Einführung in die Medizinethik (4) Schweigepflicht (Fortsetzung) Paternalismus: von benevolenten Lügen und Zwangsbehandlungen
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- Siegfried Biermann
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1 Einführung in die Medizinethik (4) Schweigepflicht (Fortsetzung) Paternalismus: von benevolenten Lügen und Zwangsbehandlungen Professor Dr. Bettina Schöne-Seifert
2 Schweigepflicht heute: o verändertes Konzept ggü. Hippokratischen Zeiten -> große Behandlungs-Teams o hochgradig gefährdet durch: o "ausfransende" Teams o moderne Kommunikationstechniken o Dritt-Interessen o Indiskretionen 2
3 Rechtliche Basis der ärztlichen Schweigepflicht (1) Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (ableitbar aus Art 1.I +2.I GG) (2) Strafrecht insbes. 203 StGB (3) Berufsrecht MBO LÄKn (4) plus: Zivil-, Arbeits-, Sozialrecht 3
4 (...) 2.2 Reichweite Die ärztliche Schweigepflicht umfasst alle Tatsachen, die nur einem bestimmten, abgrenzbaren Personenkreis bekannt sind und an deren Geheimhaltung der Patient ein verständliches, also sachlich begründetes und damit schutzwürdiges Interesse hat. Sie ist grundsätzlich auch gegenüber anderen Ärzten, Familienangehörigen des Patienten sowie eigenen Familienangehörigen zu beachten. Auch nach dem Tod des Patienten besteht die ärztliche Schweigepflicht fort. 4
5 Aktuelle Debatte: Germanwing-Absturz Lockerung der Schweigepflicht für Patienten mit psych. Erkrankungen in verantwortungsvollen Positionen? Stellungnahme: DGPPN/ BVPD/PVDN (4/ 2015): NEIN - Gefahr zu später Suche nach Hilfe und Behandlung. - u.u. Verleitung der Ärzte, "Gefährdungen zu verkennen, um ihren Patienten in ihrer sozialen und beruflichen Umgebung nicht zu schaden". - Bei Gefährdungstendenzen berufsrechtliche Verpflichtung zu "[...] die Gefährdung bekämpfendem Handeln." 5
6 Schweigepflicht Im Dienste von: - individuellem Patientenvertrauen - anamnestisch kundiger = guter Medizin - Allgemeininteresse wichtig: Zuverlässigkeit; Ausnahmeregelungen transparent und im Anwendungsfall mitzuteilen 6
7 (Beweispflichtige) Ausnahmen 1 Explizite Entbindung durch den Patienten 2 Mutmaßliche Entbindung durch den Patienten 3 Spez. Gesetze 4 Höhere rechtliche/ ethische Güter (u.a. 34 StGB (rechtfertigender Notstand)) 7
8 Paternalismus Autonomie contra Fürsorge? -> Salus aegroti suprema lex. -> Voluntas aegroti suprema lex. Medizin ist dem Patientenwohl verpflichtet. Diese Verpflichtung findet allerdings ihre Grenze im Vetorecht des Patienten "Paternalismus-Konflikt" 8
9 Selbstbestimmung o zentraler Wert o als Vetorecht manchmal im Konflikt mit (Vorstellungen vom) Patientenwohl o Medizinischer Paternalismus? harter weicher 9
10 "Paternalismus" "Absichtliches Durchkreuzen der Wünsche oder Handlungen einer anderen Person, wobei die durchkreuzende Person ihr Verhalten mit dem Ziel rechtfertigt, dem Wohl (...) der so behandelten Person zu dienen." (Beauchamp/Childress 2009, S.208) 10
11 "Paternalismus" (1) starker Paternalismus: dem Willen einer kompetenten Person zuwider handeln (2) schwacher Paternalismus: dem Willen einer inkompetenten Person zuwider handeln Kleinkinder, eingetrübte Patienten u.a. (2a) Sonderfall: Odysseus-Paternalismus -> Patientenverfügungen 11
12 Herbert James Draper
13 Modelle des Arzt-Patienten-Verhältnisses (als Alternativen in Standardsituationen betrachtet) (1) Hippokratisches (= "paternalistisches") Modell Ärzte wissen besser... "Ärztliche Anweisung" (2) Vertrags Modell Patienten als "Kunden" oder "Klienten" (3) Partnerschafts Modell Der Arzt als "guter Freund" "shared decision-making" Selbstbestimmtes Delegieren der Entscheidung? Vetorecht beim Patienten 13
14 Paternalismus i.d. Psychiatrie Zwangseinweisung Zwangsmaßnahmen Zwangsbehandlung zulässig in engsten rechtlichen u. ethischen Grenzen; nämlich bei Vorliegen aller folgender Bedingungen: (1) fehlende Einwilligungsfähigkeit (2) erhebliche und konkrete Selbst- oder Fremdgefährdung (3) Alternativlosigkeit der Maßnahme 14
15 "Kompetenz" Einwilligungsfähigkeit Forderung nach konkretem / konkreter Informationsverständnis Urteilsvermögen Einsichtsfähigkeit Entscheidungs- und Ausdrucksfähigkeit 15
16 Paternalismus i.d. Psychiatrie Neuere Rechtsprechung und Gesetzgebung! Beispiele für mgl. Zulässigkeit (aus DGPPN-Stellungnahme 09/2014): drohende Selbsttötung bei akuter Suizidalität; medikamentöse Behandlung eines schizophrenen selbstzerstörerischen Wahns; Gabe von Insulin bei depressivem Negativismus und Diabetes mellitus; Unterbringung bei Fremdaggressivität in psychotischem Erregungszustand. 16
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