in 32d und e StPO-E die Art der Einsichtnahme in die elektronische Akte im Grundsatz als Bereithalten der Akte zum Abruf ( 32d Abs. 1) vorsieht. Die Entwurfsbegründung stellt klar (S. 32), dass damit nicht etwa eine Akteneinsicht in Echtzeit gemeint ist, sondern das Bereitstellen in einen elektronischen Datenbestand zu einem konkreten Zeitpunkt, wobei die zum Abruf bereit gehaltenen Akten in einen für Außenstehende zugänglichen Serverbereich zu kopieren sein werden. Dass Letzteres aus datensicherheitstechnischen Gründen erforderlich sei, leuchtet angesichts der Vorkehrungen, die den Aktentransfer zwischen den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten angeblich auch schon gegen jegliche Authentizitäts- und Integritätsverletzung schützen sollen, nicht ein. Die Differenzierung deutet vielmehr darauf hin, dass ein aus anwaltlicher Sicht völlig inakzeptables Minus an Information gegenüber dem Verteidiger im Vergleich zu dem Datentransfer zwischen den Justizbehörden gewollt sein dürfte. 5. Im Übrigen fällt auf, dass in 147 Abs. 4 die gezielt auf analoge Papierakten zugeschnitten Vorschrift, wonach dem Verteidiger auf seinen Antrag die Akten mit Ausnahme der Beweisstücke zur Einsichtnahme in seine Geschäftsräume oder in seine Wohnung mitgegeben werden können, unverändert bleiben soll. Das könnte dafür sprechen, dass den Entwurfsverfassern auch künftig die Gewährung der Akteneinsicht durch Übergabe einer auf den Stichtag ihrer Herstellung bezogen DVD vorschwebt. Damit wäre gegenüber der derzeit in vielen umfangreichen Wirtschaftsstrafsachen praktizierten Methode nichts gewonnen. 6. Das gälte insbesondere dann, wenn die auf solche Weise zum Abruf bereitgestellte gesonderte Akteneinsichtsversion der elektronischen Strafakte zwar ein gegen unbefugte Weitergabe schützendes Wasserzeichen enthielte, aber im Übrigen von allen Metadaten, die Rückschlüsse auf bisherige Bearbeiter und den Ort und
11 11 Zeitpunkt von Veränderungen zuließen, gereinigt wären. Dass die Akteneinsicht der Verteidigung in diesem Sinne hinter dem Informationsgehalt der Übermittlung elektronischer Akten zwischen Gerichten und Behörden des Bundes und der Länder zurückbleiben soll, folgt aus der Begründung zu 32 Abs. 2 StPO-E, wo es nur bezogen auf den zwischenbehördlichen Austausch ausdrücklich heißt: Um die übertragenen Daten in dem entfernten System ohne Doppelarbeiten unmittelbar nutzen zu können, ist die gleichzeitige Übertragung von Metadaten, das heißt Daten, die andere Daten beschreiben (vgl. DIN ISO : , 3.12), erforderlich. Zumindest muss in den Metadaten eine Angabe zur Zuordnung der übermittelten Daten zu einer Akte (etwa ein Aktenzeichen) sowie eine Angabe zur Position der übermittelten Daten innerhalb der Akte (etwa Paginierungsnummer oder Eingangsdatum und -uhrzeit) enthalten sein. Weitere Metadaten, die sowohl die einzelnen Bestandteile der Akte als auch die Gesamtheit der Akte betreffen, sollen daneben in dem festzulegenden Standard enthalten sein. (S. 23 der Begründung) An diese Anforderungen ist offensichtlich nicht gedacht, sobald es um die Akteneinsichtsrechte von Rechtsanwälten geht. Das würde aber letztlich bedeuten, dass die Vorteile der elektronischen Strafakte nur justizintern genutzt werden könnten, weil die digitale Akte einem Gefäß mit doppeltem Boden gliche. Akteneinsicht würde dann nie mehr heißen: Einsichtnahme in die gesamte Akte, sondern nur noch in das elektronische Abbild dessen, was vor der Geltung des dann neuen Rechts der Verteidigung als (im besten Falle bereits gescannte) Papierakte zur Verfügung gestellt wurde. 7. Dann wäre aber auch zu befürchten, dass die in den Akten befindlichen Excel- Tabellen für die in der Akteneinsichtsversion für die Verteidigung auch weiterhin nur noch die Feldeintragungen sichtbar machen würden, während (nur) das Justizpersonal auch die Berechnungsformeln sehen und kontrollieren könnte. 8. Schließlich lässt der Entwurf eine nach Auffassung des DAV dringend notwendige Regelung dazu vermissen, wie künftig die Information des in Haft befindlichen Beschuldigten durch seinen Verteidiger sichergestellt werden kann.
12 12 Mit diesem Ziel ist es auch mit zur Beseitigung der infolge der Föderalismusreform und der nunmehrigen Zuständigkeit der Länder und ihrer Vollzugsverwaltungen entstandenen Ungleichbehandlungen geboten, dass eine über 119a StPO hinausgehende bundesrechtliche Vorgabe geschaffen wird, die zur Wahrung der Verteidigungsrechte bei umfangreichen elektronischen Ermittlungsakten die Benutzung von Computern in den Haftzellen erlaubt und den nicht überwachten Datenaustausch zwischen den inhaftierten Beschuldigten mit ihren Verteidigern garantiert, ohne dass dem die Belange der Sicherheit und Ordnung des Haftvollzugs entgegengesetzt werden dürften. V. Schlussbemerkung Die vorstehenden Kritikpunkte sollen nicht als Einwand gegen das Vorhaben der mittelfristig weitgehenden Ersetzung der analog geführten Papierakte durch eine elektronische geführte Strafakte verstanden werden. Die Anwaltschaft muss aber darauf bestehen, dass die normative Rahmenbedingungen so mit den informationstechnischen Machbarkeitsprüfungen und der Entwicklung von Standards synchronisiert werden, dass alle am Strafverfahren beteiligten juristischen Berufsgruppen in gleicher Weise an den Vorzügen der Nutzung digitaler Medien partizipieren und dass die wechselseitige Kontrolle nicht durch asymmetrische Informationsverteilung aus dem Gleichgewicht gerät. In dieser Hinsicht bedarf der Diskussionsentwurf noch einer gründlichen Nachbesserung.
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