Depression: Krankheitslehre, Therapie, Prävention
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- Matthias Zimmermann
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1 Hubertus Himmerich Claussen-Simon-Stiftungsprofessur für Neurobiologie affektiver Störungen Depression: Krankheitslehre, Therapie, Prävention Universitätsmedizin Leipzig (2013)
2 In mir wuchs die Angst Wehner-Zott, Himmerich: Die Seele heilen, S. 8.
3 Depression Häufigkeit und Verbreitung
4 1 Punktprävalenz unipolare Depression Jährige, Quelle: Bundesgesundheitssurvey 1998 Epidemiologie in Deutschland 6 % der Bevölkerung leiden gegenwärtig unter einer depressiven Erkrankung Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer Erkrankung betrifft alle Altersgruppen Ca. jede 4. Frau und jeder 8. Mann erkranken im Laufe des Lebens an einer Depression.
5 Depression und Suizidalität bis zu 15 % mit schwerer, rezidivierender oder chronischer Depression versterben durch Suizid 1 30 % der depressiven Patienten weisen mindestens einen Suizidversuch auf 2 90 % der Suizidenten litten unter psychiatrischen Erkrankungen, am häufigsten Depression (40-60 %) 3 Quellen : 1 Angst et al. 1999; 2 Bostwick et al. 2000; 3 Bertolote et al., 2005
6 Todesursachen im Vergleich: BRD 2008 Suizid Drogen Verkehr Mord / Totschlag 926 Aids 443 (Quelle: Bundesamtes für Statistik/Gesundheitsberichterstattung des Bundes; 2008)
7 Anzahl der Suizide pro Suizidraten in Deutschland Männlich Weiblich < 1 Jahr 1-5 Jahre 5-10 Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre 90 Jahre + (Quelle: Bundesamtes für Statistik/Gesundheitsberichterstattung des Bundes; 2008)
8 Problem: Grossteil der Erkrankten bleibt ohne ausreichende Behandlung Depression bleibt oft unerkannt Viele Betroffene erkennen die eigene Depression nicht Körperliche Symptomatik überdeckt häufig die Depression Depression wird unzureichend behandelt Viele Betroffene haben Angst, sich in psychiatrische oder psychologische Behandlung zu begeben Auch bei geeigneter Therapie viele Anwendungsfehler: unzureichende Aufklärung, zu niedrige Dosierung, frühzeitiger Therapieabbruch.
9 Behandlungsbedüftige Gesamtzahl Depression ca. 4 Mio. Behandlungsbedürftige Depressionen In hausärztl. Behandlung In hausärztlicher Behandlung 2,4-2,8 Mio. Als Depression Als diagnostiziert Depression diagnostiziert 1,2-1,4 Mio. Suffizient behandelt Suffizient behandelt Tausend Nach 3 Mon. Behandlung compliant Nach 3 Monaten Behandlung compliant Tausend 60-70% 30-35% 6-9% 2,5-4% Optimierungsspielraum durch Fortbildung und Kooperation mit Hausärzten Optimierungsspielraum durch Fortbildung und Kooperation mit Hausärzten Optimierungsspielraum durch bundesweite Awarenesskampagne Optimierungsspielraum durch bundesweite Awareness-Programme Quellen: über Deutsches Bündnis gegen Depression e.v. Kompetenznetz Depression, Suizidalität
10 Depression Diagnostik, Symptome und Verlauf
11 Haupt- und Nebenkriterien nach ICD-10 Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Gefühl von Schuld und Wertlosigkeit Suizidgedanken / Suizidale Handlungen Verlust von Interesse u. Freude Depressive Stimmung Schlafstörungen Verminderter Antrieb Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Appetitminderung Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
12 3 Thornicroft et al., 1993 Depressive Episode Einzelne depressive Episode (knapp die Hälfte der Betroffenen erlebt nur eine einzelne depressive Phase) 1 dauerhaft beschwerdefrei Zeit durchschnittl. Dauer einer Episode: 6-8 Monate 2 Wiedererkrankungsrate > 50 % nach Ersteerkrankung, > 70% nach zweimaliger Erkankung 3 1 Cassano et al., 2002; Lopez et al., 2006 u.w.; 2 unbehandelt; Davidson et al., 1999
13 Rezidivierende Depression, Dysthymie Rezidivierende Depression (unipolar, Major Depression) Dysthymie
14 Manisch Depressive Erkrankung Manisch Depressive Erkrankung (Bipolare affektive Störung): Neben depressiven Phasen treten Zustände von übermäßiger Aktivität, gehobener Stimmung und allgemeiner Angetriebenheit, manchmal auch Gereiztheit auf. Bipolare Störungen erfordern DRINGEND medikamentöse Behandlung.
15 Differentialdiagnose Ausschluss körperlicher Ursachen: endokrine / hormonelle Störungen (z.b. Schilddrüsenfunktionsstörung) neurologische Erkrankungen Viruserkrankungen Tumoren Autoimmunerkrankungen medikamentöse Ursachen daher: ärztliche Untersuchung unverzichtbar!
16 Depression Ursachen depressiver Erkrankungen
17 Psychische und körperliche Ursachen: 2 Seiten einer Medaille Psychosoziale Aspekte Neurobiologische Aspekte Vulnerabilität Auslöser Depressiver Zustand z. B. negative Lebenserfahrungen, Persönlichkeit z. B. akute psychosoziale Belastung, Stress depressive Sympto- Matik (Erleben und Verhalten) z. B. genetische Faktoren z. B. Überaktivität der Stresshormonachse z. B. neurochemische Dysfunktionen, Überaktivität der Stresshormonachse Therapie Psychotherapie Pharmakotherapie
18 Neurobiologie der Depression Gehirnstruktur Metabolismus der Neurotransmitter Synaptische Neurotransmitterkonzentrationen Hormonelle Systeme Immunsystem
19 Neurobiologie der Depression: Gehirnstrukturelle Veränderungen Graphik aus: Fuchs E und Flügge G, psychoneuro 2005
20 Neurobiologie der Depression: Monoaminerges synaptisches Defizit Universitätsmedizin Leipzig (2010) Himmerich: Neurobiologie und Immunologie der Depression
21 Beispiele für mit affektiven Störungen assoziierte immunologische Erkrankungen Rheumatoide Arthritis Psoriasis Arteriitis temporalis Lupus erythematodes Morbus Behçet Morbus Bechterew Morbus Boeck Systemische Sklerose ZNS-Vaskulitis Himmerich, in: Schneider: Facharztwissen Psychiatrie Psychotherapie 2011
22 Himmerich H: Neuroimmunologie. In: Holsboer, Gründer, Benkert (Hrsg.): Handbuch der Psychopharmakotherpie, Springer 2008 Immunologisches Krankheitskonzept der Depression IFN-Nebenwirkungen: depressive Symptome (Schaefer et al. 2005) Gabe von Zytokinen: sickness behaviour, das Symptome einer Depression widerspiegelt (Dantzer et al. 2008) i.v.-gabe von Endotoxin: Zytokinausschüttung, affektive und mnestische Symptome (Reichenberg et al. 2001)
23 TNF-a, TNF-R p55 und p75: Plasmakonzentrationen bei Probanden und depressiven Patienten Probanden, die nie depressiv waren: N = 523 Probanden mit Depression in der Vorgeschichte: N = 35 Stationäre Patienten mit akuter Depression ohne entzündliche Erkrankung: N = 70 Himmerich H et al. Eur Psychiatry 2008
24 Plasmakonzentrationen von Zytokinen bei gestressten Wistar-Ratten 24 männliche Wistar-Ratten Forced Swimming (N=8), Chronic Restraint Stress (N=8), kein Stress Bestimmung von IL-2, IL-4, IL-6, IL-10, IL- 22, TNF-a und IFN- Himmerich H et al. Eur Cytokine Netw, submitted.
25 Plasmakonzentrationen von Zytokinen bei gestressten Wistar-Ratten * * * Signifikanter Unterschied im Mann-Whitney-U-Test. Himmerich H et al. Eur Cytokine Netw, submitted. * Signifikanter Unterschied im Mann-Whitney-U-Test. Himmerich H et al. Eur Cytokine Netw, submitted.
26 TNF-a-System: möglicher antidepressiver Therapieansatz? Tyring et al. 2006: 618 Patienten mit Psoriasis, ca. 30% depressiv: 12 Wochen lang 50 mg Etanercept oder Placebo pro Woche Signifikant größere Verbesserung in HAMD und BDI, signifikant mehr Responder bzgl. depressiver Symptomatik unter Etanercept Verbesserungen in HAMD oder BDI korrelierten nicht mit Verbesserung der dermatologischen Symptome Tyring et al., Lancet 2006
27 Krügel U, Fischer J, Radicke S, Sack U, Himmerich H, J Psychiatr Res 2013;47: TNF-a-System: möglicher antidepressiver Therapieansatz? 72 männliche Wistar-Ratten 6 Gruppen (je N=12) Etanercept 2 mal wöchentlich (0.3 mg/kg, i.p.) Imipramin (10 mg/kg, i.p.) Ringerlösung
28 TNF-a-System: möglicher antidepressiver Therapieansatz? Krügel U, Fischer J, Radicke S, Sack U, Himmerich H, J Psychiatr Res 2013;47:611-6.
29 Folie 13 Körperliche Beschwerden und Depression Verursachen Wird v.a. von Patienten überschätzt Körperliche Beschwerden Verursacht Vgl. Teufelskreis körperlicher Beschwerden Depression Verstärkte Wahrnehmung
30 Folie 14 Optional Körperliche Beschwerden sind Teil des Teufelskreises Depression Körperliche Funktionsstörungen, z.b. - Inaktivität - Schlafstörungen - Muskeltonus - Appetitlosigkeit - Luftnot / Atembeschwerden Pessimistische kognitive Verarbeitung Körperliche Beschwerden, z.b. - Rückenschmerzen - Kopfschmerzen - Obstipation - Retrosternales Brennen
31 Folie 16 Differentialdiagnostik Befindlichkeitsstörung versus Depression Bei multimorbiden Patienten ist häufig die Befindlichkeit beeinträchtigt. Die Erkennung von Depression ist dadurch erschwert. Folgende Symptome helfen besonders gut eine Depression zu erkennen: Affektstarre Gefühl der Gefühllosigkeit Schuldgefühle Tagesschwankungen Suizidalität Wahnsymptomatik Depressive Episode in der Vorgeschichte
32 Depression Behandlung
33 Zentrale Behandlungssäulen Medikamentöse Behandlung (v.a. Antidepressiva) Psychotherapie (Wirksamkeit von Verhaltenstherapie und Interpersoneller Therapie am besten belegt) Weitere Verfahren (im Einzelfall indiziert) Lichttherapie Wirkung nur bei saisonaler Depression belegt Wachtherapie meist nur im Rahmen stationärer Therapie möglich EKT bei schwerer therapieresistenter Depression Soziotherapie z.b. bei Wiedereingliederungsmaßnahmen Sport kann für einen Teil der Patienten hilfreich sein Und: Psychoedukation von Betroffenen und Angehörigen!
34 Wirksamkeit der Therapien Über 80% der Betroffenen kann mit einer Behandlung entsprechend gültiger Richtlinien gut geholfen werden Leichte und mittelschwere Depressionen: Vergleichbare Wirksamkeit von Psychotherapie und Antidepressiva (längere Wirklatenz bei Psychotherapie) Schwere Depressionen: Pharmakotherapie meist unverzichtbar! Häufig ist eine Kombinationsbehandlung sinnvoll Durch medikamentöse Rückfallverhütung kann das Risiko eines Rezidivs um ca. 70% reduziert werden
35
36 Folie 25 Optional Aus: Himmerich, Wehner-Zott: Die Seele heilen, GU-Verlag
37 Antidepressiva: Zulassung und Pharmakodynamik 1: FDA-Zulassung 2: FDA-Zulassung in anderer Indikation 3: Zulassung in Europa 4: Zulassung in Teilen Europas 1989 Citalopram 1 Sertralin 1 Paroxetin 1 Venlafaxin 1 Nefazodon 1 Mirtazapin 1 Bupropion SR 1 Reboxetin 3 Milnacipran 2 Tianeptin 4 Escitalopram 1 Atomoxetin 2 Duloxetin 1 Desvenlafaxin 1 Agomelatin melatonerg serotonerg noradrenerg dopaminerg MT-Agonist, 5-HT 2c -Antagonist 5-HT-Rückaufnahme-Hemmer 5-HT-Rückaufnahme-Verstärker 5-HT/NA-Rückaufnahme-Hemmer NA/5-HTerges AD (NaSSA) NA-Rückaufnahme-Hemmer NA/DA-Rückaufnahme-Hemmer Himmerich
38 Agomelatin mg - Antidepressive Wirksamkeit Metaanalyse der 3 plazebokontrollierten Kurzzeitstudien HAM-D-Gesamtscore *** *** =2,86 *** n =363 n =358 Plazebo Agomelatin mg *** P 0,001 0 W0 W2 W4 W6/8 Analyse aus Lôo et al 2002; Kennedy and Emsley 2006; Olié and Kasper, 2007 ; LOCF
39 Rezidivprophylaxe mit Agomelatin 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 Agomelatin (n=165) Rezidiv-Rate 21,7% Logrank p=0,0001 Plazebo(n=174) Rezidiv-Rate 46,6% Agomelatin (n=165) Rezidiv-Rate 23,9% Logrank p<0,0001 Zunehmende Trennung im Zeitverlauf Plazebo (n=174) Rezidiv-Rate 49,9% 0, Wochen ab Randomisierung Goodwin et al European Neuropsychopharmacology, 2007, vol 17 (Suppl 4) : 361; Goodwin et al, ECNP 2008
40 IFN- concentration (pg/ml) 7000 Modulation des IFN-γ-Systems durch Antidepressiva: Ergebnis 6000 * * * * control V O A N I D Himmerich et al., Int J Psychiat Med 2010
41 Tregs und Depression Tregs: Steuerung der Immunantwort und der Zytokinproduktion, Suppression der Zytokinproduktion Treg vermindert bei Patienten mit Depression Hypothese: Antidepressiva erhöhen die Konzentration von Tregs Li et al., J Affect Dis
42 SSC CD25 SSC CD25 Beispiel: Zellen eines Patienten vor und nach antidepressiver Therapie A B FSC CD % 6.42 % A: vor Therapie B: nach Therapie FSC: proportional zur Zellgröße SSC: proportional zur zellulären Granularität CD4 + CD25 hi : rechter oberer Quadrant FSC CD4 Himmerich et al., J Psychiatr Res 2010
43 CD + CD25 hi cells [%] 8 Begin of treatment End of treatment 6 * mild depression moderate severe depression Tregs vor und nach antidepressiver Therapie Himmerich et al., J Psychiatr Res 2010
44 Psychotherapie Richtlinienpsychotherapie (Kostenübernahme durch Krankenkassen): Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologisch fundierte Therapie, Psychoanalyse Vorgehen innerhalb der (kognitiven) Verhaltenstherapie: Aufbau angenehmer Aktivitäten, Abbau von Belastungen Tagesstrukturierung Korrektur fehlerhafter Überzeugungen Verbesserung des Sozial- und Kommunikationsverhaltens Problemlösetraining
45 Prävention: Primärprävention Verhinderung der Depression Präventionsprogramme fördern Realistische Sicht und Perspektiven Soziale Kompetenz Identifikation von Verhaltensauffälligkeiten Sonnenlicht Bewegung Hygiene des Schlaf-Wach-Rhythmus Arbeit Ernährung?
46 Prävention: Sekundär-/ Tertiärprävention Verhinderung der Chronifizierung Verhinderung eines Rückfalls Complianceförderung in der Medikamentösen Behandlung Psychotherapie Notfallprogramm mit Pat. besprechen Angehörigenarbeit Regelmäßige Termine bei Psychiater / Psychotherapeut Medizinische / Berufliche Rehabilitation
47 Therapeutensuche Wehner-Zott, Himmerich: Die Seele heilen, S. 125.
48 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Universitätsmedizin Leipzig (2013)
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